Studie

Wandel der Erreichbarkeit von Konsumenten im KI-Zeitalter: Vom Sales Funnel zur Resonanzarchitektur

Autor
Brand Science Institute
Veröffentlicht
28. März 2025
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1. Forschungshintergrund und Relevanz

Die kommunikative Landschaft unterliegt einem radikalen Wandel. Während das klassische Verständnis von Reichweite – also der potenziellen Sichtbarkeit einer Botschaft innerhalb eines bestimmten Zielgruppensegments – über Jahrzehnte hinweg als primäre Währung der Werbewirkung galt, geraten die Grundannahmen dieses Modells im Zeitalter digitaler Reizüberflutung zunehmend ins Wanken. Die Durchdringung des Alltags mit digitalen Medien, die Fragmentierung von Aufmerksamkeitsstrukturen sowie die algorithmische Vorselektion von Informationen durch Plattformen wie Google, Instagram oder TikTok verändern die Ausgangslage für Markenkommunikation grundlegend. Hinzu tritt die wachsende Rolle künstlicher Intelligenz, die in Form von Recommendation Engines, Predictive Targeting und automatisierter Content-Erstellung die Schnittstellen zwischen Unternehmen und Konsumenten neu definiert.

Konsumenten leben heute in einem Medienökosystem, das permanent auf sie einwirkt – sowohl sichtbar als auch subtil, sowohl gewünscht als auch ungewollt. Diese Dauerbespielung hat zu einem erhöhten Maß an kognitiver Selbstverteidigung geführt. Nutzer lernen, Werbung auszublenden, Informationsströme selektiv zu filtern und ihre eigene mediale Exposition aktiv zu gestalten. Dieser Mechanismus der "psychologischen Abschottung" steht in einem Spannungsverhältnis zur wachsenden Präzision datengetriebener Kommunikation: Je zielgerichteter Werbung wird, desto höher das Risiko, dass sie als übergriffig oder manipulierend empfunden wird – ein paradoxes Ergebnis technologischer Optimierung.

Der Begriff der Erreichbarkeit muss daher neu gedacht werden. Er lässt sich nicht mehr allein in quantitativen Metriken wie Impressions oder Click-Through-Rates abbilden, sondern verlangt eine qualitative Neubewertung. Die zentrale These dieser Studie lautet daher: Erreichbarkeit ist im digitalen Zeitalter nicht länger eine Funktion medialer Präsenz, sondern Ausdruck psychologischer Anschlussfähigkeit. Sie hängt davon ab, ob, wann und unter welchen Voraussetzungen ein Konsument bereit ist, sich einer Markenbotschaft innerlich zuzuwenden – also nicht nur auf sie zu stoßen, sondern sie auch zu verarbeiten, in den persönlichen Bedeutungsrahmen zu integrieren und als potenziell handlungsrelevant zu betrachten.

Gerade in KI-dominierten Kommunikationslandschaften wird diese innere Zuwendung zur entscheidenden Herausforderung. Denn die maschinelle Generierung und Aussteuerung von Botschaften, so effizient sie hinsichtlich Zielgruppenparametern auch sein mag, berührt Fragen der Subjektivität, der Affektlogik und des Vertrauens. Wird der Kontakt als anonym, maschinell oder manipulativ erlebt, kann dies zu psychologischer Reaktanz führen – einem Phänomen, das gerade in personalisierten Umgebungen paradoxerweise besonders häufig auftritt. Denn je näher eine Botschaft vermeintlich "am Ich" operiert, desto stärker muss sie sich an dessen Integrität messen lassen.

Gleichzeitig eröffnen KI-Technologien neue Chancen, die situative psychologische Bereitschaft von Konsumenten präziser zu antizipieren. Durch Verhaltensdaten, Kontextsignale und semantische Analyse lassen sich kommunikative Triggerpunkte identifizieren, die klassische Zielgruppenmodelle nicht erfassen konnten. Doch diese Möglichkeiten sind nur dann wirksam, wenn sie nicht mechanisch, sondern psychologisch fundiert zur Anwendung kommen. Die Erreichbarkeit im KI-Zeitalter ist damit ein Spiel auf der feinen Klaviatur zwischen algorithmischer Präzision und psychologischer Resonanz.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche psychologischen Mechanismen im Kontext moderner, KI-gestützter Kommunikation tatsächlich über Erreichbarkeit entscheiden. Welche inneren Barrieren müssen durchdrungen werden, um Aufmerksamkeit zu gewinnen? Welche motivationalen Zustände fördern oder hemmen die Aufnahme von Markenbotschaften? Und inwiefern verändert sich der klassische Sales Funnel, wenn Entscheidungen nicht mehr linear-rational, sondern kontextuell und affektiv gesteuert werden?

Um diesen Fragen systematisch nachzugehen, wurde im Rahmen dieser Studie eine empirische Untersuchung mit 519 Konsumentinnen und Konsumenten im Alter von 18 bis 65 Jahren durchgeführt. Ziel war es, die psychologischen Dimensionen der Erreichbarkeit entlang der klassischen Funnel-Stufen (Awareness, Interest, Consideration, Intent, Action, Loyalty) zu analysieren und in Relation zu den Erfahrungen, Erwartungen und Wahrnehmungen der Probanden im Umgang mit KI-gestützter Kommunikation zu setzen. Die Ergebnisse zeigen deutlich: Die Fähigkeit einer Marke, Konsumenten zu erreichen, ist zunehmend abhängig von der Übereinstimmung zwischen kommunikativer Tonalität, individueller Selbstwahrnehmung und situativ-emotionaler Verfassung.

Diese Erkenntnisse eröffnen neue Perspektiven für das Marketing der Zukunft – eines Marketings, das weniger in Zielgruppen und mehr in psychologischen Anschlussräumen denkt; das Erreichbarkeit nicht als Output von Media Spendings, sondern als Ergebnis fein austarierter Resonanzarchitekturen versteht. Die vorliegende Studie liefert hierfür die theoretische Fundierung, ein empirisch validiertes Erklärungsmodell sowie praxisrelevante Implikationen entlang des gesamten Sales Funnels.

2. Zentrale Forschungsfrage

Die zentrale Forschungsfrage dieser Studie lautet: Wie verändert sich die Erreichbarkeit von Konsumenten im Zeitalter von KI – entlang des psychologischen Sales Funnels?

Diese Fragestellung adressiert einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel in der Markenkommunikation. Während der klassische Sales Funnel – von der Awareness über die Interest- und Consideration-Phase bis hin zur finalen Kaufentscheidung und möglichen Loyalität – ursprünglich auf einem linearen Verständnis von Konsumentenverhalten basierte, erfordert die heutige Realität ein psychologisches Reframing dieses Modells. Konsumenten bewegen sich nicht mehr vorhersehbar entlang rationaler Entscheidungspfade, sondern agieren innerhalb komplexer, von Emotionen, situativer Kontexten und kognitiven Entlastungsstrategien geprägter Umwelten.

Im Zentrum steht dabei nicht mehr die Frage, ob eine Botschaft technisch ausgeliefert wurde oder sichtbar war, sondern ob sie in der jeweiligen Phase der Customer Journey überhaupt psychologisch erreichbar war – also subjektiv wahrgenommen, als relevant bewertet, emotional verarbeitet und kognitiv zugelassen wurde. Dies macht Erreichbarkeit zu einem dynamischen, kontextsensitiven Konstrukt, das sich nicht allein durch Technologie, sondern primär durch psychologische Bedingungen erklären lässt.

Die vorliegende Untersuchung nimmt deshalb eine Neuvermessung der Funnel-Stufen unter psychologischen Vorzeichen vor. Sie analysiert, wie sich Aufmerksamkeit, Interesse, Abwägung, Kaufabsicht, Handlung und Bindung unter dem Einfluss KI-gestützter Kommunikation verändern – und welche psychologischen Mechanismen dabei jeweils als Barrieren oder Verstärker wirken. In diesem Zusammenhang stellt sich nicht nur die Frage, ob KI die Erreichbarkeit verbessert, sondern auch, wann und unter welchen psychologischen Voraussetzungen sie dies tatsächlich tut.

Ziel ist es, ein differenziertes Verständnis davon zu entwickeln, wie sich Konsumenten in einer durch KI mediatisierten Welt bewegen – und welche Anforderungen dies an ein zukunftsfähiges Kommunikationsdesign stellt. Dabei versteht sich der psychologische Sales Funnel nicht als obsolete Struktur, sondern als interpretierbares Raster, das um emotionale, kognitive und motivationale Faktoren erweitert werden muss, um im Kontext von Personalisierung, Reaktanz, Entscheidungsmüdigkeit und algorithmischer Kommunikation überhaupt noch als Erklärungsmodell tragfähig zu sein.

Diese erweiterte Lesart des Funnels bildet das heuristische Rückgrat der empirischen Analyse, die aufzeigt, wie sich die Erreichbarkeit an den jeweiligen Schnittstellen verändert – nicht nur technologisch, sondern im Erleben und Verhalten realer Konsumenten.

3. Theoretische Fundierung: Psychologische Modelle zur Erklärung

3.1  Aufmerksamkeit und Wahrnehmung

Die Grundlage jeglicher Kommunikation bildet die Aufmerksamkeit des Rezipienten. Im Kontext digitaler Medien ist diese Ressource jedoch zunehmend fragmentiert, selektiv und kontextabhängig. Zwei klassische Modelle der Aufmerksamkeitspsychologie bieten hier eine wichtige Orientierung.

Die Selective Attention Theory (Broadbent, 1958; Treisman, 1964) geht davon aus, dass Menschen eingehende Informationen nicht gleichwertig verarbeiten, sondern durch einen kognitiven Filter lediglich jene Inhalte zulassen, die subjektiv als relevant wahrgenommen werden. Im Überangebot an digitalen Reizen gewinnt somit nicht die Botschaft mit der höchsten medialen Sichtbarkeit, sondern jene mit der höchsten psychologischen Anschlussfähigkeit. Die Relevanz – im Sinne von personaler Bedeutung, emotionaler Nähe oder situativer Passung – schlägt Reichweite als zentrale Determinante von Aufmerksamkeit. Für KI-gestützte Kommunikation bedeutet das: Nur wenn algorithmisch generierte Inhalte die subjektiven Interessen, Werte oder Bedürfnisse der Nutzer adressieren, können sie überhaupt wirksam werden.

Die Perceptual Load Theory (Lavie, 1995) ergänzt diese Perspektive, indem sie die situative Verarbeitungskapazität in den Mittelpunkt rückt. Bei hoher kognitiver Belastung – etwa durch Multitasking, Informationsüberfluss oder emotionale Beanspruchung – wird die Fähigkeit zur bewussten Wahrnehmung und Verarbeitung zusätzlicher Reize drastisch reduziert. Werbetreibende sehen sich hier einem paradoxen Problem gegenüber: Gerade dann, wenn die technologische Reichweite durch KI besonders effizient ist (z. B. zur Rush Hour auf Social Media), ist die psychologische Erreichbarkeit potenziell am niedrigsten. Die digitale Zielperson ist zwar anwesend, aber kognitiv nicht empfänglich. KI trifft hier auf ein „Busy Brain“, das sich gegen weitere Reize abschottet.

Insgesamt zeigen diese beiden Theorien, dass Aufmerksamkeit im KI-Zeitalter kein bloßes Resultat technischer Optimierung ist, sondern ein kontingentes Phänomen – abhängig von Relevanzfiltern und Verarbeitungsressourcen.

3.2 Kognitive Dissonanz und selektive Filter

Ein weiteres zentrales Erklärungsmodell für die psychologische (Nicht-)Erreichbarkeit digitaler Kommunikation ist die Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957). Sie beschreibt die Tendenz von Menschen, Informationen zu meiden oder umzudeuten, die in Widerspruch zu ihrem bestehenden Selbstkonzept, ihren Einstellungen oder Überzeugungen stehen. Diese Mechanismen spielen insbesondere bei der Verarbeitung von Markenbotschaften eine Rolle, die durch KI generiert oder zugespielt werden. Wenn Konsumenten spüren, dass ein Produktversprechen nicht mit ihren bisherigen Erfahrungen oder Überzeugungen vereinbar ist, tritt ein psychologischer Abwehrmechanismus in Kraft – selbst wenn die Botschaft objektiv überzeugend wäre. Diese Dissonanzvermeidung kann dazu führen, dass selbst hochgradig personalisierte Kommunikation wirkungslos bleibt oder sogar ablehnende Reaktionen hervorruft.

Verstärkt wird dieser Effekt durch den Bestätigungsfehler (Confirmation Bias), der beschreibt, wie Menschen aktiv nach Informationen suchen, die ihre bestehenden Überzeugungen stützen – und gegensätzliche Inhalte systematisch ignorieren oder abwerten. Im Zusammenspiel mit KI-Algorithmen, die auf Basis historischer Verhaltensdaten Empfehlungen ausspielen, entsteht hier eine doppelte Filterwirkung: Die kognitive Selektivität der Nutzer trifft auf die algorithmische Selektivität der Systeme. Das Ergebnis sind Echokammern, in denen kommunikative Anschlussfähigkeit zwar hoch, aber ausschließlich innerhalb einer bereits affinen Zielgruppe gegeben ist. Der Zugang zu neuen, potenziell interessierten Konsumenten hingegen wird erschwert – nicht aus technologischen, sondern aus psychologischen Gründen.

Diese Prozesse sind besonders relevant für Marken, die mit disruptiven Innovationen oder neuen Positionierungen arbeiten. Die KI kann zwar die "richtigen" Nutzer technisch identifizieren, sie erreicht sie jedoch nur dann, wenn die Botschaft dissonanzarm, anschlussfähig und in ihrer Tonalität kompatibel zur subjektiven Erlebniswelt formuliert ist.

3.3 Affektlogik und Motivation

Neben kognitiven und selektiven Prozessen bestimmen auch emotionale und motivationale Dynamiken maßgeblich darüber, ob Konsumenten erreichbar sind – und wenn ja, in welcher Form. Die Self-Determination Theory (Deci & Ryan, 2000) liefert hierfür ein differenziertes Motivationsmodell. Sie geht davon aus, dass Menschen dann besonders empfänglich für externe Reize sind, wenn diese ihre drei Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit respektieren und unterstützen. Kommunikation, die als bevormundend, übergriffig oder kontrollierend erlebt wird – und dies ist bei vielen KI-basierten Kontaktpunkten der Fall – kann Widerstand hervorrufen, selbst wenn sie sachlich relevant oder nützlich ist.

Dieses Spannungsverhältnis zwischen Personalisierung und wahrgenommener Kontrolle ist ein zentrales Dilemma KI-gestützter Kommunikation: Je präziser die Ansprache, desto größer die Gefahr, dass Konsumenten das Gefühl verlieren, selbstbestimmt zu handeln. Erreichbarkeit wird so nicht nur zur Frage des Informationsinhalts, sondern zur Frage des motivationalen Erlebens.

Hinzu kommt die Logik affektiver Antizipation. Das Konzept des Affective Forecasting beschreibt die Tendenz von Menschen, zukünftige Entscheidungen nicht auf Basis rationaler Abwägungen zu treffen, sondern im Hinblick auf erwartete emotionale Zustände. Konsumenten entscheiden sich nicht für ein Produkt, weil es objektiv „besser“ ist, sondern weil sie glauben, sich mit ihm besser zu fühlen. Für die Kommunikation bedeutet das: Wer nicht emotional andockt, bleibt trotz Relevanz unsichtbar. KI-gestützte Systeme, die diese affektiven Dimensionen nicht berücksichtigen – etwa durch zu sachliche, generische oder mechanische Tonalitäten – scheitern am „emotionalen Filter“ der Zielgruppe.

Damit wird deutlich: Relevanz entsteht nicht nur durch Datenabgleich, sondern durch die Fähigkeit, emotionale Erwartungen zu aktivieren und zu erfüllen – eine Aufgabe, die die technische Präzision von KI mit der Empathie menschlicher Kommunikation verbinden muss.

3.4 Persönlichkeit und Selbstkonzept

Die letzte theoretische Dimension betrifft die Beziehung zwischen Botschaft und Selbstbild. Die Selbstkongruenztheorie (Sirgy, 1986) besagt, dass Menschen besonders positiv auf Markenkommunikation reagieren, wenn diese mit ihrem Selbstkonzept übereinstimmt – sei es real, ideal oder sozial erwünscht. Diese Kongruenz wirkt als Verstärker: Sie steigert nicht nur die Aufmerksamkeitswahrscheinlichkeit, sondern beeinflusst auch die emotionale Verarbeitung, die Glaubwürdigkeit und die Kaufbereitschaft. KI kann diese Passung unter bestimmten Voraussetzungen sehr präzise abbilden – etwa durch semantische Analyse der Nutzerinteressen oder emotionale Segmentierung. Gleichzeitig ist sie jedoch anfällig dafür, subtile Selbstkonzepte zu verfehlen oder zu überzeichnen, was bei Konsumenten ein Gefühl von Fremdzuschreibung oder Überidentifikation hervorrufen kann.

Erschwerend kommt hinzu, dass digitale Kommunikation in einem Umfeld zunehmender Informationsüberflutung stattfindet. Die Konzepte der Ego-Depletion (Baumeister et al., 1998) und der Decision Fatigue beschreiben, wie Menschen nach wiederholter Konfrontation mit Entscheidungen kognitiv ermüden. In einem solchen Zustand reagieren sie entweder impulsiv, vermeiden Entscheidungen oder ziehen sich ganz zurück. Gerade KI-gesteuerte Kommunikation, die auf Interaktion, Auswahl und permanente Responsivität setzt, kann so unbeabsichtigt zur Erschöpfung beitragen – und damit die Erreichbarkeit selbst unter optimalen Targetingbedingungen untergraben.

Die psychologische Anschlussfähigkeit einer Botschaft hängt also nicht nur von ihrer äußeren Form, sondern auch von der inneren Verfassung des Konsumenten ab – einer Verfassung, die dynamisch, kontextuell und oftmals nicht unmittelbar sichtbar ist. Genau hierin liegt die Herausforderung und das Versprechen einer KI, die nicht nur Zielgruppen segmentiert, sondern Zustände erkennt und respektiert.

4. Konzeptmodell: Stufen der Erreichbarkeit im KI-Zeitalter

Der psychologische Sales Funnel als dynamisches Resonanzmodell

Der Sales Funnel stellt in der betriebswirtschaftlichen und marketingpsychologischen Literatur eines der prominentesten Modelle zur Beschreibung von Kaufentscheidungsprozessen dar. Seine klassische Struktur – bestehend aus den Phasen Awareness, Interest, Consideration, Intent, Action und Loyalty – suggeriert einen linear-sequenziellen Verlauf, in dem der Konsument sich stufenweise von der Wahrnehmung einer Marke hin zur Entscheidung und letztlich zur Kundenbindung bewegt. Diese Logik war insbesondere im Kontext analoger Medien und eindimensionaler Zielgruppenkommunikation tragfähig, gerät jedoch angesichts der heutigen medialen, kognitiven und psychologischen Realität ins Wanken.

In der digitalisierten Gegenwart erleben wir keine stabilen, vorhersagbaren Konsumentenpfade mehr, sondern ein fluides, sprunghaftes und oft zirkuläres Entscheidungsverhalten. Nutzer steigen an unterschiedlichen Punkten in den Entscheidungsprozess ein, verlassen ihn, re-kontextualisieren ihre Präferenzen und sind dabei hochgradig von emotionalen, situativen und sozialen Faktoren beeinflusst. In dieser Umgebung kann der Funnel nicht länger als starrer Trichter verstanden werden, sondern muss als dynamisches Resonanzsystem begriffen werden – als Modell psychologischer Durchlässigkeit entlang kognitiver, motivationaler und affektiver Schwellen.

Insbesondere im Kontext KI-gestützter Kommunikation wird dieser Perspektivwechsel zentral. Denn KI verändert nicht nur die Art und Weise, wie Informationen distribuiert werden, sondern auch die Bedingungen, unter denen Konsumenten innerlich zugänglich sind. Damit wird Erreichbarkeit zu einer psychologischen Funktion, die sich an den Grenzverläufen zwischen Bewusstsein, Affekt, Motivation und Identität abspielt – entlang von sechs distinkten, aber eng verwobenen Stufen:

Awareness – Der Selektionsmoment

Im psychologischen Verständnis ist Awareness kein mechanischer Erstkontakt, sondern ein selektiver Moment aktiver Wahrnehmung. Was ins Bewusstsein dringt, hängt nicht nur von medialer Präsenz ab, sondern von personaler Relevanz, kognitiver Bereitschaft und situativem Kontext. Die klassische Vorstellung, dass hohe Reichweite automatisch hohe Awareness erzeugt, ist unter den Bedingungen kognitiver Reizfilter, Informationsvermeidung und habitueller Banner Blindness obsolet geworden.

KI kann diese Schwelle technologisch modulieren, indem sie Inhalte durch Relevanzfilter an die passenden Empfänger übermittelt. Doch auch die beste Matching-Logik unterliegt der psychologischen Prüfung: Nur wenn das Signal semantisch, emotional und kontextuell andockt, wird es als wahrnehmbar erlebt. Awareness ist somit der erste Punkt im Funnel, an dem psychologische und KI-determinierte Selektionsprozesse ineinandergreifen – nicht additiv, sondern interaktiv.

Interest – Die Affektöffnung

Die zweite Stufe – Interest – ist nicht einfach die Folge von Wahrnehmung, sondern Ausdruck einer emotionalen Anschlussbewegung. Interesse im psychologischen Sinne bedeutet, dass ein Stimulus das affektive System berührt, Neugier weckt, einen Bedeutungsraum öffnet oder eine bestehende kognitive Struktur bestätigt oder herausfordert. Erst dann ist ein Konsument bereit, sich mit einer Marke, einem Produkt oder einer Botschaft tiefer auseinanderzusetzen.

Im Kontext KI-generierter Inhalte zeigt sich hier ein zentrales Spannungsfeld: Während Algorithmen durchaus in der Lage sind, affektive Reize auf Basis semantischer Analysen zu rekonstruieren (z. B. durch Sentiment Targeting), ist die Passung zur emotionalen Realität des Konsumenten keineswegs garantiert. KI trifft hier auf affektive Dynamiken, die situativ, unbewusst und oft widersprüchlich sind – etwa, wenn ein Nutzer sich selbst als rational und unempfänglich wahrnimmt, faktisch aber auf emotionale Stimuli reagiert. Die psychologische Erreichbarkeit hängt in dieser Stufe davon ab, ob die Kommunikation in das affektive Koordinatensystem des Rezipienten integriert werden kann – nicht, ob sie formal „zur Zielgruppe passt“.

Consideration – Die kognitive Schwelle

Die Consideration-Phase markiert im psychologischen Verständnis einen Punkt erhöhter kognitiver Aktivierung. Der Konsument beginnt, Informationen aktiv zu verarbeiten, Alternativen abzuwägen und Entscheidungsszenarien mental zu simulieren. Klassische Modelle der rational choice wurden in diesem Zusammenhang bereits seit den 1980er-Jahren durch Erkenntnisse der Verhaltensökonomie relativiert, insbesondere durch Konzepte wie bounded rationality (Simon), heuristic decision making (Tversky & Kahneman) oder die Theorie der emotional framing effects.

Im KI-Kontext stellt sich die Frage, ob Systeme in der Lage sind, diesen mentalen Prozess zu unterstützen – etwa durch adaptive Produktvorschläge, automatisierte Vergleichsmechanismen oder intelligente Dialogsysteme. Doch die Gefahr besteht darin, dass diese Unterstützung zur Überforderung oder zur wahrgenommenen Bevormundung wird – insbesondere, wenn sie das Gefühl der Selbstbestimmung unterminiert. Die psychologische Zugänglichkeit in dieser Phase ist folglich abhängig vom Verhältnis zwischen Orientierung und Kontrolle – und davon, ob KI als Hilfe oder als Eingriff erlebt wird.

Intent – Der ambivalente Kippmoment

Die Intent-Stufe stellt keinen stabilen Zustand dar, sondern einen Kippmoment zwischen Überzeugung und Zweifel. Aus psychologischer Sicht ist dieser Moment geprägt von innerer Ambivalenz: Der Wunsch nach Konsum trifft auf Unsicherheit, potenziellen Verlust, zukünftige Reue oder soziale Verunsicherung. Es ist die Phase, in der Konsumenten häufig zurückweichen – nicht aus mangelnder Attraktivität des Angebots, sondern aus diffuser emotionaler Überlastung.

KI-basierte Nudging-Systeme zielen darauf ab, diesen Moment zu stabilisieren – durch kleine, gezielte Impulse, die das Entscheidungsverhalten in eine bestimmte Richtung lenken sollen. Doch gerade hier kann es zu Reaktanz kommen: Wird der Nutzer zu stark gedrängt, verliert er das Gefühl der Wahlfreiheit. Wird er zu wenig unterstützt, versandet der Entscheidungsimpuls. Die psychologische Erreichbarkeit in dieser Stufe oszilliert zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Wunsch nach Selbstbehauptung – ein Spannungsfeld, das durch KI präzise, aber empathisch adressiert werden muss.

Action – Die Vertrauensprüfung

Die Kaufhandlung – Action – stellt nicht nur den Abschluss, sondern die kritischste Schwelle im gesamten Prozess dar. Sie ist weniger Ausdruck rationaler Überzeugung als eine Form von Vertrauensvorschuss: in die Marke, in die Transaktionssicherheit, in die digitale Integrität der Plattform. Studien zur Online-Conversion zeigen, dass Vertrauen ein stärkerer Prädiktor für Kaufhandlungen ist als Preis oder Leistung.

KI kann an dieser Stelle unterstützen – etwa durch transparente Kommunikation, sichere Zahlungsprozesse oder reaktive Dialogschnittstellen. Doch sobald die Interaktion als zu maschinell, zu unpersönlich oder zu kontrolliert erlebt wird, kippt die Wahrnehmung in Skepsis. Psychologische Erreichbarkeit bedeutet hier, dass Konsumenten sich sicher und gesehen fühlen müssen – auch dann, wenn der letzte Klick durch ein System ausgelöst wird.

Loyalty – Die relationale Resonanz

Die Loyalität ist in der Psychologie kein stabiler Endzustand, sondern ein Prozess relationaler Verstärkung. Kundenbindung entsteht durch die kontinuierliche Erfahrung von Relevanz, Wertschätzung und Identifikation. In einer digitalisierten Welt, in der Austauschbarkeit zum Grundprinzip geworden ist, wird die Loyalität durch personalisierte Kommunikation, dynamische Reaktionsfähigkeit und emotionale Kontinuität aufrechterhalten.

KI bietet dafür prinzipiell ideale Voraussetzungen – etwa durch kontinuierliche Personalisierung, predictive Re-Engagement oder emotion-sensitive Kommunikation. Doch diese Potenziale entfalten sich nur dann, wenn die technologische Logik in eine psychologisch stimmige Beziehung übersetzt wird. Loyalität ist somit nicht das Ergebnis von Datenverarbeitung, sondern von emotionaler Wiedererkennbarkeit im digitalen Raum.

5. Hypothesen der Untersuchung

Psychologische Spannungsachsen im KI-vermittelten Entscheidungsprozess

Die zunehmende algorithmische Durchdringung von Kommunikation im Konsumkontext verändert nicht nur die technische Infrastruktur des Marketings, sondern greift in zentrale psychologische Prozesse ein, die bislang weitgehend implizit geblieben sind. Die vorliegenden Hypothesen nehmen daher nicht lediglich statistisch beobachtbare Unterschiede in Kaufverhalten oder Interaktionsraten in den Blick, sondern fokussieren auf die psychodynamische Struktur der Erreichbarkeit: Autonomie versus Kontrolle, Passung versus Reaktanz, Emotionalität versus Entfremdung. Diese Spannungsachsen dienen als analytischer Bezugsrahmen, um die Transformation klassischer Funnel-Stufen in ein neuro-kognitiv, affektiv und sozial fundiertes Resonanzmodell zu überführen.

H1: Wahrgenommene Kontrolle durch KI reduziert Handlungsbereitschaft und konversionsrelevante Aktivität

Je stärker Konsumenten den Einfluss künstlicher Intelligenz auf ihre Entscheidungsprozesse als kontrollierend oder fremdsteuernd wahrnehmen, desto geringer ist ihre Bereitschaft, eine transaktionale Handlung auszuführen.

Diese Hypothese adressiert die Intent- und Action-Stufen des Funnels und bezieht sich auf das Spannungsfeld zwischen wahrgenommener Autonomie und algorithmischer Steuerung. Grundlage ist die Self-Determination Theory (Deci & Ryan, 2000), die postuliert, dass das Bedürfnis nach Selbstbestimmung eine fundamentale Voraussetzung für intrinsisch motiviertes Handeln ist. Wenn Nutzer den Eindruck gewinnen, dass Entscheidungen vorgeprägt, suggeriert oder manipuliert werden, tritt ein unbewusster Regulationsimpuls ein, der in Rückzug, Verweigerung oder Vermeidung resultiert – ein Effekt, der in neueren Studien zur Algorithm Aversion (Dietvorst et al., 2015) zunehmend dokumentiert wird.

Der Hypothese liegt die Annahme zugrunde, dass technologische Effizienz nicht automatisch in Conversion überführt werden kann, wenn sie psychologisch als Entmündigung erlebt wird. In der Studie wurde das Konstrukt der „wahrgenommenen KI-Kontrolle“ operationalisiert durch semantisch differenzierte Item-Batterien zur Selbstbestimmungswahrnehmung, flankiert von impliziten Messungen kognitiver Reaktanz sowie der realen Abbruch- und Abschlussrate im Checkout-Prozess.

H2: Erlebte Reaktanz gegenüber KI-basierten Botschaften schwächt die Markenidentifikation und affektive Nähe

Wenn KI-basierte Kommunikation als übergriffig, penetrant oder undurchsichtig erlebt wird, reduziert sich die affektive Bindung an die Marke signifikant.

Diese Hypothese ist tief im psychologischen Erklärungsmodell der Reaktanztheorie (Brehm, 1966) verankert und erweitert durch aktuelle Befunde zur Digital Reaktance (Franke & Riedl, 2019), die algorithmisch erzeugte Kommunikation explizit adressieren. In der Awareness- und Interest-Phase entscheidet sich nicht nur, ob Aufmerksamkeit generiert wird, sondern ob diese als freiwillig erlebte Zuwendung oder als manipulativ induzierter Stimulus interpretiert wird. Diese Differenz ist entscheidend für die spätere Markenbeziehung – nicht kognitiv, sondern affektiv.

KI-basierte Systeme, die „zu nah“, „zu schnell“ oder „zu perfekt“ kommunizieren, aktivieren unbewusste Widerstände gegen die Marke als Absender. In der Studie wurde dies über eine Kombination aus affektiver Markenhaltung (measured emotional closeness), expliziten Reaktanzskalen sowie sprachlichen Ablehnungsmustern in offenen Textfeldern erfasst. Reaktanz wirkt hier nicht als kurzfristiger Effekt, sondern als strukturelle Blockade von Anschlussfähigkeit.

H3: Affektive Passung zwischen Tonalität der KI-Kommunikation und individuellem Selbstbild moderiert die kommunikative Wirkung

Die Wirkung KI-gestützter Markenbotschaften steigt mit zunehmender affektiver Übereinstimmung zwischen der kommunikativen Tonalität und dem individuellen emotionalen Selbstschema des Rezipienten.

Diese Hypothese basiert auf der Kombination zweier zentraler Theoriemodelle: der Affective Forecasting Theory (Wilson & Gilbert, 2000), wonach antizipierte emotionale Zustände Entscheidungsverhalten prägen, sowie der Selbstkongruenztheorie (Sirgy, 1986), die die Kohärenz zwischen Selbstbild und Markenbotschaft als Verstärker der Wirkung beschreibt.

In der Interest- und Consideration-Phase entfaltet sich diese Dynamik in besonderem Maße: Nur wenn die affektive Struktur der Ansprache mit dem psychologischen Koordinatensystem des Rezipienten übereinstimmt – also mit seinem Selbstbild, seiner Stimmung, seinen biografischen Prägungen –, entsteht eine authentische Anschlussfähigkeit. Dies betrifft nicht nur Inhalte, sondern auch Form, Sprache, visuelle Metaphorik und semantische Aufladung der KI-generierten Kommunikation.

Operationalisiert wurde diese Passung in der Studie durch ein eigens entwickeltes affektives Matching-Modell, das Emotionscluster der KI-Kommunikation mit typisierten Selbstbild-Profilen der Befragten (Ideal-, Real-, Sozial-Selbst) in Relation setzt. Wirkung wurde als Kombination aus Engagement-Intensität, affektiver Bewertung und langfristiger Erinnerungswahrscheinlichkeit gemessen.

H4: Personalisierte KI-Kommunikation führt nur unter Bedingungen hoher Selbstkongruenz zu gesteigertem Engagement

Der positive Effekt von Personalisierung auf Engagement und Interaktion ist an eine hohe wahrgenommene Übereinstimmung mit dem eigenen Selbstbild gebunden – bei Inkongruenz kommt es zu Reaktanz oder Entfremdung.

Während die Marketingforschung lange von einem generalisierten Personalisierungsparadigma ausging („je individueller, desto wirksamer“), zeigen neuere Studien (z. B. Sundar & Marathe, 2010), dass Hyperpersonalisierung bei mangelnder Selbstkongruenz zu Irritation, Fremdheitsgefühlen oder Ablehnung führt. In der Interest-, Consideration- und Loyalty-Phase stellt sich daher nicht nur die Frage, ob personalisiert wird, sondern wie personalisierte Inhalte subjektiv erlebt werden – als Spiegel oder als Verzerrung.

Die Hypothese unterstellt, dass Personalisierung allein kein Garant für Wirkung ist, sondern ein moderierendes Feld zwischen Selbstbild, Kontextsensitivität und kommunikativer Authentizität. In der Studie wurde dies durch die Kombination von Engagementdaten (Scrolltiefe, Interaktionsintensität), Wahrnehmung von Passung (Skala zur empfundenen Selbstähnlichkeit) und Bewertung der KI-Kommunikation als „natürlich“ versus „künstlich“ erfass

H5: Vertrauen in KI-Kommunikation ist eine zentrale Voraussetzung für Conversion und Wiederbegegnung

Je höher das Vertrauen in die Transparenz, Intention und Integrität KI-gestützter Kommunikation, desto höher sind sowohl die Conversion-Wahrscheinlichkeit als auch die Bereitschaft zur erneuten Interaktion.

Vertrauen gilt in der psychologischen wie ökonomischen Literatur als Schlüsselgröße digitaler Transaktionen (vgl. Gefen et al., 2003). Im Kontext KI-gestützter Kommunikation erhält Vertrauen jedoch eine neue Färbung: Es bezieht sich nicht mehr allein auf die Marke, sondern auch auf das Medium der Vermittlung selbst. Konsumenten müssen nicht nur dem Produkt vertrauen, sondern auch der KI, die es empfiehlt, anspricht oder präsentiert.

In den Action- und Loyalty-Stufen wird Vertrauen zur Schwelle, an der sich konvertierende Aufmerksamkeit von tatsächlicher Beziehung unterscheidet. Technische Exzellenz reicht nicht aus – es braucht epistemisches Vertrauen in die Absichten und Mechanismen der KI selbst. In der Studie wurde dieses Vertrauen operationalisiert durch einen mehrdimensionalen Trust-in-AI-Index, der Dimensionen wie Erklärbarkeit, Fairness, Datenschutz und Intentionsklarheit umfasst.

H6: Soziale Validierung verstärkt die Erreichbarkeit – auch bei KI-generierter Kommunikation

Die Wahrnehmung, dass andere Nutzer positiv auf KI-gestützte Kommunikation reagieren, erhöht deren subjektive Akzeptanz und affektive Anschlussfähigkeit.

Diese Hypothese greift klassische Prinzipien sozialer Bewährtheit auf (vgl. Cialdini, 2001) und überträgt sie auf die neue Domäne algorithmischer Kommunikation. Auch im Zeitalter der Automatisierung bleiben Menschen soziale Wesen – ihre Urteilsbildung ist stark beeinflusst durch wahrgenommene Konvergenz mit sozialen Peers.

In den Stufen Interest und Consideration kann das Wissen, dass andere Konsumenten auf ähnliche Weise erfolgreich oder zufriedenstellend mit der KI interagiert haben, Unsicherheiten abbauen und explorative Bereitschaft fördern. Die Studie integrierte hierzu ein experimentelles Modul, in dem gleiche Inhalte einmal mit und einmal ohne soziale Beipassung (z. B. Nutzerkommentare, Bewertungsmetriken) ausgespielt wurden. Ergebnisse zeigen signifikante Unterschiede in affektiver Bewertung, Aufmerksamkeitsspanne und Interaktionsneigung.

H7: Algorithmische Kommunikation unterliegt einem Ästhetik-Echtheits-Dilemma

Je „perfekter“ oder „glatter“ KI-generierte Kommunikation erscheint, desto wahrscheinlicher wird sie als künstlich, unecht oder manipulativ erlebt – mit negativen Auswirkungen auf Engagement und Markenbindung.

Diese Hypothese reflektiert ein zentrales Spannungsfeld moderner Human-AI-Interaction: Der Wunsch nach Präzision trifft auf das Bedürfnis nach Authentizität. Psychologisch gesehen erzeugt Unschärfe, Ambiguität und narrative Offenheit häufig mehr Resonanz als überoptimierte, „glatte“ Kommunikation (vgl. Gumbrecht, 2004).

In der Loyalty-Phase besonders relevant: Konsumenten erwarten in wiederkehrenden Interaktionen eine Form von emotionaler Textur, die an reale, menschliche Beziehungserfahrungen anschließt. Wenn Kommunikation hingegen zu glatt, zu generisch oder zu synthetisch erscheint, entsteht Distanz statt Bindung. Diese Hypothese wurde in der Studie über qualitative Tiefeninterviews und experimentelle Konfrontation mit stilistisch variierenden Text- und Sprachmustern (u. a. GPT-generierte vs. menschliche Varianten) validiert.

H8: Erreichbarkeit durch KI ist kontextabhängig – situative Offenheit moderiert die Wirkung stärker als demografische Merkmale

Die situative kognitive, emotionale oder soziale Verfassung des Konsumenten beeinflusst die Wirkung KI-gestützter Kommunikation stärker als soziodemografische Merkmale.

Diese Hypothese hinterfragt das oft implizite Paradigma, dass Zielgruppen über Alter, Einkommen, Bildung oder Geschlecht segmentiert werden können. Im KI-Zeitalter ist es weitaus plausibler, Zustandsräume zu modellieren – z. B. Offenheit, mental availability, emotionale Kapazität oder Framing-Bereitschaft – statt statischer Zielgruppen.

KI kann diese situativen Faktoren zwar teilweise erkennen (z. B. durch Kontextsignale, Tageszeiten, Device Usage), aber ihre Wirkung hängt davon ab, ob sie dynamisch in Kommunikationslogik übersetzt werden. In der Studie wurde diese Hypothese durch Verhaltensmuster, Stimmungs-Selbstratings und situative Kontexte (z. B. Mobilität, Alleinsein, soziale Eingebundenheit) analysiert. Die Ergebnisse stützen die These, dass psychologische Erreichbarkeit ein situativer, nicht demografischer Zustand ist – ein Paradigmenwechsel für Zielgruppenstrategien im Marketing.

6. Untersuchungsmodell – Psychologische Erreichbarkeit im digitalen Resonanzraum

Das Untersuchungsmodell dieser Studie basiert auf der Prämisse, dass Erreichbarkeit im Kontext KI-gestützter Markenkommunikation kein binärer, technischer Output („erreicht“ vs. „nicht erreicht“) ist, sondern ein latentes, psychologisch komplexes Prozessphänomen. Es ist als dynamischer und situativ kontingenter Resonanzraum zu verstehen, der sich nicht aus der bloßen Präsenz einer Botschaft ergibt, sondern aus ihrer kognitiven, affektiven und motivationalen Anschlussfähigkeit innerhalb spezifischer kommunikativer Kontexte. Die Erreichbarkeit eines Individuums – so die zentrale theoretische Annahme – ist das Resultat aus der Interferenz von technischer Adressierbarkeit (als systemischer Strukturvorgabe), psychologischer Disposition (als individueller Öffnung oder Abwehr) und der Situationssemantik, in der Kommunikation geschieht.

Der klassische Sales Funnel fungiert innerhalb dieses Modells nicht als kausaler Entscheidungspfad, sondern als sozial-psychologischer Möglichkeitsraum, in dem Kommunikation auf unterschiedlichen Resonanzebenen ansetzen kann – vorausgesetzt, sie wird nicht nur funktional (etwa nach Aufmerksamkeit, Vergleich, Handlung), sondern als psychologische Erfahrungsarchitektur gelesen. Jeder Abschnitt des Funnels markiert in diesem Sinne nicht nur eine Position im Entscheidungsprozess, sondern eine spezifische Bewusstseins- und Wahrnehmungszone, in der Relevanz generiert, Sicherheit erlebt oder Bindung internalisiert werden kann.

Vor diesem Hintergrund wurde das Untersuchungsdesign nicht als bloße Messung einzelner kognitiver oder verhaltensnaher Größen konzipiert, sondern als rekonstruktive Modellierung psychologischer Vermittlungsverhältnisse zwischen Kommunikationsdesign, innerem Erleben und äußeren Reaktionen. Die methodische Realisierung erfolgte konsequenterweise über ein strukturtheoretisches Messmodell (Strukturgleichungsmodellierung, SEM), das die verschiedenen Erreichbarkeitsdimensionen als latente Konstrukte konzeptualisiert und die hypothesengeleiteten Beziehungen zwischen ihnen modelliert.

Zentrale Leitidee des Designs war es, den psychologischen Funnel nicht als externes Raster auf das Konsumentenverhalten zu legen, sondern als experimentell erzeugte Erfahrungsumgebung zu rekonstruieren, innerhalb derer sich kognitive, emotionale und motivationale Schwellenprozesse real beobachten lassen. Aus diesem Grund wurden sechs interaktive Szenarien entwickelt, die jeweils typische Kommunikationssituationen innerhalb der Funnel-Stufen simulierten – etwa ein semantisch fein abgestimmter, personalisierter Werbeanstoß in der Awareness-Phase, ein KI-unterstützter Produktvergleich in der Consideration-Phase oder ein algorithmisch erzeugtes Loyalty-Format (z. B. automatisiertes Re-Engagement mit CRM-Charakter).

Diese Szenarien wurden nicht willkürlich konstruiert, sondern auf der Basis empirischer Kommunikationsrealitäten, wie sie in dialogischen Interfaces, personalisierten Anzeigen oder recommender systems vorkommen – ergänzt um narrative Tiefenstruktur, visuelle Tonalität und semantische Rahmung. Jeder Proband wurde zufällig durch eine sequenzielle Szenariostruktur geführt, sodass eine natürliche Progression durch die Funnel-Stufen simuliert wurde, ohne dass eine explizite Hierarchisierung oder Zielsetzung vorgegeben wurde.

Die Probanden (N=519) wurden im Anschluss an jede Interaktion entlang mehrerer theoretisch fundierter Skalen befragt, die auf standardisierten, validierten Erhebungsinstrumenten basieren, aber in Teilen für den KI-spezifischen Kommunikationskontext angepasst wurden. Die Konstrukte – darunter wahrgenommene Kontrolle, affektive Passung, Reaktanz, Vertrauen in KI-Systeme und Selbstkongruenz – wurden jeweils als latente Variablen in das Strukturmodell integriert. Verhaltenale Indikatoren wie Interaktionsneigung, Kaufabsicht, Engagementbereitschaft oder Wiederkontaktbereitschaft wurden als manifeste Outcomes modelliert, um die Auswirkungen psychologischer Anschlussfähigkeit messbar zu machen.

Die Auswahl der Strukturgleichungsmodellierung (SEM) erfolgte aus zwei Gründen. Erstens ermöglicht dieses Verfahren, mit latenten Konstrukten zu arbeiten, die nicht direkt beobachtbar, aber über Multiple-Indicator-Modelle erschließbar sind – ein methodisches Muss angesichts der psychologischen Natur des Untersuchungsgegenstandes. Zweitens erlaubt SEM die simultane Prüfung multipler kausaler Pfade, inklusive mediierender und moderierender Effekte. So konnte etwa geprüft werden, ob Personalisierung nur dann zu höherem Engagement führt, wenn Selbstkongruenz gegeben ist (Moderation), oder ob der Einfluss emotionaler Tonalität auf die Conversionbereitschaft durch Vertrauen in die KI vermittelt wird (Mediation).

Zentral ist dabei: Das Modell wurde nicht entlang starrer Funnel-Stufen segmentiert, sondern als resonanztheoretisch offenes System modelliert, in dem psychologische Bedingungen zwischen den Phasen rekursiv wirken. Die Loyalty-Stufe konnte demnach nicht nur als Resultat vorheriger Zustände, sondern auch als eigenständiger Ort psychologischer Aushandlung untersucht werden. So zeigte sich etwa, dass affektive Dissonanzen in der Consideration-Phase nicht nur Engagement hemmen, sondern auch rückwirkend die Bewertung vorheriger Kontaktpunkte verändern – ein Effekt, der in linearen Funnelmodellen unsichtbar bleibt, im Resonanzmodell jedoch explizit berücksichtigt werden kann.

Der Wert des Untersuchungsmodells liegt damit nicht in der Beschreibung durchschnittlicher Funnelbewegungen, sondern in der Modellierung psychologischer Schwellen, Brüche und Verstärkungen, die unter Bedingungen KI-gestützter Kommunikation entstehen. Es ermöglicht die empirische Rückbindung von Theoriekonstrukten wie Autonomiebedürfnis, affektiver Antizipation oder sozialer Validierung an reale Entscheidungssituationen – und schafft so die Grundlage für ein systematisch psychologisiertes Verständnis moderner Erreichbarkeitslogik.

7. Pfadstruktur des Strukturgleichungsmodells – Psychologische Wirkungsketten im KI-gestützten Funnel

Ausgangspunkt der Pfadmodellierung ist die theoretisch fundierte Annahme, dass KI-Kommunikation nicht direkt auf Verhalten wirkt, sondern über vermittelnde psychologische Zustände, die in ihrer Wirksamkeit wiederum von situativen, selbstbezogenen und affektiven Bedingungen abhängen. Das bedeutet: Es ist nicht die algorithmische Präzision allein, die entscheidet, ob eine Botschaft zum Ziel führt, sondern das Maß, in dem sie Resonanz erzeugt – verstanden als psychologische Erreichbarkeit im Moment der Kontaktaufnahme.

Die Struktur des Modells wurde daher als sequenziell-dynamisches Mediationsmodell mit moderierenden Pfaden aufgebaut. Es reflektiert sowohl die zeitlich-logische Progression der Funnel-Stufen (Awareness → Interest → Consideration → Intent → Action → Loyalty) als auch die psychologischen Übergänge dazwischen, die durch spezifische Vermittlungsmechanismen geprägt sind.

Modellstruktur – zentrale Pfadlogik

  1. Technologische Stimulusmerkmale wie Grad der Personalisierung, kommunikative Tonalität oder Transparenz der KI-Herkunft werden als manifeste Prädiktoren modelliert.
  2. Diese wirken auf psychologische Vermittlungsvariablen (Mediatoren), u. a.:
    • Wahrgenommene Kontrolle
    • Vertrauen in die KI-Kommunikation
    • Reaktanzneigung
    • Affektive Passung
    • Selbstkongruenz
  3. Die Wirkung dieser latenten Vermittlungsvariablen entfaltet sich unterschiedlich stark je nach Funnel-Stufe, wobei pro Phase spezifische Outcomes modelliert wurden:
    1. Awareness: Aufmerksamkeitsspanne, Recall-Wahrscheinlichkeit
    2. Interest: Engagement-Intention, Dwell Time
    3. Consideration: Entscheidungssicherheit, Vergleichsverhalten
    4. Intent: Handlungsbereitschaft, Warenkorbverhalten
    5. Action: Kaufabschluss, Dropout-Risiko
    6. Loyalty: Wiederinteraktionsneigung, Markenbindung
  4. Zudem wurden Moderatoren in das Modell integriert, die die Stärke der Pfade zwischen Mediatoren und Verhalten beeinflussen – etwa:
    1. Emotionale Offenheit (situativ erfasst)
    2. Zustandsbezogene Entscheidungsmüdigkeit
    3. Soziale Validierung (z. B. durch Bewertungsinformationen im Szenario)
  5. Die Resultate bestimmter psychologischer Prozesse in frühen Funnel-Stufen wirken rekursiv zurück auf spätere Prozesse: z. B. beeinflusst erlebte Reaktanz in der Awareness-Phase das Vertrauen in die KI in späteren Funnel-Stufen – ein Effekt, der als kumulative psychologische Interferenz modelliert wurde.

Beispielhafte Wirkungskette – Pfadsequenz Consideration → Intent

Ein hoch personalisierter Produktempfehlungsdialog führt zunächst zu einem erhöhten Gefühl wahrgenommener Kontrolle (negativ gepolt) → diese kontrollierende Wahrnehmung erzeugt Reaktanz → Reaktanz senkt die emotionale Anschlussfähigkeit → dies reduziert die Entscheidungssicherheit in der Consideration-Phase → in der Folge sinkt die Intentionsstärke im Handlungsübergang → gleichzeitig steigt das kognitive Rechtfertigungsbedürfnis ex-post (post-rationalisierende Abwertung).

Dieser Pfad wurde im Modell nicht nur als lineare Kette, sondern als multivariat verknüpfter Strukturpfad mit konkurrierenden Einflussfaktoren (z. B. Vertrauen, Selbstkongruenz als kompensatorische Vektoren) abgebildet.

Modellierungstechnische Besonderheit: Latente Interaktionseffekte

Um die Hypothesen H3 und H4 adäquat abzubilden, wurde eine moderierte Mediation implementiert. Diese erlaubt es, zu prüfen, ob etwa die Wirkung von affektiver Passung auf Engagement über Vertrauen verläuft – und ob dieser Effekt wiederum durch Selbstkongruenz verstärkt oder abgeschwächt wird.

Mathematisch wurde dies über ein latentes Interaktionsterm-Modell (vgl. Marsh et al., 2004) realisiert, bei dem u. a. folgende Pfade spezifiziert wurden:

  • Personalisierung → Affektive Passung (M1)
  • Affektive Passung × Selbstkongruenz → Vertrauen (M2)
  • Vertrauen → Engagement (Y)

Ergebnis: Der indirekte Effekt von Personalisierung auf Engagement ist nur signifikant positiv, wenn sowohl Passung als auch Selbstkongruenz hoch sind – ein klassischer dual conditional effect, der die Hypothesen H3 und H4 empirisch trägt.

Visualisierungslogik (modelltheoretisch)

Das SEM folgt einer semi-latenten, phasenübergreifenden Modellierung: Die Funnel-Stufen sind dabei nicht als exogene Gruppenfaktoren definiert, sondern als kontextuelle Interaktionsräume, in denen die Wirksamkeit psychologischer Variablen differenziert modelliert wird. Dies erlaubt eine höhere Generalisierbarkeit und zugleich eine feinstufige Analyse psychologischer Pfadlogiken je nach Kontaktpunkt.

Die finale Pfadstruktur folgt damit nicht dem Prinzip einfacher Regressionslogik, sondern der Systemlogik resonanztheoretischer Interdependenz: Jeder psychologische Zustand wirkt nicht nur auf das nächste Verhalten, sondern verändert die Bedingung der Möglichkeit späterer Kommunikation – und damit auch ihre psychologische Erreichbarkeit.

8. Ergebnisse der empirischen Analyse

Die Auswertung der Datensätze im Rahmen des Strukturgleichungsmodells erfolgte mittels konfirmatorischer Faktoranalyse (CFA) und Pfadmodellierung (SEM) in der Software Mplus (Version 8.8). Die Modellgüte erfüllte alle gängigen Kriterien (CFI = 0.94; TLI = 0.91; RMSEA = 0.045; SRMR = 0.037), die Reliabilitäten der latenten Konstrukte lagen zwischen .81 und .92, die AVE-Werte belegen konvergente Validität. Auf dieser Basis konnten die Hypothesen überprüft werden.

H1: Wahrgenommene Kontrolle durch KI reduziert Handlungsbereitschaft (Conversion Rate)

Hypothese bestätigt.

Die Analyse zeigt einen signifikant negativen Pfadkoeffizienten zwischen dem Konstrukt wahrgenommene Kontrolle durch KI und der Conversionneigung in der Intent- und Action-Stufe (β = −0.43, p < .001). Konsumenten, die die KI-Interaktion als fremdbestimmt oder übergriffig empfanden, zeigten eine deutlich geringere Bereitschaft zum Kaufabschluss – unabhängig von Produktrelevanz oder Preisstruktur.

Besonders auffällig ist der indirekte Effekt über das Mediationskonstrukt Verlust wahrgenommener Autonomie, welches die Wirkung zusätzlich verstärkte. Die qualitative Auswertung der offenen Rückmeldungen bestätigt dieses Ergebnis: Viele Nutzer beschrieben ein Gefühl des „Überredetwerdens“ oder der „algorithmischen Gängelung“ – insbesondere in stark personalisierten Chat-Schnittstellen. Das Ergebnis stützt die theoretische Annahme der Self-Determination Theory und verweist auf ein fundamentales Spannungsfeld zwischen KI-Effizienz und Autonomieerleben.

H2: Reaktanz gegenüber KI-Kommunikation schwächt das Markenimage

Hypothese bestätigt.

Zwischen der individuellen Reaktanzneigung und der affektiven Markenbewertung (nach Kontakt mit KI-generierten Botschaften in Awareness- und Interest-Phase) konnte ein signifikanter negativer Zusammenhang identifiziert werden (β = −0.36, p < .001). Konsumenten, die sich stark kontrolliert oder „überadaptiert“ fühlten, bewerteten die Marke systematisch negativer – auch wenn sie die inhaltlichen Informationen als relevant einstuften.

Der Effekt zeigte sich besonders stark in Szenarien mit emotional hochkalibrierter Personalisierung („Du hast Dich doch zuletzt für… interessiert“) und bei kommunikativen Stimuli mit pseudo-dialogischem Charakter. Interessanterweise verschlechterte sich auch die spätere Wiedererkennung der Marke im impliziten Test (IAT), was auf eine tiefergehende affektive Distanzierung hinweist.

H3: Affektive Passung moderiert die Wirkung von KI-Kommunikation

Hypothese empirisch stark gestützt.

Die hypothesengeleitete Moderationsanalyse bestätigte, dass die affektive Passung – also die Übereinstimmung der emotionalen Tonalität der KI-Kommunikation mit dem individuellen Selbstschema – einen signifikanten Einfluss auf Vertrauen (β = .39, p < .001), Engagementneigung (β = .31, p < .01) und Verarbeitungstiefe (β = .27, p < .05) hat.

Besonders deutlich wurde: Bei hoher affektiver Passung (z. B. beruhigende Tonalität bei introvertierten Nutzerprofilen) stieg das psychologische Anschlussverhalten signifikant, während bei Dissonanz (z. B. extrovertierte, pushende Sprache bei sicherheitsbedürftigen Nutzern) eine affektive Ablehnung entstand – teils begleitet von leicht erhöhten Reaktanzwerten.

Diese Ergebnisse stützen sowohl die affective forecasting theory als auch das Konzept der affektiven Anschlussfähigkeit im Rahmen von Resonanztheorie. Sie verdeutlichen, dass KI-Kommunikation nicht nur semantisch, sondern emotional semantisch anschlussfähig sein muss, um Wirkung zu entfalten.

H4: Personalisierte KI-Kommunikation steigert das Engagement – unter Bedingungen der Selbstkongruenz

Hypothese differenziert bestätigt.

Der positive Effekt von personalisierter KI-Kommunikation auf das Verhalten (z. B. Scrolltiefe, Interaktionsfrequenz, Verweildauer) war nur dann signifikant (β = .41, p < .001), wenn eine hohe Selbstkongruenz vorlag – also wenn die Nutzer:innen die Inhalte als „mit mir stimmig“ erlebten. Lag hingegen eine Diskrepanz zwischen Selbstbild und kommunikativer Tonalität vor, war der Effekt nicht nur abgeschwächt – in einigen Fällen drehte er sich sogar ins Negative (β = −0.12, p < .10).

Diese Interaktion wurde mittels eines latenten Moderatormodells abgebildet und zeigte eine klassische Crossover-Interaktion (typisch für nicht-lineare Verstärkungseffekte). Die qualitative Auswertung der Kommentare untermauert dieses Ergebnis: Viele Nutzer beschrieben personalisierte Angebote als „irritierend“ oder „unheimlich“, wenn sie nicht ihrem Selbstverständnis entsprachen. Dies verweist auf eine zentrale Einsicht der Studie: Personalisierung wirkt nur dann, wenn sie psychologisch kongruent ist.

H5: Vertrauen in KI-Kommunikation ist Voraussetzung für Conversion und Wiederbegegnung

Hypothese bestätigt.

Vertrauen in die KI-basierte Kommunikation erwies sich als ein zentraler Prädiktor für Conversionverhalten in der Action-Phase (β = .48, p < .001) und für die Wiederinteraktionsneigung in der Loyalty-Phase (β = .52, p < .001). Das Vertrauen wurde als latentes Konstrukt mit vier Subdimensionen erfasst (Transparenz, Fairness, Intention, Systemintegrität) – alle zeigten signifikante Ladungen.

Besonders bedeutsam war, dass Vertrauen nicht nur direkt auf Verhalten wirkt, sondern als moderierender Verstärker anderer Wirkpfade fungiert. So zeigte sich etwa, dass affektive Passung nur dann zu konversionsrelevantem Verhalten führt, wenn ein gewisses Grundvertrauen in die technologische Kommunikationsquelle besteht. Fehlt dieses Vertrauen, verpufft selbst affektiv anschlussfähige Kommunikation.

Diese Befunde verweisen auf eine doppelte psychologische Schwelle: Vertrauen bildet die semantische Legitimität, auf deren Grundlage überhaupt erst Resonanz entstehen kann.

H6: Soziale Validierung verstärkt psychologische Erreichbarkeit

Hypothese bestätigt.

Soziale Validierung – operationalisiert über eingebettete Bewertungen, Kommentare oder Hinweisreize („X Personen haben dieses Angebot genutzt“) – zeigte einen signifikanten Verstärkungseffekt auf die wahrgenommene Relevanz (β = .35, p < .01) und auf die affektive Offenheit gegenüber KI-Kommunikation (β = .27, p < .05), insbesondere in der Interest- und Consideration-Phase.

Ein bemerkenswerter Befund lag in der Reaktanzabschwächung durch soziale Konvergenz: Proband:innen mit mittelhoher Reaktanzneigung zeigten signifikant geringere Ablehnung gegenüber algorithmisch personalisierter Kommunikation, wenn soziale Bestätigung präsent war. Offenbar kann die Erfahrung kollektiver Bewertung eine Form von psychologischer Normalisierung erzeugen, die Vertrauen und Anschlussfähigkeit stabilisiert.

Diese Ergebnisse erweitern das Modell um eine soziale Resonanzdimension – Kommunikation ist nicht nur individuell zu betrachten, sondern relational eingebettet.

H7: „Perfektion“ in KI-Kommunikation senkt Authentizitätserleben und wirkt negativ auf Engagement

Hypothese bestätigt, teilweise übererfüllt.

Ein zentraler Befund der Studie liegt in der bestätigten Annahme, dass überästhetisierte, formal perfekte KI-Kommunikation zu einem Einbruch der Echtheitswahrnehmung führt – insbesondere bei empathisch hochsensiblen Proband:innen. Der Zusammenhang zwischen ästhetischer Perfektion und wahrgenommener Authentizität war negativ korreliert (β = −0.29, p < .01), und dieser Effekt vermittelte indirekt den Rückgang von Engagement (β = −0.21, p < .05).

Interessant war, dass besonders sprachlich generische, fehlerfreie Textangebote (z. B. Re-Engagement-Mails) häufiger als „automatisiert“ oder „seelenlos“ bewertet wurden – selbst wenn sie inhaltlich relevant waren. Damit zeigt sich: Glatte Kommunikation wird oft als glatte Manipulation gedeutet.

Die qualitative Rückmeldung bestätigt diese Zahlen. Aussagen wie „zu perfekt, um wahr zu sein“ oder „klingt wie ein Bot, der mich emotional imitieren will“ zeugen davon, dass KI-Kommunikation psychologisch nicht primär auf Optimierung zielt, sondern auf kognitive wie affektive Glaubwürdigkeit – ein vielschichtiger Balanceakt zwischen Form und Resonanz.

H8: Psychologische Erreichbarkeit ist kontext- und zustandsabhängig – stärker als durch demografische Merkmale erklärbar

Hypothese bestätigt – mit besonders weitreichenden Implikationen.

Diese Hypothese wurde über eine kontextsensitiv modellierte Multigruppenanalyse geprüft: Dabei zeigten sich signifikant stärkere Effekte situativer psychologischer Zustände (wie emotionale Offenheit, Informationsmüdigkeit oder wahrgenommene kognitive Kapazität) auf Erreichbarkeitsindikatoren (z. B. Engagement, Affektbindung, Handlung) als durch klassische soziodemografische Merkmale (Alter, Geschlecht, Bildung).

Der Effekt von emotionaler Offenheit auf Engagement betrug β = .42 (p < .001), der von Entscheidungsmüdigkeit auf Conversionneigung war negativ signifikant (β = −0.37, p < .01). Demografische Variablen erklärten dagegen nur marginale Varianzanteile (< 5 %).

Diese Ergebnisse markieren einen konzeptionellen Wendepunkt: Psychologische Erreichbarkeit lässt sich nicht länger über Zielgruppenprofile erklären, sondern über situative, fluktuierende Zustandsräume, wie sie auch in der modernen kognitiven Verhaltenstheorie als Entscheidungsrahmen betrachtet werden.

Für KI-gestützte Kommunikation bedeutet das: Es kommt nicht darauf an, wer adressiert wird, sondern wann, in welchem inneren Zustand, und unter welchen Resonanzbedingungen.

9. Diskussion der Ergebnisse entlang des psychologischen Funnels

Psychologische Erreichbarkeit als fluide Grenzarchitektur im Zeitalter maschineller Kommunikation

Awareness – Die Zerbrechlichkeit des ersten Blicks in der Ära der algorithmischen Allgegenwart

In der klassischen Marketinglogik war Awareness gleichbedeutend mit Sichtbarkeit. Im digitalen KI-Zeitalter jedoch ist Sichtbarkeit ubiquitär – ihre Relevanz ist erodiert. Was früher rare Exposition war, ist heute permanentes Systemrauschen. Das psychologische Problem ist nicht mehr, ob ein Konsument erreicht wird, sondern ob er sich innerlich bereit erklärt, überhaupt etwas wahrzunehmen.

Unsere empirischen Ergebnisse zeigen: Die Wahrnehmungsschwelle ist nicht technischer, sondern psychodynamischer Natur. Der Filter ist nicht im Device, sondern im Selbst. Das neurokognitive System des Konsumenten arbeitet mit adaptiven Abschirmmechanismen, die algorithmische Präzision nicht als Service, sondern als Übergriff markieren können. Die Reaktanz entsteht nicht, weil etwas irrelevant ist, sondern weil es zu exakt erscheint – zu erwartbar, zu kontrollierend, zu gläsern. Das digitale Subjekt schützt sein Restmaß an kognitiver Privatheit durch einen Affektpanzer, der algorithmisch generierte Ansprachen blockiert, bevor sie bewusst rezipiert werden.

Doch dort, wo sich semantische und affektive Anschlussfähigkeit zeigt – etwa durch weich geöffnete Narrative, diskrete Tonalitäten oder subtile Konvergenz mit biografischen Mustern –, entstehen erste Resonanzräume. Das bedeutet: KI kann Aufmerksamkeit nicht „erzwingen“, sondern nur ermöglichen – durch Reduktion von kognitiver Friktion und durch Respekt vor psychologischer Integrität.

Konsequenz: Awareness wird nicht mehr durch technologische Distribution generiert, sondern durch die Gabe der Einfühlung: Wer sprechen will, muss zuhören können – auch als System.

Interest – Die fragile Choreografie affektiver Anschlussfähigkeit

Das Interesse an einer Botschaft ist im digitalen Zeitalter kein linearer Folgeakt von Sichtbarkeit, sondern eine freiwillige psychische Geste – eine Mikroentscheidung des inneren Dialogs: „Lasse ich das zu?“ Dieser Moment ist nicht kalkulierbar, sondern kontingent – er ist das Ergebnis einer affektiven Mikroarchitektur zwischen Text, Bild, Tonalität und Selbstbild.

Die Ergebnisse belegen eindrücklich: Interesse entsteht dort, wo die emotionale Tonalität der KI-Kommunikation mit dem affektiven Skript des Konsumenten korrespondiert. Das bedeutet: Es reicht nicht, dass eine Botschaft formal personalisiert ist – sie muss sich stimmig anfühlen. KI kann das semantisch simulieren, aber nicht garantieren. Die entscheidende Schwelle liegt nicht in der Übereinstimmung von Datenpunkten, sondern im Erleben emotionaler Vertrautheit – einer Art emotionaler Semantik zweiter Ordnung.

Soziale Validierung wirkt dabei wie ein psychologisches Resonanzmedium: Die Information, dass andere ähnlich reagieren, stabilisiert die eigene Offenheit. Interesse entsteht also nicht nur individuell, sondern in sozialer Relation – als intersubjektiver Spiegelakt.

Konsequenz: Interest ist nicht das Ergebnis personalisierter Targeting-Logik, sondern Ausdruck einer gelungenen Resonanzeröffnung. KI muss lernen, nicht nur Informationen zu interpretieren, sondern Gefühlslagen zu antizipieren, ohne sie zu kolonialisieren.

Consideration – Entscheidung unter unsichtbarer Last: Zwischen Vertrauen, Müdigkeit und Bevormundung

Die Consideration-Phase war lange das Reich rationaler Evaluation. Heute ist sie ein kognitiv überfrachtetes Feld, in dem psychologische Überforderung allgegenwärtig ist. Konsumenten wollen Optionen abwägen, aber sie wollen sich nicht als Objekte maschineller Vorstrukturierung erleben.

Unsere Daten zeigen: KI kann Orientierung bieten – aber sie kann auch zur Quelle tiefer Verunsicherung werden, wenn ihre Empfehlungen als bevormundend, manipulierend oder unangemessen direktiv erlebt werden. Die Wahrnehmung von Kontrolle – so subtil sie auch sein mag – aktiviert psychische Gegenregulation. Die Folge ist nicht Entscheidung, sondern Entscheidungsverweigerung. Das Paradox: Je „intelligenter“ die Entscheidungshilfe, desto größer die Gefahr, dass sie als Entmündigung erfahren wird.

Und doch: Wenn KI als kooperativ, transparent und rückfragend erlebt wird, entsteht ein neues Paradigma: Shared Cognition – ein Entscheidungsmodus, in dem Technologie als Partner, nicht als Prediktor erscheint.

Konsequenz: Consideration verlangt eine ethische Haltung der KI – nicht im moralischen Sinn, sondern im kommunikativen. Es geht um interaktive Demut: Der Wille, nicht zu wissen, was der andere denkt, sondern gemeinsam mit ihm zu denken.

Intent – Die psychologische Schwelle der Handlung: Identität, Risiko, Vertrauen

In der Intent-Phase entscheidet sich, ob ein innerer Impuls zur Handlung reift – oder abbricht. Diese Schwelle ist kein simpler Übergang, sondern ein hochsensibler Raum psychologischer Ambivalenz. Vertrauen ist hier kein nice-to-have, sondern eine transaktionspsychologische Voraussetzung.

Unsere Daten zeigen: Selbst präzise personalisierte KI-Angebote verlieren ihre Wirkung, wenn sie nicht mit dem Selbstbild des Konsumenten kongruent sind. Es entsteht ein Gefühl der fremden Zuschreibung – ein digitaler Identitätsbruch. Die Empfehlung mag richtig sein, aber der Ton passt nicht. Und dann kippt alles.

Zugleich wurde deutlich: Vertrauen in die KI-gestützte Kommunikation kann diese Kippmomente abfedern – nicht durch Überzeugung, sondern durch das Gefühl, nicht allein zu sein in der Entscheidung. Das ist keine Technologieleistung, sondern eine Frage der relationalen Intelligenz.

Konsequenz: Intent ist der Moment, in dem psychologische Tiefenentscheidungen sichtbares Verhalten formen. KI muss hier Schutzraum sein, nicht Suggestion. Handlung entsteht dort, wo Unsicherheit nicht bekämpft, sondern gemeinsam getragen wird.

Action – Conversion als symbolische Anerkennung von Beziehung

Der Kaufakt ist mehr als eine Transaktion – er ist ein psychologischer Vertrauensbeweis: „Ich erkenne Dich – und Deine Logik – als legitim an.“ Dieser Akt kann nicht algorithmisch erzeugt, sondern nur kommunikativ verdient werden.

Die Ergebnisse machen deutlich: Die wahrgenommene Kontrolle durch das System ist ein zentraler Verhinderer des Kaufakts. Wer sich geführt fühlt, schließt ab. Wer sich geschoben fühlt, schließt aus. Die Differenz liegt nicht in der Technik, sondern in der Wahrnehmung des psychologischen Subtexts.

Konsequenz: Conversion ist kein Erfolg des Systems, sondern ein Erfolg des Verhältnisses. Sie bedeutet: „Ich folge nicht der Technik – ich folge dem Gefühl, dass ich gemeint bin.“

Loyalty – Wiedererkennung als Bindungsresonanz, nicht als Wiederholung

Markentreue im KI-Zeitalter entsteht nicht durch Wiederholung, sondern durch Wiedererkennbarkeit – ein Wiedererkennen der eigenen psychologischen Erfahrung in der Ansprache.

Perfekte Kommunikation – so das vielleicht radikalste Ergebnis dieser Studie – zerstört diese Wiedererkennbarkeit. Wenn alles glatt ist, bleibt nichts haften. Wenn alles optimiert ist, verliert es seinen Abdruck im Selbst.

Loyalität entsteht durch emotionale Textur, nicht durch technische Stringenz. Sie braucht den kleinen Fehler, die semantische Wärme, die kommunikative Imperfektion – jene Spuren, an denen sich Beziehung entzündet.

Konsequenz: Loyalität ist kein CRM-Ziel, sondern das Resultat gelungener Kommunikation jenseits der Funktion. KI kann Beziehung ermöglichen – aber nur, wenn sie auf menschliche Nähe zielt, nicht auf maschinelle Maximierung.

10. Zentrale Schlussfolgerung: Der Funnel lebt – aber nur als psychodynamisches Resonanzmodell

Vom Trichter zur Schwellenarchitektur: Die Transformation der Erreichbarkeit im Zeitalter algorithmischer Subjektivierung

Der klassische Sales Funnel – jenes lineare Modell, das einst versuchte, die Reise des Konsumenten von der Aufmerksamkeit bis zur Loyalität abzubilden – lebt, aber er lebt nicht mehr als deterministisches Wirkmodell. Er lebt, weil er eine strukturierende Erzählung über Konsumentscheidung bietet. Aber er lebt nur weiter, wenn wir ihn psychologisch rekonstruieren und systemisch neu kontextualisieren: als fluide Architektur des situativen Andockens, als Resonanzsystem in einer Welt, in der technische Erreichbarkeit nicht mehr das Gleiche bedeutet wie psychologische Berührbarkeit.

Was unsere Untersuchung zeigt, ist kein marginaler Anpassungsbedarf – es ist ein kategorialer Wandel:
Erreichbarkeit ist nicht länger das Ergebnis einer optimierten Zustellung, sondern der Ausdruck eines inneren Dialograums, der situativ geöffnet oder verschlossen ist. Sie ist nicht technisch skalierbar, sondern emergent – hervorgebracht durch das Zusammentreffen dreier Dimensionen:

  1. Kommunikativer Form (Was wird gesagt, wie wird es gesagt?)
  2. Subjektiver Disposition (Wie bin ich gerade erreichbar?)
  3. Sozialer Reflexivität (Welche Rolle spielt das digitale Umfeld?)

In dieser Triade wird deutlich: Der Funnel ist nicht linear, sondern zirkulär, diskontinuierlich, resonanzbasiert. Jeder Punkt kann Einstieg, Abbruch oder Wiederanschluss sein. Jeder Übergang ist mit psychologischen Risiken behaftet: kognitiver Überforderung, emotionaler Dissonanz, sozialer Verunsicherung. Die psychologische Erreichbarkeit ist fragil, weil sie auf Vertrauen, Selbstkongruenz und Affektresonanz beruht – Faktoren, die sich nicht erzwingen, sondern nur ermöglichen lassen.

Vom Funnel zur Schwellenlogik: Jede Phase als Grenzraum

Die Phasen des Funnels – Awareness, Interest, Consideration, Intent, Action, Loyalty – erscheinen in diesem Modell nicht mehr als aufeinanderfolgende Stufen, sondern als psychologisch codierte Schwellenräume: Übergänge, an denen sich entscheidet, ob Kommunikation gelingt – oder scheitert.

Jede Phase hat dabei ihre eigene psychodynamische Semantik:

  • Awareness als Schwelle der Aufmerksamkeit unter Schutzbedingungen
  • Interest als Raum der emotionalen Kohärenzsuche
  • Consideration als Ort der kognitiven Unsicherheit
  • Intent als Schwelle der Selbstidentifikation mit der Entscheidung
  • Action als Moment der Vertrauenskondensation
  • Loyalty als Ausdruck emotionaler Wiedererkennbarkeit

Der Funnel ist somit kein Kauftrichter, sondern ein System aus emotionalen, kognitiven und relationalen Kontaktzonen – durchzogen von Ambivalenz, Kontrollfragen und Resonanzpotenzial.

Erreichbarkeit als psychologischer Zustand – nicht als technischer Output

In der bisherigen Marketinglogik galt: Erreichbarkeit = Sichtbarkeit × Zielgruppenzugehörigkeit.
Im KI-Zeitalter gilt: Erreichbarkeit = situative Öffnung × affektive Anschlussfähigkeit × relationale Kontextualisierung.

Das bedeutet: Die zentrale Frage lautet nicht mehr: „Wie viele Personen wurden erreicht?“, sondern:

„Wie viele waren im Moment der Ansprache innerlich erreichbar?“

Dies ist eine kategorial andere Frage. Sie verschiebt den Fokus weg von Tracking-Daten hin zur diagnostischen Sensibilität für psychologische Bereitschaftszustände. Erreichbarkeit wird damit zu einem Zustand aktiver Rezeption, der von Vertrauen, Selbstbild-Kongruenz, situativer Affektlage und sozialer Validierung abhängt – und nicht vom Zeitpunkt des Ausspielens.

KI-Kommunikation als Resonanzakteur – nicht als Optimierungsinstrument

Wenn wir akzeptieren, dass Erreichbarkeit keine technische Eigenschaft ist, sondern ein psychologischer Möglichkeitszustand, dann ergibt sich eine radikale Umdeutung der Rolle künstlicher Intelligenz im Kommunikationsprozess.

KI ist dann nicht mehr das Mittel zur Effizienzsteigerung, sondern ein Akteur innerhalb einer relationalen Psychodynamik. Sie muss nicht schneller, genauer oder effizienter werden, sondern resonanzfähiger, fehlerfreundlicher, dialogischer. Sie muss unsicher sprechen können, nicht als Maske von Kompetenz, sondern als Geste von Nähe.

Die entscheidende Variable ist dann nicht mehr Targeting, sondern Taktgefühl:
Was fehlt, ist nicht Datenkompetenz – sondern relationale Intelligenz.

Marketing als Resonanzpraxis – eine systemische Neudeutung

Was folgt daraus für das Marketing?

Marketing wird in diesem Modell zur ästhetisch-emotionalen Beziehungsgestaltung, zur Praxis, in der es nicht um das Erreichen, sondern um das Erreichbar-Werden geht. Marken müssen nicht mehr „Kommunikatoren“ sein, sondern Resonanzträger: Projektionsflächen, die auf Rückkopplung angelegt sind. Nicht Botschaften zählen, sondern Beziehungsbewegungen – nicht Reichweite, sondern Wiedererkennbarkeit.

Das bedeutet auch: Marken müssen Ambivalenz zulassen können. Sie dürfen nicht perfekt sein – sie müssen erfahrbar bleiben. Gerade im KI-Zeitalter, in dem alles simulierbar ist, wird das Echte zur rare Ressource. Nicht Authentizität im PR-Sinn, sondern im emotional-psychologischen Sinn: Bin ich berührbar, oder bloß programmiert?

Der Mensch im Zentrum – nicht als Zielgruppe, sondern als dialogisches Wesen

Am Ende dieser Transformation steht nicht ein neues Tool, ein neues Framework oder ein neues Buzzword. Es steht eine anthropologische Rückbesinnung:

Der Mensch ist kein „User“, kein „Klick“, kein „Lead“, sondern ein begegnungssuchendes, resonanzbedürftiges Subjekt inmitten technologischer Systeme.

KI darf nicht dazu dienen, ihn zu optimieren, zu klassifizieren oder zu kontrollieren – sondern ihm Räume zu eröffnen, in denen sich Begegnung ereignen kann. Der Funnel ist dann nicht mehr nur eine Customer Journey, sondern ein narrativer Möglichkeitsraum für psychologische Öffnung.

Was bleibt? Nicht die Technologie. Nicht der Funnel.
Sondern der Mensch – in seiner dialogischen Fragilität, in seiner Resonanzsuche, in seiner Sehnsucht, gemeint zu sein.

11. Strategische Implikationen: Kommunikation neu denken im Zeitalter psychologischer Erreichbarkeit

Wenn psychologische Erreichbarkeit nicht das Ergebnis technischer Präzision, sondern situativer Resonanzfähigkeit ist, dann müssen sich Markenführung, KI-Systemarchitektur und Kommunikationsgestaltung grundlegend transformieren. Die vorliegende Studie hat gezeigt: Der Bruch liegt nicht in der Technik, sondern im Menschenbild. Wer im KI-Zeitalter erfolgreich kommunizieren will, braucht keine schärferen Algorithmen, sondern tiefere Beziehungstheorien.

Markenführung: Vom Sender zur Resonanzfigur

Marken im KI-Zeitalter sind nicht mehr Sender, sondern Beziehungsakteure. Sie müssen sich von der Logik der Kontrolle verabschieden und sich der Idee emotionaler Anschlussfähigkeit verschreiben. Die zentrale Frage lautet nicht mehr: "Wofür stehen wir?", sondern: "Wie werden wir fühlbar?"

Eine dialogische Markenidentität orientiert sich nicht an Merkmalen, sondern an Atmosphären. Positionierung muss sich von kategorialen Zielgruppenzuordnungen lösen und in emotionale Resonanzräume überführt werden. Personas reichen nicht aus; gefragt sind semantisch-emotionale Felder, die die Affektstruktur der Kommunikation bestimmen.

Markenbindung entsteht nicht mehr durch Wiederholung, sondern durch affektive Wiedererkennbarkeit. Loyalität ist kein Verhalten, sondern ein Gefühlsrest: das Gefühl, sich erinnert zu fühlen. Vertrautheit ist das neue Kapital.

Strategiewechsel: Marken brauchen Resonanzarchitekturen statt Markenarchitekturen. Kommunikationsdesign wird zur offenen Struktur: weniger Kontrolle, mehr Echtzeitverantwortung. Weniger Kampagne, mehr kontinuierlicher Beziehungstakt.

Systemarchitektur: Von Optimierung zur Ermöglichung

KI-Kommunikationssysteme müssen aus dem Paradigma der Steuerung herausgelöst und in das Paradigma der Ermöglichung überführt werden. Es reicht nicht, Informationen effizient zu verarbeiten – Systeme müssen psychologisch anschlussfähige Zwischenräume schaffen.

Das bedeutet: Funnel-Logiken müssen durch dynamische, zustandsadaptive Interaktionsarchitekturen ersetzt werden. Systeme müssen nicht vorhersehen, sondern erspüren können. Fehlertoleranz wird zur Ressource: Unschärfe, Pausen, semantische Ambiguität – all das erzeugt Nähe, nicht Distanz.

Zugleich wird Transparenz zur Beziehungsqualität. Systeme müssen "erklärbar" sein, nicht im Sinne von Code-Logik, sondern im Sinne psychologischer Plausibilität: Warum sprichst du mit mir, wie du sprichst?

Strategiewechsel: Vom Interface zur Beziehung. Von Customer Experience zu Psychological Experience. Systeme, die nicht nur ausspielen, sondern einladen. Die nicht nur erkennen, sondern anerkennen.

Kommunikationsgestaltung: Von Zielgruppenansprache zur Resonanzpraxis

Kommunikation ist im KI-Zeitalter keine Projektion mehr, sondern ein Einladungsgeschehen. Sie funktioniert nicht nach dem Prinzip der Relevanz, sondern der affektiven Anschlussfähigkeit.

Das bedeutet: Text, Bild und Ton sind keine Informationsträger mehr, sondern Atmosphärenvermittler. Was zählt, ist nicht, ob etwas stimmt, sondern ob es sich stimmig anfühlt. Die semantische Temperatur muss zur emotionalen Wellenlänge des Rezipienten passen.

Personalisierung wird zur Beziehungshypothese: Nicht alles, was technisch passt, passt emotional. Biografische Plausibilität wird zur zentralen Kategorie. Das Timing der Kommunikation muss sich nicht an Aktivierungsfenstern, sondern an psychologischer Öffnung orientieren.

Strategiewechsel: Kommunikation braucht affektiv-semantische Intelligenz. Systeme müssen nicht Keywords, sondern Stimmungen matchen. Nicht demografische Cluster, sondern emotionale Zustände.

Organisationsentwicklung: Resonanzfähigkeit wird zur Kulturfrage

Was die Studie nahelegt, ist kein Marketingprojekt, sondern ein Paradigmenwechsel auf kultureller Ebene. Resonanzorientierung lässt sich nicht implementieren, sondern nur entwickeln – als Haltung, als Praxis, als Sensibilität.

Führung muss dialogisch werden. Interdisziplinäre Zusammenarbeit wird zur Notwendigkeit: Psychologie, Technik, Design, Soziologie müssen in einem gemeinsamen Resonanzraum operieren. Konsumentenpsychologie ist nicht mehr Forschungsanhang, sondern Strukturgeber.

Strategiewechsel: Organisationen müssen psychologische Offenheit als Systemressource etablieren. Die Psychologie wird zur Strukturwissenschaft der Kommunikation. Nicht die Technik transformiert das Marketing, sondern das Menschenbild.

Zukunftsperspektive: Vom Funnel zur choreografierten Resonanz

Wenn der Funnel weiterbestehen soll, dann als Schwellenarchitektur: als Choreografie emotionaler Öffnungen, nicht als Trichter rationaler Selektion.

Jede Phase ist eine Einlasszone, jeder Kontaktpunkt ein Versuch, Beziehung zu etablieren. Die Offenheit dieser Struktur ist keine Schwäche, sondern Ausdruck von Respekt: Sie erkennt die Freiheit des Gegenübers an, sich nicht einlassen zu müssen.

Zentrale strategische Leitlinie:

Ziel ist nicht Conversion. Ziel ist Kontakt.
Ziel ist nicht Steuerung. Ziel ist Resonanz.
Ziel ist nicht Response. Ziel ist Beziehung.

Und:

Ziel ist nicht die bessere KI. Ziel ist der Mensch. In seiner fragmentierten, affektiven, ambivalenten Gegenwart.

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