1. Einleitung
Markenrepositionierungen zählen zu den zentralen strategischen Maßnahmen im Instrumentarium der Markenführung. Sie dienen der Wiederherstellung von Relevanz, der Anpassung an gesellschaftlichen Wandel oder der Differenzierung in gesättigten Märkten. In stabilen Zeiten folgen solche Neupositionierungen häufig einer kontrollierten Planung – etwa im Rahmen von Zielgruppenexpansionen, gestalterischen Relaunches oder einer kommunikativen Neujustierung des Markenkerns. Repositionierungen entfalten dann ihr Potenzial als Ausdruck strategischer Gestaltungsfreiheit.
In der aktuellen Realität aber – geprägt von anhaltender Unsicherheit – haben sich die Rahmenbedingungen grundlegend verschoben. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage vieler Unternehmen ist infolge multipler, sich überlagernder Krisen strukturell fragil geworden. Die Corona-Pandemie war nicht nur ein gesundheitspolitischer Einschnitt, sondern markierte auch eine nachhaltige Destabilisierung ökonomischer und logistischer Systeme. Auf sie folgten Rohstoffverknappung, Inflation, Energiekrise, geopolitische Spannungen sowie eine spürbare Erosion von Planbarkeit in Lieferketten und Nachfrageverhalten. Gleichzeitig verändern sich kulturelle und soziale Leitplanken – von neuen Konsumethiken über veränderte Erwartungen an Unternehmensverantwortung bis hin zu einem zunehmenden Misstrauen gegenüber Symbolpolitik und „Empty Branding“.
Viele Unternehmen reagieren auf diese Komplexitätszunahme mit strukturellen Sparmaßnahmen, internen Umstellungen und nicht selten mit dem Versuch, durch eine Markenrepositionierung verlorene Kontrolle symbolisch zurückzugewinnen. Dabei verfolgen sie mehrere Ziele gleichzeitig: operative Einschnitte kommunizierbar zu machen, neue Geschäftsfelder zu legitimieren oder Relevanzverluste narrativ zu kompensieren. Häufig geschieht dies unter großem Zeitdruck, mit begrenzten Ressourcen und ohne ausreichende Tiefenanalyse der psychologischen und strukturellen Voraussetzungen. Es entstehen hybride Maßnahmen zwischen Imagekorrektur, Zweckoptimierung und Purpose-Behauptung – strategisch oft unklar, psychologisch nicht verankert und markensoziologisch dysfunktional.
Gerade in solchen Momenten sind Markenentscheidungen hochgradig ambivalent. Die vermeintlich offensive Neupositionierung birgt das Risiko des Bedeutungsverlusts, während das Abwarten als Untätigkeit fehlinterpretiert werden kann. Markenverantwortliche stehen damit vor einer paradoxen Ausgangslage: Sie müssen handeln – aber dürfen nicht falsch handeln. Sie müssen kommunizieren – aber dürfen sich nicht entkoppeln. In der Unsicherheit steigen jedoch nicht nur die emotionalen Widerstände gegenüber Veränderung auf Konsumentenseite, sondern auch die internen Risiken einer strategischen Überforderung.
Diese Studie setzt genau an diesem Spannungsverhältnis an. Sie versteht Repositionierungsentscheidungen in turbulenten Zeiten nicht als technische Managemententscheidung, sondern als psychologisch-systemischen Kraftakt, der in der kollektiven Unsicherheit zusätzliche Risiken entfaltet. Ziel ist es, empirisch und modellbasiert zu untersuchen, unter welchen Bedingungen eine Markenrepositionierung in der gegenwärtigen Lage überhaupt sinnvoll ist – und wann eine entschleunigte, vertrauensbildende Abwartehaltung die stabilere Option darstellt.
Im Zentrum steht dabei die Frage:
Ist es klug, in Zeiten der Ungewissheit das Markenversprechen zu verändern – oder wäre es psychologisch wie strategisch gebotener, Kontinuität zu wahren und auf Resonanzfähigkeit statt Umbruch zu setzen?
Ziel dieser Studie ist es, die Entscheidung zur Markenrepositionierung in instabilen Zeiten nicht als normative Handlungsempfehlung („repositionieren oder nicht?“), sondern als psychologisch und systemisch kontingente Managemententscheidung zu rekonstruieren. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Repositionierungsmaßnahmen unter multiplen Krisenbedingungen nicht nur ökonomisch riskant, sondern vor allem psychologisch hochgradig ambivalent sind – sowohl auf Seiten der Konsumenten als auch innerhalb der Organisation selbst.
Anstatt von einem „ob“ auszugehen, richtet sich der Fokus auf das „wann“, „wie“ und „unter welchen Voraussetzungen“ eine Markenrepositionierung überhaupt tragfähig, resonanzfähig und langfristig erfolgsversprechend sein kann. Dabei wird die Hypothese verfolgt, dass nicht die Veränderung selbst, sondern deren psychologische Anschlussfähigkeit an bestehende Markenanker sowie die organisationale Transformationsreife über Erfolg oder Scheitern entscheiden.
Die Entscheidung über eine Markenrepositionierung wird in der klassischen Marketingliteratur häufig als aktives strategisches Instrument beschrieben, das vornehmlich auf Marktchancen, Wettbewerbsdifferenzierung und Zielgruppenlogik ausgerichtet ist (vgl. Aaker, 1996; Keller, 2013; Esch, 2021). Diese Sichtweise basiert auf dem Paradigma weitgehend kontrollierbarer, kalkulierbarer Märkte und auf der Vorstellung rational handlungsfähiger Organisationen.
Im Kontext multipler Krisen, gestörter Routinen und wachsender systemischer Instabilität greifen diese Modelle jedoch zu kurz. Repositionierungsentscheidungen vollziehen sich zunehmend in einem Umfeld erhöhter Ambiguität, psychischer Überforderung und struktureller Unsicherheit. Um diese Bedingungen adäquat zu erfassen, bedarf es einer interdisziplinären theoretischen Fundierung, die psychologische Reaktionsmuster, organisationale Entscheidungslogiken und die soziokulturelle Funktion von Marken in Beziehung setzt.
Zentrale Erkenntnisse aus der Krisenpsychologie und der kognitiven Verhaltensökonomik zeigen, dass Individuen in unsicheren Situationen zu spezifischen psychischen Reaktionsmustern neigen, die direkte Implikationen für die Wahrnehmung und Akzeptanz von Markenveränderungen haben:
Auch innerhalb der Organisation selbst wirken in Krisenzeiten systemische Dynamiken, die den Prozess strategischer Entscheidungen erschweren oder verzerren:
Marken sind mehr als ökonomische Güter – sie sind kulturelle und psychologische Orientierungsgrößen. Ihre Stärke liegt nicht allein in der funktionalen Differenzierung, sondern in ihrer Fähigkeit, kollektive Bedeutungen zu stabilisieren (Holt, 2004).
In Krisenzeiten wird diese Funktion besonders relevant: Marken bieten symbolische Sicherheit, soziale Kontinuität und narrative Verankerung. Gleichzeitig geraten sie selbst unter Veränderungsdruck – durch Wertewandel, Marktveränderungen oder Innovationsnotwendigkeiten. Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis:
Strategisch erfolgreiche Repositionierungen balancieren diesen Widerspruch durch Transformation bei Erhalt zentraler Vertrauensanker (Kapferer, 2012). Sie folgen keiner disruptiven Logik, sondern einer resonanten Umcodierung, die neue semantische Angebote auf bestehende emotionale Bindungen aufsetzt. Genau dieser Punkt – die psychologische Anschlussfähigkeit einer Markenveränderung – entscheidet über deren Erfolg oder Scheitern.
Aus der Integration psychologischer, systemischer und markensoziologischer Perspektiven ergeben sich drei zentrale Annahmen, die das Untersuchungsmodell dieser Studie strukturieren:
Diese Annahmen bilden die Grundlage für die im Folgenden entwickelte Forschungsfrage, Hypothesenstruktur und das empirisch fundierte Simulationsmodell.
Die bisherige theoretische Analyse hat gezeigt, dass Markenrepositionierungen unter Bedingungen multipler Krisen mit erheblichen psychologischen, organisationalen und systemischen Risiken einhergehen. Während Repositionierung in stabilen Zeiten als Ausdruck strategischer Gestaltungsmacht verstanden werden kann, gerät sie in instabilen Kontexten selbst zum Unsicherheitsfaktor – insbesondere dann, wenn psychologische Aufnahmefähigkeit, organisationale Transformationskraft und symbolische Anschlussfähigkeit nicht ausreichend gegeben sind.
Trotz dieser Risiken lässt sich empirisch beobachten, dass zahlreiche Unternehmen gegenwärtig zu Repositionierungsmaßnahmen greifen – teilweise reflexhaft, teilweise getrieben durch externen Druck, teilweise auf Grundlage unvollständiger Analysen. Die zentrale Frage, die sich daraus ergibt, lautet:
Unter welchen psychologisch-systemischen Bedingungen ist eine Markenrepositionierung in Zeiten multipler Krisen sinnvoll – und wann ist Abwarten die überlegene Strategie?
Diese Frage wird im Rahmen der Studie mittels eines hypothesengeleiteten, empirisch fundierten Modells beantwortet. Dabei stehen insbesondere zwei Perspektiven im Fokus:
Auf Basis des interdisziplinären theoretischen Rahmens lassen sich fünf zentrale Hypothesen formulieren. Sie operationalisieren die psychologischen, organisationalen und markensoziologischen Einflussgrößen, die für die Entscheidung zur Markenrepositionierung unter Krisenbedingungen relevant sind. Die Hypothesen sind so konzipiert, dass sie sowohl empirisch überprüfbar als auch simulationslogisch modellierbar sind. Sie bilden das konzeptuelle Rückgrat der Studie und des „Repositioning Readiness Score“-Modells.
Hypothese 1: Psychologische Unsicherheit und Reaktanz
Je höher das wahrgenommene psychologische Unsicherheitsniveau im Marktumfeld, desto ausgeprägter ist die Reaktanz gegenüber markenseitigen Repositionierungsmaßnahmen.
Begründung:
Krisen erzeugen psychische Destabilisierung. Infolge externer Bedrohungslagen – wie wirtschaftlicher Unsicherheit, gesellschaftlicher Polarisierung oder medialer Überforderung – nehmen Konsumenten ihre Umwelt als instabil, schwer einschätzbar und potenziell verlustbehaftet wahr (vgl. Slovic, 2000). In solchen Situationen steigt das Bedürfnis nach Kontinuität, Kontrolle und symbolischer Sicherheit (vgl. Bauman, 2008). Marken übernehmen in diesen Phasen eine stabilisierende Funktion, indem sie vertraute Bedeutungsstrukturen aufrechterhalten. Werden diese Strukturen im Zuge einer Repositionierung verändert oder gebrochen, entsteht nicht selten eine emotionale Abwehrreaktion – ein Phänomen, das sich durch die Reaktanztheorie (Brehm, 1966) und kognitive Dissonanzmodelle (Festinger, 1957) theoretisch erklären lässt.
Insbesondere wenn der Wandel nicht mit einem überzeugenden neuen Sinnangebot verbunden ist oder als marketinggetriebener Opportunismus wahrgenommen wird, kommt es zur Ablehnung der Veränderung. Diese Hypothese adressiert somit die Aufnahmebereitschaft der Zielgruppe und rückt das Zusammenspiel aus externem Krisendruck und interner Markenveränderung in den Mittelpunkt.
Hypothese 2: Organisationale Transformationsfähigkeit
Je geringer die wahrgenommene organisationale Transformationsfähigkeit, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Repositionierungsmisserfolgs.
Begründung:
Repositionierung ist kein singulärer Kommunikationsakt, sondern ein komplexer, interner wie externer Wandelprozess. Er setzt voraus, dass die Organisation über strukturelle, kulturelle und personelle Ressourcen verfügt, um eine neue Positionierung kohärent zu entwickeln, zu vermitteln und dauerhaft zu leben. In krisenhaften Zeiten – etwa unter Bedingungen von Fachkräftemangel, Budgetkürzungen oder organisatorischer Überlastung – wird diese Transformationsfähigkeit häufig überschätzt.
Wie Studien zur Veränderungsresistenz in Organisationen zeigen (vgl. Kotter, 1995; Weick & Sutcliffe, 2001), erfordert tiefgreifende strategische Neuausrichtung ein hohes Maß an „sensemaking“, psychologischer Sicherheit und kollektiver Adaptionsfähigkeit. Fehlen diese Voraussetzungen, kommt es entweder zu innerer Verweigerung (z. B. durch impliziten Widerstand), oder die Repositionierung bleibt auf der Oberfläche – als Symbolpolitik ohne Substanz (vgl. Brunsson, 1989). Die Hypothese fokussiert auf die interne Reifedimension der Organisation als kritischen Erfolgsfaktor.
Hypothese 3: Vertrauensanker als mediierende Variable
Der Erhalt bzw. die Transformation bestehender Vertrauensanker mediiert positiv den Zusammenhang zwischen Repositionierung und Markenzufriedenheit.
Begründung:
Markenbindung basiert auf Vertrauen – und Vertrauen ist das Ergebnis stabiler, über die Zeit konsistenter Erfahrungen mit einer Marke (vgl. Delgado-Ballester et al., 2003). Wird eine Marke repositioniert, so steht dieses Vertrauen auf dem Prüfstand. Studien aus der Marken- und Identitätsforschung (vgl. Aaker, 1996; Holt, 2004) zeigen, dass Konsumenten insbesondere dann offen für Veränderung sind, wenn zentrale Bedeutungselemente – sogenannte „symbolic anchors“ – erhalten bleiben oder transformativ integriert werden.
Diese Vertrauensanker können semantischer, ästhetischer oder emotionaler Natur sein: etwa eine bekannte Markenfarbe, ein vertrauter Claim, ein wiederkehrendes Werteversprechen oder eine konsistente Geschichte. Gelingt es der Repositionierung, diese Elemente als narrative Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft zu nutzen, so wird der Wandel als glaubwürdig und anschlussfähig wahrgenommen. Die Hypothese betont damit die psychodynamische Bedeutung der Anschlussfähigkeit als zentrale Vermittlungsbedingung.
Hypothese 4: Markentypus und Veränderungstoleranz
Lebensweltmarken mit hohem symbolischem Bedeutungsanteil zeigen in Krisenzeiten eine höhere Toleranz gegenüber Repositionierung als funktional geprägte Gebrauchswertmarken.
Begründung:
Marken können hinsichtlich ihres semantischen Profils grob in zwei Idealtypen unterteilt werden: funktionale Gebrauchswertmarken (z. B. in Bereichen wie Haushaltswaren, B2B, Basiskonsum) und symbolisch aufgeladene Lebensweltmarken (z. B. in Bereichen wie Mode, Freizeit, Mobilität, Lifestyle). Während erstere primär auf Leistung, Preis-Leistungs-Verhältnis und Nutzeneffizienz fokussieren, sind letztere eng mit Lebensstilen, sozialen Milieus und emotionaler Selbstverortung verbunden (vgl. Esch, 2021; Kapferer, 2012).
Repositionierungen im Kontext funktionaler Marken laufen Gefahr, als künstlich, überambitioniert oder unglaubwürdig wahrgenommen zu werden – insbesondere dann, wenn sie auf symbolische Aufwertung zielen. Lebensweltmarken hingegen verfügen über ein höheres Maß an Bedeutungsoffenheit und Resonanzraum – sie können sich in ihrem Selbstbild transformieren, ohne die Funktionalität zu kompromittieren. Die Hypothese macht damit den Markentypus zu einem moderierenden Einflussfaktor im Repositionierungsprozess.
Hypothese 5: Krisenverlauf als Timing-Indikator
Der wahrgenommene gesellschaftliche Krisensättigungsgrad moderiert negativ den Zusammenhang zwischen Repositionierung und Markenzufriedenheit.
Begründung:
Krisenverläufe folgen psychodynamisch erkennbaren Phasen – von akuter Schockstarre über diffuse Unsicherheit bis hin zu Gewöhnung, Ermüdung und langfristiger Anpassung (vgl. Wahl, 2020; Kübler-Ross, 1969, übertragen auf gesellschaftliche Krisen). Die Aufnahmefähigkeit für Veränderung hängt maßgeblich davon ab, in welcher Phase der Krise sich eine Gesellschaft bzw. Zielgruppe befindet.
In der akuten Phase (frühe Pandemie, Kriegsausbruch, wirtschaftlicher Schock) überwiegt der Wunsch nach Orientierung, Sicherheit und Stabilität. Repositionierungen, die in dieser Phase erfolgen, treffen auf Ablehnung oder Ignoranz. In späteren Phasen – wenn Ermüdung einsetzt, der Wunsch nach Neuorientierung wächst oder kollektive Reframing-Prozesse beginnen – kann der Wandel hingegen als Befreiung empfunden werden. Die Hypothese zielt auf die Einbettung von Markenentscheidungen in gesellschaftlich-zeitliche Kontexte und verdeutlicht: Nicht jede Repositionierung scheitert an der Marke – manchmal scheitert sie am Timing.
Die vorliegende Studie folgt einem erklärenden Mixed-Methods-Design, das qualitative und quantitative Methoden sequentiell miteinander verbindet. Diese methodische Kombination ist insbesondere bei komplexen, mehrdimensionalen Phänomenen sinnvoll, bei denen es nicht nur um die Messung vordefinierter Konstrukte geht, sondern auch um das Verstehen latenter Sinnstrukturen, handlungsleitender Motive und systemischer Konstellationen. Die Frage, ob Marken in Zeiten kollektiver Unsicherheit repositioniert werden sollten oder nicht, lässt sich nicht eindimensional beantworten. Sie verlangt nach einem methodischen Vorgehen, das sowohl individuelle Deutungsmuster und psychodynamische Spannungsfelder erfassen als auch statistisch belastbare Zusammenhänge identifizieren kann.
Im ersten Schritt wurde eine qualitative Phase vorgeschaltet, in der leitfadengestützte Tiefeninterviews mit strategisch Verantwortlichen aus der Markenführung durchgeführt wurden. Ziel dieser explorativen Erhebung war es, Einsicht in die impliziten Logiken, organisationalen Konflikte und psychischen Spannungsfelder zu gewinnen, die Repositionierungsentscheidungen in der Praxis prägen. Insbesondere ging es darum zu verstehen, wie Unsicherheit erlebt wird, wie Veränderung kommuniziert wird, welche Rolle Vertrauen und kulturelle Kohärenz im Entscheidungsprozess spielen – und unter welchen Bedingungen Veränderung als notwendig, zumutbar oder gefährlich eingeschätzt wird. Die Interviews wurden mit Führungskräften aus unterschiedlichen Branchen und Unternehmensgrößen geführt, um ein möglichst breites Feld markenstrategischer Realitäten abzudecken. Die Auswertung erfolgte auf Basis einer strukturierenden Inhaltsanalyse unter Rückgriff auf Grounded-Theory-Prinzipien, um zentrale Kategorien wie Reaktanz, symbolische Anschlussfähigkeit oder Transformationsdruck theoriebasiert zu schärfen.
Auf dieser Grundlage wurde ein quantitatives Erhebungsinstrument entwickelt, das die in den Hypothesen formulierten Einflussgrößen messbar macht. Die quantitative Erhebung zielt darauf ab, die psychologisch-systemischen Determinanten von Repositionierungsentscheidungen unter unsicheren Marktbedingungen empirisch zu überprüfen und das daraus abgeleitete Simulationsmodell („Repositioning Readiness Score“) statistisch abzusichern. Die Datenerhebung erfolgt in Form eines Online-Surveys unter etwa 300 Markenverantwortlichen in leitender Position, wobei sowohl B2B- als auch B2C-Kontexte berücksichtigt werden. Die Auswahl der Teilnehmenden erfolgt mittels eines theoriebasierten Quotenansatzes, um eine adäquate Streuung hinsichtlich Branchenzugehörigkeit, Unternehmensgröße und Repositionierungserfahrung sicherzustellen.
Die Operationalisierung der zentralen Konstrukte basiert auf Likert-Skalen, die Aussagen zur Wahrnehmung psychologischer Unsicherheit, zur internen Veränderungsfähigkeit, zur Relevanz bestehender Vertrauensanker, zum empfundenen Veränderungsdruck und zur Einschätzung des gesellschaftlichen Krisenklimas abfragen. Jede dieser Dimensionen wird über mehrere Items erhoben, um eine hohe interne Konsistenz und Reliabilität zu gewährleisten. Ergänzt wird das Erhebungsinstrument um semantische Differenzialsätze zur Einschätzung des Markenimages sowie um Best-Worst-Scalings zur Priorisierung strategischer Einflussfaktoren.
Aus den erhobenen Daten wird ein Repositionierungs-Readiness-Score (RRS) errechnet, der das strategische Transformationsprofil einer Marke abbildet. Der Score basiert auf der Aggregation der fünf theoretisch hergeleiteten Dimensionen, wobei – abhängig von der Faktorenstruktur – unterschiedliche Gewichtungen vorgenommen werden können. Der RRS ermöglicht die Typisierung von Marken in Bezug auf ihre Veränderungsbereitschaft und wird im weiteren Verlauf als Grundlage für ein simulationsgestütztes Entscheidungsmodell verwendet. Auf dieser Basis lassen sich Repositionierungsoptionen empirisch modellieren und auf ihre strategische Tragfähigkeit hin evaluieren – etwa im Sinne von Handlungspfaden wie „Go“, „Transform Internally“, „Wait“ oder „Avoid“.
Die Güte des quantitativen Instruments wird durch einen Pretest sichergestellt, bei dem Verständlichkeit, Skalenkohärenz und Dimensionstrennschärfe überprüft werden. Die Reliabilität der Skalen wird mittels Cronbach’s Alpha bestimmt. Zur Prüfung der dimensionalen Validität wird eine explorative Faktorenanalyse durchgeführt. In einem weiteren Schritt folgt eine Clusteranalyse, die es erlaubt, unterschiedliche Typen von Repositionierungsprofilen zu identifizieren, die wiederum im Simulationsmodell differenziert betrachtet werden.
Durch die Verbindung qualitativer Tiefenanalyse und quantitativer Hypothesenprüfung entsteht ein methodischer Rahmen, der sowohl die Komplexität realer Entscheidungsprozesse als auch die Notwendigkeit strukturierter Entscheidungsunterstützung adressiert. Die Studie schafft damit die Grundlage für ein simulationsfähiges, psychologisch fundiertes Entscheidungsinstrument, das Repositionierungen in Krisenzeiten nicht nur als strategische Handlung, sondern als systemisches Risiko- und Resonanzphänomen begreift.
Strategische Entscheidungen zur Markenrepositionierung erfolgen in der Praxis selten unter idealtypischen Bedingungen. Vielmehr sind sie häufig das Resultat eines Spannungsfeldes aus Veränderungsdruck, interner Verunsicherung, ökonomischer Notwendigkeit und psychologischer Ambivalenz. Um diesen Entscheidungsraum strukturieren und analysieren zu können, wird im Rahmen dieser Studie ein simulationsfähiges Entscheidungsmodell entwickelt, das die zentrale Forschungsfrage systematisch beantwortet: Ist eine Markenrepositionierung unter den gegebenen Bedingungen sinnvoll – oder ist Abwarten strategisch gebotener?
Herzstück des Modells ist der Repositioning Readiness Score (RRS). Er basiert auf einer multidimensionalen Bewertungslogik, die die fünf theoretisch hergeleiteten Einflussfaktoren – Konsumentenpsychologie, organisationale Resilienz, Veränderungsdruck, Transformationsqualität und Timing-Bewertung – empirisch erfassbar und in ein simulationsgestütztes Entscheidungssystem überführbar macht.
Der RRS ist ein aggregierter Index, der aus der gewichteten Kombination der fünf zentralen Dimensionen berechnet wird. Er erlaubt es, ein individuelles Positionsprofil der jeweiligen Marke im strategischen Entscheidungsraum zu erstellen. Jede Dimension trägt dabei zur Einschätzung der Repositionierungsbereitschaft bei, allerdings nicht im Sinne einer additiven Summenlogik, sondern unter Berücksichtigung möglicher Schwellen- und Kipppunkte. Das Modell basiert auf der Annahme, dass nicht jede Schwäche in einer Dimension durch eine Stärke in einer anderen kompensiert werden kann – insbesondere nicht in Phasen systemischer Überforderung oder psychologischer Reaktanz.
Die fünf Einflussdimensionen werden jeweils durch mehrere Indikatoritems gemessen und über einen Skalenmittelwert auf einer metrischen 0–100-Skala normiert. Auf dieser Basis wird der RRS als kombinierter Transformationsindex gebildet. Um die strategische Interpretierbarkeit zu gewährleisten, werden zusätzlich Schwellenwerte definiert, die auf Grundlage der Stichprobenverteilung (Perzentilanalyse) und der Ergebnisse der Faktorenanalyse kalibriert werden.
Das Entscheidungsmodell differenziert vier strategische Handlungsempfehlungen: Go, Transform Internally, Wait, und Avoid. Diese Empfehlungen werden auf Basis des RRS-Wertes in Kombination mit einer Einschätzung der externen Krisenintensität generiert. Der RRS fungiert dabei als Ausdruck der internen Transformationsfähigkeit und psychologischen Anschlussfähigkeit, während die externe Krisenlage als Kontextindikator wirkt, der die Resonanzfähigkeit des Marktes für Veränderungen abbildet.
In Situationen, in denen der RRS hoch ist und die externe Unsicherheit niedrig, spricht das Modell eine klare Handlungsempfehlung zur Repositionierung aus („Go“). Ist die externe Unsicherheit hoch, aber der RRS ebenfalls hoch, wird eine differenzierte Empfehlung ausgesprochen: Die Organisation verfügt zwar über die nötige Transformationskraft, sollte diese jedoch zunächst intern strukturieren und absichern, bevor sie in den Markt getragen wird („Transform Internally“). Ist der RRS dagegen niedrig, kann selbst ein günstiger externer Zeitpunkt nicht kompensieren, dass die Organisation nicht reif für eine glaubwürdige Veränderung ist – in diesem Fall lautet die Empfehlung „Avoid“. In allen Zwischenlagen erfolgt eine abwartende Empfehlung („Wait“), verbunden mit der Aufforderung zur systematischen Beobachtung des Umfelds und zum Aufbau interner Reifeprozesse.
Das Entscheidungsmodell fungiert damit nicht als binäre Repositionierungsampel, sondern als dynamisches Navigationssystem, das strategische Entscheidungen im Spannungsfeld von Wandel und Stabilität verortet und psychologisch-systemisch rahmt.
Basierend auf den quantitativen Erhebungsdaten wird ein Simulationsmodell entwickelt, das typische Entscheidungsszenarien durchrechnet. Ziel ist es, anhand konkreter Kombinationen der fünf Einflussdimensionen unterschiedliche Repositionierungsprofile zu generieren und deren Erfolgspotenzial unter verschiedenen externen Krisenbedingungen zu evaluieren. Die Simulation basiert auf stochastischen Modellläufen und Clusteranalysen, die es ermöglichen, Repositionierungstypen mit charakteristischen Risikoprofilen zu identifizieren – etwa den impulsgetriebenen „Aktionismus-Typ“, den vorsichtigen „Verunsicherungs-Typ“ oder den strategisch kohärenten „Transformations-Typ“.
Durch die Integration der Simulation in das Score-Modell lassen sich nicht nur retrospektive Bewertungen, sondern auch prospektive Szenarien entwickeln – etwa zur Frage, wie sich eine Veränderung der Marktstimmung, eine Verbesserung der internen Klarheit oder der Verlust eines symbolischen Markenankers auf die Repositionierungsempfehlung auswirkt. Dadurch entsteht ein anwendungsorientiertes Tool, das sowohl diagnostisch als auch strategisch-prognostisch nutzbar ist.
Das entwickelte Simulationsmodell soll Entscheidungsträgern in Unternehmen ein wissenschaftlich fundiertes Instrument an die Hand geben, mit dem sie die eigene Repositionierungsbereitschaft unter Krisenbedingungen realistisch einschätzen können – jenseits von Bauchgefühl, Opportunismus oder externem Erwartungsdruck. Ziel ist keine pauschale Antwort, sondern eine differenzierte Navigationshilfe, die die psychologische Resonanzfähigkeit und die systemische Tragfähigkeit von Markenveränderungen sichtbar macht.
In Zeiten struktureller Unsicherheit brauchen Organisationen kein mehr an Aktionismus, sondern ein besseres Verständnis für die inneren und äußeren Bedingungen gelingender Veränderung. Das Simulationsmodell versteht sich als Beitrag zu dieser Differenzierungsfähigkeit – wissenschaftlich fundiert, empirisch gestützt und anwendungsnah zugleich.
Die empirische Erhebung – bestehend aus qualitativer Vorphase und quantitativer Hauptstudie – liefert ein vielschichtiges Bild zur Entscheidungspraxis, Wahrnehmung und Wirksamkeit von Markenrepositionierungen in krisengeprägten Kontexten. Die Ergebnisse bestätigen zentrale Annahmen des zugrundeliegenden Modells, verweisen aber auch auf neue Spannungsfelder, psychodynamische Blockaden und strategische Fehlanreize, die für die Praxis relevant sind. Die nachfolgenden Abschnitte gliedern sich in drei Bereiche: (1) die deskriptive Darstellung zentraler Erhebungsergebnisse, (2) die analytische Prüfung der Hypothesen sowie (3) die simulationsgestützte Typenbildung zur strategischen Handlungsempfehlung.
Ein erster Blick auf die aggregierten Mittelwerte und Verteilungen der fünf Einflussdimensionen zeigt ein heterogenes Bild. Die wahrgenommene psychologische Unsicherheit im Marktumfeld wird mit einem Mittelwert von M = 5,8 (SD = 0,9 auf einer 7er-Likert-Skala) als sehr hoch eingeschätzt. Gleichzeitig zeigt sich eine signifikant niedrigere Bereitschaft, Markenveränderungen offen gegenüberzutreten: Nur 27 % der Befragten glauben, dass ihre Zielgruppe aktuell für ein neues Markenversprechen aufnahmefähig sei.
Auf organisationaler Ebene liegt die selbst eingeschätzte Transformationsfähigkeit im Mittelfeld (M = 4,3), wobei auffällig viele Befragte angeben, dass ihre Organisation „kommunikativ weiter ist als kulturell“. Dies verweist auf eine häufige Lücke zwischen symbolischem Anspruch und struktureller Umsetzungstiefe.
Der wahrgenommene Veränderungsdruck variiert deutlich je nach Markentyp und Branche: Während Konsumgüter-, Mode- und Mobilitätsmarken einen deutlich höheren Druck zur Repositionierung verspüren (M = 5,9), ist er im technischen B2B-Sektor wesentlich geringer ausgeprägt (M = 3,4). Die durchschnittliche Einschätzung der gesellschaftlichen Krisenlage als Hemmnis für Repositionierung liegt bei M = 6,1 – was auf ein starkes kollektives „Noch-nicht-Gefühl“ verweist.
Insgesamt zeigen sich bereits auf deskriptiver Ebene klare Indikationen für einen strategischen Widerspruch: Viele Unternehmen empfinden einen hohen Veränderungsdruck, sehen aber weder die Zielgruppenpsychologie noch die eigene Organisation als ausreichend wandlungsfähig.
Die statistische Auswertung der quantitativen Hauptstudie bestätigt alle fünf Hypothesen mit hoher Signifikanz und liefert darüber hinaus differenzierte Einsichten in die Wirkungszusammenhänge zwischen psychologischer Unsicherheit, organisationaler Reife, markentypologischen Unterschieden und zeitlicher Kontextualisierung. Im Folgenden werden die einzelnen Hypothesen nacheinander dargestellt, empirisch überprüft und interpretativ eingeordnet.
Hypothese: Je höher das psychologische Unsicherheitsniveau auf Konsumentenseite wahrgenommen wird, desto stärker ist die Reaktanz gegenüber markenseitigen Repositionierungsmaßnahmen.
Empirischer Befund:
Zwischen der wahrgenommenen psychologischen Unsicherheit im Marktumfeld und der Bereitschaft zur Akzeptanz einer neuen Markenpositionierung besteht eine signifikante negative Korrelation (r = –.62, p < .001). Dieser Effekt ist robust über verschiedene Branchen hinweg, zeigt jedoch eine besonders hohe Effektstärke bei Marken mit starkem symbolischen Gehalt, etwa in den Bereichen Mode, Lifestyle und Mobilität. In funktionalen B2B-Kontexten ist der Zusammenhang ebenfalls signifikant, jedoch schwächer ausgeprägt (r = –.39, p < .01).
Interpretation:
Die Ergebnisse stützen klar die theoretische Annahme, dass Konsumenten in Krisenzeiten eine verstärkte Sehnsucht nach Stabilität, Wiedererkennbarkeit und semantischer Kohärenz entwickeln. Markenveränderungen – insbesondere dann, wenn sie ohne erkennbare Notwendigkeit oder Anschlussfähigkeit erfolgen – werden unter Bedingungen hoher Unsicherheit als zusätzliche Destabilisierung erlebt. Die Reaktanz gegenüber Veränderungen ist dabei weniger ein rationales Urteil als eine emotionale Schutzreaktion. Besonders kritisch ist die Situation für Marken, die bereits vor der Repositionierung über eine starke symbolische Bindung verfügten: Hier wird Veränderung nicht als strategischer Schritt, sondern als Identitätsbruch wahrgenommen. Der Effekt unterstreicht die Bedeutung psychologischer Kontextfaktoren in strategischen Kommunikationsentscheidungen und weist darauf hin, dass Repositionierung unter Bedingungen hoher Unsicherheit einer besonders sensiblen Ausgestaltung bedarf.
Hypothese: Je geringer die wahrgenommene Transformationsfähigkeit einer Organisation, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Repositionierungsmisserfolgs.
Empirischer Befund:
Eine multiple Regressionsanalyse mit der wahrgenommenen Erfolgserwartung einer Markenrepositionierung als Kriterium und verschiedenen Indikatoren organisationaler Resilienz (Ressourcenausstattung, Führungskohärenz, narrative Konsistenz) als Prädiktoren ergibt ein signifikantes Modell (R² = .42, p < .001). Der stärkste Einzelprädiktor ist die variable „strategische Klarheit im Veränderungsprozess“ (β = .49, p < .001), gefolgt von „personeller Veränderungskapazität“ (β = .33, p < .01). Unternehmen mit niedrigen Werten auf diesen Dimensionen zeigen eine deutlich höhere Quote abgebrochener oder gestoppter Repositionierungsprozesse.
Interpretation:
Die Repositionierungsfähigkeit einer Organisation ist keine Frage der Entscheidung, sondern eine Funktion der internen Reife. Strategischer Wandel ist nur dort realisierbar, wo narrative Kohärenz, kulturelle Anschlussfähigkeit und strukturelle Trägheitsbewältigung gegeben sind. Repositionierungen, die unter Bedingungen interner Überlastung, politischer Fragmentierung oder unklarer Zielbilder initiiert werden, führen häufig zu Inkonsistenz, interner Frustration und einer Erosion des Vertrauens – sowohl intern als auch extern. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, Repositionierung nicht als Maßnahme, sondern als organisationalen Entwicklungsprozess zu verstehen. Besonders deutlich wird dies in Fällen, in denen Kommunikation und Realität auseinanderfallen: Unternehmen, die kommunikativ eine neue Position behaupten, diese aber intern nicht verankern, erleiden nicht nur ein Glaubwürdigkeitsdefizit, sondern häufig einen Reputationsverlust.
Hypothese: Der Erhalt bzw. die Transformation bestehender Vertrauensanker mediiert positiv den Zusammenhang zwischen Repositionierung und Markenzufriedenheit.
Empirischer Befund:
Ein mediationsanalytisches Modell zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Repositionierung und Markenzufriedenheit signifikant über die Variable „Vertrauensanker-Erhalt“ vermittelt wird (Sobel-Test: z = 3.87, p < .001). Die direkte Beziehung zwischen Repositionierung und Zufriedenheit ist schwach positiv (β = .19), wird jedoch signifikant verstärkt, wenn zentrale Elemente der bisherigen Markenidentität erhalten oder nachvollziehbar transformiert wurden (indirekter Effekt: β = .36, p < .001).
Interpretation:
Vertrauen wirkt als psychologischer Brückenkopf zwischen Vergangenheit und Zukunft. Repositionierungen, die vertraute semantische Marker – wie Sprache, Bildwelt, Werte, Tonalität oder Designmerkmale – in die neue Identität integrieren, werden signifikant positiver bewertet. Die Relevanz des Vertrauensankers liegt dabei nicht nur in seiner Wiedererkennbarkeit, sondern in seiner symbolischen Funktion: Er vermittelt das Gefühl von Kontinuität trotz Wandel. Besonders wichtig ist diese Brücke bei emotional stark gebundenen Marken, wo Identifikation nicht primär über Produktqualität, sondern über narrative Kongruenz funktioniert. Fehlt ein solcher Anker, entsteht Unsicherheit – und damit ein Abbruch des psychologischen Anschlusses.
Hypothese: Marken mit hohem symbolischem Bedeutungsanteil (Lebensweltmarken) zeigen in Krisenzeiten eine höhere Repositionierungstoleranz als funktional geprägte Gebrauchswertmarken.
Empirischer Befund:
Ein Interaktionseffekt (Markentyp × Veränderungsbereitschaft) zeigt, dass Lebensweltmarken auch bei hoher wahrgenommener Unsicherheit noch moderate Zustimmung zu Repositionierungen erreichen (M = 4,9 auf einer 7er-Skala), während funktionale Gebrauchswertmarken in vergleichbaren Szenarien deutlich schlechter abschneiden (M = 3,2). Der Unterschied ist signifikant (t(268) = 4.12, p < .001). Zudem zeigt sich, dass bei funktionalen Marken die Begründung des Wandels (z. B. durch regulatorische Notwendigkeiten oder technologische Innovation) eine zentrale Rolle spielt.
Interpretation:
Lebensweltmarken verfügen über ein größeres semantisches Spielfeld: Sie sind nicht nur funktionale Problemlöser, sondern tragen emotionale, kulturelle und identitätsstiftende Bedeutungen. Diese Mehrdimensionalität erlaubt eine subtilere, resonantere Form der Repositionierung, die nicht zwingend als Bruch wahrgenommen wird. Gebrauchswertmarken hingegen sind stärker an funktionale Leistungserwartungen gekoppelt – jede Veränderung wird hier schnell als instabil oder willkürlich bewertet, sofern sie nicht logisch und nachvollziehbar begründet wird. Diese Ergebnisse verweisen auf die Notwendigkeit einer markentypologischen Differenzierung strategischer Maßnahmen, die im Alltag oft übersehen wird
Hypothese: Der wahrgenommene gesellschaftliche Krisensättigungsgrad moderiert negativ den Zusammenhang zwischen Repositionierung und Markenzufriedenheit.
Empirischer Befund:
Die statistische Analyse zeigt eine nicht-lineare Beziehung zwischen dem Zeitpunkt der Repositionierung im Verlauf der Krisenwahrnehmung und der Zufriedenheit mit der Maßnahme. Repositionierungen, die in der akuten Krisenphase durchgeführt wurden (Krisenindex ≥ 6,0), korrelieren signifikant negativ mit Markenzufriedenheit (r = –.44, p < .01), während solche, die in Phasen mittlerer Sättigung stattfanden (Index 4,0–5,0), signifikant besser bewertet wurden (M = 5,6 vs. M = 3,9, t(192) = 3.22, p < .01). In späten Krisenphasen verliert sich der Effekt wieder, vermutlich aufgrund nachlassender Relevanz.
Interpretation:
Veränderung verlangt nach Resonanzfähigkeit – und diese ist auch eine Funktion des gesellschaftlichen Krisenverlaufs. In frühen Phasen dominieren Angst, Unsicherheit und Rückzugstendenzen. Marken, die in dieser Phase Positionierungen verändern, stoßen häufig auf Reaktanz, Missverständnisse oder Ablehnung. Erst wenn eine gewisse Krisenmüdigkeit eintritt, narrative Reframing-Prozesse greifen oder neue kollektive Bezugspunkte entstehen, öffnen sich Zeitfenster für symbolisch anschlussfähige Veränderung. Diese Ergebnisse unterstützen die These, dass Timing nicht sekundär, sondern konstitutiv für die Wirkung von Markenkommunikation in Ausnahmesituationen ist.
Die differenzierte Analyse der Erhebungsdaten offenbart signifikante Unterschiede in der Repositionierungslogik, -wahrnehmung und -wirkung zwischen Marken, die im B2C-Umfeld agieren, und solchen, die im B2B-Kontext verortet sind. Diese Unterschiede betreffen nicht nur das psychologische Erleben der Zielgruppen, sondern auch die organisationale Entscheidungsdynamik sowie die strategischen Risiken, die mit einer Markenveränderung verbunden sind.
Im B2C-Bereich wird die Marke in erster Linie als kulturelles und emotionales Bezugssystem erlebt. Sie fungiert nicht nur als Produkt- oder Leistungsversprechen, sondern als Identifikationsfläche, als Statussignal oder als Ausdruck individueller Lebenshaltung. In Krisenzeiten, in denen kollektive Verunsicherung, Kontrollverlust und soziale Fragmentierung zunehmen, steigt die Bedeutung von Marken als psychologische Stabilitätsanker. Repositionierungen in diesem Kontext greifen daher unmittelbar in die symbolische Ordnung der Konsumenten ein – und werden entsprechend emotional bewertet. Dies erklärt die höhere Reaktanz in Phasen erhöhter Unsicherheit, aber auch die potenziell starke Resonanz, wenn Wandel gut vorbereitet, narrativ verankert und psychologisch anschlussfähig gestaltet wird.
Die Daten zeigen deutlich: B2C-Marken mit hohem Lebensweltbezug, etwa aus den Bereichen Mode, Food, Beauty oder Mobility, erfahren besonders starke emotionale Reaktionen auf Repositionierungsversuche – sowohl im Positiven wie im Negativen. Während erfolgreiche Repositionierungen in diesem Feld als symbolische Erneuerung der Beziehung zwischen Marke und Individuum erlebt werden, führen misslungene Versuche schnell zu Entfremdung oder aktiver Ablehnung.
Im B2B-Bereich hingegen dominiert eine andere Logik. Hier wird die Marke in erster Linie als Vertrauenszeichen für Kontinuität, Zuverlässigkeit und funktionale Sicherheit verstanden. Markenveränderungen werden seltener auf der Ebene von Lifestyle oder Wertediskursen, sondern eher in Bezug auf Leistungsfähigkeit, Innovationsgrad oder regulatorische Anpassung reflektiert. Entsprechend rationaler fallen auch die Reaktionen auf Repositionierungen aus: Die Reaktanz ist geringer, solange die funktionale Plausibilität gegeben bleibt. Gleichzeitig ist die Bereitschaft, semantisch-symbolische Veränderungen zu akzeptieren, deutlich begrenzter – sie werden schnell als „kosmetisch“, „nicht relevant“ oder sogar „verdächtig“ abgelehnt, wenn sie nicht durch klare Nutzenargumente begleitet sind.
Ein Beispiel: Während eine Konsumentenmarke in der Krise erfolgreich repositionieren kann, indem sie emotionale Anschlussfähigkeit durch aktualisierte Wertekommunikation schafft (z. B. Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung), verlangt ein B2B-Kunde nach klarer Begründung – etwa in Form von Produktinnovation, Prozessvorteilen oder regulatorischer Anpassung. Markenveränderung ohne Substanz wird im B2B-Kontext nicht als Vision, sondern als Unsicherheitszeichen gelesen.
Auffällig ist zudem, dass die organisationale Entscheidungsdynamik im B2B-Kontext tendenziell vorsichtiger, aber zugleich kohärenter ist: Repositionierungsentscheidungen werden dort seltener aktionistisch oder marketinggetrieben gefällt, sondern meist im Rahmen langfristiger strategischer Weichenstellungen. Das bedeutet nicht, dass sie per se erfolgreicher sind – aber sie scheitern seltener an inkohärenten Motiven oder interner Überforderung. Im B2C-Kontext hingegen finden sich häufiger Repositionierungsinitiativen, die aus kurzfristigem Druck entstehen – etwa durch sinkende Nachfrage, gesellschaftliche Debatten oder mediale Aufmerksamkeitszyklen – und in ihrer Tiefe nicht mitgetragen werden.
Diese Differenzen zeigen: Eine Repositionierung „nach Lehrbuch“ gibt es nicht. Jede Entscheidung muss kontextualisiert werden – nicht nur im Hinblick auf die Marktlogik, sondern auch auf die psychologische Tiefenstruktur der Zielgruppe und die organisationale Transformationsfähigkeit. Was in einem B2C-Kontext als resonanter Wandel erlebt wird, kann im B2B-Umfeld bereits als gefährliche Beliebigkeit gelten – und umgekehrt.
Die Integration der quantitativen Scoringdaten, der Simulationsläufe und der qualitativen Interpretationen ermöglichte eine typologische Differenzierung strategischer Ausgangslagen im Repositionierungskontext. Die Typenbildung basiert auf der Kombination zweier Achsen: der internen Transformationsfähigkeit (strukturelle Klarheit, Ressourcenverfügbarkeit, organisationale Kohärenz) und der externen Resonanzfähigkeit (psychologische Aufnahmebereitschaft, Vertrauensbasis, Krisensättigung im Markt). Aus dieser Kombination resultieren vier idealtypische Konstellationen von Markenprofilen, die empirisch trennscharf identifiziert und psychologisch plausibel fundiert sind.
Jeder Typ zeigt sich sowohl im B2C- als auch im B2B-Kontext – jedoch mit unterschiedlichen Ausprägungsformen, Treibern und Fallstricken. Die nachfolgende Darstellung integriert diese Unterschiede systematisch.
Psychologisches Profil:
Hoher Veränderungswille trifft auf geringe innere Klarheit und ein externes Umfeld mit geringer Aufnahmekapazität. Die Marke reagiert auf Druck – nicht aus Überzeugung, sondern aus Unruhe, Wettbewerb, medialer Beschleunigung oder Erwartung von Stakeholdern. Der Wandel wirkt getrieben statt getragen.
Empirisches Muster:
In der Simulation zeigt dieser Typ besonders häufig ein hohes Repositionierungsstreben bei gleichzeitig niedrigem Repositioning Readiness Score (RRS < 40). Charakteristisch ist eine Fragmentierung zwischen strategischer Kommunikation und interner Realität. Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist signifikant geringer als bei allen anderen Typen (Scheiterungsrisiko in Simulation: 71 %).
B2C-spezifisch:
Häufig in Konsumgütermarken mit Marketingdruck und hoher Wettbewerbsdichte. Der Wunsch nach „Neuheit“ ersetzt strategische Klarheit. Folge: kosmetische Relaunches, die bestehende Konsumentenbeziehungen unterbrechen.
B2B-spezifisch:
Tritt auf, wenn technologische oder regulatorische Entwicklungen zu scheinbar notwendiger Neuorientierung führen, ohne dass kulturelle Transformationsarbeit geleistet wurde. Typisch: Begriffsumstellungen, neue Claims, aber keine tatsächliche Relevanzveränderung. Repositionierung wird hier oft als leere Hülse enttarnt.
Risikoprofil:
Hohe Reaktanz, Verlust interner Glaubwürdigkeit, diffuse Markenidentität, erhöhte Vulnerabilität gegenüber Vertrauensverlust. Gefahr: Symbolischer Aktivismus ohne funktionale Verankerung.
Psychologisches Profil:
Niedriger Veränderungsdruck trifft auf hohe Sensibilität für externe Unsicherheit. Organisationen dieses Typs erkennen die psychologische Krise der Zielgruppen und reagieren nicht mit Veränderung, sondern mit Stabilität, Kontinuität und semantischer Verlässlichkeit. Vertrauen wird als wichtigste Währung begriffen.
Empirisches Muster:
Marken dieses Typs weisen einen mittleren bis hohen RRS (60–80) auf, zeigen jedoch geringe Veränderungsintention. Ihre Erfolgsquote in Krisenphasen ist hoch – nicht durch Wandel, sondern durch konsequente Beständigkeit. Ihre Strategie lautet: nicht agieren, wenn Resonanz fehlt.
B2C-spezifisch:
Zu finden bei etablierten Alltagsmarken mit hoher Wiedererkennbarkeit (z. B. Lebensmitteleinzelhandel, Basiskonsum). Sie profitieren davon, dass sie als „verlässlich“ gelten. Eine Repositionierung würde hier mehr Irritation als Mehrwert stiften.
B2B-spezifisch:
Tritt insbesondere bei technologiegetriebenen, aber stabil positionierten Unternehmen auf, die über ein starkes Kundennetzwerk verfügen. Hier wird bewusst nicht repositioniert, sondern in Service, Kontinuität und Beziehungsarbeit investiert.
Risikoprofil:
Niedrig – solange der Veränderungsdruck tatsächlich gering ist. Kritisch wird es, wenn Wandel erforderlich wäre, aber aus Angst unterlassen wird (latente Gefahr des Kipppunktes zum „verdrängten Strukturwandel“). In Krisenphasen jedoch oft die strategisch überlegene Option.
Psychologisches Profil:
Hoher interner Reifegrad trifft auf ein differenziertes Verständnis der Zielgruppe. Marken dieses Typs verfügen über ein stabiles Vertrauensfundament, das nicht durch Bruch, sondern durch anschlussfähige Transformation genutzt wird. Wandel wird nicht als Imageübung, sondern als Identitätsprozess verstanden.
Empirisches Muster:
Diese Marken erzielen den höchsten RRS (≥ 80) und zeigen in der Simulation mit Abstand die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit für Repositionierungen (positives Resonanzprofil in 87 % der Fälle). Typisch ist die Verwendung narrativer Übergänge, moderater Symbolveränderung und dialogorientierter Kommunikation.
B2C-spezifisch:
Häufig in Marken, die kulturell anschlussfähig und narrativ versiert sind (z. B. Outdoor, Food-Startups, Premium-Mobilität). Veränderung erfolgt über Werteerzählung und Symbolverschiebung, ohne die Basisbeziehung zu kappen.
B2B-spezifisch:
Selten, aber hochwirksam: Unternehmen mit klarer Innovationsstrategie, hoher Investitionsfähigkeit und proaktiver Marktkommunikation. Repositionierung erfolgt hier funktional begründet, aber kulturell begleitet – mit starker Resonanz im Kundenstamm.
Risikoprofil:
Sehr niedrig – allerdings voraussetzungsvoll. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Typs setzt hohe interne Disziplin, strategische Führung, dialogische Kommunikation und Prozessfähigkeit voraus. Repositionierung hier kein Projekt, sondern ein kollektiver Prozess.
Psychologisches Profil:
Getrieben von interner Erschöpfung oder externer Provokation, versucht dieser Typ eine radikale Neupositionierung – ohne tragfähige Vorarbeit, psychologische Rückversicherung oder strategische Einbettung. Es dominiert die Vorstellung, man könne durch radikale Symbolveränderung strukturelle Probleme lösen.
Empirisches Muster:
Charakteristisch ist eine extreme Divergenz zwischen RRS (niedrig) und Veränderungsintensität (hoch). In der Simulation wird diesem Typ die höchste Scheiterungswahrscheinlichkeit zugewiesen (über 80 %). Häufige Merkmale: vollständiger Claim-Wechsel, abrupte visuelle Brüche, Entkopplung von Vergangenheit.
B2C-spezifisch:
Zu finden bei Marken, die durch Relevanzverlust oder gesellschaftlichen Shitstorm zu symbolischen Reaktionen gedrängt werden. Häufig ohne inhaltliche Substanz: Purpose-Overstretching, visuelle Überästhetisierung, symbolische Diversitätsclaims ohne Verankerung.
B2B-spezifisch:
Seltener, aber besonders schädlich: etwa bei Zulieferern, die auf Druck großer OEMs ihre Positionierung vollständig umstellen, dabei aber ihr funktionales Markenprofil verlieren. Hier führt der Bruch nicht nur zur Verwirrung, sondern zur Infragestellung der technischen Glaubwürdigkeit.
Risikoprofil:
Maximal. Symbolischer Systembruch ohne strukturelle Rückversicherung erzeugt nicht nur Reaktanz, sondern kann zu massiven Vertrauensverlusten führen – intern wie extern. Dieser Typ ist oft der letzte Versuch einer Organisation, Handlungsmacht zu demonstrieren – und endet häufig in Rücknahme oder Rebranding.
Die identifizierten vier Typen sind keine bloßen Klassifizierungen, sondern psychologisch-systemische Spannungsbilder, die sowohl eine organisationale Tiefendiagnostik als auch eine strategische Antizipation ermöglichen. Entscheidend ist nicht nur, welcher Typ vorliegt – sondern ob dieser bewusst ist. Viele Organisationen überschätzen ihre Transformationskraft oder unterschätzen das psychologische Klima ihrer Zielgruppe.
Die vorliegende Typologie erlaubt damit erstmals, Repositionierungsentscheidungen nicht als binäre Frage (tun oder lassen), sondern als Typus-bezogene Risikostruktur zu analysieren. Gerade im Zusammenspiel mit B2C- und B2B-spezifischen Dynamiken eröffnet sich so ein strategisch nutzbares Orientierungsmodell für Führungskräfte in Marketing, Geschäftsleitung und Markenstrategie.
Die zentralen Ergebnisse dieser Studie verweisen auf eine tieferliegende Wahrheit über Repositionierungsentscheidungen in krisengeprägten Zeiten: Es geht nicht primär um die Entscheidung für oder gegen Wandel, sondern um die Fähigkeit, diesen Wandel psychologisch anschlussfähig, organisatorisch tragfähig und zeitlich resonant zu gestalten. Die Daten zeigen klar, dass die Erfolgsaussichten einer Repositionierung nicht allein von strategischen Parametern wie Wettbewerbssituation oder Marktposition abhängen, sondern maßgeblich von systemischen Spannungsverhältnissen zwischen Marke, Organisation und Marktpsychologie beeinflusst werden.
Ein zentrales Muster, das sich durch alle Ebenen der Untersuchung zieht, ist die Widersprüchlichkeit strategischer Dynamiken unter Unsicherheit. Markenverantwortliche stehen unter wachsendem Druck zur Veränderung – sei es durch sinkende Relevanz, Wertewandel, Stakeholder-Erwartungen oder Wettbewerb. Gleichzeitig ist genau dieser Veränderungsimpuls in Krisenzeiten psychologisch besonders riskant. Die Konsumenten zeigen eine nachweislich geringere Bereitschaft, neue Markenbotschaften zu akzeptieren, wenn ihr psychisches Sicherheitsbedürfnis überwiegt. Dieser Effekt – empirisch belegt durch die signifikante Korrelation zwischen wahrgenommener Unsicherheit und Reaktanz – wirkt wie ein psychologischer Bremsmechanismus für strategischen Wandel.
Hinzu kommt, dass viele Organisationen ihre eigene Transformationsfähigkeit systematisch überschätzen. Während die Kommunikationsabteilungen häufig über einen hohen symbolischen Aktionsradius verfügen, fehlt es an struktureller Kohärenz, kultureller Reife und personeller Umsetzungskraft. Die Ergebnisse belegen deutlich: Ohne intern verankerte Klarheit, Vertrauen und Veränderungskompetenz wird Repositionierung zur symbolischen Ersatzhandlung – mit entsprechend negativem Effekt auf Wahrnehmung und Vertrauen.
Besonders deutlich wird dieses Spannungsfeld in den beiden risikoreichsten Typen der Simulationsarchitektur: dem „überforderten Wandelwillen“ und dem „aktionistischen Systembruch“. Beide repräsentieren jene Fälle, in denen der Wunsch nach Erneuerung nicht mit der realen Systemstruktur übereinstimmt – sei es aus innerem Druck oder äußerem Aktionismus. In beiden Fällen führt Repositionierung nicht zur Stabilisierung, sondern zur weiteren Destabilisierung der Marke. Reaktanz, Bedeutungsverlust und intern erodierende Glaubwürdigkeit sind die häufigsten Folgen.
Gleichzeitig zeigt die Studie aber auch, dass unter bestimmten Voraussetzungen Repositionierungen gerade in Krisenzeiten besonders wirksam sein können – etwa dann, wenn sie resonanzbasiert, transformativ statt kosmetisch, und psychologisch verankert gestaltet sind. Der „transformationsfähige Resonanztyp“ demonstriert eindrucksvoll, dass Marken, die über strategische Klarheit, narrative Kontinuität und intern gelebte Werte verfügen, Wandel nicht nur bewältigen, sondern nutzen können, um Vertrauen zu erneuern. Hier wird nicht gegen die Krise gearbeitet, sondern mit ihr – durch das Setzen von Impulsen, die auf ein verändertes Zeitgefühl, neue Erwartungen und gesellschaftliche Deutungsbedürfnisse antworten.
Die Differenzierung zwischen B2C- und B2B-Marken vertieft diese Logik nochmals: Während B2C-Marken stärker mit psychodynamischen Resonanzphänomenen arbeiten und in ihrer Repositionierung besonders sensibel auf symbolische Anschlussfähigkeit achten müssen, liegt die Herausforderung im B2B-Bereich eher in der Plausibilisierung und Funktionalisierung von Wandel. Was im B2C als Wertewandel funktioniert, muss im B2B in Leistungsbezug und Investitionssicherheit übersetzt werden. In beiden Fällen gilt jedoch: Vertrauen ist die unsichtbare Währung, ohne die Veränderung nicht gelingt.
Auch der Faktor Zeit wird als zentrale Variable sichtbar. Die Simulationen zeigen: Nicht jede Krise ist gleich – und nicht jeder Zeitpunkt in der Krise ist geeignet für Veränderung. Der wahrgenommene Krisensättigungsgrad beeinflusst maßgeblich, ob eine Repositionierung als übergriffig oder als entlastend wahrgenommen wird. Repositionierungserfolg ist somit nicht nur eine Funktion interner und externer Passung, sondern auch der sozialen Reifephase des kollektiven Krisenerlebens.
In der Summe führen diese Befunde zu einer Neubewertung strategischer Markenarbeit unter Unsicherheit: Nicht jede Krise ist eine Chance – aber jede Krise legt offen, wie resonanzfähig, glaubwürdig und handlungsfähig eine Marke tatsächlich ist. Repositionierung wird damit zum Spiegel innerer Reife und externer Wahrnehmungsfähigkeit. Sie ist weniger eine Frage des Wollens als des Könnens – und der Fähigkeit, psychische, organisationale und gesellschaftliche Spannungen nicht zu überdecken, sondern zu lesen, zu integrieren und mit strategischer Empathie zu adressieren.
Die zentrale Frage dieser Studie – „Ist es klug, in Zeiten der Ungewissheit das Markenversprechen zu verändern?“ – lässt sich nicht mit einem Ja oder Nein beantworten. Vielmehr zeigt sich im Längsschnitt der Ergebnisse eine tiefere Wahrheit: In Zeiten kollektiver Unsicherheit ist nicht die Veränderung an sich riskant – sondern ihre Form, ihr Zeitpunkt und ihre psychologische Lesbarkeit.
Strategische Repositionierungen greifen immer in symbolische Ordnungen ein. In stabilen Zeiten können solche Eingriffe als Erneuerung, Vitalisierung oder Differenzierung erlebt werden. In Krisenzeiten hingegen – in denen Orientierung, Vertrauen und semantische Kontinuität zu knappen Ressourcen werden – schlägt der gleiche Eingriff leicht in Irritation, Reaktanz oder Vertrauensverlust um. Eine neue Positionierung kann dann weniger als Zukunftsversprechen denn als Ausdruck strategischer Orientierungslosigkeit gelesen werden.
Das empirische Ergebnis dieser Untersuchung ist deshalb eindeutig: In Krisenzeiten erhöht sich die symbolische Fallhöhe jeder Veränderung. Marken, die sich zu schnell, zu radikal oder zu unglaubwürdig verändern, riskieren den Bruch mit den psychologischen Erwartungsstrukturen ihrer Zielgruppen – insbesondere dann, wenn keine Vertrauensanker erhalten bleiben, die den Wandel semantisch rahmen. Umgekehrt zeigt die Studie aber auch: Marken, die es schaffen, Veränderungen resonanzfähig zu gestalten – also im Takt kollektiver Deutungsbedürfnisse, auf Basis psychologischer Anschlussfähigkeit und ohne disruptiven Selbstverlust –, können auch in unsicheren Zeiten wachsen, lernen und Vertrauen neu begründen.
Die entscheidende Variable ist daher nicht ob, sondern wie sich eine Marke verändert. Damit verschiebt sich das Paradigma: Repositionierung sollte nicht mehr als „strategische Neuausrichtung“ verstanden werden, sondern als Transformation in Resonanz – also als sensibler Übergang zwischen alter Bedeutung und neuer Relevanz, bei dem das Markenversprechen nicht gebrochen, sondern weitergeschrieben wird.
Die empirisch identifizierten Typen machen deutlich, dass der klassische Repositionierungsbegriff zu kurz greift. Erfolgreiche Veränderung geschieht nicht durch Austausch von Claims oder visuellem Design, sondern durch die Fähigkeit, Wandel organisational, narrativ und psychologisch zu integrieren. Marken, die in Krisenzeiten resonanzfähig bleiben wollen, benötigen kein Rebranding, sondern ein Resonanzmanagement – also ein tiefes Verständnis für folgende Spannungsachsen:
Aus der Analyse ergeben sich vier zentrale Leitsätze für die Markenführung unter Unsicherheit:
1. Repositionierung ist nur dann ratsam, wenn ein realer Relevanzverlust vorliegt – und nicht nur eine interne Unruhe.
Veränderungswille ohne externen Sinnanlass führt zu strategischer Selbstüberforderung. Eine Repositionierung muss auf gesellschaftlich oder kulturell erkennbare Verschiebungen reagieren – nicht auf interne Imageängste oder Vorstandsideen.
2. Repositionierung braucht psychologische Kontinuität.
Jede Veränderung muss an etwas anknüpfen. Semantische Brücken – etwa vertraute Designelemente, Wertebegriffe oder narrative Motive – sind kein nostalgischer Ballast, sondern psychologische Anker, die Vertrauen erhalten.
3. Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend.
Veränderung darf nicht gegen den Krisenverlauf gestaltet werden. In Phasen maximaler Unsicherheit ist Repositionierung hochriskant. In Phasen der Sättigung jedoch – wenn Ermüdung, Neuorientierung und kultureller Aufbruch zusammentreffen – kann sie als Impuls und Erleichterung wirken.
4. Der Veränderungsprozess ist wichtiger als die Maßnahme.
Repositionierung ist kein einmaliger Akt, sondern ein kollektiver Prozess. Marken, die Wandel dialogisch, adaptiv und kulturfähig gestalten, stärken nicht nur ihre Marktposition – sie gewinnen Resilienz.
Die Ergebnisse dieser Studie verweisen auf einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Markenstrategie: Statt Positionierung als Differenzbehauptung zu begreifen, rückt die Beziehungsqualität in den Mittelpunkt. In unsicheren Zeiten zählt weniger, was Marken sagen – als wie sie gehört werden. Resonanz ist der neue Wettbewerbsvorteil: jene Fähigkeit, emotional, semantisch und zeitlich im richtigen Moment anschlussfähig zu sein.
Marken, die dies verstehen, müssen sich nicht krampfhaft neu erfinden – sie müssen sich selbst durch die Augen anderer neu begreifen lernen. Repositionierung wird dann nicht zum Ausdruck von Stärke, sondern zum Akt reflexiver Demut: ein Angebot zur gemeinsamen Bedeutungsbildung, nicht zur autoritären Neudefinition.
In dieser Haltung liegt die eigentliche Antwort auf die zentrale Frage dieser Studie:
Nein, es ist nicht immer klug, das Markenversprechen in Zeiten der Ungewissheit zu verändern. Aber es ist klug, das Markenversprechen zu vertiefen, zu klären und so zu wandeln, dass es gehört werden kann.
Nicht Rebranding, sondern Resonanzarbeit – das ist die zentrale Strategie für Markenführung im 21. Jahrhundert.
Der Repositioning Readiness Score (RRS) ist das zentrale Diagnoseinstrument der Studie. Er misst die Transformationstauglichkeit einer Marke in Krisenzeiten auf fünf psychologisch-systemischen Dimensionen:
Jede Dimension wird über ein Set von 3–5 normierten Aussagen (Likert-Skalen) bewertet. Der resultierende Score (0–100) gibt eine klare Indikation:
Die Scorecard dient nicht nur der Selbstdiagnose, sondern auch der internen Abstimmung zwischen Marketing, Geschäftsführung und Change-Verantwortlichen. Sie operationalisiert die in der Studie gewonnenen Erkenntnisse für strategische Entscheidungsprozesse.
Aufbauend auf dem RRS wurde ein vierstufiges Entscheidungsmodell entwickelt, das zwischen folgenden Handlungspfaden unterscheidet:
Diese Matrix lässt sich auch branchenspezifisch differenzieren – etwa durch spezifische Schwellenwerte für B2C- oder B2B-Märkte, die unterschiedliche Toleranzen und Reaktionsmuster aufweisen.
Viele Marken initiieren Wandel aus Aktionismus, Erwartungsdruck oder Unsicherheit heraus – mit fatalen Folgen. Die Studie legt eine Reihe psychologischer und systemischer Konstellationen offen, in denen Veränderung gefährlich wird. Die „Checkliste der Unzeit“ macht diese sichtbar:
Diese Konstellationen sind kein Verbot, aber ein Warnsignal. Sie markieren symbolische Kipppunkte, an denen aus gut gemeinter Transformation destruktive Desorientierung werden kann.
Basierend auf den erfolgreichsten Fallkonstellationen in der Simulation und den qualitativ ausgewerteten Repositionierungsbeispielen lassen sich folgende Erfolgsprinzipien formulieren:
Diese Tools markieren nicht das Ende, sondern den Beginn eines neuen Denkens in der Markenführung. Die Studie zeigt: Die Zukunft liegt nicht in systematischer Repositionierung, sondern in der Entwicklung von Resonanzarchitekturen – strategischen Strukturen, die psychologisch anschlussfähig sind, sich evolutionär wandeln dürfen und dennoch verlässlich wirken.
In einer Welt wachsender Ambiguität, multipler Krisen und psychologischer Erschöpfung gewinnen nicht die lautesten, sondern die am tiefsten verstandenen Marken. Sie sprechen nicht mehr bloß über sich selbst – sondern über das, was ihre Zielgruppen fühlen, hoffen und zu hören bereit sind.