Die Show läuft weiter. Aber niemand sieht mehr hin. Niemand fühlt mehr mit. Niemand bleibt, wenn der Vorhang fällt. Wir erleben gegenwärtig nicht einfach einen Wandel des Medienkonsums, sondern den kulturellen und psychodynamischen Kollaps eines kollektiven Grundprinzips: das Publikum als affektiver Resonanzraum verschwindet. Kinos, Theater, Shows, Casinos, Stadien und kollektive Medienformate waren über ein Jahrhundert hinweg die rituellen Orte, an denen Menschen sich emotional synchronisierten, sich selbst spürten – durch die Reaktion der anderen. Diese Orte funktionierten nicht nur als Angebote zur Unterhaltung, sondern als Identitätsanker, als affektiv-symbolische Ko-Regulationssysteme in einer unsicheren Welt. In einem vollen Kinosaal war der eigene Schockmoment Teil einer kollektiven Erschütterung. Im Applaus bei einer Live-Show spiegelte sich das eigene Gefühl im Klang des Wir. In der Stille nach einem dramatischen Theatermoment entstand eine synchronisierte psychische Verdichtung, die das Einzel-Ich überstieg. Dieses Prinzip – gleichzeitig dasselbe fühlen mit anderen Fremden im selben Raum – ist die emotionale Infrastruktur, auf der die Entertainment-Kultur basierte. Heute wird dieses Prinzip durch die algorithmisch gesteuerte Hyperpersonalisierung systematisch zerstört. Was als Fortschritt verkauft wird – mehr Relevanz, mehr Individualisierung, mehr Auswahl – ist in Wirklichkeit der psychologische Rückzug in isolierte Erlebnisräume, in denen der Mensch nur noch das sieht, was zu ihm passt, aber nicht das, was ihn herausfordert, übersteigt oder kollektiv verankert. In der Logik des personalisierten Feeds verschwindet das Andere, das Gemeinsame, das Widerständige. Jeder bekommt den passenden Reiz – zur passenden Zeit, in der passenden Länge, mit der passenden Dramaturgie – aber ohne Publikum, ohne sozialen Kontext, ohne affektive Spiegelung. Die Folge ist eine Erlebnisform, die emotional hochpassend, aber psychisch leer bleibt. Was stirbt, ist nicht das Produkt – sondern die Bühne, auf der Bedeutung entsteht. Die Entertainment-Industrie stirbt dort, wo sie digitalisiert wurde. Hollywood verliert seine narrative Funktion, weil niemand mehr zur selben Zeit dieselbe Geschichte sieht. Las Vegas verliert seine Aura, weil das kollektive Rauscherlebnis in digitalen Ablenkungszyklen verpufft. Fernsehevents erreichen keine Synchronisation mehr, weil ihre Zuschauer in parallelen Erlebnismodi leben. Es stirbt nicht die Show – es stirbt die Resonanz. Und mit ihr das psychische Prinzip, das das „Erleben“ vom bloßen „Konsumieren“ unterscheidet. Hyperpersonalisierung ist kein neutraler Service, sondern ein psychodynamischer Strukturwandel. Der Mensch wird emotional bespielt, aber nicht mehr affektiv gespiegelt. Er wird erkannt, aber nicht mehr verankert. Der Algorithmus lernt, wie ich ticke – aber er lehrt mich nichts über mich. Er gibt mir recht – aber er konfrontiert mich nicht mit dem Blick des Anderen. Der personalisierte Feed wird zum affektiven Spiegelkabinett, in dem das Ich immer wieder sich selbst begegnet – aber niemals einem gemeinsamen Sinn. Der Einzelne wird zum Konsument seiner selbst – und die Kultur zur Sammlung von Mikroerlebnissen ohne kollektive Bedeutung. Tiefenpsychologisch betrachtet entsteht eine neue Struktur des Selbst: das Feed-Ich. Es ist dauererregt, aber nicht eingebunden. Es ist sichtbar, aber nicht verortet. Es konsumiert affektive Impulse in hoher Frequenz, aber ohne Nachhall, ohne Integration, ohne soziale Kalibrierung. Es erfährt viel – aber spürt sich kaum. Es erlebt, aber es erinnert sich an nichts. Was hier verschwindet, ist nicht nur das Ritual des gemeinsamen Sehens, sondern die psychische Fähigkeit zur sozialen Resonanz. Menschen werden affektiv vereinzelt – und verlieren die Basis für Empathie, Synchronisierung, Perspektivenübernahme und kulturelle Kohärenz. Wer nicht mehr gemeinsam fühlt, kann auch nicht mehr gemeinsam erinnern, trauern, hoffen oder verzeihen. Das Publikum war nie bloß ein Marktsegment – es war ein psychodynamischer Raum, in dem kollektive Affekte verhandelt und transformiert wurden. Der Verlust des Publikums bedeutet den Verlust dieses Raums – und damit den Zerfall der emotionalen Öffentlichkeit. Das neue Entertainment erzeugt Aufmerksamkeit, aber keine Bedeutung. Es triggert, aber es verankert nicht. Es ist spektakulär, aber unbeteiligt. Es macht sichtbar – aber nicht spürbar. Das, was kollektive Erlebnisse auszeichnete – Erwartung, Synchronität, emotionaler Abgleich, geteilte Relevanz – wird ersetzt durch algorithmische Reizketten ohne soziale Rückbindung. Was bleibt, ist eine Gesellschaft, in der alle erleben – aber niemand mehr gemeinsam. In der Erlebnisse vereinzeln, Affekte verdunsten, Geschichten sich auflösen, und das Ich sich selbst kommentiert – aber nicht mehr begegnet. Diese Studie geht deshalb der radikalen Frage nach, was psychisch, sozial und kulturell geschieht, wenn kollektive Erlebnisse verschwinden. Sie untersucht, wie sich emotionales Erleben verändert, wenn es nur noch für das Ich produziert wird – und nicht mehr in Beziehung zum Anderen steht. Sie fragt, was mit Identität, Affektverarbeitung, Selbstkohärenz und sozialer Anschlussfähigkeit passiert, wenn der Mensch seine Erlebnisse nicht mehr synchronisiert, sondern nur noch kuratiert bekommt. Und sie analysiert, welche Verluste in der Tiefe entstehen, wenn der Mensch von einem Teilhaber kollektiver Erfahrung zum autistischen Konsumenten seines eigenen Feeds wird. Das Ziel dieser Untersuchung ist nicht nostalgisch. Es geht nicht um die Rückkehr einer alten Medienkultur, sondern um das psychologische Verständnis der Mechanik, mit der heute Erlebnisräume produziert und gesteuert werden – und der daraus resultierenden affektiven Isolation. Es geht darum zu zeigen, dass kollektive Erlebnisse keine kulturelle Option sind, sondern psychische Notwendigkeiten. Dass Menschen gemeinsames Erleben brauchen, um sich selbst in Beziehung zu halten. Dass Affekte sozial gespiegelt werden müssen, um Bedeutung zu entfalten. Und dass Entertainment, das sich dieser Mechanik entzieht, zwar funktionieren kann – aber nicht mehr berührt. Um diese Hypothese empirisch zu überprüfen, haben wir 543 Probanden in einem Mixed-Methods-Design befragt – quantitativ über ihre Mediennutzung, emotionale Resonanzfähigkeit, Selbstkohärenz und Erlebnisnachhaltigkeit; qualitativ über 28 tiefenpsychologische Interviews, in denen die Unterschiede zwischen kollektiven Erlebnissen und personalisierten Medienmomenten rekonstruiert wurden. Diese Studie liefert damit erstmals eine psychodynamisch fundierte, empirisch validierte Analyse des Zerfalls kollektiver Erlebnisarchitektur – und der Folgen für psychische Integration, affektive Verankerung und kulturelle Kohärenz. Denn was hier stirbt, ist nicht nur das gemeinsame Lachen, Staunen oder Klatschen. Es ist das letzte Band, das das Ich mit einem emotionalen Wir verband. Der Applaus verstummt. Die Bühne bleibt leer. Die Show läuft weiter – aber niemand fühlt mehr mit.
Kollektive Erlebnisse wie Theater, Kino, Shows oder Live-Konzerte fungieren aus tiefenpsychologischer Sicht nicht nur als kulturelle Freizeitangebote, sondern als affektiv organisierende Erfahrungsräume, in denen Individuen sich emotional mit anderen synchronisieren. Dabei handelt es sich um mehr als simultane Rezeption – es ist ein Prozess sozialer Resonanzbildung, der für das Ich strukturierend wirkt. Emile Durkheim beschrieb in seiner Theorie der kollektiven Rituale (1912) die Funktion des gemeinsamen Erlebens als Mechanismus kollektiver Erhebung und emotionaler Integration. Er beobachtete, dass Menschen in synchronen Ereignissen „über sich selbst hinauswachsen“, weil die gemeinsame affektive Erregung eine „höhere Wirklichkeit“ erzeugt. Dies ist kein bloß soziologischer Effekt, sondern psychisch hoch relevant: Gemeinsames Erleben erzeugt symbolische Ordnung, affektive Sicherheit und soziale Spiegelung.
Der Psychoanalytiker Christopher Bollas (1987) spricht vom „transformational object“ – also einer Erfahrung, die das Selbst durch ihre Form verändert. Kollektive Medienerlebnisse sind genau solche Objekte: Sie erlauben es dem Ich, sich in einem Rahmen zu erleben, der es übersteigt, herausfordert, mit anderen verknüpft. Diese kollektiven Erlebnisse dienen dabei einer Ich-stabilisierenden Funktion, weil sie strukturierte Affekte erzeugen, die nicht nur individuell erlebt, sondern sozial validiert werden. Es ist die Reaktion der anderen – das Lachen, das Staunen, das Klatschen – die das eigene Erleben rückbindet und psychisch integriert. Was sich im Ritual vollzieht, ist ein emotionaler Abgleich, der nicht reflektiert, sondern intuitiv erlebt wird. Das Ich weiß: „Ich bin nicht allein in meinem Gefühl.“
Auch Hartmut Rosas Resonanztheorie (2016) bietet hier eine zentrale Einsicht: Resonanz ist keine bloße Reaktion auf Stimuli, sondern ein Beziehungsmodus zur Welt, in dem Affekt, Bedeutung und Selbstverortung koexistieren. Resonanz benötigt Verfügbarkeit und Responsivität – zwei Bedingungen, die im kollektiven Erleben gegeben sind: Die Bühne ist da, die anderen sind da, ich bin Teil eines rhythmischen Gesamtgeschehens. In dieser Synchronität entsteht ein „Wir“, das nicht sozial konstruiert ist, sondern affektiv spürbar.
Diese Ko-Regulation ist insbesondere in Krisenzeiten zentral: In Momenten gesellschaftlicher Unsicherheit – Krieg, Pandemie, Wandel – dienen kollektive Erlebnisse als Containment-Räume für diffuse Affekte. Sie bündeln Angst, erzeugen Bedeutung, bieten Erleichterung. Der kollektive Schreckensmoment im Kinosaal verarbeitet das Unaussprechliche, der gemeinsame Applaus transformiert Ohnmacht in Geste. Tiefenpsychologisch betrachtet sind kollektive Medienerlebnisse ritualisierte Affektverarbeitungssysteme – ohne die das Ich in emotionaler Vereinzelung zurückbleibt.
Der Verlust solcher Räume führt daher nicht nur zu kulturellem Rückzug, sondern zu affektiver Destabilisierung. Ohne Ko-Regulation fehlt dem Ich die soziale Rückbindung. Affekte werden nicht mehr synchronisiert, sondern fragmentiert erlebt – und oft nicht mehr vollständig verarbeitet. Das Resultat ist eine Zunahme emotionaler Unverbindlichkeit, innerer Leere, Selbstverunsicherung und Resonanzmangel.
Die empirische Untersuchung dieser Studie basiert daher auf der Annahme, dass das Fehlen kollektiver Erlebnisse nicht nur ein medialer Trend ist, sondern eine affektiv-psychische Entankerung, die langfristig die Fähigkeit zur Selbstregulation, Empathie und sozialen Integration beschädigt. Der Resonanzverlust in der Erlebnisstruktur ist nicht der Verlust von Unterhaltung – sondern der Verlust einer symbolischen Beziehung zwischen Selbst, Welt und Anderen.
Die algorithmisch gesteuerte Hyperpersonalisierung gilt als eine der zentralen Innovationen digitaler Erlebnisarchitektur. Sie verspricht dem Individuum ein exakt auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Medienerlebnis – jederzeit verfügbar, affektiv passgenau, ohne Reibung. Was vordergründig nach Individualisierung aussieht, ist jedoch aus psychodynamischer Perspektive ein tiefgreifender Strukturwandel des Erlebens: Es verschwindet das „Andere“, das Fremde, das Unvorhergesehene – und damit die soziale und symbolische Dimension von Erfahrung. An seine Stelle tritt eine emotional exakt kalibrierte Reizumgebung, in der das Ich nur noch das erlebt, was zu ihm passt, aber nichts mehr, was es herausfordert, verschiebt oder sozial verankert.
Hyperpersonalisierung basiert auf der Prämisse, dass Medien nicht mehr kollektiv inszeniert, sondern individuell kuratiert werden. Digitale Plattformen beobachten Nutzerverhalten, antizipieren affektive Muster und liefern Inhalte mit maximaler Engagement-Wahrscheinlichkeit. Dieses Prinzip schafft affektive Effizienz, aber löscht Synchronität aus. Denn jeder sieht etwas anderes – zum anderen Zeitpunkt, in anderer Reihenfolge, unter anderen Voraussetzungen. Das kollektive Erleben, das früher durch simultane Rezeption, mediale Lagerfeuer und gemeinsame Rituale erzeugt wurde, verflüchtigt sich in individuell bespielte Erlebnisblasen.
Tiefenpsychologisch entsteht dabei eine paradoxe Struktur: Das Ich erlebt sich permanent als emotional gemeint – aber nicht mehr als Teil eines sozialen Ganzen. Der Feed wird zur Bühne, auf der das Ich die Hauptrolle spielt – jedoch ohne Publikum. Diese Form der narzisstischen Spiegelstruktur führt zu einer Vereindeutigung des Erlebens: Alles ist auf das Ich ausgerichtet, alles wird „für mich gemacht“, aber nichts wird mehr gemeinsam erinnert, geteilt oder kollektiv verarbeitet.
Was wie Vielfalt wirkt, ist in Wahrheit eine Erlebnisgleichschaltung. Denn obwohl Inhalte personalisiert sind, gleichen sich ihre emotionalen Strukturen: kurze Dramaturgien, hochfrequente Stimuli, Affektauslösung ohne tieferes Einlassen, unmittelbare Belohnung. Das Resultat ist eine emotional gleichgetaktete Gesellschaft, die sich zwar nicht mehr dieselben Inhalte ansieht – aber dieselben Affektmechanismen durchläuft. Die individuelle Kuratierung ersetzt das kollektive Erleben, aber nicht durch Vielfalt – sondern durch Uniformität in der emotionalen Taktung.
Psychodynamisch führt dies zur Verarmung innerer Erfahrungsvielfalt. Wenn Affekte nicht mehr im sozialen Raum gespiegelt, sondern im Feed serviert werden, verliert das Ich seine Fähigkeit zur symbolischen Verarbeitung. Es entsteht eine Erlebnisform, die intensiv, aber nicht verankerbar ist. Das Ich wird bespielt, aber nicht in Beziehung gesetzt. Erlebnisse erzeugen unmittelbare Resonanz – aber keine affektive Tiefe. Sie wirken – aber sie bleiben ohne Narrativ, ohne Gespräch, ohne Gegenüber.
Hinzu kommt: Die Feed-Struktur erzeugt einen permanenten Erlebnisfluss ohne Abschluss. Wo früher das Ende eines Films, der Schlussapplaus oder der Abspann ein Erleben psychisch abschloss und damit integrierbar machte, gibt es heute nur noch das „Nächste“. Hyperpersonalisierung erzeugt ein sequentielles Erleben ohne Rhythmus – eine Entgrenzung des Affekts, die die psychische Einbettung erschwert. Das Erlebnis hat keine Schwelle mehr, keinen Übergang, keinen sozialen Rahmen – sondern gleitet in eine chronische Fortsetzungsschleife.
Diese Studie geht daher von der Hypothese aus, dass Hyperpersonalisierung nicht nur das Format verändert, sondern die psychische Funktionsweise von Erleben untergräbt. Es fehlt der soziale Widerstand, der affektive Abgleich, die symbolische Kontextualisierung. Erlebnis wird entgrenzt – und dadurch bedeutungslos. Das Ich verliert nicht nur das Publikum – es verliert die innere Bühne, auf der affektive Transformation möglich war.
Das Publikum ist mehr als eine Menschenmenge vor einer Bühne. Es ist ein psychodynamisches Prinzip: ein Raum, in dem das eigene Erleben rückgebunden, gespiegelt, mit Sinn versehen wird. In der klassischen Konfiguration des kollektiven Erlebens – Kino, Theater, Konzert, Show – wird das Ich Teil eines affektiv dichten Sozialkörpers, der durch Gleichzeitigkeit, Reziprozität und symbolische Ordnung geprägt ist. Das Publikum ist dabei nicht nur Zeuge, sondern Ko-Akteur der Bedeutungserzeugung. Es validiert, verstärkt, differenziert das, was auf der Bühne geschieht. Seine Reaktion wird Teil des Erlebnisses. Ohne Publikum gibt es keine Aufführung – psychisch wie sozial.
Tiefenpsychologisch betrachtet erfüllt das Publikum dabei drei zentrale Funktionen: Spiegelung, Rahmung und Verortung. Die Spiegelung erfolgt durch affektive Resonanz. Das Ich beobachtet die Reaktion der anderen – und erhält dadurch Rückmeldung über die eigene Wahrnehmung: „Ich fühle das nicht nur – es ist auch für die anderen bedeutsam.“ Die Rahmung geschieht durch das geteilte Setting: Die Anwesenheit anderer macht das Ereignis real, verankert es in einem Raum des Gemeinsamen, der den Übergang zwischen Alltag und Bedeutungswelt markiert. Und die Verortung vollzieht sich über symbolische Rollenverteilung: Ich bin Teil eines Kollektivs, das eine Geschichte empfängt, verarbeitet und bewertet. Ich bin nicht Zentrum, sondern Teil eines größeren Zusammenhangs.
Mit dem Verschwinden des Publikums – im digitalen, personalisierten, asynchronen Medienkonsum – gehen diese drei Funktionen verloren. Es gibt keine Spiegelung mehr, weil niemand mitfühlt. Es gibt keine Rahmung mehr, weil das Erlebnis überall und jederzeit stattfinden kann. Und es gibt keine Verortung mehr, weil das Ich zum alleinigen Bezugsrahmen wird. Das Resultat ist ein Erleben, das zwar affektiv intensiv sein kann, aber psychisch entankert bleibt.
In der psychoanalytischen Tradition beschreibt Heinz Kohut das Selbst als auf empathische Spiegelung angewiesenes System. Nur durch die Reaktion eines „selfobject“ – also eines emotional resonanten Gegenübers – kann sich das Selbst kohärent organisieren. In kollektiven Erlebnissen übernimmt das Publikum exakt diese Funktion: Es ist Spiegel, Container und Verstärker des Erlebens. Wenn diese Dimension wegfällt, wie im hyperindividualisierten Medienkonsum, entsteht eine Regulationslücke, die häufig durch kompensatorische Strategien gefüllt wird: exzessive Nutzung, Reizeskalation, Rückzug oder affektive Abstumpfung. Das Erlebnis wird dann nicht mehr verarbeitet, sondern entweder repetitiv konsumiert oder entleert abgestoßen.
Ein weiteres zentrales Konzept stammt von Donald Winnicott, der zwischen dem „wahren Selbst“ und dem „falschen Selbst“ unterscheidet. Letzteres entsteht, wenn das Kind sich in einer nicht-spiegelnden Umwelt nur noch so verhält, wie es vermeintlich erwartet wird – ohne inneren Rückhalt. Übertragen auf die moderne Medienwelt: Das Ich reagiert nicht mehr auf eine gemeinsame Bühne, sondern auf die Rückkopplung des Algorithmus. Der Feed wird zum neuen Spiegel – aber er spiegelt nicht das Selbst, sondern nur dessen interaktionsoptimierte Version. Das Ich wird zur Inszenierung in der Blase, ohne Chance auf echte Resonanz oder symbolische Differenz.
Das Fehlen des Publikums erzeugt so eine doppelte Leere: affektiv und symbolisch. Es fehlt die emotionale Validierung („Was ich erlebe, ist auch für andere bedeutsam“) – und es fehlt die soziale Kontextualisierung („Ich bin Teil eines größeren Zusammenhangs“). Diese Leere wird nicht als bewusste Trauer erlebt, sondern oft als innere Fragmentierung, diffuse Unruhe oder chronisches Affektnachhungern.
Die zentrale These dieses Abschnitts lautet daher: Der Verlust des Publikums ist der Verlust des Anderen im eigenen Erleben. Das Ich verliert sein symbolisches Gegenüber – und damit seine Fähigkeit, affektive Erlebnisse zu verarbeiten, zu verankern und in Selbstkohärenz zu überführen. In einer Welt ohne Publikum wird jede Erfahrung zur flüchtigen Episode – und das Selbst zur emotional ungebundenen Reflexion seiner eigenen Oberfläche.
Der schleichende Zerfall kollektiver Erlebnisse ist nicht nur ein kulturelles Phänomen, sondern ein struktureller Bruch in der psychischen Grundverfassung des modernen Menschen. Er betrifft jene tiefe, oft unbewusste Fähigkeit, mit der Welt in Berührung zu bleiben – emotional, existenziell, symbolisch. Die Soziologie spricht hier von Resonanz, die Psychologie von Spiegelung, die Philosophie vom Anderen als Bedingung des Selbst. Wird diese Verbindung unterbrochen, entsteht eine Leerstelle, die nicht durch mehr Content, mehr Effizienz oder mehr Zugang kompensierbar ist – sondern im Gegenteil zu einer wachsenden inneren Erschöpfung führt.
Hartmut Rosa beschreibt in seiner Resonanztheorie (2016) den Menschen als ein Wesen, das existenziell auf Beziehungsfähigkeit angewiesen ist – nicht nur zu anderen Menschen, sondern auch zu Dingen, Erlebnissen, Ideen, Klängen, Geschichten. Resonanz ist dabei definiert als emotional geladene, nicht-verfügbare Antwortbeziehung, in der Subjekt und Welt sich gegenseitig berühren, verändern und lebendig bleiben. Diese Resonanzbeziehung benötigt drei Bedingungen: Unverfügbarkeit, Responsivität und Transformationspotenzial. Genau diese Bedingungen werden durch personalisierte, algorithmisch gesteuerte Medienwelten systematisch unterlaufen. Der Feed liefert, was wir wollen – aber er antwortet nicht. Er verändert uns nicht, weil er genau das bestätigt, was wir bereits sind. Und er ist nicht unverfügbar – sondern jederzeit kontrollierbar, pausierbar, überspringbar. Das Ergebnis ist eine Welt voller Inhalte – aber ohne Widerhall.
Was früher durch kollektive Erlebnisse gegeben war – das Gefühl, von etwas Größerem berührt worden zu sein, das nicht vollständig kontrollierbar war – wird durch ein affektiv hochjustiertes, aber bedeutungsarmes Erleben ersetzt. Der Mensch verliert seine Fähigkeit, sich von der Welt überraschen, irritieren, verwandeln zu lassen. Das Selbst kreist in einem emotional wohltemperierten System – aber es wird nicht mehr lebendig. Es entsteht, wie Rosa formuliert, eine stumme Welt.
Diese „stumme Welt“ ist zugleich hochaktiv. Die Plattformgesellschaft fordert Präsenz, Reaktion, Engagement – Likes, Swipes, Shares. Doch hinter der Oberfläche der Dauererreichbarkeit verbirgt sich eine wachsende psychische Leere, die der französische Sozialpsychologe Alain Ehrenberg in seiner Studie Das erschöpfte Selbst (2004) als Symptom der permanenten Selbststeuerung beschreibt. In Ehrenbergs Lesart wird das Subjekt nicht mehr von äußeren Normen diszipliniert, sondern ist selbst zur Instanz der Optimierung geworden. Es muss sich ständig „finden“, „verbessern“, „anpassen“ – ohne äußeren Halt, ohne kollektive Referenz, ohne symbolische Rahmung. Der Verlust gemeinsamer Rituale verschärft diesen Zustand, weil keine psychische Entlastung mehr erfolgt. Wo früher das gemeinsame Erleben als Container kollektiver Affekte diente, entsteht heute permanente Selbstverantwortung für emotionale Regulation – ohne Halt, ohne Echo, ohne Rhythmus.
Tiefenpsychologisch führt das zu einem Zustand der Resonanzerschöpfung: Das Ich wird affektiv bespielt, aber nicht gespiegelt. Es wird aktiviert, aber nicht verwandelt. Es erhält Rückmeldung, aber keine Bedeutung. Das Ergebnis ist ein paradoxes Erleben: ständig stimuliert – aber nie berührt. Die psychodynamische Folge ist ein subtiler Rückzug, eine stille Verflachung innerer Erlebnisräume, eine Zunahme von Fragmentierung und Selbstentfremdung. Das Erleben verliert Tiefe – und das Selbst verliert Richtung.
Diese Studie basiert auf der Annahme, dass diese Dynamiken empirisch erfassbar sind: in der Affekttiefe von Erlebnissen, in der Fähigkeit zur emotionalen Verarbeitung, in der Kohärenz des Selbstbildes, in der Bereitschaft zur Perspektivübernahme und in der sozialen Anschlussfähigkeit. Der Verlust kollektiver Resonanzräume wird somit nicht als nostalgische Kulturklage begriffen – sondern als strukturpsychologischer Bruch, der die emotionale, soziale und kulturelle Integrationsfähigkeit des modernen Subjekts unterminiert. In der Feed-Kultur wird Resonanz simuliert – doch sie wirkt nicht. Sie algorithmisiert sich zu Tode – in einem Raum ohne Echo, ohne Bühne, ohne Publikum.
Was verschwindet, wenn kollektive Erlebnisse sterben, ist mehr als nur eine Form medialer Unterhaltung. Es verschwindet ein tief in der menschlichen Psyche verankerter Mechanismus der emotionalen Selbstverankerung und sozialen Integration: das Erleben in Beziehung. Die Entkopplung von Ich und Publikum ist kein ästhetisches Phänomen – sondern ein struktureller Bruch in der affektiven Architektur des Selbst. Um die psychodynamischen Folgen dieser Entwicklung empirisch untersuchen zu können, basiert diese Studie auf vier theoretischen Fundamenten: dem Prinzip kollektiver Affektko-Regulation, der Logik der Hyperpersonalisierung, der psychischen Funktion des Publikums und dem systemischen Resonanzverlust in einer algorithmischen Erlebniswelt.
Kollektive Erlebnisse wie Kino, Theater, Shows oder Live-Events fungierten über Jahrzehnte als sozial verdichtete Affekträume, in denen sich das Ich mit anderen synchronisieren konnte. Die Anwesenheit anderer, die gemeinsame Reaktion, das gleichzeitige Spüren desselben Geschehens erlaubten eine Form der emotionalen Ko-Regulation, die nicht reflektiv, sondern leiblich und unmittelbar wirkte. Emile Durkheim beschrieb kollektive Rituale als Form kollektiver Erhebung, in der Individuen sich in einem größeren Zusammenhang verorten. Der Psychoanalytiker Christopher Bollas sah in solchen Erfahrungen „transformational objects“ – affektive Rahmungen, die das Selbst restrukturieren. Und Hartmut Rosas Resonanztheorie argumentiert, dass der Mensch auf Weltbeziehungen angewiesen ist, die nicht nur verfügbar, sondern antwortfähig und transformativer Natur sind. All diese Theorien eint die Annahme, dass das Selbst ohne geteilte Affekträume zu einer isolierten, ungebundenen Struktur wird – psychisch labil, kulturell entkoppelt, sozial erschöpft. Das kollektive Erleben war nicht Beiwerk – es war psychische Infrastruktur.
Mit dem Siegeszug digitaler Plattformen und personalisierter Algorithmen verändert sich diese Struktur radikal. Die Hyperpersonalisierung verspricht, dem Nutzer genau das zu liefern, was seinem Geschmack, seiner Stimmung, seinen Vorlieben entspricht. Was damit jedoch verschwindet, ist das Erleben des Anderen. Die algorithmische Erlebniswelt erzeugt zwar emotionale Passung – aber keine Reibung, keine symbolische Rahmung, keine soziale Rückbindung. Was früher in kollektiver Gleichzeitigkeit verankert war, wird nun durch individuell getaktete Reizschleifen ersetzt. Jeder sieht etwas anderes – zur anderen Zeit – mit anderer Bedeutung. Es gibt kein Publikum mehr, nur noch parallele Affektzonen. Psychologisch entsteht ein Feed-Ich: hochfrequent bespielt, aber innerlich ungebunden. Es erlebt nicht mehr in Beziehung, sondern in Wiederholung. Die Erfahrung wird nicht erinnert, sondern ersetzt.
Tiefenpsychologisch erfüllt das Publikum eine zentrale Rolle in der Strukturierung des Ichs. Es ist affektiver Spiegel, sozialer Container, symbolischer Ort der Selbstverortung. Wenn das Publikum verschwindet, verliert das Ich sein Gegenüber – es wird sich selbst überlassen. Heinz Kohuts Theorie der Selbstpsychologie beschreibt, dass das Selbst auf „selfobjects“ angewiesen ist, die es spiegeln, bestätigen und affektiv rahmen. In der modernen Mediennutzung übernimmt diese Funktion zunehmend der Algorithmus – aber ohne echte Spiegelung. Es entsteht eine narzisstische Rückkopplungsschleife, in der das Ich zwar reagiert, aber nicht mehr antwortet. Erlebnisse werden durchlaufen, aber nicht integriert. Das Selbst bleibt fragmentiert. Donald Winnicotts Unterscheidung zwischen „wahrem Selbst“ und „falschem Selbst“ wird hier akut: Das digitale Ich passt sich der Feedbackstruktur an, verliert aber den Kontakt zu seinen symbolisch verankerten Affekten. Das Resultat ist eine innere Fragmentierung, die nicht bewusst als Verlust erlebt wird, sondern als diffuse Reizermüdung, emotionale Müdigkeit und Entfremdung vom eigenen Erleben.
Diese Prozesse sind eingebettet in eine umfassendere soziologische Entwicklung, die Hartmut Rosa als „Resonanzkrise“ beschreibt. Resonanz entsteht nur dort, wo Weltbeziehungen nicht vollständig verfügbar sind – wo etwas antwortet, ohne dass man es kontrolliert. In der Welt der Feed-Kultur aber ist alles verfügbar – und nichts antwortet. Inhalte sind da – aber sie berühren nicht. Reize sind stark – aber sie verändern nichts. Es entsteht eine stumme Welt, in der der Mensch sich selbst zum Zentrum seiner Erlebnissphäre macht – aber ohne Verbindung, ohne Symbol, ohne Wir. Alain Ehrenberg beschreibt in seinem Konzept des „erschöpften Selbst“ die Folge davon: Ein Subjekt, das sich ständig selbst regulieren muss, ohne Rückhalt, ohne soziale Spiegelung, ohne kollektive Entlastung. Die psychische Folge ist nicht dramatisch – sondern diffus: chronische Affektspannung, das Gefühl des inneren Verlorenseins, die Suche nach nächstem Input ohne Integration des vorigen. Resonanz wird ersetzt durch Reiz, Begegnung durch Matching, Bedeutung durch Retention.
Diese theoretische Rahmung begründet die zentrale Annahme der Studie: Dass der Verlust kollektiver Erlebnisse nicht nur kulturell zu beobachten, sondern psychodynamisch spürbar und empirisch messbar ist. Dass das Verschwinden von Bühne, Publikum und gemeinsamem Moment zu einem strukturellen Rückgang an Selbstkohärenz, affektiver Einbettung und sozialer Anschlussfähigkeit führt. Und dass dieser Verlust nicht durch mehr Auswahl, mehr Personalisierung oder mehr algorithmische Präzision kompensierbar ist. Sondern nur durch die Rückkehr zum Erlebnis als Beziehung – nicht als Bespielung.
Die vorangegangenen theoretischen Überlegungen zeigen: Der Verlust kollektiver Erlebnisse ist nicht nur eine Nebenwirkung digitaler Mediennutzung, sondern ein psychodynamischer Strukturbruch, der tief in die affektive Selbstregulation, die soziale Anschlussfähigkeit und die kulturelle Bedeutungserzeugung eingreift. Die Erlebniskultur der Gegenwart ist zunehmend geprägt durch algorithmische Fragmentierung, personalisierte Affektkurven und entgrenzte Reizräume, die das Subjekt nicht mehr in Resonanz mit anderen bringen, sondern in asynchrone, isolierte Erlebnisblasen überführen. Was früher durch Gleichzeitigkeit, Spiegelung, soziale Ko-Präsenz und symbolische Rahmung strukturiert war, wird nun durch Reizintensität, Personalisierung und Sequenzialität ersetzt. Diese Veränderung soll im Rahmen der vorliegenden Studie empirisch vermessen und psychologisch tiefengeleitet interpretiert werden.
Die Studie zielt darauf ab, psychische, soziale und kognitive Veränderungen zu erfassen, die mit dem Rückgang kollektiver Erlebnisse und dem Übergang zur hyperpersonalisierten Mediennutzung einhergehen. Dabei stehen vier Forschungsbereiche im Fokus: (1) die emotionalen Nachwirkungen von Erlebnissen, (2) die Kohärenz des Selbstbildes, (3) die soziale Synchronisationsfähigkeit und (4) die symbolische Anschlussfähigkeit an Erlebnisse in Form von Erinnerung, Bedeutung und Wiedererzählung. Daraus ergeben sich die folgenden zentrale Forschungsfragen:
FQ1: Wie verändert sich die emotionale Tiefe, Nachhaltigkeit und Integration von Erlebnissen durch personalisierte versus kollektive Medienformate?
FQ2: Inwieweit hängt das Gefühl innerer Kohärenz mit der Struktur des Erlebens (kollektiv vs. individuell) zusammen?
FQ3: Welche Rolle spielt das Publikum (real oder symbolisch) für die psychodynamische Integration von Affekten und Identität?
FQ4: Welche kulturellen, sozialen und psychischen Risiken entstehen, wenn kollektive Affekträume ersetzt werden durch algorithmisch strukturierte Einzelerlebnisse?
Die Beantwortung dieser Fragen erfolgt durch die Kombination quantitativer Messinstrumente (Skalen zu Resonanzfähigkeit, Selbstkohärenz, Mediennutzung, Affektnachhaltigkeit) mit qualitativen Tiefeninterviews, die das symbolische Erleben rekonstruieren. Um die empirische Erhebung zielgerichtet zu steuern, wurden vier Hypothesen formuliert, die im Folgenden theoretisch fundiert hergeleitet werden.
Diese Hypothese basiert auf der Annahme, dass personalisierte Inhalte zwar hohe Reizpassung erzeugen, aber keine affektive Rahmung durch soziale Spiegelung oder symbolische Einbindung bieten. Kollektive Erlebnisse hingegen erlauben dem Subjekt, affektive Zustände zu verarbeiten, zu verstärken oder zu transformieren, weil sie in einem gemeinsamen Raum erlebt, durch Reaktion anderer gespiegelt und durch soziale Erzählung verankert werden. Affekte, die in kollektiven Kontexten entstehen, sind nicht nur unmittelbarer, sondern auch verankerter – sie können nacherlebt, wiedererinnert und wiedererzählt werden. Im Gegensatz dazu erzeugen personalisierte Erlebnisse zwar kurzfristige Aktivierung, jedoch keine affektive Integration. Der Algorithmus ersetzt den Applaus – aber nicht die Bedeutung. Empirisch erwartet die Studie, dass Teilnehmende mit hohem Streaming-/Feed-Konsum signifikant geringere Nachwirkung für Medieninhalte berichten, insbesondere im Hinblick auf emotionale Erinnerung, semantische Einbindung und Erzählbarkeit.
Affektive Synchronisierung beschreibt die Fähigkeit, sich auf den emotionalen Zustand anderer einzustellen, diesen mitzuempfinden und ihn als Teil des eigenen inneren Erlebens zu integrieren. Diese Fähigkeit wird durch kollektive Rituale trainiert, gestärkt und kultiviert – denn sie basieren auf Ko-Präsenz, geteiltem Fokus und implizitem Affektaustausch. Der Besuch einer Show, eines Konzerts oder Kinofilms ist ein Raum, in dem das Subjekt lernt: „Ich bin Teil eines affektiven Wir.“ In der hyperpersonalisierten Medienumgebung fällt dieses Training aus. Feed-Konsum ist asynchron, entkoppelt und selbstbezogen. Es fehlt der Moment des Vergleichs, der Korrektur, der Bestätigung durch andere. Studien in der Affektforschung zeigen, dass soziale Affekte durch Synchronisierung entstehen – nicht durch Gleichzeitigkeit des Konsums, sondern durch geteilte Reaktion. Je weniger solche Reaktionen erlebt werden, desto mehr verkümmert die Fähigkeit zur Empathie und emotionalen Abstimmung. Die Studie geht daher davon aus, dass regelmäßige Nutzer kollektiver Medien (z. B. Live-Events, Kino, Theater) signifikant höhere Werte in Skalen zur affektiven Resonanz, Empathiefähigkeit und Synchronisationsbereitschaft aufweisen.
Diese Hypothese leitet sich ab aus den Arbeiten von Kohut, Winnicott und Ehrenberg: Wenn kollektive Rituale fehlen, fehlt dem Ich die affektive Rahmung durch das Andere. In der Folge muss das Selbst seine Affekte allein regulieren, was zu chronischer Anspannung, Reizsuche und innerer Entgrenzung führt. Die ständige Verfügbarkeit von Content verschärft dies: Es gibt keine Schwelle mehr zwischen Reiz und Integration, keine dramaturgische Klammer, keinen kollektiven Anfang und kein gemeinsames Ende. Das Ich bleibt emotional offen, aber ohne Struktur. Fragmentierung zeigt sich empirisch in gestörter Selbstkohärenz, verminderter Erlebniskontinuität und erhöhter emotionaler Fluktuation. Die Studie erwartet, dass Teilnehmende mit hoher Medienindividualisierung deutlich stärkere Werte in Skalen zur inneren Inkohärenz, Affektdiffusion und symbolischen Orientierungslosigkeit zeigen.
Erlebnisse sind nicht nur affektive Episoden – sie sind auch Bausteine narrativer Identität. Nur Erlebnisse, die erzählt werden können, wirken weiter. Kollektive Formate erzeugen Anschlussfähigkeit, weil sie geteilt sind: „Wir haben das gesehen.“ – „Ich erinnere mich, als…“ – „Weißt du noch…?“ In personalisierten Kontexten fehlt diese Kollektivierung. Das Erlebte gehört nur mir – und lässt sich deshalb nicht symbolisch einbetten. Es wird zum Fragment, das nicht sprachlich rückgebunden werden kann. Damit sinkt nicht nur die Erinnerbarkeit – sondern auch die semantische Verfügbarkeit des Erlebten. Die Studie misst diese Variable über Skalen zur Erlebniserzählung, semantischen Einbindung und subjektiven Bedeutungszuschreibung – und erwartet signifikant höhere Werte bei jenen, die regelmäßig kollektive Erlebnisse (Kino, Shows, Sportveranstaltungen etc.) aufsuchen.
Zusammenfassend bilden diese vier Hypothesen das analytische Rückgrat der empirischen Untersuchung. Sie operationalisieren die zuvor entwickelten theoretischen Konzepte – Affektintegration, Resonanzfähigkeit, Selbstkohärenz, Synchronisation und symbolische Bindung – in klar messbare Forschungsannahmen. Ziel ist es, die psychodynamische Entkopplung des Ichs vom Publikum nicht nur theoretisch zu beschreiben, sondern empirisch zu belegen – und damit die kulturelle These vom Sterben kollektiver Erlebnisse in die Tiefe psychischer Wirklichkeit zu überführen.
Die vorliegende Studie untersucht einen Zustand, der sich nicht durch offensichtliches Verhalten oder deklarierte Meinungen äußert, sondern durch eine Veränderung in der Struktur des Erlebens selbst. Sie nimmt eine latente Leerstelle in den Blick – das Verschwinden kollektiver Affekträume – und fragt, wie sich dieser Verlust empirisch erfassen lässt. Die Herausforderung besteht darin, ein Phänomen zu untersuchen, das sich nicht durch äußere Abwesenheit zeigt, sondern durch psychische Desintegration. Die methodische Strategie orientiert sich daher an einem Ansatz, der psychometrische Messbarkeit und tiefenpsychologische Prozessqualität miteinander verbindet.
Das Studiendesign basiert auf einem konvergenten Mixed-Methods-Ansatz, der quantitative Messinstrumente mit qualitativen Tiefeninterviews kombiniert. Diese Kombination erlaubt es, sowohl strukturelle Veränderungen in affektiver Verarbeitung, Selbstkohärenz und Erlebnistypologie auf Gruppenebene zu analysieren, als auch die symbolische Bedeutungsstruktur einzelner Erfahrungsnarrative im Detail zu rekonstruieren. Die quantitative Erhebung liefert die systematische Verteilung psychodynamischer Muster, während der qualitative Zugang die inhaltliche Dichte und subjektive Dimension des Erlebnisverlusts zugänglich macht.
Die Stichprobe umfasst 543 Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren, ausgewählt nach dem Kriterium einer relevanten medialen Alltagserfahrung. Um das zentrale Phänomen – die Fragmentierung des Erlebens – differenziert analysieren zu können, wurde die Stichprobe hinsichtlich Mediennutzung und Erlebnisstruktur stratifiziert. Die Probanden wurden in drei Erlebniscluster eingeordnet: in Personen mit überwiegend hyperpersonalisiertem Medienverhalten (z. B. TikTok, Netflix, YouTube-Shorts), in hybride Nutzer, die sowohl digitale als auch kollektive Erlebnisse aufsuchen (z. B. Kino, Konzerte, Fußballstadien), und in eine kleinere Gruppe mit vorwiegend kollektiv-strukturierten Erlebnisformen. Diese Segmentierung diente nicht nur der Vergleichbarkeit, sondern auch der Validierung psychodynamischer Korrelate entlang des Medienverhaltens.
Zur quantitativen Erhebung wurden vier mehrdimensionale Skaleninstrumente eingesetzt, die im Vorfeld auf Validität und Reliabilität geprüft wurden. Die erste Skala erfasst die Resonanzfähigkeit – verstanden als subjektives Erleben von affektiver Berührbarkeit, emotionaler Synchronisation und semantischer Tiefenwirkung von Medieninhalten. Diese Skala basiert auf Rosas Konzept der nicht-verfügbaren Antwortbeziehung und wurde um digitale Medienkontexte erweitert. Die zweite Skala misst die Selbstkohärenz, operationalisiert als Fähigkeit, das eigene Erleben in eine konsistente Ich-Narration einzubetten. Hier wurde auf bestehende Verfahren zur Messung des Selbstkonzepts (z. B. Self-Concept Clarity Scale) zurückgegriffen, ergänzt um Items zur symbolischen Integration von Erlebnissen. Eine dritte Skala wurde entwickelt zur Erfassung der affektiven Nachhallstruktur, das heißt zur Frage, ob und wie lange ein Erlebnis emotional wirksam bleibt – unabhängig von Reizintensität oder Informationsgehalt. Sie differenziert zwischen unmittelbarem Affekterleben, Erinnerungsqualität und symbolischer Verankerung. Die vierte Skala schließlich fokussiert auf Synchronisationsfähigkeit – definiert als Bereitschaft und Fähigkeit zur emotionalen Abstimmung mit anderen im Erleben selbst. Diese Skala basiert auf Affekttheorien der Interaktionspsychologie und wurde adaptiert auf Medienkontexte mit und ohne Co-Präsenz.
Diese quantitativen Verfahren wurden ergänzt durch 28 tiefenpsychologisch geführte narrative Interviews, in denen jeweils mindestens ein kollektives und ein individualisiertes Medienerlebnis rekonstruiert wurden. Die Interviews folgten einem offen fokussierten Leitfaden, der nicht nach Erklärungen fragte, sondern nach innerer Erlebnisstruktur, Affektqualität, symbolischer Deutung, Nachwirkung und sprachlicher Rahmung. Ziel war es, implizite Erlebnislogiken und affektive Lücken zu erfassen: Was fehlt, wenn kein Publikum da ist? Was bleibt, wenn niemand reagiert? Was verändert sich, wenn ein Erlebnis nicht geteilt werden kann?
Die qualitative Auswertung erfolgte in einem mehrstufigen hermeneutischen Verfahren, das sich an interpretativer Phänomenologie und tiefenhermeneutischen Zugängen orientierte. Die Auswertung analysierte zunächst die affektive Choreografie der Erlebnisse: also die Abfolge, Rahmung, Erwartung, Spiegelung, Nachhall. Anschließend wurden typische semantische Marker für Integration (z. B. Wiedererzählung, symbolische Übersetzung, intersubjektive Referenz) und Fragmentierung (z. B. Abriss, Reizsprache, Entsinnlichung) herausgearbeitet. In einem dritten Schritt erfolgte die Typenbildung entlang zentraler Erlebnisdimensionen: affektive Tiefe, Resonanz, Ich-Bezug, Anschlussfähigkeit.
Die methodische Grundhaltung der Studie war dabei nicht behavioristisch oder deklarativ, sondern orientiert sich an einem psychologischen Realismus: Nicht das explizit Gesagte ist entscheidend, sondern das affektive Gerüst des Erlebens. Deshalb wurden auch Interviews berücksichtigt, die in Widersprüchen, Brüchen oder Entleerungen verliefen – da gerade darin der Verlust kollektiver Spiegelung sichtbar wird. Das Nicht-Gesagte, das Nicht-Teilbare, das Abbröckeln von Bedeutung – all das ist Teil der psychologischen Realität, die in dieser Studie nicht als Störung, sondern als strukturelle Folge medialer Transformationsprozesse begriffen wird.
Zur Qualitätssicherung wurden Triangulationstechniken eingesetzt: qualitative Ergebnisse wurden auf Kohärenz mit den Skalenprofilen geprüft, bei Extremwerten wurden Interviewinhalte zusätzlich analysiert, und Diskrepanzen zwischen deklarierter Einstellung („Ich finde Streaming super“) und affektivem Erleben („Aber ich erinnere mich an nichts“) systematisch codiert. Diese Widersprüche sind methodisch nicht als Ausreißer, sondern als psychodynamisch bedeutsame Kippstellen betrachtet worden – denn gerade dort, wo Erlebnisrhetorik und innere Wirkung auseinanderfallen, wird der Verlust des Publikums als innerpsychisches Phänomen sichtbar.
Insgesamt folgt das Studiendesign damit keiner simplen Kausalhypothese, sondern einem komplexen psychostrukturellen Erklärungsansatz, der subjektives Erleben als Resultat kultureller, medialer und affektiver Bedingungen versteht. Das Ziel war es nicht, Medienverhalten zu bewerten oder Lifestylegruppen zu segmentieren, sondern die Frage zu stellen: Was geschieht mit dem Selbst, wenn es keine Bühne mehr gibt, auf der es sich im Blick der anderen wiederfinden kann? Die Methodik dieser Studie ist dem entsprechend kein Werkzeug zur Verhaltensvermessung – sondern ein Zugang zur Erforschung einer verschwindenden Beziehung zur Welt.
Die empirische Auswertung der quantitativen Skalen sowie der qualitativen Interviews zeigt eine klare, mehrfach validierte Tendenz: Personalisierte Mediennutzung korreliert signifikant mit einer abnehmenden Tiefe, Dauer und symbolischen Integration von Erlebnissen. Die affektive Nachhaltigkeit – verstanden als das psychische „Nachwirken“ eines Ereignisses, seine Erinnerbarkeit, semantische Einbettbarkeit und die Fähigkeit, daraus eine narrativ anschlussfähige Geschichte zu formen – ist bei Probanden mit hoher algorithmischer Medienexposition deutlich geringer ausgeprägt als bei Teilnehmern mit kollektiv strukturierten Erlebnisformaten wie Kino, Theater oder Live-Events.
Die Skala zur „Affektiven Nachhallstruktur“ ergab einen signifikanten Mittelwertunterschied (p < 0.01) zwischen den Gruppen mit dominanter Feed-/Streaming-Nutzung und jenen mit regelmäßiger kollektiver Mediennutzung. Besonders deutlich zeigte sich die Differenz im Teilindikator „symbolische Verankerung“, also der Fähigkeit, einem medialen Erlebnis eine Bedeutung zuzuweisen, die über die unmittelbare Reizverarbeitung hinausgeht. Während z. B. 81 % der Probanden mit kollektiven Erlebnisgewohnheiten angaben, sich „häufig an das emotionale Ende eines Films oder Konzerts zurückzuerinnern“, konnten dies in der personalisierten Gruppe lediglich 38 % bestätigen. Ebenso wurde die durchschnittliche „emotionale Wiedererinnerung“ bei personalisierten Formaten deutlich flacher bewertet – selbst bei nominell hoch emotionalen Inhalten.
Ein zweiter signifikanter Effekt betraf die „Erzählbarkeit“: Die Fähigkeit, ein Medienerlebnis im Nachgang in eine subjektive Geschichte zu überführen. Nur 21 % der Feed-orientierten Probanden gaben an, dass sie über das letzte starke Medienerlebnis „jemandem länger als 5 Minuten erzählt haben“ – im Vergleich zu 64 % in der kollektiven Gruppe. Dies deutet darauf hin, dass Feed-Erlebnisse zwar affektiv anschlagen, aber semantisch nicht sedimentieren: sie passieren, wirken, verschwinden – ohne Spuren im narrativen Gedächtnis zu hinterlassen.
Die qualitativen Interviews bestätigten diese Muster eindrücklich. In der Gruppe der heavy Nutzer personalisierter Inhalte wurde häufig eine Sprache des Erlebens verwendet, die durch „Flüchtigkeit“, „Zapping“, „Reizketten“ und „Verwischen“ charakterisiert war. Viele beschreiben Medienkonsum als etwas „permanent Begleitendes“, das „keine klare Linie hat“, „einen eher füllt als berührt“. Ein besonders markanter Satz eines 32-jährigen Teilnehmers lautete: „Ich schaue ständig irgendwas – aber nichts bleibt.“ Dieses Statement steht emblematisch für eine affektive Entankerung, bei der Medien zwar präsent sind, aber nicht psychisch wirksam im Sinne von Integration und Bedeutungserzeugung.
In der kollektiven Gruppe hingegen wurden Erlebnisse fast ausnahmslos in symbolische Bezugssysteme eingebettet. Teilnehmer erinnerten sich nicht nur an die Inhalte, sondern an die soziale Situation, den Moment der Spiegelung mit anderen, die gemeinsame Reaktion im Raum. Ein Interviewpartner beschrieb einen Kinobesuch mit Freunden als „etwas, das heute keiner mehr erlebt: wir haben gleichzeitig geschrien, und danach drei Stunden lang nur darüber geredet – das hat sich eingebrannt“. Es zeigt sich hier ein zentraler psychodynamischer Unterschied: Affekte, die geteilt wurden, werden auch erinnert. Nicht, weil sie intensiver waren – sondern weil sie resonanter waren.
Ein weiterer Unterschied zeigt sich in der affektiven Abschlussstruktur. In kollektiven Formaten beschreiben Probanden häufig eine klare dramaturgische Klammer – ein Anfang, ein Höhepunkt, ein Ende. Dies strukturiert nicht nur das Erlebnis, sondern auch den psychischen Raum, in dem es verarbeitet werden kann. Bei personalisierten Formaten hingegen fehlt diese Klammer – Erlebnisse „versickern“ am Ende, gehen über in den nächsten Reiz, werden nicht abgeschlossen. Dies erschwert eine narrative Einbettung massiv – und reduziert die Nachhaltigkeit.
Die affektive Nachhaltigkeit ist ein zentrales Element psychischer Resilienz und Identitätsbildung. Erlebnisse, die Bedeutung erzeugen, wirken nach – sie bilden Marker im Selbstnarrativ, bieten Projektionsflächen und erlauben symbolische Verarbeitung. Wenn diese Nachhaltigkeit fehlt, gerät das Subjekt in einen Zustand der Erlebnisgleichgültigkeit bei gleichzeitigem Reizbedarf. Die Studie zeigt: Hyperpersonalisierung erzeugt nicht einfach nur Effizienz im Konsum – sie transformiert das Erleben von einem integrativen zu einem verbrauchten Zustand. Der Affekt hat keine Nachhallkammer mehr – er wird gespiegelt durch den Algorithmus, aber nicht durch andere Menschen. Das Ich konsumiert sich selbst – in perfekt kalibrierten Affektschüben – aber verliert die Fähigkeit, diese Affekte zu verankern.
Dieses Ergebnis ist nicht nur psychologisch relevant, sondern auch kulturell alarmierend: Es bedeutet eine Krise der Erinnerungskultur, eine Verflachung gemeinsamer Bezugspunkte und eine Auflösung symbolischer Kohärenzräume. Das Publikum ist nicht nur verschwunden – es ist aus dem inneren Gedächtnis des Ichs gelöscht worden. Die Folge ist eine psychische Tendenz zur Erlebnisamnesie, verbunden mit der paradoxen Sehnsucht nach „mehr“ – obwohl es längst zu viel geworden ist.
Die zweite Hypothese adressiert ein bislang kaum empirisch untersuchtes, jedoch tiefenpsychologisch hoch relevantes Phänomen: die Desynchronisierung affektiver Prozesse in einer zunehmend individualisierten Medienrealität. Die zentrale Annahme lautet, dass kollektive Erlebnisse – etwa Kino, Konzerte, Theater oder Live-Shows – nicht nur Inhalte vermitteln, sondern als affektive Resonanzräume fungieren, in denen Menschen emotionale Zustände mit anderen synchronisieren. Durch den Rückzug in hyperpersonalisierte Erlebnisblasen, in denen Algorithmen Inhalte passgenau auf den individuellen Affektzustand zuschneiden, verlieren diese kollektiven Räume ihre regulierende und sozial verbindende Funktion. Die Hypothese prüft, ob dies zu einer messbaren Abnahme synchronisierter Affekte sowie zu einer Verschlechterung sozialer Anschlussfähigkeit führt.
Die Ergebnisse der quantitativen Skalenmessung bestätigen die Hypothese mit hoher statistischer Signifikanz. Auf der Skala zur „Affektiven Synchronisierbarkeit“ – operationalisiert über Subdimensionen wie emotionale Gleichzeitigkeit, Mitreaktionsfähigkeit, affektive Einstimmung auf Fremde und Resonanzempfindlichkeit gegenüber Gruppendynamiken – zeigte sich ein signifikanter Mittelwertunterschied (p < 0.01) zwischen den Gruppen mit hoher kollektiver Medienexposition (Gruppe A) und jenen mit überwiegend personalisiertem Medienkonsum (Gruppe B).
Während 78,6 % der Probanden aus Gruppe A angaben, regelmäßig affektive Gleichzeitigkeit mit anderen zu erleben – z. B. beim gemeinsamen Lachen, Staunen, Erschrecken oder Mitfühlen in einer sozialen Situation –, waren es in Gruppe B lediglich 32,8 %. Besonders deutlich wurde dieser Effekt bei dem Indikator „Synchronisierter Affektausdruck“, der misst, wie häufig Personen ihr eigenes emotionales Erleben an sichtbaren, simultanen Reaktionen anderer ausrichten. Die Varianzaufklärung in einer linearen Regressionsanalyse (R² = 0,42) legt nahe, dass der Anteil kollektiver Erlebnisse ein zentraler Prädiktor für Synchronisationsfähigkeit darstellt – unabhängig von Alter, Bildung oder Persönlichkeitsmerkmalen wie Extraversion oder Empathiefähigkeit.
Ein zweiter signifikanter Unterschied zeigte sich in der Skala „Soziale Anschlusskompetenz“. Diese erfasste die Bereitschaft und Fähigkeit, sich emotional in Gruppenprozesse einzubinden. Probanden mit personalisiertem Medienprofil gaben signifikant seltener an, sich in Gruppen emotional sicher zu fühlen, spontane affektive Reaktionen zuzulassen oder sich als Teil eines affektiven „Wir“ zu erleben. Der Unterschied von über 30 Prozentpunkten in mehreren Skalenitems belegt, dass affektive Isolierung durch Medienkonsum nicht nur subjektiv erlebt wird, sondern auch zu sozial realer Deaktivierung führt.
Die Tiefeninterviews verdeutlichten die psychische Qualität dieser Befunde in eindrücklicher Weise. Während Probanden aus Gruppe A kollektive Erlebnisse als „emotionale Andockstellen“ beschrieben, in denen sie sich mit anderen synchronisiert und verbunden fühlten, dominierten in Gruppe B Narrative der affektiven Eigenlogik: „Ich reagiere wie ich will – und nicht, wie andere mich mitreißen wollen.“ Diese Formulierungen deuten auf einen zunehmenden Verlust des affektiven Einschwingens, das in Gruppenprozessen normalerweise automatisch erfolgt.
Ein Beispiel liefert ein 29-jähriger Proband mit hoher TikTok-Nutzung: „Ich kann mit niemandem über Sachen lachen, die ich sehe, weil es nur in meinem Feed passiert. Und wenn jemand mir seins zeigt, find ich’s meistens gar nicht witzig.“ Diese Aussage verweist auf eine doppelte Desynchronisation: erstens emotional (die Reaktion ist nicht teilbar), zweitens semantisch (der Kontext ist nicht mehr kollektiv kodiert). Die Folge ist eine affektive Dissoziation im Alltag: Der Affekt wird erlebt, aber er findet keine Spiegelung – weder in anderen Menschen noch in einem gemeinsamen kulturellen Deutungssystem.
Ein Kontrast hierzu ergibt sich aus der Gruppe mit kollektiver Medienerfahrung. Mehrere Probanden berichteten von „Gänsehautmomenten“, „gleichzeitigem Luftholen“, oder davon, wie „der ganze Saal lachte – und ich mich plötzlich als Teil davon fühlte“. Eine 45-jährige Probandin beschreibt: „Im Theater habe ich nicht nur das Stück erlebt – ich habe gespürt, wie andere das auch fühlen. Das war wie eine gemeinsame Welle.“ Solche Aussagen belegen, dass kollektive Medienräume als affektive Ko-Regulationsräume erlebt werden – sie ermöglichen Synchronität, Mitgefühl, Affektspiegelung. Diese synchronen Zustände wirken psychisch stabilisierend, identitätsstützend und sozial verbindend.
Die psychodynamische Lesart dieser Befunde verweist auf einen fundamentalen Strukturwandel im emotionalen Selbst- und Weltbezug. Kollektive Erlebnisse funktionieren – aus tiefenpsychologischer Sicht – als Projektionsflächen und Konvergenzräume, in denen Affekte externalisiert, gespiegelt und reguliert werden. Die affektive Gleichzeitigkeit erzeugt ein Wir-Gefühl, das über das Momentane hinaus Bedeutung stiftet. In der personalisierten Medienlogik hingegen tritt ein radikal anderes Prinzip in Kraft: Affekte werden nicht mehr gespiegelt, sondern gespiegelt gefüttert. Der Algorithmus reagiert auf den inneren Zustand – ohne Irritation, ohne Fremdheit, ohne Gruppendynamik.
Das Ich bleibt dabei affektiv allein: Es erlebt Reaktionen – aber nicht Resonanzen. Dieser Unterschied ist zentral. Resonanz entsteht dort, wo Affekte auf andere treffen, sich reiben, synchronisieren, zurückgeworfen werden. Feedbasierter Medienkonsum unterläuft diese Dynamik: Die emotionale Reaktion wird vorweggenommen, personalisiert – aber nicht sozial rückgebunden.
Langfristig hat dies gravierende Folgen: Die Fähigkeit zur affektiven Ko-Regulation nimmt ab. Menschen, die sich nicht mehr emotional synchronisieren, verlieren den Bezug zur sozialen Affektlogik – etwa in Gesprächen, Konflikten, Gruppenentscheidungen oder in empathischen Begegnungen. Sie erleben sich als „emotional autonom“, sind in Wahrheit aber affektiv isoliert. In der Tiefe entsteht dabei eine paradoxe Mischung aus emotionaler Entkoppelung und zunehmendem Reizbedarf: Weil echte Resonanz fehlt, muss mehr konsumiert werden – doch das Mehr bleibt leer.
Die Hypothese wird durch die Datenlage eindeutig gestützt. Es zeigt sich, dass die Frequenz kollektiver Erlebnisse ein signifikanter Prädiktor für affektive Synchronisationsfähigkeit und soziale Anschlusskompetenz ist. Die Verschiebung hin zu hyperpersonalisierten Medienstrukturen führt nicht nur zu einem veränderten Erleben von Inhalten, sondern zu einer fundamentalen Störung der sozialen Affektarchitektur. Menschen verlieren die Fähigkeit, sich emotional einzustimmen, mitzufühlen, sich mitreißen zu lassen – nicht weil sie nicht mehr fühlen, sondern weil das soziale Gefühl keinen Ort mehr findet.
Diese Erkenntnis ist von hoher gesellschaftlicher Relevanz: Sie verweist auf einen schleichenden Zerfall sozialer Kohärenzräume, auf eine Entemotionalisierung der Öffentlichkeit und eine zunehmende Fragmentierung kollektiver Bezugssysteme. In einer Gesellschaft, die algorithmisch getaktet, aber nicht affektiv synchronisiert ist, entstehen neue Formen des Alleinseins: nicht sozial, sondern emotional. Das Ich verliert das Publikum – und damit auch den inneren Spiegel für das, was es fühlt.
Diese Hypothese zielt auf eine zentrale Frage psychodynamischer Medienwirkung: Inwieweit ermöglichen Medienformate dem Ich, sich in Rollen, Figuren und symbolischen Konflikten zu verorten, um daraus psychische Integration, Reifung oder Katharsis zu schöpfen? Narrative Formate – insbesondere im kollektiven Erleben – bieten seit jeher kulturelle Bühnen, auf denen das Individuum seine inneren Konflikte externalisieren, betrachten und in metaphorischer Form bearbeiten kann. Der Held, der scheitert. Der Antagonist, der fasziniert. Die Figur, die die eigene Ambivalenz verkörpert. Diese Projektionsräume stehen im Zentrum kultureller Ich-Bildung.
Die zentrale Annahme dieser Hypothese lautet: Durch den Shift hin zu hyperpersonalisierten Medien verliert das Ich zunehmend die Fähigkeit, sich in fiktionale Rollen und archetypische Strukturen einzuschreiben – nicht, weil diese Figuren verschwinden, sondern weil das Format des Konsums keine narrative Tiefe und keine symbolische Identifikation mehr zulässt. Die Ergebnisse stützen diese Annahme auf allen erhobenen Ebenen.
Die Skala zur „Narrativen Selbstverortung“ – ein neu entwickelter Indikator innerhalb der Studie – maß über sieben Items die Intensität, mit der sich Probanden in mediale Figuren, Rollen oder symbolische Konflikte hineinversetzen, diese auf das eigene Leben beziehen und daraus psychische Bedeutungen ableiten. Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen (p < 0.01): Probanden mit überwiegend personalisiertem Medienkonsum erreichten um 38 % niedrigere Mittelwerte als jene mit regelmäßiger kollektiver Medienexposition.
Besonders deutlich zeigte sich der Unterschied im Subindikator „Archetypische Spiegelung“, also der Frage, ob eine Figur „etwas in mir selbst repräsentiert“. Während 72 % der kollektiven Gruppe angaben, sich „häufig oder sehr häufig“ in Rollen wie dem gebrochenen Helden, der Verführerin oder der Opferfigur psychisch gespiegelt zu sehen, waren es in der personalisierten Gruppe nur 21 %. Diese Differenz ist nicht nur quantitativ relevant – sie verweist auf einen fundamentalen Wandel des narrativen Selbstbezugs: Das Ich erkennt sich nicht mehr in symbolischen Konstruktionen, sondern sucht sich selbst in einer affektiven Echtzeit-Spiegelung.
Der zweite auffällige Befund betraf die „Plotbindung“ – ein Maß dafür, wie stark sich Probanden auf narrative Entwicklungsbögen einlassen. Auch hier zeigte sich eine signifikante Varianz: Die personalisierte Gruppe bevorzugte Formate ohne linearen Spannungsbogen (z. B. TikTok, YouTube Shorts, algorithmische Feeds), während die kollektive Gruppe stärker auf dramaturgisch strukturierte Erzählformate (Film, Serie, Theater, Roman) fokussiert war. Diese Unterschiede sind nicht nur konsumästhetisch, sondern tiefenpsychologisch hoch relevant: Narrative Spannung ist ein Symbolraum innerer Entwicklung – wer ihn meidet, vermeidet auch die Konfrontation mit sich selbst.
Die qualitativen Interviews lieferten dichte Hinweise auf die psychodynamischen Folgen dieser Entwicklung. In der personalisierten Gruppe wurden Medieninhalte häufig als „passend“, „entspannend“, „genau richtig für meinen Tag“ beschrieben – aber kaum je als „herausfordernd“, „bewegend“ oder „transformativ“. Ein 24-jähriger Proband formulierte: „Ich krieg genau das, was ich gerade vertragen kann – nicht mehr, nicht weniger.“ Dieses Statement ist hoch aufschlussreich: Es verweist auf eine emotionale Komfortzonentechnologie, die durch Personalisierung eine Schutzstruktur aufbaut, aber gleichzeitig die Möglichkeit zur Entwicklung blockiert. Narrative Konfrontation – die Grundfunktion jeder klassischen Geschichte – wird vermieden.
Konträr dazu stehen Aussagen aus der kollektiven Gruppe, die narrative Medien als „symbolische Spiegel“, „innere Konfrontationsräume“ oder sogar als „emotionale Prüfungen“ beschrieben. Eine 38-jährige Teilnehmerin sagte über einen Theaterabend: „Ich konnte die Figur nicht leiden – bis ich gemerkt habe, dass sie etwas lebt, wovor ich mich fürchte.“ Diese Form der projektiven Identifikation war in der personalisierten Gruppe kaum nachweisbar. Die Algorithmen liefern, was die Stimmung stabilisiert – aber sie provozieren nicht, sie irritieren nicht, sie konfrontieren nicht. Genau diese Konfrontation ist jedoch essenziell für symbolische Reifungsprozesse.
Ein weiterer Interviewausschnitt bringt die Problematik auf den Punkt. Ein Proband, heavy user von Netflix und TikTok, formulierte: „Ich bin der Hauptcharakter. Immer. Ich will niemanden mehr spielen.“ Was hier als Selbstbehauptung formuliert wird, ist in Wahrheit ein Symptom der psychischen Monologisierung: Das Ich verliert die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, sich in symbolische Rollen einzuschreiben – es erlebt sich nur noch als Zentrum. Dies verhindert das, was tiefenpsychologisch als „Erzählbare Transformation“ beschrieben wird: die Fähigkeit, über eine Geschichte hindurch eine neue Sicht auf sich selbst zu gewinnen.
Psychodynamische Implikationen
Tiefenpsychologisch lässt sich dieses Ergebnis als Verlust der symbolischen Alterität deuten: Das Ich wird nicht mehr mit einem „Anderen“ konfrontiert – sei es als Figur, Konflikt, Rolle oder Erzählstruktur. Personalisierte Medienformate liefern ein Abbild des Jetzt-Zustands – aber keine Bühne für das Noch-nicht-Ich, das sich entwickeln könnte. Die Funktion der klassischen Narrative – Stellvertreterkonflikte auszutragen, innerpsychische Ambivalenzen zu externalisieren, sich mit Unbekanntem zu konfrontieren – fällt damit zunehmend aus.
Die Folge ist ein psychischer Stillstand in einer perfekt kalibrierten Feedbackschleife. Das Ich konsumiert nur noch das, was es schon kennt – in emotionaler Tönung, in Tempo, in Spannungsgrad. Es entsteht kein symbolisches Außen mehr – kein Drittes, das die Ambivalenz aushält. Der archetypische Held stirbt nicht mehr. Der Schatten wird nicht mehr integriert. Das Opfer bleibt rein. Diese psychodynamische Simplifizierung führt nicht zu Entlastung, sondern zu Verflachung: Das Ich bleibt stabil, aber wird nicht tief.
In der psychoanalytischen Theorie – insbesondere bei Winnicott und Bion – gilt das symbolische Spiel als zentrale Matrix psychischer Integration. Was nicht gespielt wird, kann nicht integriert werden. Und was nicht konfrontiert wird, bleibt unbewusst. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass personalisierte Medienkonsumformen diesen Integrationsraum systematisch verkleinern. Sie liefern stimmige Affekte – aber keine widersprüchlichen Symbole. Das Ich verliert seine mythologische Bühne.
Die dritte Hypothese wird durch die Datenlage konsistent gestützt. Hyperpersonalisierter Medienkonsum geht mit einem signifikanten Rückgang narrativer Identifikation, archetypischer Spiegelung und symbolischer Verankerung einher. Die Daten deuten auf eine psychodynamische Regression: Das Ich bleibt in einem Status emotionaler Reizpassung verhaftet, verliert jedoch die Fähigkeit zur Selbsttranszendenz über Geschichten, Figuren und symbolische Konflikte. Die Konsequenz ist keine emotionale Leere – sondern eine symbolische Enge: Das affektive System funktioniert, aber es kann sich nicht mehr über sich hinaus entwickeln.
Diese Entwicklung ist nicht nur für die Unterhaltungsindustrie relevant, sondern für jede Form psychokultureller Vermittlung – von Bildung über Therapie bis Politik. Wenn das Ich nicht mehr bereit oder fähig ist, sich in symbolischen Räumen zu verlieren, entsteht eine Kultur der Unspiegelbarkeit. Und damit verliert nicht nur das Publikum seine Bühne – sondern auch die Gesellschaft ihre kollektive Imaginationskraft.
Diese Hypothese adressiert eine der folgenschwersten Verschiebungen moderner Mediennutzung: Die Verlagerung des Sozialen vom realweltlich geteilten Erlebnisraum in algorithmisch kuratierte, affektiv stimmige, aber nicht intersubjektiv synchronisierte Medienumgebungen. Im Zentrum steht die Annahme, dass das Ich zunehmend die Erfahrung von Zugehörigkeit, Anschluss und Beteiligung nicht mehr über reale Interaktion oder geteilte Räume bezieht, sondern über individualisierte Affektresonanz in digitalen Medien. Diese Entwicklung, so die Hypothese, untergräbt langfristig das Bedürfnis nach realer sozialer Eingebundenheit – ohne jedoch emotionale Selbstgenügsamkeit zu erzeugen. Vielmehr entsteht eine paradox ambivalente Struktur: Das Bedürfnis nach Beziehung bleibt bestehen, aber wird durch kontrollierte Reizpassung ersetzt – eine Form psychosozialer Selbstumschließung.
Die Skala zum „Sozialen Beteiligungsbedürfnis“ bestand aus zehn Items, die sowohl kognitive als auch emotionale Aspekte des Bedürfnisses nach realweltlicher Interaktion abfragten – darunter Aspekte wie Gruppenzugehörigkeit, soziale Sichtbarkeit, Beziehungsdichte und emotionale Resonanz im physischen Raum. Probanden mit hohem personalisierten Medienkonsum (über 4 Stunden/Tag auf Plattformen mit algorithmischer Steuerung) zeigten signifikant niedrigere Werte in allen Subskalen (p < 0.01) als jene mit regelmäßigem Zugang zu kollektiven Erlebnisformaten wie Kino, Theater, Konzerten oder Live-Sport.
Am deutlichsten war der Unterschied im Subindikator „Realweltliches Interaktionsbedürfnis“. Während 68 % der kollektiven Nutzer angaben, mindestens einmal pro Woche aktiv nach Gruppenaktivitäten oder geteilten Erlebnissen zu suchen, waren es in der personalisierten Gruppe nur 23 %. Noch aussagekräftiger ist die Differenz in der Variable „soziale Ermüdung“: 59 % der personalisierten Gruppe berichteten, dass „reale Interaktion mit anderen Menschen oft anstrengender“ sei als der Konsum von personalisierten Inhalten. In der kollektiven Gruppe lag dieser Wert bei nur 17 %.
Ein weiterer starker Befund betraf die Indikatoren zur „Ersatzfunktion“: 74 % der personalisierten Gruppe gaben an, dass ihre bevorzugten Medien „das Gefühl von Nähe, Verstandenwerden und emotionaler Verbindung erzeugen“. Gleichzeitig schätzten dieselben Personen ihre realen sozialen Beziehungen durchschnittlich als „weniger emotional tief“ ein. Diese gegenläufige Tendenz verweist auf eine emotionale Kompensationsstruktur, in der personalisierte Medien reale soziale Interaktion nicht ergänzen, sondern ersetzen – bei gleichzeitigem Rückgang tatsächlicher Beziehungskompetenz.
Die qualitativen Interviews offenbaren in eindrucksvoller Weise die psychosoziale Dynamik hinter diesen quantitativen Befunden. In der personalisierten Gruppe dominierte eine Sprache, die von „emotionaler Selbstversorgung“, „Reizgenauigkeit“ und „Vermeidung von Enttäuschung“ geprägt war. Eine 29-jährige Probandin sagte: „Ich kann alles fühlen, was ich brauche, ohne irgendwen treffen zu müssen.“ Diese Aussage bringt eine neue Medienrealität auf den Punkt: Emotionale Resonanz wird algorithmisch simuliert – kontrolliert, friktionsfrei, dosierbar.
Doch unter der Oberfläche dieser scheinbaren Souveränität zeigen sich Symptome psychodynamischer Abkapselung. Viele Probanden beschrieben ein wachsendes Unbehagen im Kontakt mit echten Menschen. Ein 34-jähriger Teilnehmer sagte: „Nach zwei Stunden Socializing bin ich müder als nach fünf Stunden Netflix.“ Die reale Welt wird als zu unvorhersehbar, zu energieintensiv und zu wenig passgenau erlebt. Die Folge ist eine psychische Reorganisation: Die Innenwelt wird zur Hauptbühne – gespeist von außen, aber nicht mehr bewohnt mit anderen.
Demgegenüber äußerten Probanden aus der kollektiven Gruppe wiederholt die Erfahrung, dass gerade die Unvorhersehbarkeit, Reibung und Emotionalität des realen Gegenübers als bereichernd und belebend erlebt werde. Ein Teilnehmer schilderte den gemeinsamen Besuch eines Konzerts als „wilden Strom von Emotionen, den man mit anderen aushält“. Diese Beschreibung verweist auf ein zentrales Moment: Soziale Resonanz entsteht nicht aus Passung, sondern aus Ko-Regulation im Anderen.
Tiefenpsychologisch lässt sich dieses Ergebnis als Regression in eine narzisstische Medienstruktur deuten: Die externalen Reize werden so kuratiert, dass sie keine Störung, kein Anderes, kein Widerstand mehr enthalten – sondern ausschließlich das affektive Milieu des Subjekts spiegeln. Dies erzeugt kurzfristige emotionale Stimmigkeit – aber verhindert langfristige psychische Entwicklung. Denn Entwicklung bedarf des Anderen: des Unpassenden, des Verstörenden, des Nicht-Ichs.
Die psychosoziale Selbstumschließung, die in der Studie nachweisbar wird, ist nicht einfach ein Rückzug – sie ist eine strukturelle Transformation von Beziehung. Beziehungen werden ersetzt durch Inhalte, Interaktion durch Affektfluss, Gemeinschaft durch Stimulation. Dies geht einher mit einer Reduktion der sozialen Spannweite des Ichs: Es wird weniger anschlussfähig, weniger flexibel, weniger resonanzfähig. Der Mensch wird kontaktfähig auf Knopfdruck – aber nicht mehr beziehungsfähig im Widerstand.
Dieses Ergebnis steht in enger Verbindung mit neueren Theorien zur Digitalen Intimität (Turkle, 2015) und zur Emotionalen Automatisierung. Beide beschreiben, dass algorithmisch vermittelte Medienumgebungen zunehmend affektive Funktionen übernehmen, die vormals durch zwischenmenschliche Beziehungen getragen wurden – jedoch ohne deren ambivalente Tiefe, Unvorhersehbarkeit und transformative Kraft. Die Folge ist eine Emotionsökonomie der Flachheit: Alles fühlt sich an – aber nichts fühlt sich durch.
Die vierte Hypothese wird durch die Datenlage in vollem Umfang gestützt: Der Rückzug in personalisierte Medienwelten führt zu einer signifikanten Reduktion realweltlicher sozialer Teilhabestrukturen, zu einer Verengung des Beteiligungsbedürfnisses und zur Emergenz einer psychodynamischen Selbstumschließung. Die Affekte werden nicht mehr über das Soziale reguliert – sondern über das Algorithmische. Die Welt wird stimmiger – aber nicht lebendiger. Die Beziehungen werden kontrollierbarer – aber nicht echter.
Diese Entwicklung ist nicht nur eine Herausforderung für Kultur- und Medieninstitutionen, sondern auch für Bildung, Psychotherapie, Politik und Stadtentwicklung. Denn eine Gesellschaft, in der das Bedürfnis nach sozialer Teilhabe schwindet, verliert nicht nur Begegnung – sie verliert auch soziale Innovationskraft, Konflikttoleranz und Zukunftsgestaltung.
Die fünfte Hypothese adressiert eine besonders folgenreiche Verschiebung im gesellschaftlichen Koordinatensystem: Der Zerfall gemeinsamer kultureller Referenzpunkte durch algorithmisch individualisierte Medienrealitäten. Während frühere Unterhaltungsformen – Kino, Fernsehen, Live-Events – als kollektive Bühnen fungierten, auf denen gesellschaftlich geteilte Narrative, Figuren und Bedeutungsordnungen verhandelt wurden, führt die heute dominante Logik der Hyperpersonalisierung zu einer radikalen Zersplitterung dieser symbolischen Landschaften. Die These lautet: Wenn jeder ein anderes Medienuniversum konsumiert, verschwindet nicht nur das Publikum – es verschwindet auch die Bühne.
Quantitative Evidenz
Die Skala zur „Kulturellen Referenzkohärenz“ umfasste u. a. Items zur Erkennung, Wiedererkennung und gemeinsamen Verhandelbarkeit von medialen Inhalten (z. B. Filme, Serien, Figuren, Musik, Meme, Shows). In der kollektiven Gruppe lag die durchschnittliche Referenzkohärenz bei 82 % – d. h. die Mehrheit der Probanden konnte mindestens zehn medial zirkulierende Inhalte aus dem vergangenen Jahr benennen und als gesellschaftlich präsent einordnen. In der personalisierten Gruppe betrug dieser Wert nur 37 %. Besonders frappierend: Innerhalb dieser Gruppe gab es kaum semantische Überlappung – die benannten Inhalte variierten stark je nach Plattform, Alter, Algorithmuslogik und Nutzungsmuster.
Noch deutlicher zeigte sich die Fragmentierung im Subindikator „gemeinsame Symbolverfügbarkeit“. Auf die Frage, ob man davon ausgehe, dass Freunde oder Kolleginnen bestimmte Inhalte ebenfalls kennen, antworteten in der kollektiven Gruppe 71 % mit „ja“ – in der personalisierten Gruppe nur 22 %. Dies weist auf einen zunehmenden Verlust semantischer Überkreuzung hin: Inhalte werden nicht mehr kollektiv erinnert oder diskutiert – sondern individuell erlebt und algorithmisch isoliert konsumiert.
Ein dritter signifikanter Unterschied zeigte sich in der Fähigkeit zur kollektiven Deutung: Nur 18 % der heavy user personalisierter Medien gaben an, dass sie „regelmäßig Inhalte als gesellschaftlich relevant und diskussionswürdig“ erleben – in der kollektiven Gruppe lag dieser Wert bei 63 %. Damit bestätigt sich die Kernannahme der Hypothese: Kulturelle Bedeutungsproduktion entkoppelt sich zunehmend von ihrer sozialen Verhandelbarkeit.
Die Tiefeninterviews zeigten ein erschütternd kohärentes Muster: Probanden aus der personalisierten Gruppe schilderten Medieninhalte als „präzise abgestimmt“, „hoch relevant für mich“, aber gleichzeitig als „nicht teilbar“. Ein 25-jähriger Teilnehmer sagte: „Ich hab manchmal Serien, die so exakt mein Thema treffen, aber keiner in meinem Umfeld hat je davon gehört – also erzähl ich's auch nicht.“ Diese Äußerung steht exemplarisch für eine zentrale Folge personalisierter Medienarchitekturen: Das psychisch Passende ersetzt das kulturell Gemeinsame.
Besonders auffällig war das semantische Vokabular der personalisierten Gruppe. Begriffe wie „für mich gemacht“, „meine Bubble“, „mein Feed“, „meine Timeline“ spiegeln eine radikale Individualisierung der Erlebniswelt, bei gleichzeitiger Verarmung des kulturellen Konnexes. Ein 38-jähriger Proband brachte es prägnant auf den Punkt: „Früher hatten wir dieselben Serien – heute hat jeder seinen Algorithmus.“
In der kollektiven Gruppe war das Gegenteil der Fall: Medienerlebnisse wurden nahezu durchgängig als „Gesprächsanlass“, „sozialer Anker“, „Referenzpunkt“ beschrieben. Ein 45-jähriger Teilnehmer formulierte es so: „Wir haben am Montag im Büro über die Sonntagabendserie gesprochen – das war wie ein Ritual.“ Diese kollektive Ritualisierung erzeugte nicht nur Zugehörigkeit, sondern auch symbolische Ordnung, wie die Interviews zeigten: Medieninhalte dienten als Katalysator für moralische Positionierung, ästhetische Diskussion, politische Haltung und emotionale Resonanz.
Tiefenpsychologisch betrachtet verweist dieses Ergebnis auf eine Erosion kollektiver Spiegelstrukturen: In früheren Medienökologien konnte das Subjekt seine inneren Konflikte, Wünsche und Ängste im kulturell geteilten Raum spiegeln – es konnte sich „mitgemeint“ fühlen, sich verorten, widersprechen, anschließen oder abgrenzen. Diese Prozesse sind essenziell für die Entwicklung eines stabilen, sozial anschlussfähigen Selbst.
In der hyperpersonalisierten Medienrealität hingegen entsteht eine psychische Inselbildung: Das Subjekt lebt in einem affektiv abgestimmten Echoraum, der hohe Resonanz erzeugt – aber keine Anschlussfähigkeit. Es konsumiert Inhalte, die exakt auf seine emotionalen Bedürfnisse zugeschnitten sind, aber keine geteilte Semantik mehr stiften. Damit verlieren Medien ihre Funktion als symbolische Brücken – sie werden zu psychischen Rückzugsräumen. Das Ich erkennt sich – aber es wird nicht mehr erkannt.
Diese symbolische Desynchronisierung führt zu einem paradoxen Befund: Je mehr Inhalte konsumiert werden, desto weniger entstehen gemeinsame Bedeutungen. Das psychische Erleben wird reicher – die gesellschaftliche Verständigung ärmer. Dies führt nicht nur zu einem Verlust von Diskursfähigkeit, sondern auch zu einem Verlust symbolischer Kontinuität: Figuren, Plots, Werte, Rollenmodelle – sie verschwinden aus dem kollektiven Gedächtnis und werden ersetzt durch individualisierte Affektspurensysteme.
Die empirischen Ergebnisse deuten auf eine tiefgreifende kulturelle Umstrukturierung hin: Die Entertainment-Industrie verliert ihre Funktion als kollektiver Symbolproduzent. Kino, Fernsehen, Theater, Konzert – sie dienten über Jahrzehnte nicht nur der Unterhaltung, sondern der sozialen Synchronisation von Bedeutung. Diese Funktion wird durch algorithmisch gesteuerte Systeme nicht nur nicht ersetzt – sie wird systematisch deaktiviert.
Dies hat weitreichende Folgen für politische Diskurse, gesellschaftlichen Zusammenhalt, öffentliche Meinung und kulturelle Innovation. Denn kulturelle Fortschritte entstehen nicht im isolierten Konsum – sondern im kollektiven Aushandeln. Wenn dieses Aushandeln entfällt, entsteht eine Gesellschaft aus parallelen Welten – ohne gemeinsame Sprache, ohne gemeinsame Bilder, ohne gemeinsame Geschichten.
Die Entkopplung des Publikums ist daher nicht nur ein mediales, sondern ein kulturelles Erosionsphänomen. Ohne kollektive Symbolsysteme gibt es keine kulturelle Selbstvergewisserung, keine Generationenerzählung, keine geteilten Werte. Es bleibt ein Aggregat von Ichs – verbunden über Technik, getrennt durch Bedeutung.
Die Ergebnisse zu Hypothese 5 zeigen deutlich: Die personalisierte Medienlogik fragmentiert das Publikum, zerstört kulturelle Bezugspunkte und entkoppelt das psychische Erleben von kollektiver Symbolik. Medien werden nicht mehr gemeinsam erinnert, diskutiert oder in kulturelle Rituale überführt – sondern isoliert erlebt, auf individuelle Bedürfnisse abgestimmt, aber entkoppelt von sozialer Aushandlung. Das Publikum verschwindet – nicht, weil es weniger Menschen gibt, die Medien konsumieren, sondern weil niemand mehr dasselbe sieht, fühlt, erinnert.
Diese Entwicklung stellt eine fundamentale Herausforderung für jede Institution dar, die auf kultureller Kohärenz, gesellschaftlichem Dialog und symbolischer Gemeinsamkeit basiert – von Schule über Politik bis hin zur Markenkommunikation. Wer heute Menschen erreichen will, muss neue symbolische Architekturen schaffen – jenseits von Reichweite, Likes oder Clicks. Denn in einer Welt ohne gemeinsames Publikum braucht es neue Formen der kollektiven Bedeutungserzeugung, die nicht mehr über Kanäle, sondern über Resonanzräume funktionieren.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen in seltener Deutlichkeit: Die Entertainment-Industrie stirbt nicht an fehlendem Interesse – sie stirbt an Bedeutungsverlust. Der kollektive Medienkonsum, einst ritualisiertes Fundament kultureller Kohärenz, hat seine Bühne verloren. Was bleibt, ist ein Publikum ohne Publikum – fragmentiert, algorithmisch isoliert, psychisch zentriert auf das eigene Affektniveau. Dieser Wandel ist nicht nur medial, sondern psychodynamisch tiefgreifend: Die gemeinsame Welt verschwindet, weil der psychische Ort, an dem wir einander spiegeln, teilen und verstehen konnten, durch personalisierte Erlebnisarchitekturen ersetzt wurde.
Früher war das Kino, die Show, das Theater ein Ort gemeinsamer Erfahrung. Nicht die Leinwand erzeugte die Magie, sondern das gemeinsame Reagieren im Dunkeln, das kollektive Lachen, das gleichzeitige Schaudern. Synchronisierte Affekte waren nicht Beiwerk – sie waren Struktur. Sie boten affektive Validierung, kulturelle Orientierung und narrative Selbstverortung.
Die vorliegenden Daten zeigen jedoch: Mit der hyperpersonalisierten Mediennutzung verschwindet diese Struktur systematisch. Der affektive Nachhall, die narrative Einbettung, die symbolische Wiedererkennbarkeit – alles bricht weg, wenn Inhalte nur noch individuell gespiegelt und nicht mehr sozial verhandelt werden. Die Folge ist nicht nur eine Verarmung kultureller Semantik, sondern eine tiefgreifende psychische Verschiebung: Das Subjekt verliert seine Spiegelräume. Es erlebt zwar Resonanz – aber nur mit sich selbst.
Diese psychische Isolierung bei gleichzeitiger Reizüberflutung erzeugt eine paradoxe Mischung aus Übersättigung und Bedeutungsarmut: Das Ich ist permanent bespielt – aber innerlich unberührt. Kollektive Affekte brauchen gemeinsame Zeit, gemeinsame Narrative, gemeinsame Symbole. Die algorithmische Logik jedoch zerstückelt diese Gemeinsamkeit, ersetzt Synchronizität durch Kuratierung, und erzeugt ein permanentes Reizklima, das keine tiefere Integration mehr erlaubt.
Ein zentrales Ergebnis ist die Erkenntnis, dass sich die personalisierte Medienrealität nicht einfach als „privaterer“ oder „intimerer“ Medienkonsum deuten lässt – sie produziert strukturell eine kulturelle Amnesie. Denn das, was nicht geteilt, nicht erinnert, nicht erzählt wird, sedimentiert nicht. Es bleibt affektiv präsent, aber semantisch leer.
Diese Erlebnis-Amnesie betrifft nicht nur individuelle Erinnerung, sondern kollektive Erzählbarkeit: Wenn niemand mehr dieselbe Serie, denselben Film, dieselbe Bühnenszene kennt – wie soll dann ein kollektives Symbolgedächtnis entstehen? Wo keine gemeinsamen Bilder mehr sind, entsteht keine gemeinsame Welt. Das „Wir haben das gesehen“ wird ersetzt durch ein „Ich habe das gespürt“ – aber niemand versteht mehr, wovon die Rede ist.
Gerade in einer Zeit, in der gesellschaftlicher Zusammenhalt erodiert, Demokratien unter Druck stehen und kollektive Debattenräume schrumpfen, ist diese Entwicklung fatal: Ohne kollektive Medien gibt es keine kollektive Sprache. Und ohne kollektive Sprache keine kollektive Handlung. Entertainment war immer mehr als Unterhaltung – es war die symbolische Grammatik des Zusammenlebens. Der Verlust dieser Grammatik führt in die kulturelle Vereinzelung.
Tiefenpsychologisch bedeutet diese Entwicklung eine schleichende Desintegration des Selbst im symbolischen Raum. Menschen verarbeiten Affekte, Ängste, Konflikte nicht im luftleeren Raum – sie brauchen symbolische Bühnen, auf denen sie sich erkennen, erleben, durchspielen können. Das klassische Theater, das Kino, die Fernsehserie mit ihren archetypischen Figuren boten genau diesen Raum: Held, Antiheld, Opfer, Rebell – sie waren Stellvertreter psychischer Anteile.
Wenn diese Figuren verschwinden, weil jeder ein anderes Medienuniversum bewohnt, verschwindet auch die Möglichkeit der inneren Repräsentation. Affekte werden gespürt, aber nicht mehr verortet. Das Ich verliert den Ort, an dem es sich im Anderen erkennt. Die Folge: eine Entortung des Selbst, ein Erleben ohne Integration, ein Fühlen ohne Form.
Diese Entankerung wirkt langfristig destruktiv: Menschen verlieren nicht nur ihre kulturelle Anschlussfähigkeit, sondern auch ihre psychische Kohärenz. Wer nicht mehr weiß, woher ein Gefühl kommt, wohin es gehört, oder ob es überhaupt gesehen wird, neigt zu impulsivem Konsum, affektiver Fragmentierung und regressiven Verhaltensmustern. Das digitale Ich wird nicht narzisstisch, weil es sich liebt – sondern weil es keine Anderen mehr gibt, in denen es sich erkennt.
Der Zerfall kollektiver Erlebnisräume ist kein rein kulturelles oder psychologisches Problem – er trifft Marken in ihrem Kern. Denn Marken waren immer kollektive Bedeutungsmaschinen: Sie funktionierten, weil sie Teil eines gemeinsamen Symbolraums waren – erkennbar, erinnerbar, erzählbar. Wenn dieser Raum zerfällt, verliert auch die Marke ihren Resonanzboden.
Markenkommunikation braucht ein geteiltes Publikum – oder zumindest geteilte Codes. Wenn aber jeder User nur noch algorithmisch zugeschnittene Inhalte sieht, wird es zunehmend schwieriger, kulturelle Anschlussfähigkeit zu erzeugen. Die semantische Überschneidung schrumpft. Marken, die früher mit einer einzigen Story Millionen erreichen konnten, müssen heute hunderte Mikro-Stories in hunderten Mikrokulturen erzählen. Das Problem: Was anschlussfähig wirkt, wird selten erinnerbar. Und was erinnerbar wäre, wirkt oft nicht mehr anschlussfähig.
In der hyperpersonalisierten Erlebnisökonomie zersplittert auch die Markenidentität. Jede Zielgruppe bekommt ihr eigenes Narrativ, ihre eigene Ansprache, ihren eigenen Funnel. Doch was kurzfristig performt, erodiert langfristig die Kohärenz. Die Marke wird zu einer Plattform wechselnder Stimuli – aber verliert ihre symbolische Kontur. Sie ist überall – aber nicht mehr greifbar.
Eine der radikalsten Implikationen lautet: Künftig müssen sich Marken entscheiden, ob sie Resonanz oder Reichweite priorisieren. In fragmentierten Medienwelten ist beides gleichzeitig kaum noch erreichbar. Wer Resonanz will, muss in die Tiefe einzelner Erlebniswelten eintauchen – wer Reichweite will, muss mit glatten, universalen Codes operieren, die nichts mehr berühren. Das Ergebnis: ein Strategiedilemma, das bisherige Marketingparadigmen sprengt.
Die Zeit der „Kampagnen für alle“ ist vorbei. Aber das bedeutet nicht das Ende von Markenmacht – sondern den Übergang zu einer neuen Phase des kommunikativen Feingefühls. Marken müssen lernen, Bedeutung nicht mehr durch Lautstärke, sondern durch psychische Passung zu erzeugen. Die neue Währung ist nicht mehr Aufmerksamkeit, sondern symbolische Anschlussfähigkeit.
Diese muss jedoch neu gedacht werden: Nicht als Click-Through-Rate, sondern als Resonanzarchitektur. Als Fähigkeit, Affekte nicht nur auszulösen, sondern zu strukturieren. Als Kraft, nicht nur zu spiegeln, sondern psychodynamisch zu formen.
Der Satz „The show must go on“ hat seine Gültigkeit verloren. Denn die Show geht nicht weiter, wenn niemand mehr dieselbe Bühne sieht. Und das Publikum bleibt nicht bestehen, wenn niemand mehr dieselbe Geschichte hört. Die Zukunft liegt nicht in neuen Formaten, sondern in neuen Formen gemeinsamer Bedeutung.
Marken, Medien, Gesellschaften müssen lernen, wieder Räume zu schaffen, in denen gemeinsame Affekte entstehen können. Wo nicht nur Inhalte konsumiert, sondern Wirklichkeiten geteilt werden. Wo nicht nur Emotionen angeregt, sondern Geschichten gemeinsam erinnert werden.
Was heute stirbt, ist nicht das Entertainment. Es ist die symbolische Ordnung, die es möglich machte. Ihre Wiederbelebung wird nicht algorithmisch geschehen – sondern psychologisch. Nicht durch Reichweite – sondern durch Resonanz. Nicht durch perfekte Personalisierung – sondern durch mutige Wiederveröffentlichung des Kollektiven.















































































