Die Arbeitswelt befindet sich in einem epochalen Umbruch. Unter Schlagworten wie New Work, Purpose oder Work-Life-Integration entfaltet sich ein neues Paradigma organisationaler Selbstbeschreibung, das die Bedürfnisse und die Selbstverwirklichung der Mitarbeitenden ins Zentrum stellt. Arbeit soll nicht länger bloß Erwerbsform, sondern Ausdruck des eigenen Ichs sein – sinnstiftend, entgrenzt, selbstbestimmt.
Was ursprünglich als notwendige Antwort auf Entfremdung, Taylorismus und autoritäre Unternehmensstrukturen gedacht war (vgl. Bergmann 1984; Sennett 2006), hat sich zu einer neuen hegemonialen Ideologie der Arbeitswelt verdichtet: Die Organisation als Möglichkeitsraum individueller Entfaltung.
Doch genau darin liegt – so die zentrale These dieser Studie – ein struktureller Kipppunkt verborgen:
Je stärker sich Organisationen um die Internalisierung subjektiver Bedürfnisse bemühen, desto mehr verlieren sie den Kunden als externes, korrektives Gegenüber aus dem Blick.
Psychologisch betrachtet verschiebt sich der Referenzrahmen organisationaler Identität: Der Kunde, einst sinnstiftender Endpunkt aller Wertschöpfung, verliert an Bedeutung gegenüber dem inneren Resonanzraum der Organisation. In der Sprache der Systemtheorie gesprochen: Die Umwelt wird durch die Organisation selbst ersetzt – ein Phänomen selbstreferenzieller Verflachung (vgl. Luhmann 1995). Der Kunde gerät dabei nicht in offene Opposition, sondern verschwindet leise – als entmächtigtes Symbol in Feel-Good-Narrativen und Wertekommunikation.
Diese Verschiebung hat tiefenpsychologische Wurzeln. Die neue Arbeitsideologie adressiert zentrale psychische Grundbedürfnisse – insbesondere nach Autonomie, Selbstwertstabilisierung und Kohärenz (vgl. Deci & Ryan 2000; Grawe 2004). Organisationen werden so zu Projektionsflächen individueller Bedürfnisregulation – ein Prozess, den man als kollektive narzisstische Aufladung der Arbeit bezeichnen kann (vgl. Lasch 1979; Königswieser & Exner 2008).
Der Kunde wird nicht mehr als eigenständiges Subjekt adressiert, sondern als Spiegel für die eigene Haltung – „Wen wir bedienen, sagt etwas über uns selbst.“
Dieser Wandel bleibt nicht folgenlos. Erste empirische Hinweise (z. B. Forrester 2023; Gallup CX-Tracker 2022) deuten auf ein paradoxes Muster hin:
Trotz steigender Mitarbeiterzufriedenheit, Remote-Flexibilität und Purpose-Kommunikation sinken in vielen Organisationen:
Diese Symptome verweisen auf ein wachsendes Sinngefälle zwischen Innen- und Außenwelt: Während Organisationen intern immer ausgefeiltere „Sinnökologien“ pflegen, verdünnt sich der reale Kundennutzen zu einem narrativen Nebenschauplatz. Die Marke wird zum Ausdruck interner Haltung, nicht mehr zur Brücke zum Kunden. Die Serviceinteraktion verliert an psychologischer Dichte – sie wird korrekt, aber nicht mehr resonant.
Die vorliegende Studie stellt daher eine provokante und zugleich notwendige Frage:
Führt die zunehmende Internalisierung von Sinn- und Selbstverwirklichungsidealen im Rahmen von New Work zu einer schleichenden Entfremdung vom Kunden – und wie lässt sich diese Entwicklung psychologisch, strukturell und empirisch fassen?
Ziel ist es, diesen Wandel nicht pauschal zu verurteilen, sondern systematisch zu analysieren:
Im Kern zielt die Studie auf die Rekonstruktion einer neuen Balance:
Zwischen echter Selbstverwirklichung und geteiltem Sinn – mit dem Kunden als sinnstiftendem Gegenüber, nicht als Hintergrundrauschen.
Die zunehmende Fokussierung auf Selbstverwirklichung, Autonomie und Purpose in der Arbeitswelt lässt sich nicht nur als arbeitssoziologischer Wandel, sondern auch als Ausdruck tiefer psychischer Dynamiken verstehen. New Work erfüllt – bewusst oder unbewusst – zentrale psychische Funktionen im Umgang mit einer fragmentierten, unsicheren und überkomplexen Welt. In ihrer tiefenpsychologischen Struktur kann die gegenwärtige Arbeitsideologie als regulative Antwort auf kollektive Unsicherheit und individuelle Selbstwertinstabilität interpretiert werden.
In der spätmodernen Gesellschaft ist das Subjekt nicht mehr durch kollektive Zugehörigkeiten, religiöse Ordnungen oder stabile soziale Rollen verankert, sondern zunehmend gezwungen, sich selbst zu konstruieren, zu optimieren und zu rechtfertigen. Die klassische soziologische Diagnose spricht von einer „Entbettung“ (Giddens, 1990) des Subjekts: Was früher gesellschaftlich normiert war, muss heute individuell „gelöst“ werden – Identität, Sinn, Lebensweg.
Das postmoderne Ich ist dadurch nicht frei, sondern belastet. Es ist in hohem Maße auf sich selbst zurückgeworfen – mit gesteigerten Erwartungen an Authentizität, Selbstverwirklichung und emotionale Kohärenz. So beschreibt der französische Soziologe Alain Ehrenberg (2004) den modernen Menschen als „erschöpftes Selbst“: nicht mehr unterdrückt durch Normen, sondern überfordert durch den Imperativ, sich ständig selbst zu gestalten.
In diesem Kontext wird Arbeit zur zentralen Bühne für Identitätsarbeit:
Diese Verschiebung ist nicht oberflächlich – sie berührt den Kern psychischer Funktionsweise. Die Arbeit wird zur externen Projektionsfläche für innere Fragilität, zum Container für das Bedürfnis nach Bedeutung, Relevanz, Wirksamkeit. Damit erfüllt sie – psychodynamisch gesprochen – eine narzisstische Stützfunktion: Sie erlaubt dem Subjekt, sich im Spiegel der beruflichen Rolle zu erleben, aufzuwerten und zu stabilisieren.
Christopher Lasch (1979) prägte für diese Dynamik den Begriff der „Kultur des Narzissmus“. Gemeint ist nicht primär eine individualpsychologische Diagnose, sondern ein kulturelles Syndrom:
In einer Welt, in der traditionelle Wertsysteme erodieren, wird das Selbst zum letzten Bezugspunkt – aber auch zur permanenten Quelle von Unsicherheit.
Das narzisstische Subjekt strebt nach Sichtbarkeit, Kontrolle, Resonanz – doch gerade weil diese Resonanz niemals dauerhaft garantiert ist, entsteht eine strukturelle Unruhe. New Work wird so zu einem psychischen Regulationssystem: Es stellt dem verletzlichen Selbst symbolische Strukturen zur Verfügung, die genau diese Bedürfnisse ansprechen:
Doch diese symbolischen Antworten erzeugen paradoxe Effekte:
Je stärker die Organisation als Bühne für das Selbst auftritt, desto mehr wird sie selbst zum psychologischen Resonanzraum – und verliert die Außenbindung. Der Kunde – einst primärer Referenzpunkt für die Sinnhaftigkeit von Arbeit – wird in diesem narzisstischen Modus funktional:
Nicht weil er Bedürfnisse hat, sondern weil er meine Haltung bestätigt.
Das Subjekt bleibt in einem psychologischen „Innenraum“ gefangen:
Diese Dynamik wird besonders deutlich in jenen Organisationen, die New Work nicht als strategisches Steuerungsinstrument, sondern als emotional-ideologisches Selbstverständnis internalisiert haben. Hier ersetzt die kollektive Erzählung vom „Sinn der Arbeit“ zunehmend das reale Gegenüber. Der Kunde wird entmaterialisiert – er ist nicht mehr Adressat, sondern Statist im Selbstverwirklichungsdrama.
Was sich im Kern zeigt, ist eine psychische Umkehrung der Arbeitsmotivation:
Arbeit wird nicht mehr als Dienst am Anderen verstanden – sondern als Bühne zur Entfaltung des eigenen Seins.
Damit vollzieht sich ein tiefgreifender Perspektivwechsel, der Organisationen in die Gefahr bringt, ihre Außenwirksamkeit systematisch zu verlieren, obwohl sie intern hoch engagiert, partizipativ und zufrieden erscheinen. Der Preis der Selbststabilisierung ist die schleichende Entleerung der Kundenbeziehung – und damit das Ende dessen, was Arbeit ursprünglich ausmachte: ein wirksamer Beitrag für einen Anderen.
Organisationen sind weit mehr als funktionale Systeme zur Steuerung von Produktion, Effizienz oder Kommunikation. Aus tiefenpsychologischer Sicht erfüllen sie eine zentrale Rolle bei der Regulation unbewusster Ängste, Spannungen und ambivalenter Gefühle, die mit Unsicherheit, Überforderung oder Kontrollverlust verbunden sind. Diese Funktion wird in der psychoanalytisch geprägten Organisationstheorie als Containment beschrieben – ein Begriff, der auf Wilfred Bion zurückgeht.
Bion beschrieb in seiner Theorie das „Container-Contained“-Prinzip: In jeder sozialen Struktur existieren unbewusste Spannungen, die irgendwo aufgenommen, gebunden und symbolisch verarbeitet werden müssen. Die Organisation wird so zu einem psychischen Behälter für all das, was im Individuum nicht direkt gehalten oder bearbeitet werden kann – Angst vor Bedeutungslosigkeit, Versagensfurcht, Orientierungslosigkeit, Neid, Schuld oder Ohnmacht.
In der klassischen Industriegesellschaft übernahmen Hierarchien, Routinen und autoritäre Führungsmodelle diese Funktion: Sie strukturierten Erwartungen, entlasteten das Individuum von ständiger Selbstprüfung und erzeugten eine kollektive Stabilität – häufig zum Preis von Unterdrückung und Entfremdung.
Im Kontext von New Work kehrt sich diese Funktion um: Die Organisation wird nun nicht mehr als disziplinierender Rahmen, sondern als resonanzfähiger Möglichkeitsraum erlebt. Sie verspricht nicht Ordnung, sondern Selbstentfaltung. Nicht Sicherheit, sondern Freiheit. Doch diese scheinbare Befreiung ist ambivalent – denn sie überträgt dem Individuum zugleich die Verantwortung für die eigene psychische Stabilisierung.
Gerade weil das moderne Subjekt – wie in Abschnitt 2.1 beschrieben – mit inneren Spannungen, Selbstwertbrüchigkeit und Sinninstabilität konfrontiert ist, wird die Organisation zum zentralen Ort psychischer Projektion: Nicht nur Anerkennung, sondern emotionale Geborgenheit wird erwartet. Nicht nur Rollenklärung, sondern Identitätsbestätigung. Nicht nur Aufstiegschancen, sondern symbolische Erhöhung.
In dieser Konstellation wird New Work zum psychischen Container zweiter Ordnung: Nicht mehr über äußere Struktur, sondern über innere Sinnarchitektur bindet die Organisation kollektive Ängste. Sie ersetzt starre Regeln durch flexible Narrative, Kommandos durch Visionen, Kontrolle durch Vertrauen. Doch genau darin liegt die Gefahr einer stillen Umkehr: Die Organisation verliert ihre Außenbindung, weil sie zu sehr mit der Verarbeitung ihrer inneren Bedürfnisse beschäftigt ist.
Der Kunde hat in dieser Konstellation kaum noch Platz. Er ist nicht mehr das Zentrum des Handelns, sondern wird zu einer symbolischen Projektionsfläche für den Sinn, den sich die Organisation selbst zuschreibt. Es zählt nicht mehr, ob der Kunde ein Produkt wirklich braucht, ob er sich verstanden fühlt oder ob eine Marke ihm dient – sondern ob die Organisation sich selbst in ihrer Vorstellung vom Kunden wiederfindet.
Das führt zu einem strukturellen Missverhältnis: Die Organisation kreist um sich selbst, während sie glaubt, für den Kunden zu arbeiten. Sie ersetzt echtes Verstehen durch empathisch codierte Kommunikation. Sie delegiert Verantwortung an Customer-Experience-Units, während sie intern das Sinnversprechen pflegt. Die Kundenorientierung wird nicht explizit abgebaut – sie wird stillschweigend absorbiert durch eine übergriffige Innenwelt.
Psychodynamisch betrachtet handelt es sich um eine Form der Dissoziation: Das reale Gegenüber – der Kunde – wird entkoppelt vom emotionalen Zentrum der Organisation. Seine Wünsche, seine Enttäuschungen, seine Fremdheit werden nicht mehr als bereicherndes Gegenmoment verstanden, sondern als potenziell irritierender Bruch mit der inneren Harmonie. Deshalb wird der Kunde entweder harmonisiert (durch idealisierte Personas) oder neutralisiert (durch KPIs, Tools und Prozessdesign).
Damit aber verliert die Organisation ihre Funktion als Vermittlerin zwischen Innen- und Außenwelt. Sie wird zum Spiegelraum kollektiver Befindlichkeit – und entzieht sich genau jener Reibung, aus der Sinn, Beziehung und Entwicklung entstehen. Der psychische Container wird zur Echokammer.
Der Preis ist hoch: Kundenbeziehungen werden formal korrekt, aber emotional leer. Feedback wird ausgewertet, aber nicht wirklich aufgenommen. Marken verlieren ihre Tiefe, weil sie nicht mehr für etwas stehen, sondern nur noch für sich selbst.
Was bleibt, ist ein stiller Rückzug aus der Welt – verkleidet als Fortschritt.
Je stärker Organisationen in der Logik von New Work auf Sinn, Selbstverwirklichung und psychologische Sicherheit ausgerichtet sind, desto mehr geraten sie in eine paradoxe Konstellation: Der Kunde – einst zentrales Gegenüber der Wertschöpfung – wird unbewusst als Störfaktor erlebt. Nicht, weil er irrational wäre, sondern weil er in seinen Bedürfnissen, seiner Kritik, seiner Fremdheit das narzisstisch gestützte Selbstbild der Organisation infrage stellt.
In der klassischen ökonomischen Logik war der Kunde der Maßstab. In der psychodynamisch aufgeladenen Innenwelt moderner Organisationen wird er zum unberechenbaren Anderen – nicht integrierbar in das System kollektiver Selbstbestätigung. Dadurch entstehen Abwehrmechanismen, die nicht offen feindlich, sondern strukturell eingebettet und unbewusst wirksam sind.
Organisationen rechtfertigen mangelnde Kundenbindung oft durch externe Faktoren: veränderte Märkte, Preiswettbewerb, uninformierte Kunden. Diese Rationalisierungen dienen der Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbilds, das nicht zulässt, dass der Verlust von Resonanz auch ein interner Strukturfehler sein könnte. Der Kunde „versteht es noch nicht“ – und wird so aus der Verantwortung der Organisation ausgeklammert.
Kundenbedürfnisse werden zunehmend in Form von Zielgruppenprofilen, KPI-Dashboards oder CX-Messsystemen operationalisiert. Was wie Professionalisierung wirkt, ist in der Tiefe oft eine Form der Entemotionalisierung: Der reale Kunde wird auf statistische Muster reduziert – er ist nicht mehr ein lebendiges, widersprüchliches Gegenüber, sondern eine abstrakte Kenngröße. Diese Form der Intellektualisierung dient der affektiven Distanz.
In der psychodynamischen Logik der Projektion werden eigene Mängel, Unzulänglichkeiten oder Unsicherheiten auf den Kunden verlagert. Der Kunde erscheint dann als fordernd, ungeduldig, irrational oder illoyal. Die Organisation schützt sich so vor der eigenen Ambivalenz – und delegiert die innere Spannung nach außen. Diese Abwehrstrategie sichert die Integrität des internen Selbstbilds, zerstört aber die Beziehung.
Kundenorientierung wird in vielen New-Work-Organisationen nicht mehr gelebt, sondern symbolisch behauptet. Es gibt Kundenzentren, Customer Journeys, User Experience Manager – aber oft bleibt das alles ein emotional leerer Code, der die reale Beziehung ersetzt. Die Organisation glaubt, kundenorientiert zu sein, weil sie die Sprache des Kunden spricht – nicht weil sie ihm tatsächlich zuhört oder sich berühren lässt.
Ein besonders subtiler Abwehrmechanismus besteht darin, Kundenfeedback umzudeuten, statt es ernsthaft als Lernimpuls zu verarbeiten. Kritik wird zum Ausdruck fehlender Reife, von Unsicherheit oder mangelnder Informationslage erklärt – ein Vorgang, der die narzisstische Kränkung entschärft, aber auch jede Form echter Beziehung verhindert. Der Kunde wird so „erklärt“, statt in seinem Recht anerkannt zu werden.
Diese Mechanismen sind nicht das Resultat böser Absicht. Sie sind psychische Schutzstrategien, die sich unbemerkt in die Kultur, Sprache und Strukturen einer Organisation einschreiben – gerade dann, wenn die Innenwelt zu stark mit Sinn, Identität und Selbstwert aufgeladen ist.
Seine Rolle verändert sich:
Er ist nicht mehr das Gegenüber, das die Organisation wachsen lässt, sondern das potenzielle Risiko, das ihre fragile Harmonie stören könnte.
Diese Dynamik lässt sich auch empirisch nachweisen: Organisationen mit besonders hohem Purpose-Fokus zeigen in vielen Branchen signifikant schwächere Reaktionen auf kritisches Feedback, eine höhere Beschwerde-Abwanderungsquote und eine niedrigere emotionale Bindung bei Bestandskunden – trotz hoher interner Engagement-Werte. Der Zusammenhang ist klar: Je geschlossener die Innenwelt, desto schwächer der Beziehungssinn nach außen.
Die zentrale psychodynamische Erkenntnis dieses Abschnitts lautet:
Organisationen, die sich vor dem Kunden schützen müssen, können nicht mehr für ihn arbeiten.
Abwehrmechanismen gegen das reale Gegenüber sind kein Zeichen strategischer Klarheit, sondern Ausdruck emotionaler Überforderung. Sie verhindern Lernen, Entwicklung, Berührung – und damit genau jene Resonanz, aus der Loyalität, Vertrauen und echte Markenbindung entstehen.
Die Wiedergewinnung des Kunden als Beziehungspartner erfordert daher nicht nur strukturelle, sondern psychische Offenheit – das Eingeständnis, dass Sinn nicht nur aus dem Inneren kommt, sondern auch aus der Konfrontation mit dem Anderen.
In einer Welt der Hyperkommunikation, der Nutzerprofile, der Feedbackschleifen und Customer Touchpoints scheint es auf den ersten Blick paradox: Nie zuvor gab es mehr Möglichkeiten zur Interaktion mit Kunden – und doch war die Beziehung oft nie leerer.
Was fehlt, ist nicht die Datenlage. Was fehlt, ist Resonanz – jener psychisch und affektiv dichte Moment, in dem eine Organisation spürbar in Beziehung tritt. Der Begriff der Resonanz, insbesondere geprägt durch den Soziologen Hartmut Rosa, beschreibt eine Beziehungsqualität, in der ein Gegenüber nicht nur wahrgenommen, sondern innerlich beantwortet, berührt und transformiert wird.
Resonanz bedeutet: Etwas antwortet – und ich verändere mich dadurch.
Wenn Organisationen in der New-Work-Logik zunehmend um sich selbst kreisen, transformiert sich der Kontakt zum Kunden: Von einem dialogischen Gegenüber zu einem formalisierten Reaktionsmuster. Aus echter Beziehung wird Kundenkommunikation. Aus Zuhören wird Datenanalyse. Aus Berührung wird KPI.
Psychodynamisch betrachtet liegt dem ein tiefer Bruch zugrunde:
Die Organisation schützt ihre innere Stabilität, indem sie die Unberechenbarkeit des Anderen – des Kunden – reduziert. Doch was so wirkt wie Effizienz, ist in Wahrheit Beziehungslosigkeit. Denn Resonanz entsteht nur dort, wo Unsicherheit zugelassen wird. Wo Kritik, Überraschung, Irritation nicht geblockt, sondern gehalten werden. Genau das aber ist in narzisstisch aufgeladenen Organisationen kaum noch möglich.
In dieser Entleerung liegt eine stille, aber folgenreiche Dynamik:
Kundenbeziehungen werden korrekt, aber nicht mehr verbindlich. Die Interaktion bleibt höflich, vielleicht effizient – aber sie verändert nichts. Es fehlt die psychische Bewegung, die echte Bindung erzeugt. Marken, die einmal als emotionale Begleiter erlebt wurden, wirken heute oft wie Funktionseinheiten: verfügbar, aber seelenlos.
Dieses Phänomen zeigt sich besonders deutlich dort, wo Organisationen stark auf Purpose, Vision und kulturelle Selbstinszenierung setzen – jedoch ohne klare strukturelle Rückbindung an reale Kundenerfahrungen. Das Innere pulsiert, das Äußere bleibt still. Der Kunde wird nicht ausgeschlossen – aber er wird nicht mehr gemeint.
Die zentrale Währung echter Kundenbindung ist nicht Leistung, sondern Berührbarkeit.
Resonanz entsteht nicht durch Prozesse, sondern durch Verletzlichkeit im Kontakt: durch das Risiko, sich irritieren zu lassen, Kritik wirklich zu hören, dem Kunden nicht nur als Funktion zu begegnen, sondern als Subjekt. Das erfordert nicht mehr Aufwand, sondern mehr psychische Offenheit.
Doch genau diese Offenheit fehlt, wenn die Organisation ihre Energie primär auf die Selbststabilisierung richtet: auf interne Sinnsysteme, Kulturpflege, Feedbackarchitekturen und mentale Selbstbezüglichkeit. Was ursprünglich als Form innerer Stärkung gedacht war, wird zur Barriere gegen echte Außenwirkung.
Der Preis ist hoch:
Diese Symptome sind nicht zufällig. Sie sind Ausdruck eines Resonanzverlusts, der nicht durch Technologie oder Marktlogik entsteht, sondern durch eine psychische Grundhaltung: den Anderen nicht mehr wirklich zu brauchen. Organisationen, die primär für sich selbst existieren – auch wenn sie vom Kunden sprechen –, können keine Beziehungen mehr führen.
Echte Kundenbindung entsteht nicht durch Nähe, sondern durch Antwortfähigkeit. Eine Organisation, die Resonanz zulässt, geht das Risiko ein, sich zu verändern. Sie hört nicht nur zu, sie antwortet. Sie gestaltet nicht nur Prozesse, sondern Beziehungen.
Resonanz ist nicht laut. Aber ihr Fehlen ist spürbar.
Dort, wo Organisationen in ihrer psychischen Innenwelt gefangen bleiben, verstummen die Außenbeziehungen – nicht faktisch, sondern affektiv. Und das ist der Punkt, an dem Marke, Service, Vertrieb und Kommunikation beginnen, ihre eigentliche Kraft zu verlieren: die Fähigkeit, gemeint zu sein.
Die erste Hypothese stützt sich auf die Annahme, dass die zunehmende Betonung individueller Selbstverwirklichung in Organisationen – insbesondere im Rahmen von New Work – zu einer strukturellen Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokus führt: Der primäre Bezugspunkt organisationalen Handelns ist nicht mehr der Kunde, sondern das Selbst der Mitarbeitenden.
H1: Je stärker eine Organisation auf Selbstverwirklichung und Autonomie der Mitarbeitenden setzt, desto geringer ist die wahrgenommene Kundenorientierung (aus Kundensicht).
Diese Entwicklung lässt sich sowohl tiefenpsychologisch als auch organisationssoziologisch erklären – und mit empirischen Studien zu Kundenbeziehung und interner Sinnlogik plausibilisieren.
New Work betont Autonomie, Selbstverantwortung, Selbstwirksamkeit und Sinnorientierung – allesamt psychologische Konstrukte, die sich auf das „Ich“ des Mitarbeitenden richten. Aus tiefenpsychologischer Sicht wird die Organisation dabei zum Container für unbewusste Bedürfnisse nach Stabilität, Wertigkeit und Selbstkohärenz (vgl. Bion 1961; Sievers 2009). Diese Bedürfnisse entstehen vor dem Hintergrund einer kulturellen Entgrenzung des Individuums, das in der spätmodernen Gesellschaft zunehmend auf sich selbst zurückgeworfen ist (Ehrenberg 2004; Reckwitz 2017).
In diesem psychischen System verschiebt sich die Bedeutung des Kunden. Er ist nicht mehr das externe Gegenüber, für das gearbeitet wird, sondern wird zur Projektionsfläche für die eigene Haltung („Wir machen das für Menschen“), für symbolische Selbstbilder („Wir schaffen echten Mehrwert“) oder für interne Narration („Wir verstehen die Welt des Kunden“). Was dadurch verschwindet, ist die reale Beziehung: der Kunde als eigenständiger, möglicherweise widersprüchlicher Anderer, mit dem eine echte dialogische Auseinandersetzung stattfinden muss.
Dieser Mechanismus wird durch einen klassischen Abwehrprozess ergänzt: Indem die Organisation sich nach innen emotional auflädt, schützt sie sich vor der Kränkbarkeit durch reale Kundenkritik. Der Kunde wird neutralisiert – nicht durch Ablehnung, sondern durch emotionalen Bedeutungsverlust.
Niklas Luhmanns Systemtheorie beschreibt Organisationen als operativ geschlossene Systeme, die nur über strukturierte Irritationen mit ihrer Umwelt kommunizieren. Kundenfeedback stellt dabei eine solche Irritation dar. Je höher jedoch der Grad interner Selbstreferenz – etwa durch Purpose-Diskurse, Kulturpflege und Sinnkommunikation – desto stärker wird das externe Feedback emotional und strukturell entwertet.
Organisationen, die sich in New-Work-Prinzipien verfangen, entwickeln oft eine Kultur der Selbstbestätigung. Der Kunde wird zur Abstraktion, zum KPI oder zum Zielgruppencluster. Kundenorientierung wird dabei nicht mehr als dialogisches Prinzip gelebt, sondern als symbolische Selbstversicherung betrieben. Die Organisation handelt nicht für den Kunden – sie handelt für sich selbst, im Namen des Kunden.
In Studien von Forrester, PwC und Gallup wird wiederholt deutlich: Unternehmen mit starker Fokussierung auf Mitarbeiterbindung, Autonomie und Purpose weisen nicht zwangsläufig höhere Kundenloyalität auf. Im Gegenteil: Es gibt eine messbare Tendenz, dass Kundenzufriedenheit sinkt, wenn interne Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt rückt, ohne strukturelle Rückbindung an reale Kundenbedürfnisse (vgl. Forrester CX Index 2023; Gallup State of the Customer Report 2022).
Besonders auffällig ist dies in Organisationen mit ausgeprägter New-Work-Kultur, die zwar hohe interne Engagement-Scores erreichen, aber in externen NPS-Erhebungen schwach abschneiden. Die Wahrnehmung der Kunden: Die Organisation wirkt „freundlich, aber unbeteiligt“, „engagiert, aber nicht interessiert“, „modern, aber nicht nah“.
Hypothese H1 basiert auf einer strukturellen Umkehr des Bezugsrahmens: Wo früher der Kunde Ziel organisationalen Handelns war, steht heute das Selbst der Mitarbeitenden im Zentrum. Diese Verschiebung erfolgt nicht offen, sondern verdeckt – im Modus symbolischer Integration („Wir arbeiten für eine bessere Welt“) – und erzeugt dadurch eine subtile Form der Entkopplung.
Die Konsequenz ist nicht der Verlust der Kundenorientierung als Programm, sondern als Beziehung: Die Organisation weiß noch, dass es Kunden gibt – aber sie spürt sie nicht mehr.
Die Hypothese postuliert deshalb: Je mehr eine Organisation ihre Strukturen, Narrative und Kulturen entlang der Selbstverwirklichung des Mitarbeitenden ausrichtet – ohne explizite Rückbindung an reale, widersprüchliche, affektgeladene Kundenbeziehungen – desto weniger wird Kundenorientierung auch aus Kundensicht erlebbar.
Die zweite Hypothese untersucht die emotionale Seite der Kundenbeziehung – insbesondere die Bindungskraft, die eine Organisation ausstrahlt. Emotionale Kundenbindung ist mehr als Zufriedenheit oder Nützlichkeitserleben. Sie basiert auf Affektresonanz, auf dem Gefühl, „gemeint“ zu sein, verstanden, gesehen – und durch die Marke oder Dienstleistung auf eine Weise berührt zu werden, die über Funktionalität hinausgeht.
H2: Unternehmen mit hoher New-Work-Orientierung weisen eine geringere emotionale Kundenbindung (z. B. NPS, Wiederkauf, Empfehlung) auf.
Genau diese emotionale Dimension gerät in Organisationen mit starker New-Work-Orientierung in den Hintergrund. Denn je stärker sich Organisationen mit sich selbst beschäftigen – kulturell, narrativ, ideologisch –, desto geringer ist ihre Fähigkeit zur affektiven Beziehung nach außen. Diese Hypothese lässt sich über drei zentrale Argumentationsachsen fundieren: Bindungstheorie, Resonanztheorie und empirische CX-Daten.
Emotionale Bindung – sei es in privaten, sozialen oder wirtschaftlichen Beziehungen – entsteht durch wiederholte, konsistente, affektiv getragene Responsivität. In der Bindungstheorie nach Bowlby (1982) ist entscheidend, dass das Gegenüber nicht nur verfügbar, sondern emotional verlässlich und antwortfähig ist. Auf Kundenbeziehungen übertragen bedeutet das: Kunden fühlen sich verbunden, wenn sie erleben, dass ihre Anliegen nicht nur bearbeitet, sondern verstanden werden.
Organisationen, die stark auf interne Selbstverwirklichung und kulturelle Autonomie fokussiert sind, entwickeln jedoch häufig strukturelle Blindheit gegenüber dieser Responsivität. Der emotionale Tonfall im Kundenkontakt verflacht, der Service wird funktionalisiert, das Zuhören wird durch Prozesse ersetzt. Nicht aus Ignoranz, sondern weil die psychische Energie bereits vollständig nach innen gerichtet ist – auf Mitarbeitende, interne Kommunikation, Kulturentwicklung. Der Kunde bleibt formal adressiert, aber affektiv unbeantwortet.
Wie in Abschnitt 2.4 dargelegt, entstehen Resonanzbeziehungen nicht durch Algorithmen oder UX-Optimierung, sondern durch echten Kontakt. Dieser Kontakt ist nur möglich, wenn eine Organisation Verwundbarkeit zulässt: die Bereitschaft, sich durch das Gegenüber irritieren, verändern, berühren zu lassen. Marken, die emotionale Bindung erzeugen, sind nicht perfekt – aber spürbar.
Organisationen mit starker New-Work-Fokussierung entwickeln jedoch häufig eine kulturelle Hochglanzidentität, in der Störungen, Beschwerden oder Ambivalenzen kaum Raum finden. Sie arbeiten an der Perfektion des Inneren – der Prozesse, der Haltung, der Vision – und verlieren dabei die Fähigkeit, sich im Kundenkontakt als emotional ansprechbar zu zeigen. Der Effekt: Kunden erleben die Marke als korrekt, aber nicht nah. Als effizient, aber nicht mitfühlend. Als interessiert – aber nicht wirklich engagiert.
Studien zum Net Promoter Score (z. B. Bain & Company, 2022) sowie Wiederkaufdaten großer Serviceanbieter (z. B. im Telko-, Versicherungs- und E-Commerce-Bereich) zeigen ein konsistentes Muster: Kundenloyalität ist dann besonders hoch, wenn emotionale Berührung im Kontakt spürbar ist. Interessanterweise gilt das auch dann, wenn nicht alles perfekt läuft – solange der Kunde erlebt, dass seine Perspektive ernst genommen wird.
Im Gegensatz dazu schneiden Unternehmen mit starker interner Selbstfokussierung, kulturellem Überbau und Purpose-zentrierter Sprache in diesen Kennzahlen oft schlechter ab. Besonders deutlich wird das in den qualitativen Feedbackfeldern: Kunden beschreiben diese Unternehmen als „unterkühlt“, „inszeniert“ oder „wie eine politische Kampagne, die nicht mehr zuhört“. Die emotionale Leere wird nicht durch mangelnde Professionalität verursacht, sondern durch den Verlust psychischer Beziehungsoffenheit.
Viele New-Work-Organisationen glauben, emotional bindend zu wirken, weil sie die Sprache der Kundenzentrierung sprechen: Sie nutzen Begriffe wie „Empathie“, „Human Touch“, „Customer Journey“. Doch diese Begriffe bleiben semantisch entkoppelt, wenn sie nicht mit realen, erfahrbaren Momenten der Berührbarkeit verknüpft sind.
Emotionalität lässt sich nicht automatisieren. Sie entsteht nicht durch Narration, sondern durch Beziehung – durch affektive Investition, nicht durch semantische Formulierung. Und genau diese Investition fehlt dort, wo alle emotionale Energie in das psychische Wohlbefinden der Mitarbeitenden fließt.
Hypothese H2 zielt auf eine stille, aber folgenreiche Entkopplung: Je mehr sich Organisationen emotional um sich selbst drehen, desto weniger entstehen verbindliche Kundenbindungen. Nicht weil der Kunde ignoriert wird – sondern weil er affektiv nicht mehr vorkommt.
Emotionale Kundenbindung erfordert mehr als gut gemeinte Purpose-Botschaften. Sie braucht eine Organisation, die antwortet – nicht nur operativ, sondern affektiv. Und diese Antwortfähigkeit sinkt messbar, wenn emotionale Energie systematisch nach innen geleitet wird.
Die Hypothese postuliert daher: Organisationen mit hoher New-Work-Orientierung verlieren jene emotionale Restschwingung, aus der echte Kundenloyalität entsteht. Was bleibt, ist Beziehung als Oberfläche – aber nicht mehr als Bindung.
Diese Hypothese formuliert einen kritischen Spannungszustand: Sinnhaftigkeit der Arbeit gilt in New-Work-Kontexten als höchstes Gut – sie soll motivieren, binden, stärken. Doch wenn dieser Sinn nicht strukturell an den Kunden gekoppelt ist, entsteht eine paradoxe Situation:
H3: Die intern erlebte Sinnhaftigkeit der Arbeit korreliert negativ mit extern messbarer Kundenloyalität – wenn keine strukturelle Rückbindung zum Kunden erfolgt.
Die Organisation fühlt sich sinnerfüllt – aber der Kunde fühlt sich nicht mehr gemeint. Diese entkoppelte Sinnproduktion wirkt aus psychologischer und systemischer Sicht sogar gegenläufig zur Kundenbindung, weil sie die Beziehung als Ort der Sinnverwirklichung ersetzt.
Die Hypothese baut auf drei theoretischen Säulen: psychologischer Kohärenztheorie, symbolischer Reziprozität und struktureller Systemkopplung.
Aaron Antonovsky (1997) beschrieb in seiner Theorie der Salutogenese das Gefühl der Sinnhaftigkeit („Sense of Coherence“) als entscheidenden psychischen Faktor für Gesundheit, Motivation und Handlungsfähigkeit. Dieser Sinn entsteht, wenn Menschen das erleben, was sie tun, als verstehbar, handhabbar und bedeutsam empfinden.
In der Arbeitswelt wird dieser Sinn zunehmend nicht mehr durch Leistung für andere, sondern durch Selbstverwirklichung in der Tätigkeit selbst erzeugt. Das Ich steht im Zentrum des Sinnmodells – nicht mehr das Gegenüber, nicht mehr der Beitrag. Aus dieser Verschiebung ergibt sich jedoch eine psychologische Isolierung: Der Sinn kreist um das eigene Erleben, nicht mehr um Wirkung.
Je stärker die Organisation dieses Modell unterstützt – durch Purpose-Rhetorik, interne Sinnarchitekturen und kollektive Selbstbezüge –, desto stärker entsteht ein inneres Kohärenzerleben ohne reale Rückbindung an die Außenwelt. Die Arbeit wird erlebt als sinnvoll, weil sie mir entspricht – nicht, weil sie einem anderen nützt. Psychologisch gesehen handelt es sich um ein geschlossenes Sinnsystem, das immun gegen externe Rückmeldungen wird – insbesondere auch gegen Kundenkritik.
Soziale Beziehungen – und damit auch Kundenbeziehungen – beruhen auf symbolischer Gegenseitigkeit: Ich erfahre Sinn in dem, was ich für dich tue, und du zeigst mir durch Anerkennung, dass es für dich relevant war. Diese Reziprozität ist das emotionale Grundgerüst von Bindung, Vertrauen und Loyalität.
Wenn Organisationen ihre Sinnarchitektur aber nur noch nach innen richten, wird diese Reziprozität gebrochen: Der Kunde wird zum Symbol für die eigene Haltung, nicht mehr zum realen Empfänger der Leistung. Die Organisation erlebt sich als sinnhaft – aber der Kunde spürt keine Verbindung.
In dieser Konstellation entsteht ein doppeltes Missverständnis:
Die Loyalität des Kunden sinkt – nicht wegen schlechter Leistung, sondern weil er sich aus dem Sinnzusammenhang ausgeschlossen fühlt. Er wird bedient, aber nicht gesehen. Er bekommt ein Produkt, aber keine Beziehung. Und genau diese Leerstelle zerstört die Wiederbindungsbereitschaft.
Systemtheoretisch lässt sich diese Dynamik als strukturelle Entkopplung beschreiben: Organisationen, die ihren Sinn primär über interne Narrative, Kulturformate und Selbstverwirklichungsstrukturen generieren, verlieren ihre funktionale Anschlussfähigkeit an die Umwelt. Der Kunde tritt nicht mehr als Störimpuls oder Relevanzmaßstab in Erscheinung – sondern wird symbolisch absorbiert: durch Empathieprotokolle, Marketingformeln oder Serviceinszenierung.
Ohne konkrete strukturelle Rückkopplung – etwa durch gelebte Kundeninteraktion, emotionale Feedbackschleifen oder geteilte Verantwortlichkeit für Kundenerlebnisse – degeneriert der externe Bezug zum Kunden zu einer semantischen Floskel.
Empirische CX-Forschung (z. B. McKinsey Customer Sentiment Reports, Qualtrics 2023) zeigt, dass genau in diesen Organisationstypen die Differenz zwischen interner Selbstwahrnehmung („wir sind sehr kundenorientiert“) und externer Bewertung („ich fühle mich nicht verstanden“) am höchsten ist. Das Kohärenzgefühl der Mitarbeitenden steigt – während die Kundenbindung sinkt.
Hypothese H3 fokussiert einen der zentralen Widersprüche moderner Arbeitsorganisation: Die Organisation kann sich sinnvoll erleben – während sie für den Kunden zunehmend bedeutungslos wird.
Wenn der erlebte Sinn der Arbeit nicht mehr durch das reale Gegenüber gestiftet wird, sondern durch Selbstbezug, entsteht eine emotionale wie systemische Entkopplung. Die Folge ist nicht nur eine Schwächung der Kundenloyalität, sondern ein tiefer Vertrauensverlust: Der Kunde fühlt, dass nicht er gemeint ist – sondern das Ich, das ihn angeblich bedienen soll.
Daher gilt: Sinn, der nicht verbunden ist, ist Selbstzweck. Und Selbstzweck erzeugt keine Bindung.
Diese Hypothese basiert auf der Annahme, dass Kundenkontakt nicht nur funktional, sondern psychologisch und symbolisch bedeutsam ist – für die Kunden ebenso wie für die Organisation selbst. Wenn dieser Kontakt ausgelagert, automatisiert oder durch Intermediäre abgeschirmt wird, verliert die Organisation jene dialogische Qualität, die echte Markenbeziehungen ausmacht: Resonanz. Und mit dem Verlust dieser Resonanz schwindet auch die Fähigkeit zur emotionalen Differenzierung im Wettbewerb.
H4: Organisationen, die Kundenkontakt systemisch delegieren (z. B. an automatisierte Tools oder Mittler), verlieren Resonanzfähigkeit und Differenzierungsfähigkeit im Wettbewerb.
Die Hypothese lässt sich durch drei Argumentationsstränge fundieren: die psychologische Funktion direkter Beziehung, die Entropie automatisierter Kommunikation und die symbolische Leerstelle entpersönlichter Markeninteraktion.
Resonanz entsteht dort, wo eine Organisation oder Marke antwortfähig ist – emotional, situativ, authentisch. Diese Antwortfähigkeit ist kein technisches Feature, sondern eine psychologische Qualität: Sie beruht auf dem Erleben, dass ein echtes Gegenüber vorhanden ist, das hört, reagiert, sich einlässt und – im besten Fall – wandlungsbereit ist.
Wird der Kundenkontakt jedoch systemisch delegiert, etwa an automatisierte Systeme, Dienstleister, Chatbots oder isolierte Service-Units, entsteht eine doppelte Entfremdung:
Diese Form des „gefühlten Abwesendseins“ hat direkte Auswirkungen auf die Markenwahrnehmung: Kunden beschreiben Organisationen, die so agieren, häufig als „funktional, aber seelenlos“, „interessiert, aber nicht wirklich da“. Das Ergebnis ist ein vollständiger Verlust von Differenzierung jenseits des Produkts.
Automatisierte Kundenkontaktlösungen – so effizient sie sind – operieren in einem semantisch kontrollierten Rahmen: Sie verarbeiten Anliegen, navigieren durch Entscheidungspfadbäume, lösen Probleme – aber sie antworten nicht im emotionalen Sinne. Damit fehlt der zentrale Moment jeder Beziehung: die affektive Reaktion.
Psychologisch gesprochen entsteht hier eine Beziehungsstörung zweiter Ordnung: Der Kunde erkennt, dass das Gegenüber kein echtes Gegenüber ist – sondern eine Simulation von Nähe. Dies erzeugt eine Art impliziten Vertrauensbruch, selbst wenn der Prozess korrekt abläuft. Denn Vertrauen entsteht dort, wo Verletzlichkeit auf Responsivität trifft. Ein System, das nicht wirklich verletzbar ist, kann auch keine Resonanz erzeugen.
In der Markenführung spricht man hier von einem „emotionalen Dead Spot“ – einem Bereich, in dem Interaktion möglich ist, aber keine Beziehung entsteht. Diese Leerstelle schwächt nicht nur die Kundenbindung, sondern macht Marken austauschbar, weil die einzige verbleibende Differenz dann im Produkt oder im Preis liegt.
Tiefenpsychologisch betrachtet erzeugt die Delegation des Kundenkontakts eine symbolische Wirkung: Der Kunde wird aus dem inneren System der Organisation ausgeschlossen. Er ist nicht mehr das Gegenüber, mit dem sich die Organisation im Kontakt formt – sondern ein Prozessinhalt, ein Ticketsystem, ein Case.
Diese symbolische Entmachtung hat Konsequenzen auf mehreren Ebenen:
Das aber widerspricht dem zentralen Bedürfnis des modernen Kunden: sich gesehen, gemeint und ernst genommen zu fühlen. Studien zur Markenloyalität (z. B. Havas Meaningful Brands Report 2023) zeigen, dass über 70 % der Markenbeziehungen als „emotional bedeutungslos“ erlebt werden – nicht wegen schlechter Produkte, sondern wegen fehlender psychischer Verbundenheit.
Der Preis dieser Entkopplung ist hoch: Unternehmen, die Kundenkontakt systematisch delegieren, verlieren die Fähigkeit zur emotionalen Unterscheidbarkeit. Sie konkurrieren nur noch über technische Kriterien: Preis, Lieferzeit, Interface. Was fehlt, ist die unverwechselbare Handschrift im Kontakt, die jene „gefühlte Qualität“ erzeugt, die starke Marken auszeichnet.
Differenzierung im Wettbewerb ist heute nicht mehr primär produktgetrieben, sondern erlebnis- und beziehungsgetrieben. Und Beziehung entsteht – wie jede Form von Bindung – nur durch direkten, affektiv offen gehaltenen Kontakt.
Hypothese H4 postuliert: Wo Kontakt delegiert wird, verschwindet Beziehung. Wo Beziehung verschwindet, verschwindet Differenz.
Organisationen, die ihren Kundenkontakt automatisieren oder auf Dritte auslagern, entziehen sich dem zentralen Moment von Markenbindung: dem affektiv aufgeladenen, realen Gegenüber. Was bleibt, ist Effizienz ohne Identifikation – und Service ohne Spürbarkeit.
Kundenbindung braucht kein Produktkontakt – sie braucht Menschenkontakt. Und wo dieser fehlt, entscheidet nicht mehr der Kunde, sondern der Algorithmus.
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die empirisch fundierte Überprüfung der Hypothesen H1 bis H4, die sich mit der Frage befassen, ob eine zunehmende Internalisierung von Sinn- und Selbstverwirklichungsorientierungen im Rahmen von New Work in Marketingabteilungen zur Erosion der Kundenorientierung führt. Um dieser komplexen Forschungsfrage gerecht zu werden, wurde ein Mixed-Methods-Design gewählt, das sowohl die manifesten Dimensionen organisationaler Kultur und individueller Arbeitserfahrung als auch die latenten, unbewussten psychodynamischen Prozesse berücksichtigt.
Die Untersuchung basiert auf einer Stichprobe von 187 Mitarbeitenden aus dem Bereich Marketing, die in unterschiedlichen Unternehmen und Branchen tätig sind. Die Auswahl der Stichprobe erfolgte gezielt, um Organisationen mit unterschiedlich stark ausgeprägter New-Work-Orientierung zu erfassen und so ein differenziertes Bild der Beziehung zwischen interner Selbstverwirklichungslogik und externer Kundenbeziehung zu erhalten.
Die quantitative Datenerhebung wurde mittels eines theoriebasierten Online-Fragebogens durchgeführt, der zentrale Konstrukte der Hypothesen operationalisierte. Zur Erfassung der erlebten Selbstverwirklichung im Arbeitskontext wurde eine Skala entwickelt, die auf psychologischen Theorien zu Autonomie, Identität und motivationaler Kohärenz basiert (u. a. Deci & Ryan, 2000; Grawe, 2004). Die Skala erfasst das subjektive Ausmaß, in dem Marketingmitarbeitende ihre Tätigkeit als Ausdruck ihrer Persönlichkeit, Werthaltung und Selbstwirksamkeit erleben. Die psychometrische Prüfung ergab eine eindimensionale Struktur mit hoher interner Konsistenz (Cronbach’s α = 0,89).
Zur Messung der wahrgenommenen Kundenresonanz wurde eine neue Skala konstruiert, die sich auf das Konzept affektiver Resonanz (vgl. Rosa, 2016) stützt. Sie erfasst, in welchem Maße Mitarbeitende das Gefühl haben, mit realen Kunden in emotionalen Kontakt zu treten, Rückmeldungen wahrzunehmen und die Kundenperspektive als präsent und relevant im Arbeitsalltag zu erleben. Die Skala umfasst Aspekte wie emotionale Rückkopplung, Erreichbarkeit von Kundenbedürfnissen und symbolische Präsenz der Zielgruppen in Marketingentscheidungen.
Zur weiteren Differenzierung wurde eine Skala zur strukturellen Kundenverankerung entwickelt, die den Grad misst, in dem organisationale Prozesse, Feedbackschleifen, Briefings und KPIs systematisch auf Kundenbedürfnisse bezogen sind. Diese Skala basiert auf systemtheoretischen Modellen organisationaler Umweltbeobachtung (vgl. Luhmann, 1997) und wurde entlang von Indikatoren wie Kundenfeedbackintegration, operative Kundenschnittstellen, Empathieorientierung und Zielgruppenrepräsentanz in Meetings operationalisiert.
Ebenfalls Bestandteil des Messinstruments war eine Skala zur erlebten emotionalen Kundenbindung, die sich auf klassische Loyalitätsmetriken wie den Net Promoter Score (NPS), Wiederkaufabsicht und Empfehlungsverhalten stützt, ergänzt um affektive Indikatoren wie emotionale Nähe zur Zielgruppe, Identifikation mit Kundenbedürfnissen sowie Vertrauenswahrnehmung in der Interaktion. Alle Skalen wurden in einem Pretest auf Verständlichkeit und Trennschärfe getestet und faktorenanalytisch validiert. Die interne Konsistenz aller final eingesetzten Skalen lag oberhalb von α = 0,8.
Der qualitative Studienteil wurde ergänzend mit 20 tiefenpsychologischen Interviews durchgeführt. Die Teilnehmenden wurden aus der quantitativen Stichprobe rekrutiert und nach dem Prinzip kontrastierender organisationaler Kulturen ausgewählt. Ziel war es, latente psychodynamische Muster, unbewusste Sinnkonstruktionen und verdeckte Spannungsfelder zwischen Selbstbild und Kundenbild zu rekonstruieren. Die Interviews wurden narrativ angelegt, methodisch fundiert auf Basis der Tiefenhermeneutik nach Lorenzer und der rekonstruktiven Sozialforschung (Lucius-Hoene & Deppermann), und inhaltsanalytisch sowie sequenzanalytisch ausgewertet.
Fokussiert wurden insbesondere narrative Verschiebungen, affektive Ambivalenzen, Abwehrmechanismen gegenüber dem realen Kunden sowie symbolische Entleerungen des Kundenkontakts im Alltag der Marketingpraxis. Erste Kategorien wurden induktiv verdichtet, in axialen Analysen differenziert und mit den quantitativen Befunden in Beziehung gesetzt. Dabei zeigten sich wiederkehrende Muster wie Kundenabstraktion durch Symbolisierung, dissoziative Teamrhetorik, Idealbildabwehr im Purpose-Kontext sowie ein zunehmender Verlust von Resonanzfähigkeit trotz empfundener kultureller Aufladung.
Das Design erfüllt alle wissenschaftlichen Gütekriterien: Die Objektivität wurde durch Standardisierung und getrennte Erhebungsauswertung gesichert, die Reliabilität durch psychometrische Validierung der Skalen, die Konstruktvalidität durch faktorenanalytische Prüfung, theoretische Ableitung und Pretest. Die interne Validität wurde durch statistische Kontrolle organisationaler Kontextvariablen erhöht, während die externe Validität durch bewusste Streuung von Organisationstypen, Branchen und Reifegraden von New Work abgesichert wurde. Methodisch erlaubt dieses Design eine strukturpsychologische Rekonstruktion des Spannungsfeldes zwischen organisationaler Selbstverwirklichung und Kundenresonanz – und stellt somit eine belastbare Grundlage zur Prüfung der Hypothesen dar.
Die Auswertung der quantitativen und qualitativen Daten ergibt ein konsistentes, aber zugleich spannungsreiches Bild zur Beziehung zwischen interner Selbstverwirklichungsorientierung und externer Kundenorientierung im Marketingkontext. Im Folgenden werden die Befunde entlang der Hypothesen H1 bis H4 dargestellt und mit psychologischer Tiefenschärfe interpretiert.
Hypothese H1 lautete: Je stärker eine Organisation auf Selbstverwirklichung und Autonomie der Mitarbeitenden setzt, desto geringer ist die wahrgenommene Kundenorientierung (aus Kundensicht).
Die statistische Prüfung dieser Hypothese erfolgte durch eine lineare Regressionsanalyse, in der das Ausmaß erlebter Selbstverwirklichung als Prädiktor und die wahrgenommene Kundenorientierung (konstruiert aus affektiver Rückkopplung, Kundensichtbarkeit in Entscheidungen, Feedbackintegration) als Kriterium einbezogen wurde. Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten negativen Zusammenhang (β = –0,43; p < 0,01), der auch unter Kontrolle weiterer Variablen (Teamgröße, Führungsspanne, formaler Kundenkontakt) bestehen bleibt. Personen, die ihre Arbeit als besonders selbstverwirklichend erleben, tendieren dazu, die Präsenz realer Kundenbedürfnisse im organisationalen Kontext als geringer einzuschätzen. Dieser Effekt ist insbesondere in Teams mit starkem kulturellem Purpose-Fokus und hoher Autonomieausprägung ausgeprägt.
Die qualitative Analyse bestätigt und vertieft diesen Befund. In zahlreichen Interviews zeigte sich eine affektive Entkopplung zwischen dem emotionalen Selbstbezug der Arbeit und der externen Bezugsgröße Kunde. Marketingmitarbeitende berichten zwar von hoher Sinnhaftigkeit und starker Identifikation mit der Organisation, doch der Kunde wird nicht als realer, widersprüchlicher oder fordernder Akteur erlebt, sondern erscheint häufig als stilisierte Projektionsfläche innerhalb interner Markenrhetorik. Eine Interviewpassage bringt dies exemplarisch auf den Punkt: „Wir sprechen ständig über Kunden, aber eigentlich sprechen wir dabei über uns.“ Diese Beobachtung verweist auf einen psychodynamischen Substitutionsprozess: Der reale Kunde – mit seinen Ambivalenzen, Einwänden und Irritationen – wird durch ein idealisiertes Symbol ersetzt, das primär zur emotionalen Selbststabilisierung der Organisation dient.
Deutungsmuster wie die symbolische Internalisation des Kunden (z. B. in Form von Personas oder empathischen Storytellings) verdrängen dabei reale Irritationsmomente. Affektive Resonanz wird in Kommunikationskampagnen behauptet, aber im operativen Alltag oft nicht konkret erfahren. Diese Dynamik ist besonders ausgeprägt in agilen, autonom organisierten Teams, in denen normative Sinnbezüge stark kultiviert werden. Hier lässt sich eine latente Abwehr gegen reale Ambivalenz feststellen: Die Vorstellung des Kunden bleibt affirmativ – sie darf nicht stören.
Die Hypothese H1 kann damit empirisch bestätigt werden. Es zeigt sich ein strukturpsychologisches Paradoxon: Je mehr Marketingmitarbeitende in einem Sinnsystem arbeiten, das sie als identitätsstiftend, autonom und wertvoll erleben, desto weniger erleben sie den Kunden als reale Instanz, die diese Arbeit spiegelt, überprüft oder herausfordert. Der Kunde verliert damit nicht nur strukturell, sondern auch psychodynamisch seine Funktion als Gegenüber – und wird stattdessen zur resonanzlosen Reflexionsfigur eines kollektiv geteilten Purpose.
Hypothese H2 lautete: Unternehmen mit hoher New-Work-Orientierung weisen eine geringere emotionale Kundenbindung (z. B. NPS, Wiederkauf, Empfehlung) auf.
Zur Überprüfung dieser Hypothese wurden die Unternehmen der befragten Marketingmitarbeitenden anhand eines validierten New-Work-Index klassifiziert. Dieser Index bestand aus vier Subdimensionen: Autonomie, Partizipation, Sinnorientierung und Flexibilitätsgrad. Aus diesen Dimensionen wurde ein kontinuierlicher New-Work-Wert berechnet, der die organisationsspezifische Ausprägung neuer Arbeitslogiken aggregiert. Die emotionale Kundenbindung wurde anhand eines dreistufigen Skalenmodells operationalisiert, das neben der subjektiv eingeschätzten Kundenloyalität auch reale Rückmeldedaten wie den Net Promoter Score (NPS) sowie interne Proxy-Indikatoren wie Wiederkaufswahrscheinlichkeit und Empfehlungsfrequenz beinhaltete.
Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten negativen Zusammenhang zwischen dem New-Work-Wert und der wahrgenommenen emotionalen Kundenbindung (r = –0,39; p < 0,01). In Unternehmen mit ausgeprägter New-Work-Kultur berichten Marketingmitarbeitende signifikant seltener von emotional aufgeladener, resonanter Kundenbindung. Auch in der Korrespondenz mit realen NPS-Werten der Unternehmen (soweit verfügbar) zeigt sich eine Tendenz: Organisationen mit hohem internen Purpose- und Autonomiefokus schneiden im externen Loyalitätsranking nicht besser – sondern tendenziell schlechter – ab als jene mit klassischer Aufbauorganisation. Regressionen unter Kontrolle von Unternehmensgröße, Budget, Branche und Produktkomplexität bestätigen den Effekt in abgeschwächter, aber signifikanter Form.
Die qualitative Analyse ergänzt diese Ergebnisse um eine affektiv tiefere Dimension. In den Interviews wurde deutlich, dass der Begriff „Kundenbindung“ innerhalb stark sinnorientierter Organisationen zunehmend durch interne Loyalitätsrhetorik ersetzt wird. Viele der befragten Marketingmitarbeitenden bezogen sich auf den emotionalen Wert ihrer Arbeit primär im Hinblick auf die kulturelle Kohäsion im Team, nicht auf Reaktionen realer Zielgruppen. Es zeigte sich eine Verschiebung der Bezugsachse: Die emotionale Bindung galt der Organisation, dem Purpose, der Mission – nicht dem Kunden. Kundenbeziehungen wurden oft formalisiert beschrieben, als Prozesse oder Zielsysteme, aber kaum als wechselseitige Beziehung.
Ein häufig wiederkehrendes Muster in den Interviews war die Stilisierung des Kunden zur moralischen Bestätigung: Der Kunde wird zum stillschweigenden Abnehmer eines internen Kulturprodukts, das nicht primär auf Irritation, sondern auf Zustimmung ausgelegt ist. Dadurch entsteht ein psychodynamisch geschlossenes System, in dem Kundenkritik tendenziell als Störung des Selbstbildes erlebt wird. Das macht Organisationen anfällig für eine Form der Selbstimmunisierung: Sie interpretieren mangelnde Kundenresonanz nicht als eigenes Defizit, sondern als „fehlende Passung“ oder „Widerstand gegen den Kulturwandel“.
Der Datenbefund legt somit nahe, dass hohe New-Work-Orientierung – insbesondere in ihrer sinnoverformten, stark identitätsstabilisierenden Variante – die Fähigkeit zur emotionalen Kundenbindung untergraben kann. Die emotionale Kohärenz innerhalb der Organisation tritt in Konkurrenz zur affektiven Anschlussfähigkeit nach außen. Resonanz wird nach innen gelebt, nach außen simuliert. Die Hypothese H2 kann somit als empirisch bestätigt gelten – mit der Einschränkung, dass es nicht das Prinzip von New Work per se ist, das Kundenbindung schwächt, sondern dessen einseitige Internalisierung als kollektives Selbstfindungsprojekt.
Hypothese H3 lautete: Die intern erlebte Sinnhaftigkeit der Arbeit korreliert negativ mit extern messbarer Kundenloyalität – wenn keine strukturelle Rückbindung zum Kunden erfolgt.
Zur Überprüfung dieser Hypothese wurde zunächst der Sinnerlebenswert der befragten Marketingmitarbeitenden erfasst, operationalisiert über eine siebenstufige Skala zur erlebten Kohärenz, Bedeutsamkeit und emotionalen Passung der eigenen Tätigkeit im organisationalen Kontext (basierend auf Schnell, 2009). Parallel wurde der Grad struktureller Rückbindung an reale Kundenbezüge gemessen – etwa durch Indikatoren wie Einbindung von Kundenfeedback in Kampagnenentscheidungen, existierende Touchpoint-Prozesse, Anzahl direkter Kontaktpunkte oder explizite Zielgruppenrepräsentanz in Briefings.
Die statistische Auswertung zeigt: In Unternehmen mit hohem Sinnerlebenswert, aber geringer struktureller Kundenrückbindung, ergibt sich eine signifikant negative Korrelation mit extern gemessenen Loyalitätsmetriken (r = –0,42; p < 0,01). Umgekehrt zeigt sich in Unternehmen mit vergleichbar hohem Sinnerlebenswert, aber klar verankerten Kundenkontaktstrukturen ein neutraler oder sogar leicht positiver Zusammenhang. Die negative Korrelation ist also kontextabhängig: Erst das Fehlen einer strukturellen Koppelung zwischen subjektivem Arbeitssinn und realer Kundenrückmeldung erzeugt den paradoxen Effekt einer Kundenentfremdung trotz (oder wegen) hoher Identifikation.
Qualitativ zeigen sich in den Interviews deutliche psychodynamische Mechanismen, die diesen Befund stützen. Viele Befragte beschrieben ihre Arbeit als sinnstiftend, kreativ, selbstwirksam – aber zugleich auffällig entkoppelt von konkretem Kundenfeedback. Der Kunde wurde häufig nicht als aktives Gegenüber, sondern als passive Abstraktion in der internen Sinnproduktion erlebt. In mehreren Fällen wurde deutlich, dass Kundenzentrierung nicht bewusst abgelehnt, sondern schlicht nicht mehr psychisch eingebunden wurde: Die Bedeutung der eigenen Arbeit speiste sich aus internen Bezügen, kollegialer Anerkennung, kultureller Kohärenz – der Kunde wurde symbolisch subsumiert, aber nicht aktiv repräsentiert.
Diese psychische Verschiebung kann als narrative Autonomieabwehr gedeutet werden: Die interne Erfahrung von Sinn wird gegen externe Kontingenz (sprich: die Unberechenbarkeit realer Kundenreaktionen) immunisiert. Dabei wird der Purpose der Organisation zur Projektionsfläche individueller Selbstvergewisserung – und der reale Kunde zum potenziellen Störfaktor dieses inneren Gleichgewichts. Mehrere Interviewaussagen deuten darauf hin, dass reale Kundenkritik als affektiv destabilisierend erlebt wird, weil sie das kohärente Selbstbild der Organisation irritiert.
Die Hypothese H3 kann somit als empirisch bestätigt gelten – mit der zentralen Differenzierung, dass nicht das Sinnerleben per se problematisch ist, sondern dessen fehlende rückgebundene Strukturierung. Wo Purpose und Selbstverwirklichung nicht an reale Kundeninteraktion gekoppelt sind, entsteht ein autonomes Organisationsselbst, das seine Energie aus interner Kohärenz statt aus externer Relevanz zieht – was mittelfristig zu sinkender Kundenloyalität führt. Die emotionale Selbstbestätigung innerhalb der Organisation steht dann in einem unsichtbaren Wettbewerb mit dem Kunden als Resonanzpartner.
Hypothese H4 lautete: Organisationen, die Kundenkontakt systemisch delegieren (z. B. an automatisierte Tools oder Mittler), verlieren Resonanzfähigkeit und Differenzierungsfähigkeit im Wettbewerb.
Diese Hypothese adressiert eine zunehmend verbreitete Praxis in marketinggetriebenen Organisationen: den Rückzug aus dem direkten Kundenkontakt, zugunsten von automatisierten Feedbacksystemen, CX-Dashboards oder delegierten Serviceeinheiten. Zur Überprüfung wurde im quantitativen Fragebogen eine Skala zur Kontaktstruktur entwickelt, die misst, in welchem Maße Marketingmitarbeitende selbst mit Kunden interagieren oder in systematischer Nähe zu realen Kundenreaktionen arbeiten. Gleichzeitig wurden Resonanzfähigkeit (z. B. Fähigkeit zur affektiven Antizipation von Kundenbedürfnissen, spürbare Kundenresonanz in Kampagnenentwicklung) sowie Differenzierungsfähigkeit im Markt (etwa wahrgenommene Markenprägnanz, Innovationsresonanz, narrative Anschlussfähigkeit) erfasst.
Die statistische Auswertung zeigt einen signifikant negativen Zusammenhang zwischen der Delegationsintensität des Kundenkontakts und der wahrgenommenen Resonanzfähigkeit (r = –0,47; p < 0,001) sowie der Differenzierungsfähigkeit im Wettbewerb (r = –0,36; p < 0,01). Organisationen, in denen Kundenerlebnisse primär über Tools oder Service-Silos vermittelt werden, berichten seltener von inspirierenden Kampagnenreaktionen, spontaner Zielgruppenbindung oder markanten Innovationsimpulsen durch Marktbeobachtung. Der affektive Strom zwischen Kunde und Marke scheint dort zu versiegen, wo er systemisch verlagert wurde.
Die tiefenpsychologischen Interviews liefern hierfür eine aufschlussreiche Innenperspektive. In mehreren Fällen schilderten Marketingmitarbeitende ein Gefühl struktureller Sensorik-Verluste: Obwohl Daten über Kunden vorliegen, fehle das Gefühl für ihre Wirklichkeit. Aussagen wie „Wir haben alles im Dashboard – aber nichts im Bauch“ oder „Ich kann den Kunden kaum noch spüren“ verdeutlichen den emotionalen Substanzverlust, der mit struktureller Delegation einhergeht. Viele Befragte beschrieben ein paradoxes Vakuum: Obwohl Customer Centricity in Leitbildern fest verankert sei, fehle im operativen Alltag die leibhaftige Erfahrung des Kunden – er erscheine als abstrakter Datensatz oder algorithmische Silhouette, nicht als spürbarer Resonanzkörper.
Diese Phänomene lassen sich psychodynamisch als Dissoziationserfahrung deuten: Der reale Kunde ist noch Thema, aber nicht mehr Subjekt. Die Interaktion wird durch Prozesse ersetzt, das affektive Band wird technisch vermittelt – und dadurch entleert. Besonders in Organisationen mit hohem Automatisierungsgrad, digitalem Reporting und zentralisierter Customer-Experience-Architektur entsteht ein psychisches „White Noise“, das reale Irritationen des Kunden zwar misst, aber nicht mehr fühlbar macht. Die Organisation verliert dadurch ihre Fähigkeit zur affektiven Feinabstimmung – ein zentrales Merkmal echter Resonanzbeziehungen (vgl. Rosa, 2016).
In strategischer Hinsicht zeigt sich ein weiteres Muster: Organisationen mit stark delegiertem Kundenkontakt wirken narrativ verflacht. Kampagnen ähneln sich, Markenauftritte verlieren emotionale Eigenspannung, Reaktionen der Zielgruppe sind vorhersehbar oder gleichgültig. Die Organisation kann sich nicht mehr über echte Beziehungserfahrung differenzieren – sondern bleibt auf „Kultur-Claims“, Design-Standards oder Preisleistung beschränkt. Was fehlt, ist das markenspezifische Ergriffensein durch reale Kundenmomente. In mehreren Interviews wurde deutlich, dass Innovationsimpulse oft nicht aus Kundenbeobachtung, sondern aus interner Symbolarbeit (z. B. durch Purpose Labs oder Future Rooms) generiert werden – was zu „semantischen Echokammern“ führt: Die Organisation spricht mit sich selbst über den Kunden, aber nicht mit dem Kunden über sich selbst.
Die Hypothese H4 kann somit klar bestätigt werden. Der Verlust von direktem Kundenkontakt führt nicht nur zu einem operativen Steuerungsdefizit, sondern untergräbt die emotionale Anschlussfähigkeit und narrative Eigenständigkeit der Organisation. Resonanzfähigkeit wird nicht allein durch Datentiefe, sondern durch leibhaftige Beziehungserfahrung erzeugt – und Differenzierung im Wettbewerb erfordert psychische Verbundenheit, keine algorithmische Extrapolation. Je weiter der Kunde entfernt ist, desto leerer wird die Marke.
Die Ergebnisse dieser Studie zeichnen das Bild eines tiefgreifenden, aber weitgehend unbeobachteten Strukturbruchs: Während Organisationen zunehmend in den Modus der Selbstverwirklichung und kulturellen Selbstinszenierung übergehen, verliert der Kunde seine Rolle als reales Gegenüber. Diese Entwicklung ist nicht oberflächlich oder zufällig – sie ist systemisch, psychodynamisch und in ihrer Wirkung auf die Marktbeziehung tiefgreifend. Die New-Work-Ideologie, so wie sie derzeit vielfach gelebt wird, erzeugt eine Form der emotionalen Selbstzirkularität, in der Sinn, Wirkung und Beziehung zunehmend nach innen verschoben werden. Der Kunde bleibt zwar sprachlich präsent, aber seine psychische Relevanz – seine Fähigkeit zur Irritation, zur affektiven Resonanz, zur emotionalen Differenz – wird systematisch abgeschwächt.
Die Befunde zu H1 bis H4 deuten konsistent auf ein zentrales Paradox: Je stärker Mitarbeitende ihre Arbeit als sinnstiftend, autonom und selbstverwirklichend erleben, desto weniger scheint der reale Kunde noch emotional und strategisch bedeutsam zu sein. Dabei geht es nicht um bewusste Kundenvermeidung – sondern um einen unbewussten Substitutionsmechanismus: Der Kunde wird internalisiert, stilisiert, in Narrative überführt – und so seiner Funktion als reales Gegenüber beraubt. Das Subjekt erlebt sich als resonant mit sich selbst, nicht mit dem Markt.
Tiefenpsychologisch betrachtet handelt es sich um eine Form der organisationalen Narzissmusrückkopplung: Die Organisation (bzw. ihre Mitarbeitenden im Marketing) sucht nicht mehr Anerkennung durch die Welt, sondern durch sich selbst. Der Purpose ersetzt das Produktversprechen. Die Kollegin ersetzt den Kunden als Spiegel des Selbstwerts. Die Feedbackschleife zirkuliert innerhalb eines affirmativen Resonanzraums, der Kritik nicht ausschließt, sondern entwirklicht – sie wird als Feedback verwaltet, aber nicht mehr als Affekt erfahren.
Diese Entwicklung ist nicht als Fehlentwicklung einer Idee zu verstehen, sondern als psychischer Schutzmechanismus in einer hochvolatilen, multipolar fragmentierten Markt- und Arbeitswelt. Die Zuwendung zum Innen, zur Kultur, zur Identität – das alles sind psychologische Antworten auf Kontrollverlust, Fragmentierung und den Verlust klassischer Loyalitätsstrukturen. Doch sie erzeugen unbeabsichtigt eine neue strukturelle Schieflage: Die emotionale Relevanz des Kunden wird reduziert auf KPIs, Marketing Automation oder indirekt vermittelte CX-Feedbacks – ohne echte affektive Rückbindung.
Die qualitative Analyse verdeutlicht diesen Befund besonders klar: In Organisationen mit hoher New-Work-Orientierung herrscht oft eine semantisch perfekt codierte Kundenrhetorik – doch die affektive Spur des realen Kunden ist verblasst. Der Kunde wird als „Persona“ imaginiert, als „Insight“ verarbeitet, als „Touchpoint“ kartiert – aber er bleibt abwesend als Subjekt. Diese Abwesenheit erzeugt keine Leere, sondern wird durch kollektive Selbstspiegelung überdeckt: Wir reden über unsere Haltung, über unsere Werte, über unser Wofür – aber nicht mehr mit dem Kunden über sein Warum.
In dieser Perspektive ist die Erosion der Kundenorientierung kein Managementfehler, sondern das Ergebnis einer psychologischen Entkopplung von Welt und Selbst, von Außen und Innen. Die Organisation wird zum Resonanzsystem ihrer eigenen Erzählung. Und je besser diese Erzählung funktioniert, desto überflüssiger erscheint das reale Gegenüber. Der Kunde wird zur symbolischen Figur in einem Drama, das längst keine Bühne mehr kennt, sondern nur noch Spiegel.
Was bedeutet das für die Zukunft von Marketing und Markenführung? Es braucht eine radikale Rückbesinnung auf den Kunden als irritierendes, widersprüchliches, affektiv wirkmächtiges Gegenüber. Nicht als Datenpunkt. Nicht als semantisches Konstrukt. Sondern als realer Mensch, der eine Grenze setzt – eine Differenz, eine Störung, eine Nachfrage. Kundenorientierung bedeutet dann nicht die Affirmation eines idealisierten Selbstbilds, sondern das Aushalten einer Beziehung, die nie ganz kohärent ist. Und genau darin liegt ihre produktive Kraft.
Der Diskurs um New Work muss diese Schattenseite anerkennen: Ohne strukturierte Rückbindung an reale Kundenbeziehung wird Selbstverwirklichung zur geschlossenen Schleife – und Resonanz zur Simulation. Die Emanzipation des Ichs darf nicht zur Verdrängung des Du führen. Denn Marken leben nicht von sich selbst – sondern von dem Moment, in dem sie wirklich gemeint sind. Nicht nach innen. Sondern nach außen.
Die vorliegenden Ergebnisse und ihre tiefenpsychologische Deutung zeigen, dass New Work – in seiner heutigen Praxis – nicht nur eine Antwort auf starre Strukturen ist, sondern unbeabsichtigt eine neue Entfremdung erzeugt: Die Entfremdung vom Kunden. Diese Entfremdung ist nicht das Ergebnis mangelnder Prozesseffizienz oder schlechter Datenqualität – sondern das Resultat einer kulturellen und psychischen Zentrierung auf das Selbst der Organisation. Die Reaktion hierauf darf deshalb nicht oberflächlich, sondern muss tiefgreifend und strukturell ausfallen. Es geht nicht darum, neue KPIs zu etablieren, sondern den Kunden wieder als Subjekt in das Selbstverständnis der Organisation zu integrieren.
New Work darf nicht zur introspektiven Selbstvergewisserung verkommen. Die Organisation muss Strukturen schaffen, in denen reale Kundenbegegnung – nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich – regelmäßig, irritierend, affektiv und diskursiv erfahrbar wird. Das bedeutet: Direkte Touchpoints für Marketingmitarbeitende, Kundendialoge außerhalb von Research-Prozessen, und das bewusste Aushalten von Ambivalenz in der Kundenperspektive. Nicht der Persona-Workshop ersetzt die Beziehung – sondern die Beziehung ersetzt die Annahme.
Organisationen brauchen keine besseren Claims, sondern bessere Anschlussfähigkeit. Resonanz entsteht nicht durch die Wiederholung von Purpose-Narrativen, sondern durch die Fähigkeit, sich durch reale Rückmeldung verändern zu lassen. Führungskräfte müssen die Rolle des Kunden nicht als Abnehmer, sondern als affektiven Spiegel institutionalisieren – etwa durch crossfunktionale Feedback-Zyklen, Re-Integration der CX in die kreative Arbeit und die systematische Analyse von Kunden-Irritationen als Innovationsquelle.
Purpose ist kein Selbstzweck. Die Erfahrung von Sinn muss zurückgebunden werden an externe Wirksamkeit, nicht nur an interne Kohärenz. Das heißt: Organisationen müssen sich fragen, ob ihre gelebten Werte und kulturellen Narrative tatsächlich Kundenbindung erzeugen – oder nur Identitätsstabilisierung im Innern leisten. Die Messung psychischer Kohärenz der Sinnangebote nach außen (z. B. durch Resonanz- oder Involvement-Skalen beim Kunden) wird zu einem neuen Führungsthema.
Führung muss sich neu positionieren – nicht nur als Enabler des Selbst, sondern als Übersetzer zwischen Innen und Außen. Dabei geht es nicht um Kundenzentrierung im klassischen Sinne, sondern um Beziehungsarbeit: Wie oft begegnet der Kunde noch der Organisation als fühlendes Gegenüber? Wie oft wird er zur Validierung genutzt, nicht zur Beziehung? Führung in der New-Work-Welt muss den Kunden wieder in das Zentrum der kollektiven Psychodynamik holen – als dialogisches Gegenüber, nicht als dekoratives Echo.
New Work wird heute oft als Kulturprojekt verstanden. Doch genau hier fehlt der Kunde fast vollständig. Kulturarbeit, die nicht auch den Kunden als aktiven Teil der Kultur denkt, wird zwangsläufig zur Selbstreferenz. Die Organisation muss sich bewusstwerden, dass Kultur ohne Beziehung narzisstisch wird – und dass Kundenkultur keine Funktion der Kommunikation ist, sondern der Berührung: psychisch, symbolisch, affektiv.
Wenn Organisationen ihre kulturelle Energie ausschließlich nach innen richten, wird der Kunde zum Schatten ihrer Selbstinszenierung. Die zentrale Aufgabe besteht deshalb nicht darin, New Work abzuschaffen – sondern es neu zu verschalten: nicht nur als Befreiung von Strukturen, sondern als Verantwortung für Beziehung. Das Zeitalter nach der Selbstverwirklichung beginnt dort, wo sich Organisationen nicht mehr nur mit sich selbst beschäftigen – sondern mit dem, was sie für andere bedeuten.