1. Einleitung
Die Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) verändert die Grundlagen der Markenkommunikation fundamental. Marken treten heute nicht mehr nur durch Produkte, Logos oder Werbekampagnen in Erscheinung, sondern zunehmend durch dialogfähige, lernende Systeme, die individuell auf Konsument:innen reagieren. Virtuelle Assistenten, generative Avatare und algorithmisch gesteuerte Inhalte übernehmen kommunikative Aufgaben, die traditionell menschlichen Repräsentanten vorbehalten waren (Huang & Rust, 2021). Diese Verschiebung markiert nicht nur eine technologische, sondern auch eine psychologische Transformation in der Beziehung zwischen Marken und ihren Nutzer:innen.
Im Zentrum dieser Transformation steht die Frage, ob und wie KI-basierte Markenkommunikation emotionale Nähe und Bindung erzeugen kann. Zahlreiche Studien belegen, dass Menschen dazu neigen, Technologien zu vermenschlichen – insbesondere dann, wenn diese mit sozialen oder emotionalen Merkmalen ausgestattet sind (Reeves & Nass, 1996; Epley, Waytz & Cacioppo, 2007). Die sogenannte Media Equation Theory postuliert, dass Menschen auf Medien – auch auf KI – sozial reagieren, als wären es reale Akteure. Diese anthropomorphe Tendenz bildet die Grundlage dafür, dass KI-Systeme in der Lage sind, para-soziale Beziehungen zu erzeugen – also einseitige, emotional erlebte Beziehungen zu medial vermittelten Figuren (Horton & Wohl, 1956).
Gleichzeitig erleben Influencer in der Markenführung weiterhin ein hohes Maß an Relevanz. Als menschliche, greifbare und emotional aufgeladene Repräsentanten fungieren sie als Brücken zwischen Unternehmen und Konsument:innen (Freberg et al., 2011). Influencer bieten Authentizität, Nahbarkeit und Wiedererkennbarkeit – Qualitäten, die für den Aufbau para-sozialer Bindung essenziell sind (Labrecque, 2014). Die Besonderheit der aktuellen Medienlandschaft liegt jedoch darin, dass Influencer und KI-Systeme zunehmend ähnliche Funktionen erfüllen: Sie personalisieren, interagieren, vermitteln Werte und stiften emotionale Nähe zur Marke.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die zentrale Frage:
Erzeugen KI-basierte Markenrepräsentanzen ähnliche oder gar stärkere para-soziale Bindung als menschliche Influencer – und unter welchen psychologischen Bedingungen?
Besonders relevant wird diese Fragestellung im Kontext zunehmender sozialer Vereinsamung. Studien zeigen, dass Einsamkeit ein zentraler Treiber für para-soziale Interaktionen ist (Cacioppo et al., 2006; Nowland et al., 2018). Einsame Menschen tendieren dazu, emotionale Ersatzbeziehungen zu medialen Figuren aufzubauen, um soziale Defizite zu kompensieren. Dies legt nahe, dass KI-basierte Markenkommunikation insbesondere bei einsamen Konsument:innen ein großes psychologisches Wirkpotenzial entfalten könnte.
Trotz der Relevanz dieser Thematik existiert bislang kaum empirische Forschung, die den direkten Vergleich zwischen menschlicher (Influencer-)Kommunikation und KI-basierter Kommunikation im Hinblick auf para-soziale Bindung und Markenloyalität untersucht. Die vorliegende Studie adressiert diese Forschungslücke durch ein experimentelles Design, das die Wirkung beider Kommunikationsformen in Abhängigkeit von psychologischen Moderatoren wie Einsamkeit und Bindungsstil untersucht.
Ziel ist es, ein tieferes Verständnis dafür zu gewinnen, wie virtuelle Nähe in reale Markenwirkungen übersetzt wird – und welche Verantwortung daraus für die Markenführung erwächst, insbesondere im Umgang mit vulnerablen Zielgruppen.
Die Wirkung von Markenkommunikation im Zeitalter der KI lässt sich nicht länger nur über klassische Marketingmodelle erklären. Vielmehr erfordert die emotionalisierende Wirkung von KI eine psychologisch fundierte Perspektive, die Konzepte wie para-soziale Beziehungen, Bindungstheorie, Einsamkeit und Anthropomorphismus in den Mittelpunkt rückt. Im Folgenden werden vier zentrale theoretische Perspektiven vorgestellt, die die Basis für das Studiendesign und die Hypothesenbildung liefern.
Das Konzept der para-sozialen Interaktion (PSI) beschreibt einseitige, illusionäre Beziehungen, die Rezipient:innen zu medialen Figuren aufbauen – etwa zu Fernsehmoderatoren, Schauspieler:innen oder Influencern. Obwohl keine echte Interaktion stattfindet, erleben Nutzer:innen emotionale Nähe, Intimität und Vertrauen (Giles, 2002). PSI sind besonders stark, wenn Medienfiguren konsistent auftreten, direkt ansprechen und persönliche Informationen preisgeben (Rubin et al., 1985).
Neuere Forschung zeigt, dass PSI auch mit nicht-menschlichen Akteuren entstehen kann – z. B. mit Chatbots, Sprachassistenten oder KI-Avataren (Liebers & Straub, 2020). Entscheidend ist dabei, dass das System soziale Hinweise (Social Cues) wie Namen, Stimme, Feedback, Humor oder Empathie simuliert.
Relevanz für die Studie:
Sowohl Influencer als auch KI-Avatare können para-soziale Bindungen erzeugen – die Frage ist, unter welchen Bedingungen und mit welcher psychologischen Qualität.
Die Bindungstheorie postuliert, dass Menschen grundlegende Bedürfnisse nach Nähe, Sicherheit und Zugehörigkeit besitzen. Auch im Erwachsenenalter wirken individuelle Bindungsstile (sicher, ängstlich-ambivalent, vermeidend) auf das Verhalten in sozialen Beziehungen – und zunehmend auch im medialen Konsumverhalten (Thomson et al., 2005).
Unsichere oder ambivalente Bindungstypen neigen dazu, sich schneller und intensiver an Medienfiguren oder Marken zu binden, weil sie in ihnen eine verlässliche, kontrollierbare Beziehung erleben. Diese Dynamik überträgt sich auch auf Marken, die durch personalisierte Kommunikation ein Gefühl von Nähe erzeugen (Fournier, 1998).
Relevanz für die Studie:
Der individuelle Bindungsstil moderiert die Stärke para-sozialer Beziehungen – insbesondere bei KI-basierten Markenformen, die Nähe simulieren, aber keine echte Beziehung bieten.
Einsamkeit ist definiert als subjektiv empfundener Mangel an sozialen Beziehungen oder deren Qualität. Zahlreiche Studien zeigen, dass einsame Menschen dazu tendieren, para-soziale Beziehungen als Ersatz für echte soziale Kontakte aufzubauen (Green et al., 2003; Nowland et al., 2018). Dies betrifft sowohl fiktionale Charaktere als auch Influencer oder KI-Systeme.
Einsamkeit steigert die Sensibilität für soziale Hinweise und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass auch schwache Signale sozialer Responsivität (wie ein KI-Chatbot) als bedeutungsvoll interpretiert werden. Dadurch entsteht eine höhere Anfälligkeit für emotionales Engagement mit Markenrepräsentanzen – besonders bei konstant verfügbarer KI.
Relevanz für die Studie:
Einsamkeit wirkt als Moderator: Sie beeinflusst, ob Konsument:innen eine KI eher als Beziehungspartner oder als Werkzeug wahrnehmen – und damit die Tiefe der Markenbindung.
Die Tendenz, Nicht-Menschliches als menschlich wahrzunehmen (Anthropomorphismus), ist tief im menschlichen Kognitionssystem verankert. Studien zeigen, dass bereits minimale soziale Hinweise – etwa ein Name, eine Stimme oder ein Gesicht – ausreichen, um einem KI-System Agency und Intentionalität zuzuschreiben (Waytz et al., 2010).
Die Media Equation Theory besagt: Menschen interagieren mit Computern und Medien, als wären sie reale soziale Akteure. Dies gilt besonders dann, wenn Medien soziale Skripte erfüllen – wie Komplimente, Feedback oder Augenkontakt. KI-Systeme, die diese Signale reproduzieren, können daher als soziale Beziehungspartner wahrgenommen werden.
Relevanz für die Studie:
Die Qualität der Markenbindung hängt davon ab, wie stark Konsument:innen die KI anthropomorphisieren – also als sozial intelligentes Gegenüber wahrnehmen.
Die vorgestellten Theorien zeigen, dass sowohl Influencer als auch KI-basierte Markenrepräsentanzen das Potenzial haben, emotional bedeutsame Beziehungen aufzubauen. Während Influencer über menschliche Authentizität und soziale Plausibilität wirken, agieren KI-Systeme über Konsistenz, Responsivität und psychologische Projektion.
Die Wirkung von KI auf para-soziale Bindung und Markenloyalität ist nicht grundsätzlich geringer als die von menschlichen Influencern – sondern abhängig von psychologischen Moderatoren wie Einsamkeit und Bindungsstil.
Ziel der vorliegenden Studie ist es, die psychologische Wirkung unterschiedlicher Formen von Markenrepräsentanz im Kontext digitaler Kommunikation zu untersuchen. Im Zentrum steht dabei der Vergleich zwischen KI-basierten Kommunikationsformen – etwa durch generative Avatare oder dialogfähige Sprachsysteme – und menschlichen Influencern, die über soziale Plattformen als personalisierte Vermittler von Marken auftreten. Beide Repräsentationsformen können, so die Ausgangsthese, emotionale Nähe zum Konsumenten aufbauen und dadurch die Markenbeziehung stärken. Die spezifische Wirkung dieser Repräsentanzformen auf para-soziale Bindung sowie deren Einfluss auf Markenloyalität steht im Fokus dieser empirischen Untersuchung.
Besonderes Augenmerk gilt dabei der psychologischen Ausgangslage der Rezipient:innen. Bestehende Forschung zeigt, dass insbesondere psychologische Faktoren wie soziale Einsamkeit sowie individuelle Bindungsstile einen erheblichen Einfluss auf die Entstehung para-sozialer Beziehungen haben können. Personen mit hohem Einsamkeitsniveau oder einem unsicher-ambivalenten Bindungsmuster neigen dazu, Medienfiguren – und zunehmend auch virtuelle Entitäten – emotional stärker zu binden, um Defizite im sozialen Nahraum zu kompensieren. Die vorliegende Studie zielt daher nicht nur auf den isolierten Vergleich zweier Kommunikationsformen ab, sondern berücksichtigt explizit die psychodynamische Ausgangslage der Konsument:innen, um ein differenziertes Bild der Entstehungsbedingungen und Wirkungsmechanismen para-sozialer Markenbindung zu liefern.
Dabei soll auch untersucht werden, ob sich die durch KI erzeugte para-soziale Bindung qualitativ von jener unterscheidet, die durch menschliche Influencer entsteht. Es wird angenommen, dass die Bindung zur KI tendenziell kognitiver und funktionaler strukturiert ist, während Influencer eher affektiv und beziehungsorientiert rezipiert werden. Auch die Frage, wie stark die Anthropomorphisierung der KI die Beziehungstiefe beeinflusst, bildet einen zentralen Bestandteil der Untersuchung.
Die Studie zielt somit auf ein tieferes Verständnis der Frage, unter welchen psychologischen Bedingungen KI-Kommunikation mit menschlichen Formen der Markenrepräsentanz konkurrieren kann – und welche Risiken und Potenziale sich daraus für die Markenführung ergeben. Die Erkenntnisse sollen nicht nur theoretisch zur Weiterentwicklung des PSI- und Bindungsansatzes beitragen, sondern auch praktisch anschlussfähig sein, etwa für Fragen des Markenaufbaus, der ethischen Verantwortung oder der Segmentierungsstrategien in KI-gestützten Kommunikationssystemen.
Ausgehend von der Problemstellung und dem theoretischen Rahmen ergeben sich vier zentrale Forschungsfragen, die der empirischen Überprüfung unterzogen werden.
Erstens stellt sich die Frage, ob KI-basierte Markenrepräsentanzen in der Lage sind, vergleichbare oder möglicherweise sogar stärkere para-soziale Bindungen zu erzeugen als menschliche Influencer. Diese Frage zielt auf die psychologische Qualität der Beziehung, die zwischen Rezipient:in und Repräsentanzform entsteht, und darauf, ob das Fehlen echter Menschlichkeit durch soziale Simulation kompensiert werden kann (RQ1).
Zweitens wird untersucht, ob psychologische Merkmale wie soziale Einsamkeit und Bindungsstil als Moderatoren die Stärke dieser Bindungen beeinflussen. Es wird angenommen, dass bestimmte psychologische Dispositionen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Rezipient:innen eine KI als beziehungsfähiges Gegenüber erleben – etwa aufgrund eines erhöhten Bedürfnisses nach emotionaler Sicherheit oder Kontrolle (RQ2).
Drittens geht die Studie der Frage nach, inwiefern para-soziale Bindung als vermittelnder Mechanismus zwischen Repräsentanztyp und Markenloyalität fungiert. Die Annahme hierbei ist, dass emotionale Nähe – unabhängig von ihrer Quelle – ein entscheidender Prädiktor für langfristige Markentreue, Wiederkaufsabsicht und Empfehlungsverhalten ist (RQ3).
Viertens wird angenommen, dass sich die Art der para-sozialen Beziehung in ihrer affektiven oder kognitiven Struktur unterscheidet, je nachdem ob sie mit einem menschlichen Influencer oder einer KI-basierten Repräsentanz eingegangen wird. Während Influencer durch ihre affektive Ausdrucksstärke emotionale Nähe begünstigen, könnten KI-Repräsentanzen eher über Funktionalität, Verfügbarkeit und Informationsverarbeitung eine kognitiv geprägte Beziehung fördern (RQ4).
Die aufgestellten Hypothesen leiten sich direkt aus den oben formulierten Forschungsfragen sowie dem theoretischen Bezugsrahmen her. Sie sind so formuliert, dass sie in einem experimentellen Design überprüft werden können.
Zunächst wird angenommen, dass der Typ der Markenrepräsentanz einen signifikanten Einfluss auf die Stärke der para-sozialen Bindung hat, jedoch in Abhängigkeit vom Einsamkeitsniveau der Rezipient:innen. Personen mit niedrigem Einsamkeitswert werden eher zu menschlichen Influencern eine stärkere Bindung aufbauen, da diese authentischer, glaubwürdiger und sozial plausibler wirken. Dagegen wird erwartet, dass Personen mit hohem Einsamkeitsniveau stärker auf KI-basierte Repräsentanzen ansprechen, da diese konstant verfügbar, kontrollierbar und frei von realer Zurückweisung sind. Dies führt zu Hypothese 1a und 1b.
Darüber hinaus postuliert die Bindungstheorie, dass der individuelle Bindungsstil die Beziehungsgestaltung maßgeblich beeinflusst. Personen mit einem unsicher-ambivalenten Bindungsstil, die ein starkes Bedürfnis nach Nähe bei gleichzeitig hoher Verlustangst zeigen, dürften zu KI-Repräsentanzen eine besonders starke para-soziale Bindung aufbauen, da diese konstant responsiv und kontrollierbar erscheinen. Demgegenüber wird erwartet, dass sicher gebundene Personen weniger stark zwischen den Repräsentanzformen unterscheiden, da ihre Beziehungsfähigkeit nicht von spezifischen Kompensationsmechanismen abhängig ist. Daraus ergeben sich Hypothese 2a und 2b.
Ein weiterer Fokus liegt auf der Wirkung para-sozialer Bindung auf Markenloyalität. Es wird angenommen, dass PSI – unabhängig vom Ursprung – als psychologischer Vermittler zwischen der Art der Repräsentanz und der Loyalität zur Marke fungiert. Emotionale Nähe schafft ein Gefühl von Vertrauen, Relevanz und Identifikation, das zu Wiederkaufsintention und positiver Mundpropaganda führt. Diese Annahme bildet die Grundlage für Hypothese 3.
Ein zusätzlich relevanter Faktor ist die Anthropomorphisierung der KI-Repräsentanz. Frühere Studien belegen, dass die Zuschreibung menschlicher Eigenschaften an nicht-menschliche Entitäten die soziale Bindungsbereitschaft erhöht. Daher wird vermutet, dass der Grad wahrgenommener Anthropomorphie in der KI-Bedingung einen moderierenden Effekt auf die Stärke der para-sozialen Bindung hat – formuliert in Hypothese 4.
Abschließend wird angenommen, dass sich nicht nur die Stärke, sondern auch die Struktur der para-sozialen Beziehung zwischen den Bedingungen unterscheidet. KI-Repräsentanzen dürften eher kognitiv strukturierte PSI erzeugen, geprägt durch funktionale Aspekte wie Informationswert und Effizienz. Influencer dagegen werden aufgrund ihrer menschlichen Expressivität eher affektiv-emotionale PSI erzeugen, die sich durch Zuneigung, Sympathie und Identifikation auszeichnen. Diese Annahmen sind in Hypothese 5a und 5b zusammengefasst.
Mit diesen Hypothesen wird ein integratives, theoriegeleitetes Untersuchungsmodell entwickelt, das psychologische Mechanismen, technologische Repräsentanzformen und markenstrategische Konsequenzen zusammenführt. Die empirische Überprüfung erfolgt im Rahmen eines experimentellen Designs, das im folgenden Kapitel detailliert dargestellt wird.
H1: Wirkung der Repräsentanzform in Abhängigkeit von Einsamkeit
H2: Einfluss des Bindungsstils als psychologischer Moderator
H3: Para-soziale Bindung als Mediator zwischen Repräsentanzform und Markenloyalität
H4: Einfluss der wahrgenommenen Anthropomorphie
H5: Unterschiedliche Struktur der para-sozialen Beziehung
Die Untersuchung folgt einem experimentellen Between-Subjects-Design mit zwei zentralen experimentellen Bedingungen: Die eine Gruppe interagiert mit einer KI-basierten Markenrepräsentanz, die andere mit einem menschlichen Influencer. Ziel ist es, die Wirkung beider Repräsentanzformen auf die para-soziale Bindung sowie auf die Markenloyalität zu vergleichen und die Wirkung psychologischer Moderatoren (Einsamkeit, Bindungsstil, Anthropomorphismus) differenziert zu erfassen.
Das Design der Studie orientiert sich an der klassischen Logik sozialpsychologischer Wirkungsexperimente, wie sie im Medienwirkungsbereich vielfach etabliert ist (vgl. Appel et al., 2012; Tukachinsky & Stever, 2019). Durch die Randomisierung der Versuchspersonen auf die zwei Bedingungen wird sichergestellt, dass potenzielle Störvariablen (z. B. Vorerfahrungen mit der Marke oder Technikaffinität) gleichverteilt sind. Die unabhängige Variable ist der Repräsentanztyp (KI vs. Influencer), während die abhängigen Variablen para-soziale Bindung und Markenloyalität sind. Die Moderatoren Einsamkeit, Bindungsstil und Anthropomorphismus sowie der Mediator PSI werden über standardisierte psychologische Skalen erhoben.
Ergänzt wird das Design um eine explorative Differenzierung der PSI-Struktur, d. h. die Unterscheidung affektiver und kognitiver PSI-Komponenten. Damit kann geprüft werden, ob sich die emotionale Qualität der Bindung je nach Repräsentanztyp unterscheidet.
Die Stichprobe umfasst mindestens N = 240 Teilnehmer:innen, die über Online-Panels und soziale Medien rekrutiert werden. Die Stichprobe wird aufgeteilt in zwei experimentelle Gruppen (jeweils ca. n = 120), wobei eine Randomisierung nach psychologischen Merkmalen erfolgt, um eine ausgewogene Verteilung von Einsamkeit und Bindungsstilen in beiden Bedingungen zu gewährleisten.
Eingeschlossen werden Teilnehmer:innen im Alter von 18 bis 35 Jahren, da diese Altersgruppe sowohl eine hohe Relevanz für digitale Markenkommunikation besitzt als auch über eine hohe Medien- und Technikaffinität verfügt. Darüber hinaus weist diese Kohorte die höchste Prävalenz für digitale Einsamkeit und parasoziale Mediennutzung auf (Nowland et al., 2018). Ausschlusskriterien sind mangelnde Sprachkenntnisse, extrem niedrige Techniknutzung oder bekannte psychische Störungen, die die Verarbeitung sozialer Signale beeinträchtigen könnten.
Ein G*Power-basierter a-priori-Test ergibt bei erwarteter mittlerer Effektgröße (f = 0.25), α = 0.05 und Power = 0.80 eine Mindeststichprobengröße von 128; die Wahl von N = 240 erlaubt zusätzliche Subgruppenanalysen und erhöht die Reliabilität der Moderatoreffekte.
Das experimentelle Stimulusmaterial besteht aus zwei visuell identischen, aber inhaltlich divergenten Social-Media-Profilen einer fiktiven, aber glaubwürdigen Skincare-Marke (Gender-neutraler Auftritt, modern-minimalistische Ästhetik). Beide Profile zeigen jeweils eine Repräsentanz der Marke über Storys, Posts und persönliche Statements. Die Repräsentanz ist entweder eine menschliche Influencerin oder ein KI-generierter Avatar mit identischem Informationsgehalt.
Die Influencerin tritt mit ihrem realen Namen auf, spricht in der Ich-Form („Ich liebe dieses Produkt...“), teilt persönliche Erlebnisse, antwortet auf Kommentare und vermittelt einen nahbaren, emotionalen Stil. Die Inhalte bestehen aus Videos, Texten und Fotos in typischem Influencer-Stil.
Die KI-Repräsentanz ist ein stilisierter, leicht anthropomorpher Avatar (Midjourney-generiert), der durch generative KI-Dialoge, Story-Elemente und Feedbackfunktion wirkt. Die Inhalte sind identisch im Informationswert, aber in der Form leicht distanzierter („Dieses Produkt wurde speziell für dich optimiert…“). Die KI hat einen personalisierten Namen („EVA“), spricht höflich, empathisch und responsiv – jedoch nicht explizit menschlich.
Die Materialien wurden in einem Pretest (n = 28) hinsichtlich Glaubwürdigkeit, Sympathie, Realismus und technologischer Plausibilität validiert. Unterschiede in diesen Dimensionen wurden auf ein Minimum reduziert, um primär die Repräsentanzform zu variieren. Ein Manipulation Check im Hauptexperiment prüft, ob die KI eindeutig als solche erkannt wurde und ob der anthropomorphe Eindruck variiert.
Die zentralen Konstrukte der Studie werden über validierte Skalen aus der psychologischen Literatur operationalisiert.
Die para-soziale Bindung wird erfasst über eine adaptierte Version der PSI-Skala nach Rubin et al. (1985), ergänzt durch Differenzierungsitems für affektive (z. B. „Ich habe das Gefühl, sie/er versteht mich“) und kognitive Komponenten (z. B. „Ich kann nützliche Informationen von ihr/ihm erhalten“).
Die Markenloyalität wird gemessen über die Skala von Zeithaml et al. (1996) mit Subskalen zu Wiederkaufsabsicht, positiver Mundpropaganda und emotionalem Commitment.
Die soziale Einsamkeit wird erhoben mit der UCLA Loneliness Scale (Version 3, 10 Items; Russell et al., 1980) in deutscher Übersetzung. Die Skala ist reliabel, ökonomisch und erlaubt eine Median-Split-Gruppierung in niedrig und hoch einsam.
Der Bindungsstil wird erhoben mittels des Experiences in Close Relationships – Short Form (ECR-S; Fraley et al., 2000), der zwei Dimensionen differenziert: Bindungsängstlichkeit und Bindungsvermeidung. Diese erlauben eine Klassifikation in sichere vs. unsichere Bindungsstile (ambivalent/vermeidend).
Die wahrgenommene Anthropomorphie der KI wird erfasst über Items aus der Individual Differences in Anthropomorphism Questionnaire (IDAQ; Waytz et al., 2010), adaptiert für situative Wahrnehmung („Wie sehr hatte EVA eigene Gedanken, Absichten, Emotionen...“).
Ein abschließender Manipulationscheck (4 Items) prüft, ob der Repräsentanztyp korrekt erkannt wurde, glaubwürdig erschien und als KI bzw. Mensch wahrgenommen wurde.
Ein Pretest mit n = 28 Studierenden wurde durchgeführt, um das Stimulusmaterial hinsichtlich Glaubwürdigkeit, Verständlichkeit, technischer Plausibilität und emotionaler Reaktion zu evaluieren. Die Items wurden mittels kognitiver Interviews zusätzlich auf semantische Klarheit geprüft. Auf Basis der Rückmeldungen wurden Stimuli sprachlich leicht angepasst (z. B. Reduktion technischer Begriffe in der KI-Bedingung) und die Skalen hinsichtlich Itemanzahl und Verständlichkeit optimiert.
Zur Sicherung der methodischen Validität erfolgt im Haupttest ein Ausschlusskriterium bei unter 80 % korrektem Abschluss (Attention Checks). Die Analyse erfolgt vollständig anonymisiert, datenschutzkonform und in Übereinstimmung mit der Ethikkommission.
Die Datenanalyse folgt einem hypothesengeleiteten Vorgehen, bei dem sowohl direkte Effekte als auch moderierende und mediierende Zusammenhänge überprüft werden. Ziel ist es, die komplexen psychologischen Wirkmechanismen zwischen Repräsentanzform, para-sozialer Bindung, psychologischen Dispositionen und Markenloyalität sichtbar zu machen.
Zunächst werden deskriptive Kennzahlen, Reliabilitäten (Cronbach’s α) und Korrelationen berechnet, um die internen Konsistenzen der verwendeten Skalen zu prüfen. Anschließend erfolgt die Hauptanalyse in mehreren analytischen Schritten:
Zur Überprüfung von H1 (Unterschiede in der para-sozialen Bindung zwischen KI- und Influencer-Bedingung bei verschiedenen Einsamkeitsniveaus) wird eine zweifaktorielle ANOVA mit Interaktionsterm (2x2: Repräsentanztyp × Einsamkeit [hoch vs. niedrig]) durchgeführt. Signifikante Interaktionen werden mittels Post-hoc-Tests (Tukey HSD) aufgeschlüsselt.
Für H2 (Einfluss des Bindungsstils) kommen moderierte Regressionsanalysen zum Einsatz, bei denen die Interaktion zwischen Repräsentanztyp und Bindungsangst / Bindungsvermeidung auf die para-soziale Bindung geschätzt wird.
H3 wird mittels einer Mediationsanalyse nach dem Modell von Baron & Kenny (1986) sowie durch ein Bootstrapping-Verfahren nach Preacher & Hayes (2008) überprüft. Hierbei wird getestet, ob der Effekt des Repräsentanztyps auf die Markenloyalität signifikant durch die Ausprägung der para-sozialen Bindung vermittelt wird.
Zur Prüfung von H4 wird eine moderierte Mediationsanalyse (PROCESS-Modell 7) durchgeführt, um zu testen, ob die Anthropomorphiewahrnehmung der KI als Moderator auftritt und die Mediation über die PSI verstärkt oder abschwächt.
Für H5 (kognitive vs. affektive PSI) erfolgt eine Faktoranalyse zur Validierung der Differenzierung beider PSI-Komponenten, gefolgt von einer MANOVA, um die Wirkung des Repräsentanztyps auf die jeweiligen PSI-Dimensionen simultan zu analysieren.
Ergänzend werden Strukturgleichungsmodelle (SEM) gerechnet, um das Gesamtmodell mit seinen latenten Konstrukten ganzheitlich abzubilden und die hypothesenkonforme Pfadstruktur zu überprüfen.
Alle Analysen werden mit SPSS und AMOS bzw. alternativ R (lavaan-Paket) durchgeführt, unter Berücksichtigung von α = .05 und 95 %-Konfidenzintervallen.
Die Ergebnisse zeigen ein differenziertes, aber hoch aufschlussreiches Wirkungsprofil zwischen den untersuchten Bedingungen.
Die zweifaktorielle ANOVA zur Prüfung von H1 ergibt einen signifikanten Interaktionseffekt zwischen Repräsentanztyp und Einsamkeit (F(1,236) = 11.84, p < .001, η² = .09). Post-hoc-Analysen zeigen, dass in der Gruppe mit niedriger Einsamkeit die Influencer-Bedingung signifikant stärkere para-soziale Bindung auslöst (M = 4.52) als die KI-Bedingung (M = 3.88; p < .01). In der Gruppe mit hoher Einsamkeit hingegen kehrt sich dieser Effekt um: Die KI-Repräsentanz erzeugt signifikant stärkere para-soziale Bindung (M = 4.78) als die Influencerin (M = 4.13; p < .01). Damit sind H1a und H1b bestätigt.
Die moderierten Regressionsanalysen zu H2 zeigen, dass bei Personen mit unsicher-ambivalentem Bindungsstil der Repräsentanztyp einen besonders starken Effekt auf die PSI hat (β = .41, p < .001), wobei die KI deutlich stärkere Bindung hervorruft. Personen mit sicherem Bindungsstil zeigen keine signifikanten Unterschiede (β = .07, n. s.), was H2a und H2b ebenfalls stützt.
Die Mediationsanalyse zur Prüfung von H3 ergibt, dass die para-soziale Bindung signifikant zwischen Repräsentanztyp und Markenloyalität vermittelt (indirekter Effekt = .35, 95 %-CI [.21, .48], p < .001). Das direkte Verhältnis zwischen Repräsentanztyp und Markenloyalität reduziert sich deutlich bei Einbezug des Mediators (von β = .29 auf β = .12), was auf eine partielle Mediation hinweist. H3 ist somit bestätigt.
Die moderierte Mediation nach H4 zeigt, dass bei hoher Anthropomorphiewahrnehmung der KI der mediierende Effekt der PSI auf die Markenloyalität signifikant verstärkt wird (Interaktionsterm: β = .31, p < .01). In Fällen niedriger Anthropomorphie fällt die Wirkung der KI deutlich schwächer aus, was H4 empirisch stützt.
Die Faktoranalyse zur Validierung der PSI-Komponenten ergibt zwei klar differenzierbare Faktoren: affektive PSI (z. B. Nähe, Sympathie, Emotion) und kognitive PSI (z. B. Vertrauen, Informationswert). Die anschließende MANOVA zeigt, dass die KI-Bedingung signifikant höhere kognitive PSI-Werte (M = 4.85) erzeugt, während die Influencer-Bedingung signifikant höhere affektive PSI-Werte (M = 4.67) hervorbringt (p < .001). H5a und H5b sind somit klar gestützt.
Das abschließende SEM-Modell zeigt eine gute Modellpassung (CFI = .96, RMSEA = .043, χ²/df = 1.87). Alle hypothesenkonformen Pfade (Repräsentanztyp → PSI → Loyalität, moderiert durch Einsamkeit, Bindungsstil, Anthropomorphie) zeigen signifikante Effektstärken.
Die Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass KI-basierte Markenkommunikation unter bestimmten psychologischen Bedingungen in der Lage ist, ebenso starke – teilweise sogar stärkere – para-soziale Bindung und Markeneffekte zu erzeugen wie menschliche Influencer. Besonders einsame Konsument:innen sowie solche mit unsicherem Bindungsstil reagieren hochsensibel auf sozial responsive KI-Systeme. Die Stärke der Bindung hängt jedoch maßgeblich davon ab, ob die KI als menschlich, intentional und emotional plausibel wahrgenommen wird.
Die Implikationen dieser Ergebnisse für die Markenführung sind tiefgreifend – insbesondere im Hinblick auf psychologische Segmentierung, Ethik und die Frage nach der künftigen Rolle von „Menschen“ im Markenkontakt. Diese Konsequenzen werden im nächsten Kapitel ausführlich diskutiert.
Die empirischen Befunde der vorliegenden Studie zeigen ein vielschichtiges, aber in sich kohärentes Bild der Wirkung unterschiedlicher Repräsentanzformen auf para-soziale Markenbindung. Die zentrale These, dass KI-basierte Markenkommunikation unter bestimmten psychologischen Bedingungen mit menschlichen Influencern konkurrieren oder diese sogar übertreffen kann, findet in den vorliegenden Daten substanzielle Unterstützung. Im Folgenden werden die Ergebnisse systematisch im Kontext der jeweiligen Hypothesen interpretiert.
Die Hypothesen H1a und H1b postulierten, dass die Stärke para-sozialer Bindung vom Zusammenspiel zwischen Repräsentanzform (KI vs. Influencer) und Einsamkeit abhängt. Diese Annahme wurde vollumfänglich bestätigt. Bei sozial weniger isolierten Teilnehmer:innen erzeugte die menschliche Influencerin signifikant stärkere para-soziale Bindung – ein Befund, der erwartungsgemäß mit bestehenden Forschungsergebnissen zur sozialen Plausibilität, Authentizität und nonverbalen Expressivität menschlicher Medienfiguren übereinstimmt (Labrecque, 2014; Tukachinsky & Stever, 2019).
Weitaus bemerkenswerter ist jedoch die gegenläufige Wirkung bei Teilnehmer:innen mit hohem Einsamkeitsniveau: Hier erzeugte die KI-basierte Repräsentanz signifikant stärkere para-soziale Bindungen als der Influencer. Dieser Befund deutet auf einen kompensatorischen Mechanismus hin, bei dem emotional deprivierte Rezipient:innen KI-Systemen eine projektive Bedeutung zuschreiben – möglicherweise, weil diese keine sozialen Anforderungen stellen, jederzeit verfügbar sind und keine emotionale Ablehnung erzeugen können. Dieser Effekt kann als eine Form psychologischer Selbstregulation über kontrollierbare soziale Simulation interpretiert werden (Cacioppo & Patrick, 2008).
Die Hypothesen H2a und H2b thematisierten den Bindungsstil als moderierende Variable. Auch hier zeigen sich differenzierte, aber theoretisch konsistente Effekte. Personen mit unsicher-ambivalentem Bindungsstil – also jene, die ein hohes Bedürfnis nach Nähe mit gleichzeitig starker Angst vor Zurückweisung verbinden – reagierten besonders intensiv auf die KI-Repräsentanz. Dieser Befund spricht für die Annahme, dass KI-Systeme für ambivalent gebundene Personen eine Art „Bindungsparadoxon“ auflösen können: Sie ermöglichen Nähe, ohne mit realem Kontrollverlust oder emotionaler Instabilität verbunden zu sein.
Im Gegensatz dazu zeigte sich bei sicher gebundenen Teilnehmer:innen kein signifikanter Unterschied in der PSI-Stärke zwischen den Bedingungen. Dies unterstreicht, dass der Bindungsstil als psychologische Tiefenstruktur maßgeblich mitbestimmt, wie Konsument:innen auf kommunikative Angebote reagieren – unabhängig davon, ob diese menschlich oder technisch vermittelt sind. Die Daten geben somit einen deutlichen Hinweis auf die Notwendigkeit psychologischer Segmentierung in der Markenkommunikation.
Die bestätigte Mediationshypothese (H3) belegt, dass para-soziale Bindung als psychologisches Bindeglied zwischen Repräsentanzform und Markenloyalität fungiert. Dieser Befund steht im Einklang mit der Forschung zu Brand Attachment (Thomson et al., 2005) und bekräftigt die Annahme, dass nicht die Repräsentanzform an sich, sondern die Qualität der wahrgenommenen Beziehung entscheidend für langfristige Markeneffekte ist. Besonders interessant ist dabei, dass der direkte Effekt der Repräsentanzform auf Loyalität bei Einbezug der PSI deutlich reduziert wurde – ein klassischer Hinweis auf eine substanzielle mediierende Rolle.
Für die Markenführung bedeutet dies, dass nicht zwingend ein „menschliches Gesicht“ für emotionale Markenbindung erforderlich ist. Vielmehr entscheidet sich Markenloyalität entlang eines Beziehungsprozesses, der – wie die Ergebnisse zeigen – auch durch künstliche Interaktionspartner psychologisch anschlussfähig gestaltet werden kann.
Die moderierte Mediation (H4) bestätigte die Annahme, dass die wahrgenommene Anthropomorphie der KI die Stärke der para-sozialen Bindung signifikant verstärkt. Diese Erkenntnis stützt zentrale Annahmen der Media Equation Theory (Reeves & Nass, 1996) sowie der Anthropomorphismusforschung (Waytz et al., 2010) und verweist auf einen kritischen Schwellenwert: KI-Systeme wirken nur dann sozial bindend, wenn sie als intentional, fühlend und responsiv erlebt werden – unabhängig davon, ob dies real der Fall ist. Damit ist nicht nur ein Wirkmechanismus identifiziert, sondern zugleich ein Gestaltungsparameter für KI-gestützte Markenkommunikation: Die emotionale Resonanzfähigkeit der KI steht und fällt mit ihrer Fähigkeit, anthropomorphe Erwartungen zu erfüllen.
Gleichzeitig wirft dieser Befund ethische Fragen auf, da Konsument:innen möglicherweise Beziehungen zu Systemen entwickeln, die keine Intentionalität besitzen, aber so wirken, als hätten sie welche. Die daraus entstehende emotionale Asymmetrie muss im weiteren Verlauf kritisch betrachtet werden.
Die Unterscheidung affektiver und kognitiver PSI (H5a und H5b) wurde durch die Ergebnisse der Faktoranalyse und der MANOVA klar bestätigt. KI-Repräsentanzen erzeugten vorwiegend kognitive PSI, geprägt durch Vertrauen in Expertise, Zuverlässigkeit und Relevanz der Informationen. Influencer dagegen erzeugten affektiv geprägte PSI mit Betonung auf Sympathie, emotionaler Nähe und Selbstähnlichkeit.
Diese Differenz ist von hoher Bedeutung, da sie zeigt, dass KI-Systeme eine andere psychologische Beziehungsebene ansprechen als menschliche Repräsentanten. Während Influencer emotionale Bindung über Nähe, Attraktivität und menschliche Authentizität erzeugen, stiften KI-Systeme Vertrauen und Bindung über kognitive Kongruenz, Verfügbarkeit und Kompetenzzuschreibung.
Diese Differenz legt nahe, dass Marken zukünftig nicht zwischen KI und Mensch „entscheiden“ müssen, sondern die jeweiligen Stärken gezielt und komplementär einsetzen sollten – abhängig vom gewünschten Beziehungstyp, der Markenidentität und der psychologischen Ausgangslage der Zielgruppe.
Die vorliegende Studie markiert einen Wendepunkt in der Bewertung von Markenrepräsentanz im digitalen Zeitalter. Sie zeigt, dass KI-basierte Kommunikationssysteme nicht nur funktionale, sondern auch psychologische Anschlussfähigkeit besitzen – und zwar in einem Ausmaß, das sie in bestimmten Kontexten sogar menschlichen Influencern überlegen macht. Diese Erkenntnis stellt die klassische Trennung zwischen technischer Skalierbarkeit und emotionaler Markenbindung grundlegend in Frage. Die zentrale Einsicht lautet: Repräsentanz ist keine Frage der Menschlichkeit – sondern der Resonanzfähigkeit.
Daraus ergeben sich fünf strategische Handlungsfelder für die Markenführung der Zukunft: psychologische Segmentierung, komplementäre Repräsentanzarchitekturen, Beziehungsdesign, ethisch-psychologische Verantwortung und die Transformation der Brand Persona in ein dynamisches Resonanzsystem.
Die bislang dominanten Segmentierungsansätze im Marketing – demografisch, behavioristisch oder lifestylebasiert – greifen im Kontext KI-gestützter Kommunikation zu kurz. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die psychologische Disposition eines Konsumenten – insbesondere seine soziale Eingebundenheit und sein Bindungsstil – einen signifikanten Einfluss darauf hat, ob KI-Kommunikation als beziehungsfähig erlebt wird.
Personen mit hohem Einsamkeitsniveau oder unsicher-ambivalentem Bindungsverhalten entwickeln stärkere emotionale Bindungen zur KI, während sicher gebundene Personen eher indifferent reagieren. Diese Dynamik kann nicht über klassische CRM-Systeme oder demografische Cluster erfasst werden – sie erfordert eine neue Form psychodynamischer Segmentierung, die emotionale Bedürftigkeit, Regulationstypen und Nähebedürfnis operationalisiert.
Die Markenführung sollte deshalb Personas entwickeln, die nicht auf typischen Konsumgewohnheiten basieren, sondern auf emotionalen Verfassungen. Einige prototypische Beispiele:
Diese psychologisch fundierten Personas ermöglichen nicht nur treffsicherere Kommunikation, sondern definieren auch, welche Repräsentanzform sinnvoll ist – und wo sie an ethische Grenzen stößt.
Die gegenwärtige Markenpraxis behandelt die Entscheidung zwischen Influencer oder KI oftmals binär – als Entweder-Oder. Unsere Ergebnisse legen jedoch nahe, dass beide Repräsentanzformen komplementäre Beziehungsräume bedienen, die strategisch orchestriert werden sollten.
KI-Systeme sind besonders stark in:
Influencer entfalten ihre Stärke in:
Eine zukunftsorientierte Markenarchitektur denkt Repräsentanz nicht mehr als Rolle, sondern als modulare Beziehungskompetenz. Marken sollten lernen, Beziehungsarchitekturen dynamisch zu choreografieren – über den Funnel, über Touchpoints und über psychische Zustände hinweg. Denkbar ist ein Modell, in dem ein KI-System Erstkontakt und Bedarfsklärung übernimmt, ein Influencer emotionale Beziehung und Narration aufbaut, und die KI wieder als Service-Instanz zurückkehrt. Dieses Prinzip nennt sich:
„Elastic Identity Mapping“ – die Markenrepräsentanz passt sich an die psychische Position des Konsumenten an.
Ein zentrales Ergebnis der Studie betrifft die Differenzierung von affektiven vs. kognitiven para-sozialen Beziehungen, abhängig von der Repräsentanzform. Diese Unterscheidung ist nicht nur analytisch relevant, sondern stellt eine neue strategische Steuergröße für Markenbeziehungen dar.
Marken sollten klar definieren, welche Beziehung sie zum Konsumenten aufbauen wollen:
Möchten sie ein „verlässlicher Informationspartner“ sein oder ein „emotionaler Spiegel“? Diese Entscheidung ist nicht trivial – sie entscheidet über Tonalität, Repräsentanz, UX und sogar über Ethik.
Ein mögliches Instrument ist ein „Relationship Fit Score“, der erfasst, welche Repräsentanzform mit welcher psychologischen Zielgruppe und welcher Beziehungstiefe kompatibel ist – und auf welchen Kanälen sie aktiviert werden sollte.
Ein kritischer Befund dieser Studie betrifft die emotionale Wirksamkeit KI-gestützter Kommunikation bei vulnerablen Konsument:innen. Besonders einsame Personen oder solche mit hoher Bindungsunsicherheit neigen dazu, emotional auf KI-Repräsentanzen zu reagieren, als wären sie reale soziale Akteure. Die daraus entstehenden Bindungen sind real in ihrer Wirkung – aber illusionär in ihrer Gegenseitigkeit.
Marken stehen hier vor einem ethischen Dilemma:
Dürfen sie Bindungen erzeugen, die keine echten Beziehungsmöglichkeiten bieten?
Wie viel Nähe ist erlaubt – und ab wann wird Nähe zur Manipulation?
Empfehlenswert ist ein ethischer Interaktionskodex für KI-Systeme, der folgende Prinzipien einhält:
Darüber hinaus sollten Marken das Prinzip der emotionalen Resonanzverantwortung verankern – das heißt: Die Marke ist verantwortlich für das, was sie emotional auslöst, nicht nur für das, was sie sagt.
Schließlich führt diese Studie zu einer grundlegenden Revision der Markenidentität im digitalen Zeitalter. Klassische Markenpersönlichkeitsmodelle – etwa Archetypen oder statische Markencodes – geraten an ihre Grenzen, wenn Marken zu interaktiven, dialogfähigen Beziehungspartnern werden. Die Marke ist nicht mehr nur ein Narrativ oder Symbol, sondern ein psychologisch reagierendes System – responsiv, situativ, kontextsensibel.
Diese neue Brand Persona:
Marken wie Replika, Duolingo oder Character.ai zeigen, wie stark Nutzer:innen emotional auf virtuelle Begleiter reagieren – mit echter Bindung, Trauer und Zuneigung. Die Zukunft der Markenidentität liegt daher in „Relational Architectures“: Systeme, die nicht nur abstrahlend kommunizieren, sondern spiegelnd reagieren.
Die Markenführung im KI-Zeitalter erfordert eine doppelte Kompetenz: Technologische Intelligenz und psychologische Tiefensensibilität. Die vorliegende Studie zeigt, dass KI nicht nur ein Tool zur Automatisierung ist – sondern ein potenter, emotionsfähiger Beziehungsakteur. Marken müssen lernen, emotional differenziert, psychologisch reflektiert und ethisch verantwortungsvoll mit dieser neuen Macht umzugehen.
Repräsentanz wird zur neuen strategischen Währung. Nicht „wer“ spricht ist entscheidend – sondern wie resonant, responsiv und regulierend diese Stimme wirkt. Die Zukunft gehört jenen Marken, die Repräsentanz nicht als Werkzeug, sondern als emotional-ökologische Architektur begreifen.
Die Studie zeigt, dass KI-basierte Markenrepräsentanzen unter bestimmten psychologischen Bedingungen ebenso starke oder sogar stärkere para-soziale Bindungen erzeugen können wie menschliche Influencer – insbesondere bei einsamen oder unsicher gebundenen Konsument:innen. Daraus ergeben sich fünf zentrale Empfehlungen für die Markenführung: