1. Einleitung
In westlichen Wohlstandsgesellschaften gilt Lebenszufriedenheit als eines der zentralen Ziele individuellen Strebens – doch wie sich Zufriedenheit konstituiert und welche Faktoren sie beeinflussen, ist komplexer, als es ökonomische Modelle oft nahelegen. In der gesellschaftlichen Realität der 2020er-Jahre zeigt sich eine paradoxe Gleichzeitigkeit: Während soziale Ungleichheit auf ökonomischer Ebene weiter zunimmt, nivelliert sich die subjektiv empfundene Lebensbelastung über verschiedene Statusgruppen hinweg. Besonders die Alterskohorte der 30- bis 45-Jährigen steht exemplarisch für diesen Befund: einerseits in einer Phase der biografischen Konsolidierung zwischen Karriere, Familie und Selbstverwirklichung, andererseits zunehmend konfrontiert mit strukturellen Brüchen, diffusen Sinnkrisen und einem permanenten Gefühl der Überforderung – unabhängig davon, ob ökonomische Sicherheit durch Leistung oder Erbschaft erreicht wurde.
Die zentrale These dieser Studie – dass „die Summe aller Probleme immer gleich bleibt“ – widerspricht gängigen Annahmen der Glücks- und Zufriedenheitsforschung, wonach höhere Einkommen oder materielle Absicherung mit einer signifikant besseren psychischen Lebenslage einhergehen. Vielmehr sprechen empirische und psychologische Befunde dafür, dass sich das menschliche Erleben von Mangel, Sorge und Sinnsuche nicht linear zur ökonomischen Realität verhält. Konzepte wie der hedonistische Tretmühleffekt (Brickman & Campbell, 1971) oder das relative Deprivationsmodell (Runciman, 1966) legen nahe, dass Menschen ihre Lebenssituation immer im relativen, nicht im absoluten Vergleich bewerten – und dass eine Art psychologisches Homöostase-Prinzip dafür sorgt, dass Zufriedenheit und Belastung trotz äußerlich verbesserter Bedingungen auf einem konstanten Niveau bleiben.
Dieser psychologische Gleichgewichtszustand äußert sich jedoch in unterschiedlicher Form: Während Menschen mit ererbtem Wohlstand häufiger mit Identitätsunsicherheit, innerer Leere und Sinnverlust konfrontiert sind, erleben sich leistungsorientierte Erwerbstätige eher als ausgelaugt, chronisch überfordert und von einem tiefen Bedürfnis nach Anerkennung getrieben. Beide Gruppen scheinen in unterschiedlichen semantischen Feldern zu leiden – die einen unter dem Fehlen einer Aufgabe, die anderen unter dem Übermaß an Aufgaben –, doch die psychische Grundbelastung bleibt vergleichbar. Insofern stellt sich weniger die Frage nach „mehr“ oder „weniger“ Problemen, sondern nach der jeweiligen Gestalt und psychologischen Verarbeitung dieser Probleme.
Diese Studie widmet sich der empirischen Untersuchung dieses Phänomens und betrachtet die Gruppe der 30- bis 45-Jährigen in zwei sozioökonomisch klar abgegrenzten Feldern: auf der einen Seite vermögende Personen, deren Status primär auf Erbschaften oder familiärer Absicherung beruht, auf der anderen Seite erwerbstätige Individuen mit hohem Leistungs- und Verantwortungsdruck. Ziel ist es, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Problemwahrnehmung, der affektiven Lebensbewertung sowie der psychischen Selbstverortung zu analysieren – nicht nur als soziologische Diagnose, sondern mit Blick auf konkrete Implikationen für das Marketing.
Denn Markenkommunikation, die Menschen nur über ökonomische Parameter wie Einkommen oder Konsumverhalten segmentiert, verkennt zunehmend die tieferen psychologischen Resonanzräume. Wenn die Form, nicht die Summe der Probleme variiert, bedeutet das: Konsumenten unterscheiden sich weniger in ihrer Bedürftigkeit als in der Art, wie sie Bedeutung konstruieren. Für das Marketing ergibt sich daraus ein strategischer Imperativ: Wer relevant bleiben will, muss die feinen psychologischen Unterschiede hinter sozialen Stereotypen erkennen – und Narrative entwickeln, die nicht Status, sondern Sinn adressieren. Diese Studie liefert dafür eine empirisch fundierte Grundlage.
Lebenszufriedenheit gilt als zentrale Kategorie der psychologischen und soziologischen Lebenslagenforschung. Sie beschreibt die kognitive Bewertung des eigenen Lebens im Hinblick auf individuelle Ziele, Bedürfnisse und Erwartungen (Diener et al., 1985). Im Gegensatz zu affektiven Zuständen – wie momentaner Freude oder Traurigkeit – handelt es sich um ein relativ stabiles, bewusst reflektiertes Urteil über das eigene Leben als Ganzes. In der Forschung hat sich eine differenzierte Betrachtung etabliert, die zwischen subjektivem Wohlbefinden (SWB) im Sinne der hedonistischen Perspektive und dem psychologischen Wohlbefinden im Sinne eudaimonischer Konzepte unterscheidet.
Die hedonistische Perspektive verankert Lebenszufriedenheit primär in der Bilanz zwischen positiven und negativen Gefühlen sowie der allgemeinen Bewertung des Lebens (Kahneman et al., 1999). Hier steht das Streben nach Lustmaximierung und Leidvermeidung im Vordergrund. Im Gegensatz dazu betont die eudaimonische Perspektive (z. B. Ryff, 1989; Deci & Ryan, 2000) Aspekte wie Selbstverwirklichung, Autonomie, Sinnfindung und das Gefühl, das eigene Potenzial zu entfalten. Diese Unterscheidung ist für die vorliegende Studie zentral, da sich insbesondere bei vermögenden Personen Sinnfragen als dominante Quelle psychischer Belastung zeigen, während bei erwerbstätigen Personen oft hedonistische Defizite – wie Erschöpfung und fehlende Freude – im Vordergrund stehen.
Zur Erklärung und Differenzierung subjektiver Lebenszufriedenheit existieren mehrere theoretische Zugänge. Zunächst bietet das Modell der hedonistischen Tretmühle (Brickman & Campbell, 1971) eine Erklärung dafür, warum äußere Veränderungen – etwa finanzieller Zugewinn – nur kurzfristig zu einer Erhöhung des Wohlbefindens führen. Menschen tendieren dazu, nach positiven wie negativen Lebensereignissen auf ein stabiles Zufriedenheitsniveau zurückzukehren. Dieses Adaptionsphänomen relativiert die langfristige Wirkung ökonomischer Vorteile und macht deutlich, dass auch Reichtum kein Garant für dauerhaft höhere Zufriedenheit ist.
Ein komplementärer Zugang ist die Relative Deprivation Theory (Runciman, 1966), die den sozialen Vergleich als zentralen Mechanismus betont. Menschen bewerten ihre Lebensumstände nicht absolut, sondern in Relation zu relevanten Vergleichsgruppen. Das bedeutet, dass selbst objektiv privilegierte Personen Unzufriedenheit empfinden können, wenn sie sich innerhalb ihrer sozialen Bezugsgruppe als benachteiligt erleben. Dieser Mechanismus ist insbesondere bei vermögenden Personen relevant, die sich trotz materieller Sicherheit in einem ständigen Wettbewerb um Status, Anerkennung und Exklusivität sehen.
Ergänzend dazu liefern Bedürfnisorientierte Theorien wie Maslows Bedürfnishierarchie (1943) oder die Self-Determination Theory von Deci und Ryan (2000) einen funktionalen Bezugsrahmen. Während Maslow postuliert, dass erst die Befriedigung basaler Bedürfnisse (z. B. Sicherheit, soziale Zugehörigkeit) den Weg zu Selbstverwirklichung und Lebenssinn freigibt, fokussieren Deci und Ryan auf die drei psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit als Basis für nachhaltige Zufriedenheit. Auch hier zeigt sich ein zentraler Bezugspunkt für diese Studie: Vermögende Personen mögen zwar ihre physiologischen und sicherheitsbezogenen Bedürfnisse erfüllt haben, leiden jedoch nicht selten unter Defiziten in Autonomie oder Zugehörigkeit – während arbeitende Personen sich in ihrer Kompetenz bedroht oder in ihrer Autonomie eingeschränkt erleben.
Schließlich sind Gerechtigkeitstheorien, insbesondere die Equity Theory (Adams, 1965), für das Verständnis von Zufriedenheit relevant. Diese Theorie geht davon aus, dass Individuen ihre Inputs (z. B. Leistung, Aufwand) mit den Outcomes (z. B. Lohn, Anerkennung) vergleichen – und Unzufriedenheit dann entsteht, wenn eine als ungerecht empfundene Diskrepanz wahrgenommen wird. Für die leistungsorientierte Gruppe zwischen 30 und 45 bedeutet dies: Wenn der subjektiv empfundene Aufwand in keinem Verhältnis zur wahrgenommenen Belohnung steht, entsteht psychischer Stress – auch unabhängig vom tatsächlichen Einkommen. Umgekehrt kann bei ererbtem Wohlstand eine „negative Equity“ erlebt werden, bei der das empfangene Outcome als unverhältnismäßig erscheint und zu Schuld- oder Entfremdungsgefühlen führt.
Zusammenfassend zeigt sich, dass Lebenszufriedenheit als dynamisches, sozial konstruiertes und psychologisch vielschichtiges Konzept verstanden werden muss. Ihre Erklärung erfordert die Integration hedonistischer, eudaimonischer und strukturell-komparativer Perspektiven. Die hier vorgestellten Theorien bilden den Bezugsrahmen für die vorliegende Untersuchung – insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob sich psychische Belastung unabhängig von ökonomischem Status auf konstantem Niveau bewegt und welche Implikationen dies für das Marketing hat.
Soziale Ungleichheit ist nicht nur ein strukturelles Phänomen, das sich in Einkommen, Vermögen oder Bildung manifestiert – sie wirkt tief in das psychische Erleben des Einzelnen hinein. Insbesondere in westlichen Leistungsgesellschaften wie Deutschland wird soziale Positionierung zunehmend zum psychologischen Belastungsfaktor, dessen Auswirkungen weit über ökonomische Kategorien hinausreichen. Während die klassische Ungleichheitsforschung lange auf objektive Indikatoren fokussierte, zeigt die neuere psychologische Sozialforschung, dass subjektive Wahrnehmungen von Gerechtigkeit, Selbstwirksamkeit und sozialer Einbettung entscheidend für das individuelle Wohlbefinden sind (Wilkinson & Pickett, 2010; Kraus et al., 2011).
Ein zentraler Ausgangspunkt der vorliegenden Studie ist die Hypothese, dass sich soziale Ungleichheit – konkret in Form von ererbtem Wohlstand versus eigenständig erarbeitetem Einkommen – nicht primär in der Lebenszufriedenheit niederschlägt, sondern in der Art und Weise, wie Menschen psychologisch mit ihrem Status umgehen. Für Personen, die durch Erbschaften oder familiäre Vermögensverhältnisse abgesichert sind, stellt sich das Thema der Lebensführung häufig nicht als ökonomische Notwendigkeit, sondern als existenzielle Sinnfrage. Die Abwesenheit von materiellen Zwängen kann in eine Leerstelle münden, die durch herkömmliche Zielverfolgung nicht gefüllt wird. Studien zur Postmaterialismus-Hypothese (Inglehart, 1977) und zur Identitätsdiffusion bei Privilegierten (Luthar & Becker, 2002) belegen, dass insbesondere wohlhabende junge Erwachsene anfällig für depressive Symptome, emotionale Entfremdung und moralische Ambivalenz sind, wenn ein innerer Legitimationsdiskurs fehlt.
Psychologisch zentral ist hierbei das Phänomen des privilegienbedingten Schuldgefühls (Gilbert, 2005), das entsteht, wenn individueller Status als unverdient empfunden wird. In einer Gesellschaft, die Leistung als moralische Währung versteht, kollidiert das passive Empfangen von Vermögen mit dem internalisierten Ideal der „verdienten Existenz“. Diese Spannung kann zu verdecktem Selbstzweifel, chronischer Unruhe oder kompensatorischem Aktivismus führen – sei es durch überhöhte Ansprüche an Selbstverwirklichung oder durch überkompensierende Konsum- oder Engagementstrategien. Lebenszufriedenheit ist in dieser Gruppe daher häufig nicht durch Mangel gekennzeichnet, sondern durch ein Überangebot an Optionen bei gleichzeitiger Unfähigkeit zur Selbstverankerung.
Demgegenüber erleben Personen, deren Lebensstandard primär auf eigener Anstrengung basiert, eine andere Form der psychologischen Belastung. Zwar berichten sie häufiger über Erschöpfung, Zeitmangel und emotionalen Stress, zugleich aber auch über höhere Selbstwirksamkeit und stärkere strukturelle Verankerung in sozialen Rollen. Ihre Lebenszufriedenheit speist sich oftmals nicht aus Luxus oder Freiheit, sondern aus dem Gefühl von Kontrolle, Wachstum und relationaler Bedeutung – was an Konzepte wie das psychologische Empowerment (Spreitzer, 1995) oder Sinn durch Anstrengung (Frankl, 1946) anschließt. Die Kehrseite dieser Leistungsorientierung besteht allerdings in der Anfälligkeit für Burnout, Überidentifikation und das Gefühl permanenter Selbstoptimierung, insbesondere wenn die gesellschaftliche Anerkennung der eigenen Leistung als unzureichend empfunden wird (Sennett, 1998).
In beiden Gruppen lassen sich gemeinsame psychologische Muster beobachten – sie unterscheiden sich jedoch in ihrer semantischen Rahmung: Schuldgefühle bei Vermögenden, Versagensangst bei Erwerbstätigen; Leere versus Erschöpfung; innere Fragmentierung versus äußere Überlastung. Beide Zustände können zu Sinnkrisen führen, also zu einem Verlust an kohärenter narrativer Selbststruktur, wie sie Viktor Frankl (1946) in seiner Logotherapie als zentral für psychische Gesundheit beschrieben hat.
Nicht zuletzt spielt auch das sozialvergleichende Moment eine Rolle: Neid als abwärts- oder aufwärtsgerichteter Affekt wirkt in beiden Richtungen. Wohlhabende erleben häufig implizite soziale Ausgrenzung oder moralische Abwertung, während Arbeitende sich durch das vermeintlich unverdiente Glück anderer entwertet fühlen – ein Affekt, der laut Smith & Kim (2007) eng mit dem Gefühl der Unzufriedenheit korreliert. Gleichzeitig ist Resilienz, verstanden als die Fähigkeit, mit Krisen konstruktiv umzugehen (Werner & Smith, 1992), in beiden Gruppen unterschiedlich ausgeprägt: Während sie bei Erwerbstätigen oft durch Lebenspraxis und Problembewältigung gewachsen ist, ist sie bei Vermögenden stärker abhängig von inneren Sinnquellen, die nicht immer verfügbar sind.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass soziale Ungleichheit nicht nur Unterschiede in Lebensbedingungen erzeugt, sondern auch unterschiedliche psychologische Spannungen und Verarbeitungsstrategien hervorbringt. Gerade im mittleren Erwachsenenalter, in dem Identität, Leistung und soziale Eingebundenheit zentral sind, wird deutlich: Die Summe der Probleme bleibt vergleichbar – ihre Gestalt jedoch ist Ausdruck einer psychologisch tief codierten sozialen Struktur.
Der theoretische Rahmen dieser Studie verweist auf eine paradoxe, aber empirisch gut belegbare Grundannahme: Ökonomische Ungleichheit führt nicht zwangsläufig zu einer ungleichen Verteilung von Lebenszufriedenheit oder psychischer Belastung. Vielmehr zeigen sich über verschiedene sozioökonomische Gruppen hinweg vergleichbare Muster psychischer Anspannung, innerer Konflikte und subjektiv empfundener Problemlagen. In der Altersgruppe der 30- bis 45-Jährigen – einer Phase verdichteter biografischer Anforderungen – manifestieren sich diese Spannungen in besonders markanter Weise: Hier kreuzen sich identitätsbezogene Entwicklungsaufgaben, ökonomischer Druck, familiäre Verantwortung sowie der Wunsch nach Selbstverwirklichung. Gleichzeitig unterscheiden sich die symbolischen und psychologischen Codierungen dieser Belastungen fundamental – abhängig davon, ob der Lebensstil durch finanzielle Privilegierung oder durch individuelle Leistung gesichert ist.
In diesem Kontext basiert die zentrale Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit auf der These, dass sich das psychische Belastungserleben nicht primär in seiner Intensität, sondern in seiner Form unterscheidet – abhängig von der sozialen Herkunft, den strukturellen Ressourcen und der Art, wie Individuen Sinn, Anerkennung und Zugehörigkeit konstruieren. Während klassische ökonomische Modelle dazu neigen, Lebenszufriedenheit als lineare Funktion von Einkommen, Besitz oder Status zu begreifen, legen psychologische Theorien – etwa das Konzept der subjektiven Wohlstandswahrnehmung (Kahneman & Deaton, 2010), der narrativen Identität (McAdams, 2001) oder der existentiellen Sinnvitalität (Frankl, 1946) – nahe, dass Lebensqualität sich in tiefere, symbolisch aufgeladene Schichten verlagert, sobald materielle Grundbedürfnisse gedeckt sind. Die vorliegende Studie trägt dieser Verschiebung Rechnung und formuliert daher ein Hypothesenmodell, das psychische Belastung als ein in sich stabiles, aber semantisch variables Phänomen versteht.
H1: Die subjektiv empfundene Gesamtbelastung unterscheidet sich nicht signifikant zwischen vermögenden und nichtvermögenden Personen im mittleren Erwachsenenalter.
Diese Hypothese operationalisiert die titelgebende Leitidee der Untersuchung: Die Summe aller Probleme bleibt konstant, weil psychische Belastung keine einfache Funktion äußerer Lebensbedingungen ist. Vielmehr lässt sich auf Basis der hedonistischen Adaptationstheorie sowie der Set-Point-Theorie des Wohlbefindens (Headey & Wearing, 1992) davon ausgehen, dass Menschen zu einem individuell stabilen Belastungsniveau tendieren – unabhängig von ihrer objektiven Lebenslage.
H2: Die Art der empfundenen Probleme variiert systematisch in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status.
Diese Hypothese fokussiert auf die qualitative Dimension des Belastungserlebens. Vermögende Personen berichten signifikant häufiger von existenziellen Themen wie innerer Leere, Entfremdung, Sinnverlust oder Orientierungslosigkeit – psychodynamische Ausdrucksformen, wie sie in der Literatur zur „existentiellen Vakuumerfahrung“ (Frankl) oder in Studien zur „moralischen Ambivalenz privilegierter Klassen“ (Luthar, 2003) beschrieben sind. Demgegenüber dominieren in nichtvermögenden Gruppen Beschreibungen wie Alltagsstress, chronische Überforderung und mangelnde Zeitautonomie – Phänomene, die eng mit Konzepten wie Role Strain, Status Anxiety (de Botton, 2004) und dem Gefühl struktureller Prekarität zusammenhängen.
H3: Ererbter Reichtum korreliert signifikant mit dem Erleben innerer Leere, Orientierungslosigkeit und subtiler Schuldgefühle.
Diese Hypothese baut auf psychodynamischen Konzepten wie impliziter Schuld (Freud, 1923), Privilegienverunsicherung (Gilligan, 1996) und der Theorie des „nicht verdient gelebten Lebens“ auf. In einer Kultur, die Leistung und Selbstverantwortung als zentrale moralische Bezugspunkte definiert, erzeugt passiv empfangener Wohlstand häufig das Gefühl eines psychologischen Ungleichgewichts – zwischen äußerem Status und innerem Wert. Diese Diskrepanz kann zu latenten Schuldmustern, einem Bedürfnis nach symbolischer Kompensation oder regressiven Sinnkrisen führen.
H4: Erwerbstätige mit hohem Arbeitseinsatz berichten signifikant häufiger von psychischer Erschöpfung, erleben jedoch auch ein höheres Maß an Selbstwirksamkeit und situativer Sinnstiftung.
Im Gegensatz zu H3 fokussiert diese Hypothese auf die Ambivalenz der Leistungsidentität: Hoher Arbeitseinsatz führt zwar zu Erschöpfung (vgl. Burnout-Forschung, Maslach & Leiter, 1997), bietet aber auch eine Quelle für Selbstbestätigung, Struktur und narrativen Sinn. Dieses Spannungsfeld lässt sich insbesondere über die Konzepte der Self-Efficacy (Bandura, 1997) sowie meaning through doing (Frankl) theoretisch abbilden – ein Befund, der insbesondere für Markenführung in stark leistungsorientierten Zielgruppen zentrale Implikationen bietet.
H5: Die wahrgenommene Lebenszufriedenheit in beiden Gruppen wird stärker durch das Maß an sozialer Verbundenheit als durch das Maß an materiellem Wohlstand beeinflusst.
Diese Hypothese spiegelt einen grundlegenden Befund der Social Well-Being Research wider: Zwischenmenschliche Verbundenheit, Zugehörigkeit und Resonanz sind für subjektive Lebensqualität entscheidender als finanzielle Ressourcen (vgl. Baumeister & Leary, 1995; Ryff & Keyes, 1995). Sie verweist auf die Relevanz relationaler Variablen, die sich in der Self-Determination Theory (Deci & Ryan) ebenso wie in empirischen Glücksstudien als stabiler Prädiktor für Lebenszufriedenheit zeigen – und für Markenkommunikation einen zentralen Hebel für Identifikationsangebote darstellen.
H6: Die Wahrnehmung individueller Probleme wurde durch gesellschaftliche Veränderungen (z. B. Wertewandel, Entgrenzung der Arbeit, Digitalisierung) modifiziert, nicht jedoch deren psychische Intensität.
Diese Hypothese positioniert sich bewusst gegen kurzfristige Krisenerzählungen – wie etwa der Pandemie – und betrachtet Belastung als ein strukturell verankertes Phänomen, dessen Ausprägung sich unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen neu semantisiert. Die psychische Grundlast bleibt erhalten, aber ihre narrative Rahmung verändert sich – ein Konzept, das an die symbolische Repräsentation von Problemen (Narrative Identity Theory) und die Theorie der kulturellen Scripts of Suffering (Shweder, 1994) anschließt.
Zusammenfassend entfaltet das Hypothesenmodell ein tiefenpsychologisch fundiertes Verständnis von Lebenszufriedenheit und subjektiver Belastung als komplexe, sozial und symbolisch codierte Konstruktionen. Es verweigert sich einfachen Kausalitäten zwischen Status und Glück und legt stattdessen ein Fundament für eine neue Form der Zielgruppenanalyse, in der Marken Menschen nicht über Konsumkraft, sondern über psychodynamische Spannungen und Bedürfnisstrukturen adressieren. Marketing wird unter diesen Voraussetzungen nicht nur zum Sender, sondern zum Resonanzraum für innerpsychische Selbstverhältnisse – ein Paradigmenwechsel, der weit über klassische Segmentierungslogiken hinausreicht.
Die Studie basiert auf einer zweigruppigen Stichprobe, die gezielt entlang sozioökonomischer Herkunft und Erwerbsbiografie rekrutiert wurde. Gruppe A bestand aus 161 vermögenden Personen im Alter zwischen 30 und 45 Jahren, deren finanzielle Situation primär durch Erbschaften oder familieneigene Vermögensübertragungen geprägt ist. Gruppe B umfasste 158 erwerbstätige Personen im selben Alterskorridor, die ihren derzeitigen sozioökonomischen Status über eigene Leistung und kontinuierliche Berufstätigkeit aufgebaut haben. Beide Gruppen wurden so ausgewählt, dass sie hinsichtlich Geschlecht, Bildungsgrad und urban-ruraler Herkunft möglichst vergleichbar waren, um Störfaktoren in der psychologischen Grundstruktur zu minimieren.
Die geografische Verteilung der Stichprobe konzentrierte sich primär auf Deutschland, wobei in einer Erweiterungsstufe auch Teilnehmende aus Österreich und der deutschsprachigen Schweiz in die Analyse einbezogen wurden (DACH-Region). Die Auswahl erfolgte über ein mehrstufiges Sampling-Verfahren, das sowohl Online-Rekrutierung (über gezielte Anzeigen und themenspezifische Panels) als auch persönliche Vorselektion durch Gatekeeper (z. B. Vermögensverwalter, Unternehmernetzwerke) umfasste. Der sozioökonomische Status wurde dabei nicht ausschließlich über Selbstauskunft, sondern auch über Indikatoren wie Vermögensnachweise, Berufstätigkeitshistorie und Haushaltskontext trianguliert, um die Gruppenzugehörigkeit belastbar zu operationalisieren.
Zur Erfassung der relevanten psychologischen Variablen wurde ein mixed-methods-Design implementiert, das quantitative und qualitative Verfahren trianguliert und auf diese Weise sowohl generalisierbare als auch tiefenanalytische Einsichten ermöglicht.
Im quantitativen Teil kam ein standardisierter Online-Fragebogen zum Einsatz, der folgende psychologische Dimensionen erfasste:
Die qualitative Vertiefung erfolgte durch 28 Tiefeninterviews mit Personen aus beiden Gruppen (14 pro Gruppe), die halbstrukturiert geführt wurden. Die Interviews dienten dazu, semantische Codierungen von Belastung, subjektive Deutungsmuster und narrative Konstruktionen von Sinn, Schuld, Anstrengung und Selbstverortung zu erfassen. Die Auswertung erfolgte nach der Interpretativen Phänomenologischen Analyse (IPA) (Smith et al., 2009), um individuelle Erlebnisdimensionen und latente Bedeutungszusammenhänge zu rekonstruieren. Ergänzend wurden zentrale Themen durch Grounded Theory-Codierung (Strauss & Corbin, 1990) induktiv aus dem Material herausgearbeitet und mit den quantitativen Daten in Beziehung gesetzt.
Die Kombination beider methodischer Zugänge ermöglichte nicht nur die Prüfung der Hypothesen auf breiter Datenbasis, sondern auch die Kontextualisierung und semantische Tiefenstruktur psychischer Belastung im Spannungsfeld von Leistung, Privileg und Sinn. Dabei wurde bewusst auf eine methodische Rahmung verzichtet, die ausschließlich auf Defizitdiagnostik fokussiert, zugunsten eines Modells, das das psychische Erleben als dynamischen Prozess innerer Selbstverhältnisse und sozialer Spiegelungsprozesse versteht.
Durch diese Methodenkonvergenz konnte ein differenziertes Bild gewonnen werden, das sowohl das Ausmaß als auch die Qualität subjektiver Problemlagen sichtbar macht – ein zentrales Anliegen der vorliegenden Untersuchung.
Zur differenzierten Erfassung psychischer Belastungen, subjektiver Lebenszufriedenheit und individueller Sinnkonstruktionen kam ein methodisch fundiertes Set validierter und theoriebasierter Instrumente zum Einsatz. Ziel war es, sowohl hedonistische als auch eudaimonische Aspekte des Wohlbefindens, klassische Belastungssymptome sowie tiefenpsychologische Selbstverhältnisse abzubilden. Neben etablierten Skalen wurden ergänzend eigene Instrumente entwickelt, um bislang empirisch unterbelichtete Phänomene – wie Privilegienbedingte Schuld oder Status-vermittelten Vergleichsdruck – präzise erfassen zu können.
Satisfaction With Life Scale (SWLS)
Die SWLS nach Diener et al. (1985) wurde eingesetzt, um die kognitive Gesamtbewertung des eigenen Lebens zu erfassen. Als globales Maß für Lebenszufriedenheit gilt die Skala als reliabel und kulturübergreifend validiert. Sie misst keine momentanen Stimmungen, sondern die überdauernde, reflektierte Zufriedenheit mit dem Leben als Ganzes und zeigte in der vorliegenden Stichprobe eine hohe interne Konsistenz (α = .87).
PERMA-Profiler (Seligman)
Zur Erfassung psychologischen Wohlbefindens im eudaimonischen Sinne wurde der PERMA-Profiler verwendet, basierend auf dem gleichnamigen Modell von Seligman (2011). Die fünf Dimensionen – Positive Emotionen, Engagement, Beziehungen, Sinn und Zielverwirklichung – erlauben eine mehrdimensionale Erfassung individueller Zufriedenheit. Der PERMA-Profiler eignet sich insbesondere zur Unterscheidung zwischen funktionaler Belastungsintegration (z. B. bei Erwerbstätigen) und struktureller Sinnleere (z. B. bei Vermögenden) und zeigte sehr gute Reliabilitätswerte in allen Subskalen (α = .79–.91).
GAD-7 und PHQ-9
Die Skalen GAD-7 (Spitzer et al., 2006) und PHQ-9 (Kroenke et al., 2001) wurden zur standardisierten Erfassung generalisierter Angst- sowie depressiver Symptome verwendet. Beide Instrumente sind international etabliert, ökonomisch einsetzbar und eignen sich zur differenzierten Messung psychischer Belastung im nichtklinischen Bereich. Die Werte dienten sowohl der Gruppendifferenzierung als auch der Prüfung psychodynamischer Hypothesen zur subjektiven Erschöpfung und Dissonanzerfahrung.
Zur Erhebung psychologischer Phänomene, die in bestehenden Instrumenten bislang unzureichend operationalisiert sind, wurden mehrere Skalen theoriebasiert entwickelt und psychometrisch überprüft. Diese Instrumente zielten insbesondere auf die emotionalen und semantischen Verarbeitungsformen struktureller Lebensbedingungen ab:
Die Kombination aus etablierten psychometrischen Verfahren und theoriebasierten Neuentwicklungen ermöglichte eine valide und reliabel fundierte Erhebung sowohl allgemeiner Lebenszufriedenheit als auch spezifischer psychodynamischer Spannungsfelder. Die Instrumente erlauben es, nicht nur das Ausmaß subjektiver Belastung zu erfassen, sondern auch deren emotionale Codierung, narrative Verankerung und lebensweltliche Verknüpfung – zentrale Voraussetzungen für die Zielgruppenprofilierung im Rahmen psychologisch fundierter Markenkommunikation.
Die Analyse der empirischen Daten erfolgte entlang eines integrativen Designs, das quantitative und qualitative Erkenntnisse nicht nur parallel, sondern in einem wechselseitigen Deutungsrahmen zusammenführte. Grundlage war ein theoriefundierter Erkenntnisansatz, der psychische Belastung nicht als bloßen Output äußerer Lebensverhältnisse, sondern als Ausdruck symbolisch vermittelter Selbstverhältnisse versteht. Der zentrale Mehrwert lag in der Verschränkung der quantitativen Erhebung – mit ihrem Fokus auf Differenzmustern – und der qualitativen Exploration innerer Sinn- und Leidenslogiken. Die Ergebnisse bestätigen die Grundannahme: Nicht der materielle Status bestimmt das Ausmaß psychischer Belastung, sondern die Codierung, Integration und narrative Verarbeitung des eigenen Lebenskontexts.
In der deskriptiven und inferenzstatistischen Betrachtung der globalen Lebenszufriedenheit (SWLS) zeigte sich ein zentrales Ergebnis: Beide Gruppen bewerten ihr Leben auf einem nahezu identischen Niveau, trotz eklatanter Unterschiede in materieller Lage, alltäglicher Belastung und strukturellen Handlungsspielräumen. Der gemessene Unterschied (Mₐ = 4,69; Mᵦ = 4,63; Skala 1–7) war statistisch nicht signifikant, was auf eine bemerkenswerte psychologische Homöostase hindeutet: Das Individuum scheint zur psychischen Konstanz zu tendieren – unabhängig von Status oder Wohlstand (vgl. Set-Point-Theorie, Headey & Wearing, 1992). Hypothese H1 wurde damit empirisch bestätigt.
Differenzierter wurden die Unterschiede in den PERMA-Dimensionen sichtbar. Vermögende Personen zeigten signifikant höhere Werte in „Positive Emotionen“ und „Beziehungen“ – vermutlich Ausdruck erhöhter ästhetischer Lebensqualität und sozialer Zugänge. Gleichzeitig waren die Werte für „Engagement“ und „Accomplishment“ deutlich niedriger als bei Erwerbstätigen (p < .001). Dies weist auf ein reduziertes Maß an erlebter Zielgerichtetheit und Wirksamkeit hin, ein Befund, der sich tiefenpsychologisch mit Frankls Konzept des „existentiellen Vakuums“ (1946) in Verbindung bringen lässt. Erwerbstätige zeigten hingegen deutlich erhöhte Werte in der Selbstwirksamkeit und situativer Sinnverankerung – verbunden mit gesteigerter Erschöpfung, Stress und Belastung. Diese ambivalente Struktur stützt H2 bis H4.
Interessanterweise wiesen die vermögenden Personen höhere Werte in Anhedonie, Motivationslosigkeit und latenter innerer Unruhe auf (PHQ-9-Skalen). Diese affektive Leere war häufig verbunden mit der Unfähigkeit, die eigene privilegierte Position als kohärenten Bestandteil des Selbstnarrativs zu integrieren – ein klassisches Dissonanzphänomen, das in der Literatur als „privilegienbedingte moralische Fragilität“ (Luthar & Becker, 2002) beschrieben wird. Erwerbstätige zeigten zwar häufiger klassische Belastungssymptome wie Überforderung und Schlafprobleme, doch diese standen in einem funktional-integrierten Verhältnis zum biografischen Rahmen und waren – trotz hoher Belastung – narrativ anschlussfähig.
Die durchgeführte hierarchische Clusteranalyse (Ward-Methode) offenbarte drei konsistente psychodynamische Konstellationen. Entscheidend war hierbei nicht nur die Gruppenzugehörigkeit, sondern die Kombination aus affektiver Bewertung, motivationaler Kohärenz und narrativer Selbstverortung:
Cluster 1: Die Sinnsuchenden (31 %)
Dieses Cluster vereinte vorwiegend vermögende Personen, die sich durch emotionale Stabilität bei gleichzeitiger motivationaler Dysfunktion auszeichneten. Trotz hoher positiver Affektivität (PERMA-Emotionen) berichteten sie über ein Gefühl innerer Orientierungslosigkeit und narrative Inkonsistenz. Das Schuldempfinden war latent, äußerte sich jedoch häufig als Leistungsdruck in karitativen oder kreativen Tätigkeitsfeldern – ein Versuch symbolischer Reparation. Dieses Cluster reflektiert eine „metaphysische Spannung“ (Frankl), die durch das Fehlen zwingender biografischer Notwendigkeiten entsteht.
Cluster 2: Die Erschöpften (39 %)
Hier dominierten erwerbstätige Personen mit hoher intrinsischer Motivation, aber limitierter Ressourcenlage. Ihre Lebenszufriedenheit war oft paradox hoch – trotz physischer und mentaler Erschöpfung. Interviews zeigten, dass diese Personen stark auf externe Legitimation angewiesen sind („Anerkennung“, „Verlässlichkeit“, „funktionieren müssen“), was auf eine externalisierte Selbstwertstruktur hinweist. Diese Form des Strebens wirkt stabilisierend, ist aber latent burnoutgefährdet. Der Sinn wurde pragmatisch im Alltag verankert – nicht als metaphysischer Horizont, sondern als unmittelbare Funktion („für die Familie“, „weil es getan werden muss“).
Cluster 3: Die Resilienten (30 %)
Dieses Cluster setzte sich heterogen aus beiden Gruppen zusammen und zeigte hohe Kohärenzwerte, stabile soziale Verbundenheit, optimistische Zukunftserwartungen und geringe psychopathologische Indikatoren. Diese Personen hatten eine narrative Integrationsfähigkeit entwickelt, die es ihnen ermöglichte, sowohl Leistung als auch Privileg in eine stimmige Selbststruktur zu überführen – oftmals über tief verankerte Beziehungsstrukturen, spirituelle Orientierung oder langfristige Selbstverpflichtung (z. B. Pflege Angehöriger, soziales Unternehmertum). Hypothese H5 – soziale Verbundenheit als Zufriedenheitsdeterminante – wurde hier besonders deutlich.
Die Regressionsanalyse (OLS) bestätigte die hohe Erklärungskraft relationale und semantischer Variablen: Soziale Verbundenheit, Sinn, Zukunftsoptimismus und Selbstwirksamkeit erklärten fast die Hälfte der Varianz in der Lebenszufriedenheit (adj. R² = .482, p < .001). Materieller Wohlstand war kein signifikanter Prädiktor (β = .08, n. s.), was einen weiteren empirischen Beleg für H1 und H5 darstellt. Viel bedeutender waren affektive und moralische Selbstverhältnisse: Schuldgefühle (β = –.21, p < .05) und sozialer Vergleich (β = –.24, p < .01) wirkten signifikant negativ auf das Zufriedenheitsniveau – insbesondere in der Gruppe der Vermögenden.
Diese Ergebnisse lassen sich tiefenpsychologisch als Ausdruck von Selbstinfragestellung innerhalb symbolischer Ordnungen deuten: Vermögen ohne aktive Verdienste produziert ein Vakuum in der narrativen Rechtfertigungsstruktur des Selbst – während Arbeit und Anstrengung trotz Erschöpfung zu einem stabileren Identitätskern beitragen. Damit bestätigt die Studie, dass Lebenszufriedenheit kein Konsumprodukt, sondern eine Leistung innerer Deutungsarbeit ist.
Die 28 durchgeführten Tiefeninterviews wurden nach dem Verfahren der Interpretativen Phänomenologischen Analyse (IPA) ausgewertet. Im Fokus standen die semantischen Felder des Leids, die sprachlichen Codierungen von Schuld, Sinn und Selbstwirksamkeit sowie narrative Selbstverhältnisse.
Bei vermögenden Personen dominierten Bilder von „Ungebundenheit“, „Richtungslosigkeit“ und „überflüssigem Dasein“. Häufige Metaphern: „Ich treibe“, „Ich weiß nicht, wozu ich das alles mache“, „Ich kann alles – und deshalb nichts“. Besonders auffällig war das Fehlen eines „Notwendigkeitsrahmens“ – also einer externalen Bezugsstruktur, die der eigenen Handlung Bedeutung verleiht. Schuld äußerte sich selten direkt, sondern wurde über ironische Distanz, zynische Bemerkungen oder symbolische Hyperleistung (z. B. im sozialen Bereich) umschrieben.
Erwerbstätige Personen rahmten ihr Leid deutlich handlungsbezogener: „Ich kann nicht mehr“, „Ich muss funktionieren“, „Ich komme zu kurz“. Ihre Erzählungen enthielten oft konkrete Zielbilder (Kinder, Hausbau, beruflicher Aufstieg) und ein klares Bewusstsein für Entbehrung und Belohnung. Auch wenn das Leiden intensiv war, war es in ein stabiles Narrativ eingebettet. Der Sinn ergab sich nicht aus abstrakter Reflexion, sondern aus der Notwendigkeit des Tuns – ein zentraler Unterschied zur vermögenden Gruppe.
Die qualitative Analyse legte offen, dass nicht die äußere Belastung, sondern ihre narrative Integration über Zufriedenheit entscheidet. Menschen, die ihre Biografie als kohärent, notwendig und relational eingebettet erleben, berichten signifikant seltener von Leere, Sinnverlust oder emotionaler Inkohärenz – unabhängig von ihrem ökonomischen Status.
Die empirischen Ergebnisse zeigen mit beeindruckender Konsistenz: Die Summe aller Probleme bleibt konstant – doch sie verschiebt sich semantisch, psychodynamisch und narrativ. Während materielle Privilegien in narrative Fragilität und moralische Spannung münden können, wird psychische Stabilität vor allem durch relationale Einbettung, narrative Kohärenz und integrative Selbstverhältnisse ermöglicht. Für das Marketing eröffnet sich daraus eine fundamentale Erkenntnis: Zielgruppen unterscheiden sich weniger in ihren Bedürfnissen als in der Codierung und Deutung ihrer Lebenswirklichkeit. Die Zukunft markenzentrierter Kommunikation liegt in der Entwicklung resonanzfähiger, psychodynamisch informierter Narrative – nicht im Erkennen äußerer Differenz, sondern im Verstehen innerer Gleichzeitigkeit.
Hypothese H1: Die subjektiv empfundene Gesamtbelastung unterscheidet sich nicht signifikant zwischen vermögenden und nichtvermögenden Personen im mittleren Erwachsenenalter.
Diese Hypothese wurde empirisch eindeutig bestätigt. Der nahezu identische Mittelwert in der SWLS (Satisfaction With Life Scale) bei beiden Gruppen und das Fehlen signifikanter Unterschiede belegen, dass die psychologische Grundbelastung unabhängig von der sozioökonomischen Lage ein relativ stabiles Niveau aufweist. Dieser Befund stützt die theoretische Annahme der hedonistischen Adaptationstheorie (Brickman & Campbell, 1971) ebenso wie die Set-Point-Theorie des Wohlbefindens (Headey & Wearing, 1992), wonach Menschen – unabhängig von äußeren Veränderungen – zu einem individuell stabilen Wohlbefindensniveau tendieren.
Tiefe psychodynamische Analysen der Interviews deuten zudem darauf hin, dass das Erleben von Belastung eher an der inneren Konsistenz des Selbstmodells als an externen Ressourcen hängt. Die „Summe aller Probleme“ scheint eine konstitutive Größe des psychischen Systems zu sein, die sich zwar semantisch wandelt, aber quantitativ relativ konstant bleibt – ein Befund, der die titelgebende Leitidee der Studie fundamental stützt.
Hypothese H2: Die Art der empfundenen Probleme variiert systematisch in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status.
Auch diese Hypothese wurde sowohl quantitativ als auch qualitativ bestätigt. Die Clusteranalysen sowie die PERMA-Subdimensionen zeigten klare qualitative Unterschiede im Belastungserleben: Vermögende Personen berichteten signifikant häufiger über Sinnverlust, Orientierungslosigkeit und ein inneres Vakuum, während Erwerbstätige primär unter Zeitdruck, Erschöpfung und Alltagsstress litten.
Diese Ergebnisse korrespondieren mit der Literatur zur existentiellen Vakuumerfahrung (Frankl, 1946), aber auch mit Studien zur moralischen Ambivalenz privilegierter Milieus (Luthar & Becker, 2002), die auf ein Spannungsfeld zwischen äußerem Überfluss und innerer Leere hinweisen. Die nichtvermögenden Gruppen hingegen verarbeiten ihre Belastung häufig in pragmatisch-funktionalen Narrativen – ein Hinweis auf ein stabileres, handlungsorientiertes Selbstbild trotz höherer objektiver Belastung.
Die Ergebnisse machen deutlich: Die Form des Leidens ist statusabhängig – sie unterscheidet sich nicht durch Intensität, sondern durch psychodynamische Rahmung und narrative Codierung, was die Gültigkeit von H2 deutlich bestätigt.
Hypothese H3: Ererbter Reichtum korreliert signifikant mit dem Erleben innerer Leere, Orientierungslosigkeit und subtiler Schuldgefühle.
Diese Hypothese wurde durch die qualitative Auswertung der Interviews sowie durch die selbstentwickelte Schuldskala empirisch gestützt. Die narrative Analyse zeigte bei vielen vermögenden Teilnehmenden eine unterschwellige Spannung zwischen äußerer Lebenssicherheit und innerer Legitimationslücke: „Ich habe nichts dafür getan“ oder „Ich kann alles – und deshalb nichts“ waren typische Formulierungen.
Die psychodynamische Interpretation stützt sich auf Konzepte wie implizite Schuld (Freud, 1923) oder symbolische Schuldverarbeitung in Wohlstandskulturen (Gilligan, 1996). Die Daten deuten darauf hin, dass ererbter Reichtum ein psychologisches Ungleichgewicht zwischen Selbstwert und Status erzeugen kann – eine Kluft, die oftmals durch kompensatorische Handlungsmuster (z. B. karitatives Engagement, symbolische Hyperaktivität) überbrückt wird.
Diese Schuldgefühle blieben jedoch in vielen Fällen nicht bewusst artikuliert, sondern äußerten sich in affektiven Symptomen wie Motivationslosigkeit, diffusem Rückzugsverhalten oder einer paradoxen Unfähigkeit zur Entscheidung – Symptome, die durch die GAD-7 und PHQ-9 Skalen empirisch abgebildet wurden. Somit wird H3 nicht nur statistisch, sondern auch tiefenpsychologisch validiert.
Hypothese H4: Erwerbstätige mit hohem Arbeitseinsatz berichten signifikant häufiger von psychischer Erschöpfung, erleben jedoch auch ein höheres Maß an Selbstwirksamkeit und situativer Sinnstiftung.
Diese Hypothese fand ausdrückliche Bestätigung sowohl in den quantitativen Ergebnissen (höhere Werte in Engagement und Accomplishment bei Gruppe B, signifikante Belastungsindikatoren in PHQ-9), als auch in den narrativen Interviews. Die Erwerbstätigen schilderten ihre Belastung häufig in aktiven, strukturierenden Sprachbildern („ich muss durchhalten“, „es bringt ja was“, „ich tue es für die Familie“) und verankerten ihren Sinn stark im Alltag.
Theoretisch lässt sich dieses Muster im Lichte der Self-Efficacy-Theorie (Bandura, 1997) und Frankls Konzept des „meaning through doing“ interpretieren: Handlung, auch unter Belastung, stiftet Bedeutung – sofern sie biografisch und sozial gerahmt ist. Dieses Ergebnis legt nahe, dass psychische Belastung bei Erwerbstätigen nicht per se dysfunktional, sondern strukturgebend und identitätsstabilisierend sein kann – ein Befund von hoher Relevanz für Marken, die sich an leistungsorientierte Zielgruppen wenden.
Hypothese H5: Die wahrgenommene Lebenszufriedenheit in beiden Gruppen wird stärker durch das Maß an sozialer Verbundenheit als durch das Maß an materiellem Wohlstand beeinflusst.
Diese Hypothese wurde in der multivariaten Regressionsanalyse klar gestützt. Der materielle Status zeigte keinen signifikanten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit, während Variablen wie soziale Verbundenheit (β = .41, p < .001) und Sinn/Zukunftsoptimismus hochsignifikant zur Erklärung der Lebenszufriedenheit beitrugen.
Der Befund steht in Einklang mit der Self-Determination Theory (Deci & Ryan, 2000), wonach Beziehung, Autonomie und Kompetenz als fundamentale psychologische Grundbedürfnisse wirken – und nicht durch finanzielle Mittel substituiert werden können. In beiden Gruppen erwiesen sich affektive und relationale Verankerung als zentrale Ressource – insbesondere in Bezug auf die narrative Kohärenz des Selbst. Die Befunde aus den Resilienz-Clusterprofilen bestätigten: Selbst hochbelastete Individuen können psychisch stabil sein, sofern sie über stabile soziale Beziehungen und ein glaubwürdiges Lebensnarrativ verfügen.
Hypothese H6: Die Wahrnehmung individueller Probleme wurde durch gesellschaftliche Veränderungen (z. B. Wertewandel, Entgrenzung der Arbeit, Digitalisierung) modifiziert, nicht jedoch deren psychische Intensität.
Auch diese Hypothese wurde durch die Befunde inhaltlich unterstützt. Zwar thematisierten Teilnehmende beider Gruppen gesellschaftliche Transformationen (z. B. beschleunigte Arbeitswelten, diffuser Zukunftspessimismus, zunehmende Selbstoptimierungserwartung), jedoch veränderte sich nicht das Ausmaß, sondern die semantische Struktur der Belastung. Das Problem ist nicht die Steigerung der Intensität, sondern die Fragmentierung ihrer Deutbarkeit.
Die Interviews zeigten eine starke Verschiebung hin zu symbolisch-moralischen Deutungsrahmen: Statt konkreter Sorgen wurden „Sinn“, „Verantwortung“, „Kompensation“ oder „Fremdheit gegenüber dem eigenen Lebensstil“ häufiger thematisiert – insbesondere bei vermögenden Teilnehmenden. Diese Beobachtung bestätigt die Annahme, dass sich die psychische Grundlast zwar nicht erhöht, aber kulturell neu gerahmt wird – ein zentrales Argument aus der Narrativen Identitätstheorie (McAdams, 2001) und den kulturellen Skripts des Leidens (Shweder, 1994).
Alle sechs Hypothesen konnten empirisch und tiefenanalytisch gestützt werden. Die Ergebnisse zeigen mit theoretischer wie empirischer Klarheit: Psychische Belastung ist kein direktes Produkt ökonomischer Unterschiede, sondern Ausdruck innerer Spannungsverhältnisse, sozialer Spiegelung und symbolischer Kohärenz oder Inkohärenz des Selbst. Für das psychologisch fundierte Marketing bedeutet das: Zielgruppenrelevanz entsteht nicht durch das Erkennen materieller Unterschiede, sondern durch das Verständnis semantischer Leidenskonzepte und ihrer Funktion im Selbstbild der Konsument:innen. Marken, die sich dieser Tiefenstruktur zuwenden, können nicht nur adressieren – sie können Resonanz erzeugen.
Die vorliegende Studie hat in eindrucksvoller Weise gezeigt, dass die psychische Belastung im mittleren Erwachsenenalter eine Strukturkonstante moderner Lebensführung darstellt – unabhängig von sozioökonomischem Status. Während sich die äußeren Lebensrealitäten zwischen vermögenden und erwerbstätigen Personen deutlich unterscheiden, zeigt sich eine bemerkenswerte psychologische Parallelität: Beide Gruppen leiden – doch auf sehr unterschiedliche Weise. Die zentralen Erkenntnisachsen dieser Studie lassen sich in drei Dimensionen ordnen, die im Folgenden vertiefend diskutiert werden.
Eines der zentralen Ergebnisse der vorliegenden Studie ist die tiefgreifende psychische Ambivalenz, die mit beiden untersuchten Lebenslagen – ererbtem Reichtum und erarbeiteter Erwerbstätigkeit – verbunden ist. Beide Zustände erscheinen auf den ersten Blick konträr: Sicherheit versus Anstrengung, Freiheit versus Begrenzung, Ressourcenfülle versus Ressourcenknappheit. Und doch eint sie ein gemeinsames strukturelles Merkmal: Sie erzeugen psychodynamische Spannungsfelder, die in ihrer Qualität unterschiedlich, in ihrer existenziellen Wirksamkeit jedoch vergleichbar sind.
Für vermögende Personen manifestiert sich psychische Belastung nicht in Form existenzieller Bedrohung, sondern als Erfahrung innerer Ungebundenheit – eine Leere, die entsteht, wenn das Leben keine externalisierten Notwendigkeiten mehr bietet, an denen das Selbst seine Bedeutung und Richtung ablesen kann. Diese Befundlage lässt sich mit den Konzepten von Viktor Frankl (1946) zur „existentiellen Frustration“ und dem „Noögenen Vakuum“ in Verbindung bringen: Wenn äußere Struktur fehlt, tritt das Bedürfnis nach Sinn in den Vordergrund – und wird häufig nicht eingelöst.
Diese Ungebundenheit wird in der narrativen Codierung vermögender Interviewpartner:innen deutlich: Aussagen wie „Ich kann alles machen – und weiß trotzdem nicht, was ich will“, oder „Es fehlt der Druck, der aus etwas ein Ziel macht“, verweisen auf eine semantische Inkonsistenz, die dem Reichtum nicht äußerlich, sondern innerlich innewohnt. Besitz wird nicht als Ressource erlebt, sondern als Verlust von Notwendigkeit. In einer Kultur, die Leistung, Disziplin und Eigenverantwortung als moralische Währung versteht (vgl. Boltanski & Chiapello, 2003), wird Reichtum ohne biografische Verdienstdimension zu einem psychologischen Fremdkörper – einer, der Schuld, Scham oder symbolische Kompensationsbedürfnisse hervorruft.
Diese latenten Schuldgefühle, wie sie auch in der psychodynamischen Literatur (Freud, 1923; Gilligan, 1996; Gilbert, 2005) thematisiert werden, äußern sich in Vermeidungsstrategien (soziale Rückzüge, ironische Selbstentwertung) oder in übersteigerter moralischer Aktivität: z. B. sozialunternehmerischem Engagement, exzessiver Selbstoptimierung oder identitätsbezogenen Konsumformen, die Reichtum als „sozial gerecht“ inszenieren. Doch diese Symbolisierung ist brüchig – sie steht auf dem Fundament einer unsicheren Ich-Integration zwischen Besitz, Status und innerer Authentizität.
Die Erwerbstätigen in dieser Studie berichten hingegen seltener von Leere, dafür umso häufiger von permanenter funktionaler Überforderung. Zeitdruck, familiäre Verpflichtungen, berufliche Unsicherheit und das ständige Gefühl, „nicht genug zu tun“, prägen ihren Alltag. Diese Überforderung ist jedoch nicht ausschließlich negativ konnotiert – sie wirkt paradox stabilisierend: Die Notwendigkeit, funktionieren zu müssen, erzeugt Struktur, Verantwortungsbewusstsein und eine konkrete Anbindung des Selbst an soziale und materielle Realitäten.
Theoretisch lässt sich dieses Erleben mit Banduras (1997) Konzept der Selbstwirksamkeit, aber auch mit Bourdieus Idee des „Habitus als strukturierte Struktur“ (Bourdieu, 1987) fassen: Das soziale Feld, in dem sich diese Personen bewegen, setzt zwar unter Druck, verleiht dem Leben aber auch semantische Gravitation. Das Selbstbild ist an konkreten Rollen verankert – Elternrolle, Beruf, gesellschaftliche Teilhabe – und dadurch psychodynamisch integriert. Leistung wird zur narrativen Achse, um die sich das Selbstverständnis dreht.
Die Ergebnisse der qualitativen Interviews machen deutlich, dass diese Gruppe ihr Leid oftmals als notwendig, ja sogar als sinnvoll erlebt. Aussagen wie „Ich weiß, wofür ich das tue“, „Ohne meine Arbeit wäre ich nicht ich“ oder „Ich bin erschöpft, aber gebraucht“ zeigen: Die Identität ist hier nicht brüchig, sondern überfordernd kohärent. Der Schmerz der Anstrengung wird durch das Gefühl kompensiert, gesellschaftlich, familiär oder biografisch relevant zu sein. Leistung erzeugt Erschöpfung – aber auch Legitimation.
Die Ambivalenz beider Lebenslagen kulminiert in einer paradoxen Einsicht: Weder Reichtum noch Leistung führen in sich genommen zu psychischer Stabilität. Sie liefern jeweils unterschiedliche Formen symbolischer Struktur – die eine durch ihre Abwesenheit (Reichtum), die andere durch ihre Überfülle (Leistung). In beiden Fällen bleibt das Individuum in der Aufgabe gefangen, seine Existenz symbolisch zu rahmen – im Fall des Vermögenden durch Sinnstiftung, im Fall des Erwerbstätigen durch Funktionsintegration.
Diese Befunde lassen sich in die Konzeption der „doppelten Entfremdung“ (Axel Honneth, 2010) einordnen: Während sich vermögende Personen durch ihre Ungebundenheit vom sozialen Weltbezug entfernen, leiden Erwerbstätige unter einer Überbindung an Anforderungen und Erwartungen. Beide Gruppen erleben eine Form von Selbstverlust – die eine durch Leere, die andere durch Überfüllung. Das Gemeinsame: Beide benötigen eine symbolische Mitte, ein semantisches Zentrum, das das Selbst narrativ stabilisiert.
Insofern sind Reichtum und Leistung nicht zu verstehen als antagonistische Pole, sondern als komplementäre Konfigurationen postmoderner Ich-Verunsicherung. Beide stellen keine Lösung psychischer Probleme dar – sie formen lediglich ihre Ausdrucksweise. Wer also psychisches Wohlbefinden fördern oder Zielgruppen kommunikativ erreichen will, darf nicht auf äußere Lebensverhältnisse blicken, sondern muss sich den inneren Spannungsräumen symbolischer Selbstverhältnisse zuwenden.
Die zweite zentrale Erkenntnis dieser Studie ist die empirisch wie theoretisch fundierte Problempermanenz: Psychische Belastung bleibt – unabhängig von Besitz, Status oder Lebenslage – auf vergleichbarem Niveau bestehen. Die Befunde zeigen deutlich, dass sich nicht die quantitative Intensität, sondern die qualitative Erscheinungsform des subjektiven Leidens entlang sozioökonomischer Linien verändert. Damit wird ein grundlegendes Dogma ökonomisch fundierter Lebensqualitätsmodelle infrage gestellt: Die Vorstellung, dass mehr Ressourcen automatisch zu mehr Zufriedenheit führen.
Diese Konstanz des Belastungsempfindens verweist auf eine tieferliegende Dynamik: Leid ist keine Ausnahmeerscheinung – sondern ein strukturelles Moment moderner Subjektivität. In einer spätmodernen Gesellschaft, die durch Individualisierung, Selbstverantwortung und Möglichkeitsüberflutung geprägt ist (Beck, 1986; Rosa, 2016), ist das Subjekt nicht mehr eingebettet in stabile Sinnsysteme, sondern zunehmend gezwungen, seine Existenz biografisch selbst zu rechtfertigen. Die dabei entstehenden Brüche, Leerstellen und Überforderungen erscheinen nicht mehr als situative Krisen, sondern als permanente Begleiter einer semantisch fragmentierten Lebenswelt.
Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen in eindrucksvoller Weise die zentralen Annahmen der Narrativen Identitätstheorie (McAdams, 2001): Menschen benötigen keine objektive Sicherheit, sondern ein symbolisch eingebettetes Narrativ, das ihrem Leben Richtung, Notwendigkeit und Sinn verleiht. Dabei wird Lebenszufriedenheit nicht als reflexiver Ist-Zustand erlebt, sondern als Gefühl narrativer Kohärenz – als Übereinstimmung zwischen gelebtem Leben und innerer biografischer Geschichte. In diesem Verständnis ist Zufriedenheit weniger Ergebnis externer Zustände als Produkt gelungener semantischer Selbstverhältnisse.
Dies steht in diametralem Gegensatz zu klassischen Konzepten der Glücksforschung, die Lebenszufriedenheit primär als Funktion von Einkommen, Gesundheit, Partnerschaft und Status modellieren (Diener et al., 1999). Solche Modelle unterschätzen die Bedeutung des Deutungsrahmens, innerhalb dessen Menschen ihre Lebensumstände interpretieren. Diese Studie zeigt: Zwei Personen mit völlig unterschiedlicher materieller Ausgangslage können sich gleich belastet oder gleich zufrieden fühlen, wenn ihre narrative Selbstverortung stabil ist.
Psychische Belastung wird somit nicht als Folge von Mangel, sondern als Folge semantischer Inkonsistenz verstehbar: Wenn äußere Lebensumstände und innere Selbstbilder nicht miteinander in Resonanz stehen – wenn etwa Wohlstand nicht als verdient erlebt wird oder Leistung nicht zur erhofften Anerkennung führt –, entsteht eine Leerstelle, die psychisch nicht durch Ressourcen kompensiert werden kann.
Ein weiterer zentraler Aspekt der Problempermanenz liegt in der paradoxen Wirkung von Freiheit: Was in politischen und ökonomischen Theorien als Ideal gilt, wirkt auf der psychodynamischen Ebene häufig desintegrativ. Freiheit ohne Notwendigkeit entbindet das Subjekt nicht nur von äußeren Zwängen, sondern auch von symbolischen Verankerungen – sie fordert zur permanenten Selbstdefinition auf, ohne Halt in äußeren Rahmungen. Vermögende Personen berichten dementsprechend häufig von Leere, Perspektivlosigkeit und diffusen Schuldgefühlen – nicht trotz, sondern wegen der Freiheit, alles tun zu können.
Erwerbstätige Personen hingegen befinden sich oft in einer Situation eingeschränkter Handlungsspielräume – und erleben darin paradoxerweise mehr Sinn, mehr Richtung, mehr psychische Stabilität. Ihre Belastung ist konkreter, aber symbolisch integrierbarer. Sie leben nicht freier, aber verankerter – ein Zustand, den Erich Fromm bereits in den 1940er Jahren als die Dialektik zwischen „Furcht vor der Freiheit“ und „Wunsch nach Bindung“ beschrieben hat (Fromm, 1941).
Diese Differenz verweist auf ein zentrales psychologisches Grundbedürfnis: Menschen benötigen narrative Notwendigkeit – keine totale Optionsoffenheit. Psychische Stabilität entsteht dort, wo das Leben als notwendig, kohärent und relational eingebettet erlebt wird – nicht dort, wo es maximierte Wahlfreiheit und Selbstverantwortung gibt.
Diese Erkenntnisse haben weitreichende Konsequenzen für psychologische Praxis und sozialpolitische Strategien. Wenn psychische Belastung nicht primär durch äußere Lebensumstände erzeugt wird, sondern durch semantische Inkohärenz, dann verlieren defizitorientierte Modelle, die auf Einkommenssteigerung, Konsumermöglichung oder berufliche Integration allein setzen, an Wirksamkeit. Stattdessen rückt eine neue Perspektive ins Zentrum: Die Frage, wie Menschen ihre Lebenssituation erzählen, legitimieren, integrieren – und welche Ressourcen sie haben, um daraus Sinn zu generieren.
Für die Psychologie bedeutet dies: Therapie- und Beratungsformate müssen weniger auf funktionale Optimierung, sondern mehr auf narrative Kohärenzbildung abzielen. Der Fokus verschiebt sich von der Linderung äußerer Defizite hin zur Arbeit an innerer Stimmigkeit. Für die Sozialpolitik heißt das: Maßnahmen zur Teilhabe, Bildung oder Armutsbekämpfung sind nur dann wirksam, wenn sie auch symbolische Angebote zur Selbstverortung machen – etwa durch kollektive Sinnangebote, gemeinschaftsstiftende Rituale oder gesellschaftlich anerkannte Rollenmodelle.
Problempermanenz bedeutet nicht, dass alle gleich leiden – sondern dass alle leiden, jedoch in unterschiedlich codierter Form. Diese universelle Konstante psychischer Spannung verweist auf die Notwendigkeit, moderne Lebensrealitäten nicht durch äußere Parameter, sondern durch innere semantische Dynamiken zu begreifen. Wer Lebenszufriedenheit verstehen will, muss das Subjekt nicht fragen, was es hat – sondern, was es bedeutet. In einer Welt unendlicher Optionen wird nicht der Mangel, sondern die Bedeutungslosigkeit zur zentralen psychischen Herausforderung.
Möchtest du, dass wir auf dieser Tiefe auch Abschnitt 7.3 neu schreiben – vollständig mit Theoriehintergrund, Marketing-Implikationen und differenzierten Handlungsansätzen?
Die vielleicht tiefgreifendste Implikation dieser Studie betrifft das Selbstverständnis und die strategische Ausrichtung moderner Markenkommunikation. Die empirischen Ergebnisse und ihre psychodynamische Deutung legen nahe, dass das klassische Marketingparadigma – Zielgruppenidentifikation auf Basis soziodemografischer Merkmale – im Kern obsolet geworden ist. Denn es basiert auf der Prämisse, dass äußere Lebensverhältnisse – Einkommen, Bildung, Alter, Beruf – die psychologische Erreichbarkeit und Konsumdisposition determinieren. Genau diese Prämisse wird durch die vorliegenden Befunde grundlegend erschüttert.
Die Studie zeigt: Psychische Belastung ist nicht funktional an äußere Bedingungen gekoppelt, sondern semantisch codiert – in Form innerer Spannungsverhältnisse, ambivalenter Selbstverhältnisse und narrativer Inkohärenzen. Relevanz entsteht in dieser neuen Logik nicht mehr durch Angebotspassung an äußere Lebenswelten, sondern durch symbolische Resonanz mit inneren Spannungsmustern.
In der Logik klassischer Zielgruppenforschung ist der Konsument Träger von Merkmalen: männlich, urban, einkommensstark, 35–45 Jahre alt, technikaffin. In der Logik dieser Studie ist der Konsument Träger von inneren Spannungen: überfordert und selbstoptimierend, privilegiert und schuldbeladen, resilient und sinnorientiert.
Diese Spannungen sind nicht abbildbar durch Konsumverhalten oder Milieuzugehörigkeit – sie sind semantisch-narrativ verfasst und tief in biografische Identitätskonstruktionen eingebettet. Entsprechend verlieren klassische Kategorien wie „Zielgruppe X“ oder „Persona Y“ ihre analytische und kommunikative Wirksamkeit. Sie werden ersetzt durch psychodynamisch fundierte Resonanztypen: Konsumenten werden als semantische Spannungseinheiten sichtbar, die in spezifischer Weise nach Identität, Legitimität, Verbindung und Bedeutung streben.
Die aus der Studie hervorgehenden Typen zeigen exemplarisch, wie eine solche neue Segmentierungslogik aussehen kann:
Diese Segmentierungslogik orientiert sich nicht an Marktsegmenten, sondern an psychischen Bedeutungsfeldern – sie ersetzt demografische Struktur durch symbolische Funktionalität. Zielgruppen werden damit zu psychodynamischen Typologien, deren Relevanz sich nicht aus ihrem So-Sein, sondern aus ihrem psychischen Sinnhorizont ergibt.
Diese Erkenntnisse führen zu einem neuen Modell strategischer Markenkommunikation: der Resonanzarchitektur. Markenkommunikation wird hier nicht als Informationsübertragung, sondern als symbolischer Spiegelraum verstanden, in dem Konsument:innen sich, ihre Spannungen, Sehnsüchte und Widersprüche wiedererkennen und neu rahmen können.
Im Sinne Hartmut Rosas (2016) bedeutet Resonanz, dass ein Gegenüber – in diesem Fall eine Marke – nicht einfach etwas bietet, sondern etwas beantwortet. Eine Marke wird nicht relevant, weil sie „passt“, sondern weil sie antwortet – auf ein inneres Spannungsverhältnis, eine implizite Frage, eine existenzielle Suchbewegung.
Dazu müssen Marken semantisch präzise kommunizieren. Sie müssen aufhören, das „Wollen“ des Konsumenten zu adressieren, und beginnen, das „Womit ringst du?“ anzusprechen. Es geht nicht um Benefits, sondern um Bedeutung. Nicht um Nutzen, sondern um Narration. Nicht um Motivationssteigerung, sondern um Spiegelung und symbolische Rahmung.
Aus dieser neuen Perspektive ergeben sich tiefgreifende strategische Konsequenzen:
Marketing, das sich weiterhin an äußeren Merkmalen orientiert, verfehlt die psychologische Realität der Konsument:innen im 21. Jahrhundert. Die Studie zeigt eindrücklich: Erreichbarkeit entsteht nicht mehr durch Matching von Angeboten und Zielgruppen, sondern durch das Verstehen innerer Spannungsverhältnisse. Konsum ist kein Ausdruck von Bedürfnissen, sondern ein Symbolraum für das Ich in seiner inneren Widersprüchlichkeit.
Marken, die das verstehen, werden nicht nur gekauft – sie werden glaubhaft, bedeutungsvoll, notwendig. Sie kommunizieren nicht von außen nach innen, sondern von innen nach innen. Nicht „Was brauchst du?“, sondern: „Wer willst du in dieser Welt sein – und wie kann ich dich dabei begleiten?“
Möchtest du aus diesen Erkenntnissen eine eigene Methodologie zur Entwicklung psychodynamischer Markenprofile ableiten?
Die vorliegende Studie untersuchte die Lebenszufriedenheit und psychische Belastung im mittleren Erwachsenenalter vor dem Hintergrund unterschiedlicher sozioökonomischer Ausgangslagen – konkret: zwischen Personen mit ererbtem Reichtum und solchen, die sich ihren Status durch eigene Leistung erarbeitet haben. Ausgangspunkt war die provokante These: „Die Summe aller Probleme bleibt immer gleich“ – eine Annahme, die besagt, dass psychische Belastung keine Funktion äußerer Lebensbedingungen ist, sondern Ausdruck semantischer Inkohärenz, innerer Spannungsstrukturen und narrativer Brüche.
Die Kombination aus quantitativer Skalenanalyse (n = 319) und qualitativen Tiefeninterviews (n = 28) zeigte eindrücklich: Die Gesamtbelastung ist in beiden Gruppen vergleichbar, unterscheidet sich jedoch signifikant in ihrer Qualität, Semantik und psychodynamischen Verankerung. Während vermögende Personen häufiger unter einem Gefühl existenzieller Leere, Richtungslosigkeit und subtiler Schuld leiden, berichten erwerbstätige Personen vor allem von funktionalem Stress, chronischer Überforderung und Zeitmangel – erleben diese aber oftmals als sinnstiftend und strukturgebend.
Diese Problempermanenz verweist auf eine tiefenstrukturelle Konstante moderner Subjektivität: Psychisches Leid entsteht nicht primär durch äußeren Mangel, sondern durch das Fehlen narrativer Kohärenz. Lebenszufriedenheit ist weniger Reaktion auf Lebensumstände als Ergebnis einer stimmigen Selbstverortung im eigenen biografischen Narrativ.
Für das Marketing ergeben sich daraus weitreichende Konsequenzen. Klassische Zielgruppensegmentierungen, basierend auf demografischen oder sozioökonomischen Merkmalen, greifen zu kurz. Konsument:innen lassen sich nicht über äußere Merkmale erfassen, sondern über ihre inneren Spannungsräume – etwa zwischen Überforderung und Selbstwert, zwischen Schuld und Sinn, zwischen Leistung und Legitimation. Erfolgreiche Markenkommunikation entsteht dort, wo sie diese Spannungen erkennt, spiegelt und symbolisch rahmt – als Teil einer Resonanzarchitektur, die nicht nur konsumiert, sondern psychologisch integriert wird.
Insgesamt zeigt die Studie: Psychische Belastung ist universell, aber individuell codiert. Reichtum und Leistung erzeugen unterschiedliche semantische Konstellationen desselben Grundproblems – der Suche nach Sinn, Zugehörigkeit und innerer Stimmigkeit. Wer das versteht, kann Menschen nicht nur besser helfen – sondern auch bedeutungsvoller mit ihnen kommunizieren