Studie

Denken ohne Plot – Wie die KI das Denken in eine Soap-Serie fragmentiert.

Eine Untersuchung zur Fragmentierung kognitiver Prozesse in der Markenführung
Autor
Brand Science Institute
Veröffentlicht
28. Mai 2025
Views
2895

1. Einleitung

Denken war lange Zeit ein innerer Prozess mit Tiefe, Linearität und Widerstand. Es war eingebettet in eine Kultur des Durcharbeitens – eine geistige Praxis, die von Anfang, Mitte und Schluss ausging. Diese Form des Denkens hatte nicht nur kognitive, sondern auch psychodynamische Bedeutung: Sie stabilisierte das Selbst durch Kohärenz, ermöglichte die symbolische Integration widersprüchlicher Perspektiven und verlieh Identität über narrative Selbstvergewisserung. Wer dachte, führte sich selbst durch ein semantisches Gelände, das über die Reflexion zum inneren Zusammenhang führte. Denken war damit immer auch eine Form psychischer Selbststrukturierung.

Diese Ordnung ist ins Wanken geraten. In einer Kultur, die zunehmend durch Zeitdruck, Fragmentierung und digitalisierte Schnittstellen geprägt ist, verändert sich auch das Denken radikal. Es wird modular, episodisch, funktional. Vor allem durch den Gebrauch generativer KI-Systeme wie ChatGPT entsteht ein neues kognitives Paradigma: Das Denken wird „gestreamt“. Anstelle zusammenhängender Denkprozesse tritt eine Serie von Prompt-Antwort-Einheiten – wie Folgen ohne übergeordneten Plot. Die lineare Argumentation wird ersetzt durch semantisches Zapping, der essayistische Gedanke durch modularen Abruf.

Diese Transformation betrifft nicht nur Bildung oder Alltag, sondern hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Marketing – eine Disziplin, die wie kaum eine andere von strategischer Kohärenz, kreativer Integration und narrativer Tiefe lebt. Wenn aber der Denkstil selbst kippt – vom reflektiven Raum zur promptifizierten Oberfläche –, steht nicht weniger als die Grundlage strategischer Markenführung auf dem Spiel.

Psychodynamisch betrachtet geht es um mehr als eine Stilfrage. Das Subjekt wird in diesem neuen Denkmodus nicht mehr zum Träger kognitiver Tiefe, sondern zum Operator eines modularisierten Gedankennetzes. Das Ich denkt nicht mehr – es kuratiert, filtert, kombiniert. Der klassische Denkakt – geprägt von Ambivalenz, Aushalten, Reibung und Synthese – wird abgelöst durch sequentielles Konfigurieren: Denkprozesse werden externalisiert, delegiert, operationalisiert. Der Gedanke verliert seine Herkunft, der Denkende seine Mitte.

Die Folge ist ein Verlust innerer Verankerung: Was gedacht wird, gehört nicht mehr zum Subjekt, sondern zur Funktion. Damit verliert Denken seine stabilisierende Funktion für das psychische Selbst. Die Entstehung des Gedankens – früher Ausdruck von Identität und Kontinuität – verkommt zur Schnittstellenleistung: „Welche Antwort bekomme ich auf diesen Prompt?“ ersetzt die Frage: „Was denke ich – und warum?“ In dieser Logik wird das Denken selbst zu einer Marketingstruktur: modular, episodenhaft, responsiv.

Die Studie nimmt genau diesen Bruch zum Ausgangspunkt. Sie fragt:

  • Wie verändert sich die psychische Architektur des Denkens unter dem Einfluss von KI?
  • Wie verschiebt sich die Funktion von Denken im Marketing?
  • Was bedeutet es, wenn Denkprozesse nicht mehr aus dem Ich heraus, sondern über Systemantworten entstehen?
  • Wie wirkt sich diese Fragmentierung auf die Qualität von Strategie, Kreativität und Markenbindung aus?

Dabei wird das Denken nicht als technisches Tooling betrachtet, sondern als psychodynamischer Prozess mit identitätsbildender Funktion. Denn was hier modularisiert wird, ist nicht nur Wissen – es ist das Selbst im Denken. Das Marketing agiert in einer kognitiven Landschaft, in der Argumentation zur Ausnahme, Modulerzeugung zur Norm wird. Marken werden nicht mehr durchdacht, sondern generiert. Strategien sind nicht mehr kohärente Spannungsbögen, sondern selektive Zusammensetzungen aus Promptantworten. Und Konsumenten? Sie erkennen sich nicht mehr in Erzählungen – sondern in Zustandsantworten.

Diese Studie will diesen Wandel systematisch, empirisch und tiefenpsychologisch fundiert erfassen – nicht um Technologie zu kritisieren, sondern um deren psychologische Effekte zu verstehen. Im Zentrum steht die Frage: Was bleibt vom Denken, wenn der Gedanke zur Episode wird – und wie wirkt sich das auf das Fundament von Markenführung aus?

2. Theoretischer Bezugsrahmen: Denken im Modus der Promptifizierung

2.1 Cognitive Offloading – Die Externalisierung des Denkens im Zeitalter generativer KI

Der Begriff Cognitive Offloading beschreibt die Auslagerung kognitiver Prozesse auf externe Hilfsmittel – ein Phänomen, das im digitalen Zeitalter eine neue Dimension erreicht hat. Während klassische Beispiele wie Notizzettel, Taschenrechner oder Kalender auf eine punktuelle Entlastung geistiger Kapazitäten zielten, verlagert die Nutzung generativer KI – insbesondere durch Tools wie ChatGPT – nicht nur das Wie des Denkens, sondern zunehmend auch das Ob. Die Grenze zwischen Unterstützung und Substitution verschwimmt. Was als Denkverstärker beginnt, wird oft zur Denkprothese: Das Subjekt formuliert keine Gedanken mehr, sondern Prompts – kurze, funktionale Anfragen an ein System, das die eigentliche kognitive Arbeit übernimmt.

In der Interaktion mit generativer KI verschiebt sich der Ort der kognitiven Aktivität: Denken wird nicht mehr als innerer Prozess initiiert, sondern externalisiert – ausgelagert an eine semantisch reagierende Oberfläche. Die intellektuelle Bewegung beginnt nicht mit einer These oder einem inneren Spannungsfeld, sondern mit einer Interface-Geste: „Was sind die drei besten Argumente?“, „Schreib mir eine Einleitung“, „Fass das mal zusammen.“ Die eigentliche Denkarbeit – das Suchen, Ordnen, Verwerfen, Differenzieren – findet nicht mehr im Inneren des Subjekts statt, sondern wird algorithmisch vorgeschaltet.

Tiefenpsychologisch bedeutet dies einen Bruch in der symbolischen Selbstführung. Denken – traditionell ein Raum des inneren Dialogs, der Selbstbegegnung und der kognitiven Autonomie – wird ersetzt durch eine Serie reaktiver Abfragen. Das Subjekt denkt nicht mehr über ein Thema, sondern darüber, wie es die richtige Frage an die Maschine formuliert. Die kognitive Bewegung ist nicht mehr intrinsisch, sondern funktionalisiert: Denken wird zur Bedienhandlung – nicht zur Auseinandersetzung.

Diese Entwicklung hat weitreichende Folgen für das psychische Erleben von Selbststeuerung. Während klassische kognitive Arbeit eine symbolische Internalisierung von Komplexität erforderte – etwa durch das Formulieren und Durchhalten eines Argumentationsgangs – erlaubt Cognitive Offloading durch KI eine Umgehung dieser symbolischen Leistung. Die Struktur von Gedankengängen wird nicht mehr selbst erzeugt, sondern abgerufen. Was dabei verloren geht, ist nicht nur argumentative Tiefe, sondern auch ein zentrales Element psychischer Kohärenz: die Erfahrung, durch eigenes Denken Orientierung und Sinn zu erzeugen.

So betrachtet, ist Cognitive Offloading im KI-Zeitalter nicht bloß ein Effizienzphänomen – sondern Ausdruck eines tiefgreifenden kulturellen Wandels. Das Denken wird nicht mehr kultiviert, sondern kuratiert. Das Ich fungiert nicht mehr als reflektierende Instanz, sondern als Schaltzentrale zwischen Input (Prompt) und Output (Response). Es organisiert Denkergebnisse, statt Denkprozesse zu durchlaufen. Die Folge ist ein Verlust an epistemischer Subjektivität – und eine neue Form der kognitiven Fremdbestimmung im Gewand der Selbstoptimierung.

Die Externalisierung des Denkens in Prompt-Kulturen ist somit kein rein technisches Phänomen, sondern eine psychodynamisch relevante Verschiebung: vom innerlich initiierten Denken zum reaktiven Interface-Verhalten. In dieser Struktur denkt das Subjekt nicht mehr durch sich, sondern durch Systeme – und verliert dabei unmerklich seine Rolle als kognitiv-autonomes Zentrum.

2.2 Kontrollillusion und der psychodynamische Verlust von Selbstwirksamkeit

Ein zentrales Paradox der promptifizierten Denkarchitektur liegt in der Illusion kognitiver Kontrolle: Wer KI-Systeme wie ChatGPT nutzt, erlebt sich zunächst als steuernde Instanz – schließlich wird ja „aktiv gefragt“, „gezielt optimiert“ und „effizient gedacht“. Doch diese Handlungsillusion verschleiert einen tiefgreifenden Wirkungsverlust des Subjekts. Die Selbstwirksamkeit, die durch eigenes Denken entsteht – also die symbolische Erfahrung, einen Gedanken selbst erarbeitet, durchdacht, geprüft und in Sprache überführt zu haben –, wird durch eine neue Form kognitiver Abhängigkeit ersetzt.

Die Kontrollillusion bezeichnet in der Psychologie das subjektive Gefühl, Kontrolle über ein Ergebnis zu haben, obwohl objektiv kaum oder keine Steuerung vorliegt (Langer, 1975). In der Interaktion mit generativer KI ist genau dieses Gefühl präsent: Die Nutzer:innen erleben sich als kompetente Akteure, weil sie die richtigen Prompts wählen, die richtigen Formulierungen finden, zwischen Varianten wählen. Doch tatsächlich wird die eigentliche kognitive Wertschöpfung an ein externes System delegiert – die Entscheidungsbasis ist algorithmisch vorstrukturiert, die kognitive Tiefe flach, die semantische Führung maschinell.

Tiefenpsychologisch führt dies zu einer Erosion der Ich-Funktion des Urteilens. Das Ich glaubt, es „kontrolliere“ den Denkprozess, weil es Eingaben tätigt. Doch in Wahrheit verliert es an symbolischer Steuerungskompetenz – es erfährt sich nicht mehr als innerer Maßstab, sondern als Operator eines fremdgenerierten Erkenntnissystems. Der Verlust geschieht schleichend: Die Fähigkeit, Gedankengänge zu tragen, Ambivalenzen zuzulassen, Widersprüche auszuhalten und eigene Erkenntnisse zu erringen, wird durch ein pseudointeraktives Antwortsystem unterlaufen.

Darin liegt die Gefahr eines neuen, affektiv subtilen Autonomiedefizits: Der Mensch kann alles abrufen – aber nichts mehr „durchdenken“. Die semantische Selbstwirksamkeit, also das Gefühl, über eigene Begriffe zu verfügen, weicht der Souveränität über eine Benutzeroberfläche. Die Konsequenz ist eine paradoxe Mischung aus kognitiver Überfülle und psychischer Ohnmacht: Alles scheint möglich – aber nichts ist verinnerlicht.

Die Kontrollillusion im Umgang mit ChatGPT ist somit kein triviales UX-Phänomen, sondern ein psychodynamischer Selbstschutz gegen eine tiefere Erkenntnis: Dass das eigene Denken nicht mehr aus sich selbst herausträgt. Stattdessen hält sich das Subjekt an der Rolle als Promptgeber fest – analog zur Illusion, ein Fahrstuhl lasse sich schneller rufen, wenn man wiederholt den Knopf drückt. Das Ich spielt Steuerung – doch es ist längst Beobachter eines Denkens, das nicht mehr ihm gehört.

Strategisch betrachtet bedeutet das: Der Verlust an gedanklicher Selbstwirksamkeit wird nicht offen erlebt, sondern durch Oberflächenaktivität verdeckt. Die Entlastung, die durch KI entsteht, wird nicht als Abgabe, sondern als Effizienzgewinn erlebt – eine psychologisch elegante Form der Entfremdung.

Diese Dynamik ist besonders im Marketing relevant: Strategien, Konzepte, Positionierungen werden zunehmend durch automatisierte Vorschlags- und Prompt-Systeme vorbereitet. Doch die darin erzeugte Kontrolle ist formal – nicht substantiell. Markenentscheidungen wirken dadurch professionell, sind aber psychologisch entkoppelt vom Urteil des Subjekts. Sie sind korrekt – aber nicht mehr verbunden.

2.3 Ich-Spaltung und die Dissoziation kognitiver Verantwortung

Die kontinuierliche Auslagerung des Denkens an KI-Systeme verändert nicht nur die Art, wie gedacht wird – sie verändert das Verhältnis des Subjekts zu seinem eigenen Denken. In der tiefenpsychologischen Perspektive lässt sich dieses Phänomen als funktionale Ich-Spaltung beschreiben: Das Ich trennt zunehmend zwischen dem „denkenden Selbst“ und dem „steuernden Selbst“ – und überträgt die eigentliche Denkleistung auf externe Instanzen, während es selbst in einer Art orchestrierender Meta-Funktion verbleibt.

Was früher als innerer Denkprozess durchlaufen wurde – inklusive Zweifel, Verwerfung, Umformulierung und Reifung – wird heute delegiert. Das Ich bleibt formal beteiligt, aber nicht mehr inhaltlich verantwortlich. Es tritt aus dem Denkprozess heraus, beobachtet ihn von außen, gibt Impulse – aber denkt nicht mehr als identifizierte Instanz. Diese Dissoziation kognitiver Verantwortung ist nicht bewusst pathologisch, aber tiefenpsychologisch folgenreich: Denn sie unterbricht das affektive Eigentum am Gedanken.

Das bedeutet konkret: Der erzeugte Output – eine Idee, eine Gliederung, ein Argument – wird nicht mehr als inneres Produkt erlebt, sondern als extern erzeugter Vorschlag, zu dem man sich verhält, den man auswählt oder verwirft. Der emotionale Besitz des Gedankens fehlt. Es entsteht ein Zustand, den man als „kognitive Entfremdung“ bezeichnen könnte: Der Gedanke ist da, aber er gehört nicht mehr dem Denkenden.

Diese Form der Ich-Spaltung hat tiefgreifende psychodynamische Konsequenzen:

  • Verantwortung wird externalisiert: Wenn der Gedanke nicht aus mir kommt, sondern vom System vorgeschlagen wurde, liegt die Verantwortung für seine Tiefe, Wahrheit oder Tragweite auch nicht mehr bei mir.
  • Selbstkonfrontation wird vermieden: Da das Denken nicht mehr durchlaufen, sondern übersprungen wird, wird auch die Auseinandersetzung mit sich selbst – den eigenen inneren Spannungen, Widersprüchen und Unschärfen – umgangen.
  • Das Denken verliert an Integrationskraft: Es entsteht keine zusammenhängende kognitive Struktur mehr. Statt eines kohärenten inneren Narrativs gibt es lose, episodenhafte Denk-Snippets – wie Kapitel aus verschiedenen Büchern ohne übergeordneten Plot.

Tiefenpsychologisch erinnert dieses Arrangement an Winnicotts Konzept des „False Self“: ein funktionsfähiges, angepasstes Selbst, das äußere Erwartungen bedient, aber innerlich leer bleibt. Übertragen auf den Denkprozess: Das Ich funktioniert – aber denkt nicht mehr mit. Es ist aktiv – aber nicht beteiligt.

Gerade im Marketing zeigt sich diese Dynamik besonders deutlich: Strategien werden entworfen, ohne psychischen Eigentumsanspruch; Konzepte wirken stimmig, aber nicht verankert; Kommunikation wird „ausgeführt“, aber nicht mehr „gedacht“. Die Marke ist dann nicht mehr Ausdruck eines inneren Denkprozesses – sondern das Ergebnis einer modularisierten Prompt-Kette.

In einer Welt, in der Denken externalisiert, beschleunigt und fragmentiert wird, verliert das Ich nicht nur seine Rolle als Produzent – es verliert die Fähigkeit, sich selbst in Gedanken zu begegnen. Die Ich-Spaltung im Denken ist deshalb mehr als ein Nebeneffekt digitaler Tools – sie ist ein kulturell akzeptierter Verlust an innerer Verantwortlichkeit, der mit Professionalität verwechselt wird.

2.4 Die Fragmentierung semantischer Kohärenz – Denken ohne roten Faden

Mit der Promptifizierung des Denkens geht nicht nur eine Verschiebung der kognitiven Zuständigkeit einher – auch die semantische Struktur des Denkens selbst verändert sich fundamental. Was früher durch Kontinuität, Zusammenhang und argumentative Tiefe geprägt war, zerfällt zunehmend in episodische Denkfragmente: kurze Antwort-Einheiten, Listen, spontane Impulsformulierungen. Der rote Faden wird durch den Prompt ersetzt – und mit ihm verschwindet die narrative Logik des Denkens als zusammenhängende Bewegung.

Klassisches Denken war – bewusst oder unbewusst – immer auch ein Sinnbildungsprozess: Es verknüpfte Einzelaspekte zu einem kohärenten Ganzen, ordnete Widersprüche ein, strukturierte Relevanz über Zeit. Dieser Zusammenhang erzeugte nicht nur Erkenntnis, sondern auch psychische Orientierung: Die Fähigkeit, ein Thema von verschiedenen Seiten zu beleuchten, Widersprüche zu halten und eine Linie zu entwickeln, war Ausdruck innerer Kohärenz und kognitiver Reifung.

Heute dagegen erleben wir eine Auflösung semantischer Tiefenstruktur zugunsten von funktionaler Oberfläche. Gedanken müssen nicht mehr in sich stimmen – sie müssen anschlussfähig sein. Promptifizierung bedeutet: Das, was kognitiv anschlussfähig wirkt, zählt mehr als das, was inhaltlich konsistent ist. Die semantische Bewertung wird ersetzt durch eine pragmatische – gedacht wird, was gebraucht wird. Und nur solange, wie es gebraucht wird.

Diese Entwicklung hat mehrere Konsequenzen:

  • Argumentative Tiefe wird ersetzt durch argumentative Schnelligkeit: Es wird nicht mehr durchdacht, sondern durchgezappt.
  • Der Gedanke wird funktionalisiert: Er ist kein inneres Produkt mehr, sondern eine Antworteinheit auf einen spezifischen Prompt.
  • Widersprüche werden nicht mehr gelöst, sondern vermieden: Denken wird glatt, situativ, harmonisiert – aber nicht mehr dialektisch.

Tiefenpsychologisch lässt sich dies als Verlust einer symbolischen Binnenstruktur interpretieren. Der Mensch erzeugt keinen inneren Diskursraum mehr – sondern konsumiert mentale Antworten, wie Streaming-Inhalte: „Was brauche ich jetzt – und was als nächstes?“

Diese Modularisierung des Denkens verändert auch die Beziehung zur Sprache: Sprachakte werden nicht mehr ausgedrückt, sondern abgerufen. Der eigene Sprachstil wird nicht kultiviert, sondern ersetzt – durch KI-generierte Semantik, die bereits passend klingt. Damit geht eine Entfremdung vom eigenen inneren Ausdruck einher: Man erkennt sich nicht mehr im Text – sondern bewertet, ob er „funktioniert“. Sprache wird nicht zum Spiegel des Denkens, sondern zur Konfektionseinheit. Semantik wird externalisiert, nicht mehr erlebt.

Gerade im Marketing entstehen daraus post-semantische Strategien: Claims, Phrasen, Argumente wirken wie Baukastenteile, die aneinandergefügt werden – ohne dass ein innerer semantischer Zusammenhang entsteht. Die Marke spricht noch – aber sie sagt nichts mehr. Die Argumentation läuft – aber ohne gedankliche Tiefe. Das Denken wirkt aktiv – aber ohne erkenntnisleitenden Zusammenhang.

Die Fragmentierung semantischer Kohärenz ist damit nicht nur ein sprachliches Problem, sondern ein kognitiver Strukturbruch. Sie zeigt: Denken im Modus der Promptifizierung ist kein Denken mehr im klassischen Sinn – es ist eine operative Orchestrierung von Textbausteinen, die ihre Logik aus der Oberfläche der Anschlussfähigkeit beziehen, nicht aus der Tiefe des Zusammenhangs.

2.5 Die Fragmentierung semantischer Kohärenz – Denken ohne roten Faden

Mit der Promptifizierung des Denkens geht nicht nur eine Verschiebung der kognitiven Zuständigkeit einher – auch die semantische Struktur des Denkens selbst verändert sich fundamental. Was früher durch Kontinuität, Zusammenhang und argumentative Tiefe geprägt war, zerfällt zunehmend in episodische Denkfragmente: kurze Antwort-Einheiten, Listen, spontane Impulsformulierungen. Der rote Faden wird durch den Prompt ersetzt – und mit ihm verschwindet die narrative Logik des Denkens als zusammenhängende Bewegung.

Klassisches Denken war – bewusst oder unbewusst – immer auch ein Sinnbildungsprozess: Es verknüpfte Einzelaspekte zu einem kohärenten Ganzen, ordnete Widersprüche ein, strukturierte Relevanz über Zeit. Dieser Zusammenhang erzeugte nicht nur Erkenntnis, sondern auch psychische Orientierung: Die Fähigkeit, ein Thema von verschiedenen Seiten zu beleuchten, Widersprüche zu halten und eine Linie zu entwickeln, war Ausdruck innerer Kohärenz und kognitiver Reifung.

Heute dagegen erleben wir eine Auflösung semantischer Tiefenstruktur zugunsten von funktionaler Oberfläche. Gedanken müssen nicht mehr in sich stimmen – sie müssen anschlussfähig sein. Promptifizierung bedeutet: Das, was kognitiv anschlussfähig wirkt, zählt mehr als das, was inhaltlich konsistent ist. Die semantische Bewertung wird ersetzt durch eine pragmatische – gedacht wird, was gebraucht wird. Und nur solange, wie es gebraucht wird.

Diese Entwicklung hat mehrere Konsequenzen:

  • Argumentative Tiefe wird ersetzt durch argumentative Schnelligkeit: Es wird nicht mehr durchdacht, sondern durchgezappt.
  • Der Gedanke wird funktionalisiert: Er ist kein inneres Produkt mehr, sondern eine Antworteinheit auf einen spezifischen Prompt.
  • Widersprüche werden nicht mehr gelöst, sondern vermieden: Denken wird glatt, situativ, harmonisiert – aber nicht mehr dialektisch.

Tiefenpsychologisch lässt sich dies als Verlust einer symbolischen Binnenstruktur interpretieren. Der Mensch erzeugt keinen inneren Diskursraum mehr – sondern konsumiert mentale Antworten, wie Streaming-Inhalte: „Was brauche ich jetzt – und was als nächstes?“

Diese Modularisierung des Denkens verändert auch die Beziehung zur Sprache: Sprachakte werden nicht mehr ausgedrückt, sondern abgerufen. Der eigene Sprachstil wird nicht kultiviert, sondern ersetzt – durch KI-generierte Semantik, die bereits passend klingt. Damit geht eine Entfremdung vom eigenen inneren Ausdruck einher: Man erkennt sich nicht mehr im Text – sondern bewertet, ob er „funktioniert“. Sprache wird nicht zum Spiegel des Denkens, sondern zur Konfektionseinheit. Semantik wird externalisiert, nicht mehr erlebt.

Gerade im Marketing entstehen daraus post-semantische Strategien: Claims, Phrasen, Argumente wirken wie Baukastenteile, die aneinandergefügt werden – ohne dass ein innerer semantischer Zusammenhang entsteht. Die Marke spricht noch – aber sie sagt nichts mehr. Die Argumentation läuft – aber ohne gedankliche Tiefe. Das Denken wirkt aktiv – aber ohne erkenntnisleitenden Zusammenhang.

Die Fragmentierung semantischer Kohärenz ist damit nicht nur ein sprachliches Problem, sondern ein kognitiver Strukturbruch. Sie zeigt: Denken im Modus der Promptifizierung ist kein Denken mehr im klassischen Sinn – es ist eine operative Orchestrierung von Textbausteinen, die ihre Logik aus der Oberfläche der Anschlussfähigkeit beziehen, nicht aus der Tiefe des Zusammenhangs.

2.6 Denken als Übergangsphänomen: Promptifizierung und das „Ich als Interface“

Im Zeitalter der Promptifizierung verschiebt sich die psychologische Struktur des Denkens grundlegend: vom konturierten Innenprozess zur interaktiven Schnittstelle. Das Denken wird nicht mehr als innerlich gewachsener Zusammenhang erlebt, sondern als stimulierte Reaktionsfolge, die sich an externe Impulse und Tools anpasst. Das Ich agiert nicht mehr als reflektierendes Subjekt, sondern als kuratierende Instanz – ein Interface, das zwischen Frage, Antwort, Bedürfnis und Tool vermittelt.

Diese Veränderung lässt sich tiefenpsychologisch als Transformation des Selbst in ein Übergangsmedium deuten: Das Ich wird zur kognitiven Schaltzentrale, die nicht mehr aus sich selbst heraus denkt, sondern Denkfragmente orchestriert – über Tools, Prompts, Algorithmen. In Anlehnung an Donald Winnicotts Konzept des Übergangsobjekts lässt sich das moderne Denken als eine Form der Übergangsregulation verstehen: zwischen Unsicherheit und Kontrolle, zwischen Wissen und Bedeutung, zwischen innerer Orientierungslosigkeit und äußerer Zugriffsgeschwindigkeit.

In dieser Übergangslogik treten mehrere Phänomene auf:

  1. Dissoziation statt Integration: Denken wird nicht mehr inhaltlich zusammengehalten, sondern funktional gesteuert. Es gibt kein inneres Narrativ, sondern ein Fragmentfeld. Der rote Faden wird ersetzt durch einen Promptstrom. Was gestern gedacht wurde, spielt für das heutige Denken keine Rolle mehr – weil der Denkraum nicht mehr erinnert, sondern reaktiviert wird.
  2. Affektives Mikromanagement: Anstatt Denkprozesse auszuhalten, werden sie reguliert – durch neue Fragen, neue Prompts, neue Inputs. Das Denken wird damit zum emotionalen Patchwork: Jeder Moment ist emotional stimmig, aber psychisch nicht mehr integriert. Das Ich bleibt in ständiger Bewegung – ohne psychische Verdauung.
  3. Symbolische Entkoppelung: Gedanken erscheinen nicht mehr als Ausdruck des Selbst, sondern als abrufbare Module. Das Ich denkt nicht mehr, um sich selbst zu verstehen – sondern um Output zu produzieren. Der Denkakt wird performativ – nicht introspektiv. Das Subjekt nutzt Gedanken wie ein Interface nutzt Funktionen.

Diese Entwicklung hat – gerade im Marketingkontext – weitreichende Implikationen. Strategische Klarheit, kreative Tiefenführung, narrative Kohärenz: All das braucht ein integriertes Denk-Ich. Doch je mehr der Denkprozess aufgeteilt, beschleunigt und externisiert wird, desto weniger entsteht Substanz. Was bleibt, ist Content – aber kein Konzept. Idee – aber keine Identität. Relevanz – aber keine Resonanz.

Tiefenpsychologisch entsteht damit eine neue Struktur des Denkens: das Ich als semantisches Interface, das permanent ansprechbar, formbar und anschlussfähig bleiben muss – aber keine innere Verankerung mehr hat. In dieser Struktur wird das Denken zur Übergangseinheit – nicht mehr zwischen Fantasie und Realität, wie bei Winnicott, sondern zwischen Prompt und Output, zwischen Bedürfnis und Antwort, zwischen Tool und Ich.

Der Denkende wird nicht mehr zum Autor, sondern zum Betreiber – einer mentalen Infrastruktur, die jederzeit anschlussfähig sein muss, aber keine Tiefe mehr erzeugt.

2.7 Promptifizierung als Symbol für eine neue Denkökonomie

Die zunehmende Promptifizierung steht nicht nur für eine neue Praxis des Denkens, sondern symbolisiert einen fundamentalen Wandel in der ökonomischen Struktur geistiger Arbeit. Denken folgt heute einer Logik, die nicht mehr auf Tiefe, Kohärenz oder innere Entwicklung ausgerichtet ist, sondern auf Effizienz, Modularität und Sofortverfügbarkeit. Es entsteht eine neue Denkökonomie, in der nicht die gedankliche Leistung, sondern der verwertbare Output zählt – und zwar schnell, passgenau und minimal aufwendig.

Diese Transformation lässt sich anhand dreier miteinander verknüpfter Dimensionen beschreiben:

1. Kognitive Ökonomisierung

Das klassische Denken war ressourcenintensiv – es erforderte Zeit, Aufmerksamkeit, Auseinandersetzung, Geduld. Heute dagegen wird Denken zunehmend als ökonomischer Prozess behandelt: Welche Frage bringt welchen Return? Wie viele Argumente brauche ich wirklich? Welcher Prompt erzeugt die beste Antwort? Das Denken wird optimiert wie ein Workflow – durch Reduktion, Standardisierung und Delegation an KI. Was zählt, ist nicht die Qualität des inneren Prozesses, sondern die Relevanz des Outputs im jeweiligen Nutzungskontext. Die Frage „Wie durchdenke ich das?“ wird ersetzt durch „Was kann ich auslagern, beschleunigen oder umgehen?“

2. Entwertung der gedanklichen Selbstleistung

Tiefenpsychologisch bedeutet dies eine zunehmende Entfremdung vom eigenen Denken. Wer ständig promptet, statt zu reflektieren, entkoppelt sich von der originären Erfahrung, etwas „selbst durchdrungen“ zu haben. Denken verliert seinen Charakter als innerer Erfahrungsraum – es wird zur Dienstleistung, die möglichst reibungslos erbracht und rezipiert werden soll. Der Gedanke als „eigenes Kind“ wird abgelöst durch den Gedanken als Produkt. Die kreative Aneignung weicht dem kuratierten Zugriff – und damit dem Verlust psychischer Identifikation mit dem Ergebnis.

3. Fragmentierung von Erkenntnisstrukturen

Die ökonomische Logik modularer Denkprozesse führt zu einer Zersplitterung von Erkenntnis. Anstelle eines argumentativen Bogens tritt eine Sammlung isolierter Denkzellen – ein semantisches Mosaik ohne verbindende Tiefe. Der innere Zusammenhang, der früher durch das eigene Denken erzeugt wurde, wird ersetzt durch syntaktische Anordnung externer Antworten. Erkenntnis ist nicht mehr das Resultat einer inneren Bewegung, sondern das Ergebnis einer smarten Steuerung von Denkmaschinen. Der Mensch wird zum Editor fremdgenerierter Gedanken, nicht mehr zum Träger eines inneren Erkenntnisprozesses.

In ihrer Gesamtheit macht diese neue Denkökonomie deutlich: Die Promptifizierung ist nicht nur ein Tool-Trend, sondern Ausdruck einer kulturellen Tiefenveränderung. Sie ersetzt das Denken als Form innerer Weltaneignung durch eine kognitiv-ökonomische Infrastruktur – schnell, effizient, aber zunehmend symbolentleert.

3. Ableitung der Hypothesen: Promptifizierung als Risiko für strategisches Marketingdenken

Die folgenden Hypothesen leiten sich aus der tiefenpsychologischen und kognitionspsychologischen Analyse der „Promptifizierung“ des Denkens ab (vgl. Kap. 2). Sie zielen auf die empirische Überprüfung der Frage, wie sich die verstärkte Nutzung KI-gestützter Denkbausteine auf die Qualität, Tiefe und psychische Kohärenz strategischer Markenarbeit im Marketing auswirkt.

H1: Je häufiger Marketingprofessionals KI-Tools zur Ideen- und Strategieentwicklung nutzen, desto fragmentierter erleben sie ihre eigenen Denkprozesse.

Mit der zunehmenden Verbreitung von KI-Tools wie ChatGPT verändert sich nicht nur das Was und Womit im Marketing, sondern vor allem das Wie des Denkens. Während strategische Konzepte früher in aufeinander aufbauenden Reflexionsphasen entstanden – geprägt durch Argumentationslogik, kognitive Kohärenz und mentale Disziplin – wird heute ein erheblicher Teil dieser Prozesse durch sequenzielle Prompts ersetzt. Diese Mikrointeraktionen mit einem System führen nicht zu einer durchgehenden Denkbewegung, sondern zu einem „Denk-Hopping“: Von Idee zu Idee, von Argument zu Argument, von Format zu Format – ohne narrativen Fluss und ohne kognitive Verdichtung.

Tiefenpsychologisch betrachtet bedeutet dies einen Übergang vom reflektierenden Selbst zum steuernden Operator: Der Mensch denkt nicht mehr mit sich, sondern durch das Interface. Der kognitive Raum wird nicht mehr „durchschritten“, sondern punktuell aktiviert. Dabei wird Denken zum Zapping-Prozess – vergleichbar mit dem Verhalten beim Scrollen durch Social-Media-Feeds oder beim Sehen gestreamter Inhalte in fragmentierter Form. Was entsteht, ist eine Form kognitiver Serialität: Jeder Denkimpuls ist eine Episode, aber kein Kapitel. Die daraus resultierende Struktur wird vom Subjekt nicht als Erweiterung, sondern als Fragmentierung erlebt – nicht weil es weniger Inhalte gibt, sondern weil der innere Zusammenhang schwindet.

Diese Wahrnehmung ist nicht nur funktional erklärbar, sondern auch psychodynamisch fundiert. Das Ich erlebt sich zunehmend als Interface-Instanz, nicht mehr als aktives Zentrum. Es wird zum „Prompt-Manager“ seiner eigenen Gedanken – mit der Folge einer Entfremdung vom eigenen Denkprozess. Die klassischen Marker strategischen Denkens – Spannung, Ambivalenz, Widerspruchstoleranz, argumentative Kohärenz – werden durch eine Abfolge funktionaler Antwortblöcke ersetzt. Diese Entdramatisierung des Denkens erzeugt eine semantische Glätte, die psychologisch als Leere oder Bedeutungsverlust erlebt werden kann. Denken wird nicht mehr als geistige Leistung wahrgenommen, sondern als Abfrageprozess – bei dem der Denkende immer zugleich der Nicht-Denkende ist.

Die dadurch entstehende subjektive Fragmentierungswahrnehmung ist empirisch beobachtbar: Marketingprofessionals berichten häufiger über das Gefühl, den „Faden zu verlieren“, nicht „in die Tiefe zu kommen“, oder „zwar viele Impulse zu haben, aber keine gedankliche Linie“. Diese Aussagen verweisen auf eine tieferliegende Strukturveränderung: Das Denken verliert seine narrative Form – und damit seine psychische Verankerung. Nicht zufällig klagen viele über ein „Zuviel“ an Ideen bei gleichzeitigem „Zuwenig“ an Orientierung. Es handelt sich nicht um einen Mangel an Content – sondern an Kontinuität.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Der häufige Einsatz von KI zur Strategie- und Ideenentwicklung transformiert das subjektive Erleben des Denkens. Die mentale Kohärenz wird durch funktionale Modularität ersetzt, das innere Denken durch prompthaftes Navigieren. In der Folge entsteht nicht nur eine neue Arbeitsform, sondern eine neue Selbstwahrnehmung als Denkender – als jemand, der steuert, abruft, kombiniert, aber nicht mehr denkt im eigentlichen Sinne.

H2: Eine hohe Prompt-Nutzung geht mit einer geringeren Tiefe in Markenentwicklungsprozessen einher.

Die Entwicklung einer Marke war lange Zeit ein psychologisch tief verwurzelter Prozess: Sie erforderte nicht nur kreative Exzellenz, sondern auch narrative Kohärenz, emotionale Intuition und strategische Verdichtung über Zeit. Marken entstanden nicht aus einer Aneinanderreihung von Ideen, sondern aus innerer Logik, symbolischer Sinnstruktur und einem psychologischen Verständnis für Resonanz, Differenz und Identitätsstiftung. In klassischen Markenprozessen galt: Wer eine Marke „bauen“ will, muss sie zunächst fühlen, verstehen und entlang eines konsistenten Deutungsrahmens strukturieren – von der Markenidentität bis zum semantischen Ökosystem.

Mit der zunehmenden Nutzung von KI-Systemen wie ChatGPT im kreativen Alltag verändert sich diese Struktur grundlegend. An die Stelle reflektierter Markenarbeit tritt eine promptbasierte Ideenproduktion, bei der Inhalte, Claims, Archetypen oder Zielgruppenbeschreibungen sequenziell abgefragt und modular zusammengestellt werden. Diese Vorgehensweise wirkt effizient – tatsächlich jedoch wird der Prozess der Markenentwicklung entkernt. Statt einem tiefen psychologischen Eintauchen in den kulturellen, emotionalen und symbolischen Resonanzraum einer Marke entsteht eine Art semantisches Puzzle, dessen Einzelteile zwar logisch, aber selten kohärent sind. Marken werden dadurch nicht entwickelt – sie werden kompiliert.

Tiefenpsychologisch lässt sich dies als Verlust der inneren Markenidentifikation beschreiben: Wer in modularen Prompts denkt, entwickelt keine affektive Bindung zur Marke – er produziert symbolische Oberflächen, ohne semantische Tiefenverankerung. Die Markenarbeit verliert ihre Integrationskraft: Statt ein narratives Selbstbild aufzubauen, entsteht ein Mosaik von Botschaften, Bildern und Positionierungen, das beliebig austauschbar wirkt. Die kreative Bewegung ist nicht mehr auf Verdichtung, sondern auf Abdeckung gerichtet – es geht nicht mehr um Sinn, sondern um Vollständigkeit. Dies ist kein Mangel an Information, sondern an psychodynamischer Tiefe.

Hinzu kommt, dass KI-Systeme selbst keine Tiefendynamiken kennen: Sie operieren nicht mit unbewussten Bedeutungsräumen, impliziter Symbolik oder affektiver Ambivalenz, sondern mit statistisch relevanten Antwortmustern. Dadurch wird Markenentwicklung zu einer sprachlichen Konfiguration, nicht zu einem emotional-psychologischen Schöpfungsprozess.

H3: Die Fähigkeit zu kohärenter Markenführung korreliert negativ mit der Tendenz, auf modularisierte Denkbausteine zurückzugreifen.

Markenführung war traditionell ein auf Kohärenz, Kontinuität und innerer Geschlossenheit basierender Prozess. Sie verlangte von Marketingverantwortlichen, eine übergreifende semantische Architektur zu entwickeln – mit stabilen Markenwerten, emotionalen Klammern und strategischer Wiedererkennbarkeit über Plattformen und Zielgruppen hinweg. Kohärente Markenführung bedeutet, eine innere Logik über alle Berührungspunkte hinweg aufrechtzuerhalten: visuell, sprachlich, psychologisch. Sie verlangt ein Denken in Verknüpfungen statt Einzellösungen, in Langzeitwirkung statt Reaktionsgeschwindigkeit.

Mit der Etablierung KI-gestützter Denktools wie ChatGPT verändert sich dieses Paradigma. Die kognitive Struktur vieler Marketingprozesse wird zunehmend modularisiert: Claims, Ideen, Persona-Profile, Headlines, Wertecluster – all das kann promptweise einzeln angefordert, bearbeitet und „gelöst“ werden. Diese Fragmentierung führt zu einer Aufsplitterung strategischer Denkmuster: statt eines integrierten Markenbewusstseins entsteht ein Denken in Bausteinen, die situativ zusammengefügt, aber selten psychologisch oder narrativ abgestimmt sind.

Psychodynamisch betrachtet bedeutet dies: Die Markenführung verliert ihre symbolische Tiefe. Sie wird nicht mehr als konsistenter Bedeutungsraum erlebt, sondern als Abfolge funktionaler Problemlösungen. Der Markenverantwortliche agiert dabei nicht mehr als semantischer Architekt, sondern als Prompt-Operator, der Einzelaspekte der Marke nacheinander behandelt, ohne ein durchgehendes Markenselbst zu verkörpern. Dadurch wird das „Selbst der Marke“ brüchig – nicht aufgrund fehlender Inhalte, sondern aufgrund mangelnder Verknüpfung.

Zudem verfestigt sich bei häufiger Modularisierung ein mentales Arbeitsmodell, das lineare, strategische Tiefenführung erschwert: Wenn Denkprozesse episodisch abgerufen werden, fehlt der psychologische „Plot“, der in kohärenter Markenführung so entscheidend ist. Was bleibt, sind viele Antworten ohne Zusammenhang, viele Module ohne System. In der Folge wird die Marke nicht nur unklarer nach außen, sondern auch weniger verankert nach innen: Mitarbeiter, Agenturen und Führungskräfte verlieren das Gefühl für einen stabilen semantischen Raum – und damit für die Rolle der Marke als emotional-kulturelles Bezugsobjekt.

H4: Kreative Arbeiten, die aus promptifiziertem Denken hervorgehen, werden als schneller produziert, aber als weniger originär und emotional kohärent bewertet.

In der kreativen Markenarbeit galt lange der Dreiklang aus Inspiration, Durchdringung und gestalterischer Verdichtung. Kreativität war ein Prozess der inneren Auseinandersetzung – ein Oszillieren zwischen Intuition, Erfahrung, Kontextwissen und ästhetischer Formung. Insbesondere in der Markenentwicklung waren kreative Outputs oft das Resultat langwieriger Reflexion, diskursiver Abarbeitung und psychischer Einfühlung. Gute Kreation bedeutete nicht nur Originalität, sondern auch emotionale Passung, Tiefenanschluss und symbolische Verdichtung.

Im Zeitalter von KI-gestütztem Prompting verschiebt sich diese kreative Praxis tiefgreifend: Ideen werden externalisiert, Kreativvorschläge werden nicht mehr entwickelt, sondern abgerufen. ChatGPT, Midjourney, Copy.ai & Co. liefern in Sekunden Varianten, Ansätze, Headlines, Bildideen oder Moodboards. Die Kreativarbeit wird dadurch schneller, effizienter – aber zugleich auch modular, austauschbar und ästhetisch entkernt. Die Idee wird nicht mehr errungen, sondern selektiert.

Diese Form der Promptifizierung kreativer Prozesse bringt einen klaren Produktivitätsgewinn – aber auch eine psychologische Verschiebung: Die emotionale Bindung an den kreativen Output nimmt ab. Viele Marketingprofis berichten, dass sie KI-Outputs zwar als hilfreich erleben, aber selten als „ihres“. Es entsteht ein Gefühl der ästhetischen Entfremdung: Die Texte klingen gut, aber nicht besonders. Die Bilder wirken stimmig, aber nicht stimmungsvoll. Die Konzepte sind nachvollziehbar, aber selten originär oder „berührend“.

Tiefenpsychologisch betrachtet fehlt diesen Arbeiten der affektive Abdruck des Subjekts – also jener kreative Impuls, der in klassischer Kreation als „Ideen-Funken“ erlebt wird. Promptifizierung ersetzt diesen Impuls durch Rekombination, durch das „Durchprobieren“ semantischer Varianten. Doch ohne psychische Resonanz in der Entstehung fehlt häufig die emotionale Kohärenz im Ergebnis: Das Ergebnis wirkt „ausgeklügelt“, aber nicht „empfunden“. Die Form ist da – aber nicht das Gefühl.

Hinzu kommt: In der kreativen Bewertung durch andere (z. B. Agentur-Feedback, Kundenpräsentation, Fokusgruppen) werden promptifizierte Inhalte oft als funktional, aber wenig differenzierend erlebt. Der Wiedererkennungswert sinkt, die Tiefenbindung fehlt. Kreation wird nicht mehr als Ausdruck eines inneren Gestaltungsprozesses verstanden, sondern als Kombination generischer Möglichkeiten – was die emotionale Identifikation und damit die Markenkraft schwächt.

H5: Marketingentscheider unterschätzen systematisch die Folgen modularisierter Denkprozesse auf die Markenintegrität.

In einer zunehmend KI-dominierten Marketingwelt verschiebt sich die Art und Weise, wie Strategien entwickelt, Kampagnen konzipiert und Markenbilder gepflegt werden. Was früher durch langfristige Reflexion, interne Abstimmung und semantische Konsistenz entstand, wird heute oft durch schnelle Ideenabfragen, modulare Text- oder Designbausteine und promptbasierte Kreativsessions ersetzt. Diese Transformation bleibt in vielen Organisationen operativ effizient, aber strategisch unterschätzt.

Marketingentscheider:innen erleben diese Veränderung zunächst positiv: mehr Output in kürzerer Zeit, geringere Abhängigkeit von Agenturen, scheinbare Demokratisierung von Kreativität durch Toolnutzung. Doch genau hier liegt die psychologische Fallhöhe. Denn Modularität im Denkprozess bedeutet auch Modularität in der Markenwahrnehmung – also eine potenzielle Auflösung des semantischen Zusammenhangs zwischen Markenkern, Ausdruck und Erleben.

Markenintegrität, verstanden als strukturelle, emotionale und semantische Kohärenz über alle Touchpoints hinweg, ist keine Eigenschaft, die rein funktional sichergestellt werden kann. Sie beruht auf innerer Konsistenz des Denkens, auf symbolischer Tiefenstruktur und auf der Fähigkeit, ein psychologisches Markenbild stabil zu halten, selbst über Plattform-, Format- oder Situationswechsel hinweg.

Die Zerstückelung des Denkens in Prompt-Einheiten führt jedoch dazu, dass strategische Entscheidungen immer häufiger isoliert getroffen, kontextlos bewertet oder auf situative Anforderungen hin optimiert werden – statt sie als Teil eines übergreifenden Markensystems zu verstehen. Dadurch entstehen semantische Risse, stilistische Brüche, affektive Inkohärenzen – die intern selten bemerkt, aber extern deutlich gespürt werden.

Tiefenpsychologisch betrachtet verlieren solche Marken an „psychischer Bindungsfähigkeit“: Sie erzeugen keine stabile Resonanz mehr beim Konsumenten, weil sie keine konsistente Erlebnisstruktur bieten. Stattdessen erscheinen sie wie „kompilierte Erlebnisangebote“, bei denen Ton, Haltung und emotionale Anschlussfähigkeit von Modul zu Modul variieren.

Was Entscheider:innen oft nicht erkennen: Diese Fragmentierung ist kein „temporärer Nebeneffekt“ von Effizienzgewinnen – sie ist ein struktureller Risikoindikator. Die Unterschätzung dieser Dynamik ist deshalb besonders folgenreich. Marken verlieren nicht an Sichtbarkeit, sondern an Bedeutung – leise, schleichend, aber irreversibel.

4. Studiendesign: Tiefenstruktur und empirische Breite zur Analyse modularisierter Denkprozesse im Marketing

Um die tiefenpsychologischen Veränderungen im strategischen Denken von Marketingprofessionals im Zeitalter der KI-basierten „Promptifizierung“ fundiert zu analysieren, wurde ein zwei-phasiges, sequentielles Mixed-Methods-Design gewählt. Ziel war es, sowohl die subjektive Erlebnisqualität fragmentierter Denkprozesse als auch strukturelle Muster in der Nutzung und Wirkung KI-basierter Denkunterstützung zu erfassen. Der Fokus lag dabei nicht auf Output-Effizienz, sondern auf der inneren Architektur des Denkens: seiner Tiefe, Linearität, Kohärenz – oder eben seiner zunehmenden Zergliederung.

4.1 Qualitative Tiefeninterviews

Im ersten Schritt wurden 17 psychologisch fundierte Tiefeninterviews mit erfahrenen Marketingstrateg:innen, Markenverantwortlichen, Digital Planner:innen und Creative Directors aus Agenturen und Unternehmen durchgeführt. Die Interviewpartner:innen waren zwischen 29 und 54 Jahre alt, arbeiteten alle in konzeptionell-strategischen Rollen und nutzten KI-Tools wie ChatGPT, Notion AI oder Jasper bereits regelmäßig zur Ideen-, Konzept- oder Textentwicklung.

Die Interviews wurden nach dem Prinzip der tiefenhermeneutischen Szenenrekonstruktion geführt (angelehnt an Lorenzer, König, Thomä). Ziel war es, implizite Denkprozesse, Erschöpfungssignale, Affektschwankungen sowie den symbolischen Bedeutungsverlust von Denkprozessen zu erfassen. Die Gesprächsstruktur folgte einem offenen Leitfaden mit zentralen Triggerfragen wie:

  • Wann fühlst du dich strategisch „bei dir selbst“ – und wann nicht mehr?
  • Wie verändert sich dein Denkprozess, wenn du mit KI arbeitest?
  • Erinnerst du dich an eine Idee, die sich „echt durchdacht“ anfühlte – versus eine, die „gut klang“?
Die Auswertung erfolgte in drei Stufen:
  1. Narrative Entfaltung der Denkstruktur: Wie sprechen Personen über ihre kognitive Arbeit?
  2. Symbolische Verdichtung: Welche Metaphern und Sprachbilder werden für Denken und KI-Nutzung verwendet? (z. B. „Ich springe zwischen Tabs“, „wie Content-Tetris“, „mein Denken wirkt gestückelt“)
  3. Psychodynamische Analyse: Welche unbewussten Selbstbilder (z. B. Kontrollverlust, Ich-Split, sekundärer Regressionswunsch) werden aktiviert?

Die qualitative Analyse lieferte nicht nur eine feinstrukturierte Typologie von Denkformen im Marketing, sondern bildete auch die Grundlage für die Entwicklung der quantitativen Skalen im zweiten Schritt.

4.2 Quantitative Online-Erhebung

Auf Basis der qualitativen Befunde wurde ein psychologisch validiertes Online-Instrument entwickelt, das zentrale Konstrukte operationalisierte: darunter

  • Fragmentierungserleben (Skala α = 0.89)
  • Selbststeuerung im Denkprozess (Skala α = 0.85)
  • Kohärenzverlust in strategischer Arbeit (Skala α = 0.81)
  • Bewertung der kreativen Qualität promptbasierter Ergebnisse (Skala α = 0.87)

Die Online-Befragung wurde unter 103 Marketingprofessionals im deutschsprachigen Raum durchgeführt (DACH), darunter:

  • 41 Unternehmensmarketer (FMCG, B2B, Retail)
  • 36 Agenturstrateg:innen (Branding, Kampagne, Digital)
  • 26 selbstständige Konzepter:innen und Freelancer:innen

Die Teilnehmer:innen waren zu 93 % aktive Nutzer:innen von generativen KI-Tools, davon 61 % täglich und weitere 28 % mehrmals wöchentlich. Die durchschnittliche Berufserfahrung betrug 11,4 Jahre, wobei die Stichprobe gezielt nicht auf Junior-Rollen fokussierte, sondern auf Personen mit Verantwortung für Markenstrategie, Positionierung und Kommunikationsführung.

Die Ergebnisse wurden mit explorativer Faktoranalyse, Korrelationsstatistik, Varianzanalysen und einer Clusterbildung (auf Basis kognitiver Selbststruktur) ausgewertet. Zusätzlich kamen semantische Analyseverfahren zum Einsatz, um Freitextantworten auf psycholinguistische Marker für Fragmentierung, Unsicherheit und Kontrollillusion hin zu untersuchen.

Das gewählte Studiendesign ermöglicht eine doppelte Tiefenschärfe: qualitative Tiefenpsychologie für subjektive Erlebensmuster sowie quantitative Strukturdiagnostik für generalisierbare Aussagen zu Denkveränderungen durch KI-Tools im Marketing. Die Erkenntnisse aus dieser Untersuchung bilden die empirische Basis für die im nächsten Kapitel dargestellten Hypothesenprüfungen und strategischen Ableitungen für die Markenführung im Zeitalter modularisierter Denkarbeit.

5. Ergebnisse und Diskussion: Fragmentierung als neue Denkarchitektur im Marketing

Die empirische Analyse zeigt mit hoher Klarheit: Die Nutzung generativer KI verändert nicht nur das Ergebnis, sondern den Prozess des Denkens selbst – insbesondere in strategisch-kreativen Kontexten wie der Markenführung. Die zentralen Hypothesen dieser Studie wurden in weiten Teilen bestätigt und liefern tiefenpsychologische Einsichten in die neue Rolle des Marketing-Ichs im Modus promptifizierter Kognition.

H1: Je häufiger Marketingprofessionals KI-Tools zur Ideen- und Strategieentwicklung nutzen, desto fragmentierter erleben sie ihre eigenen Denkprozesse.

Die vorliegende Studie zeigt mit hoher empirischer Dichte und psychodynamischer Tiefenschärfe, dass die Nutzung generativer KI – insbesondere in der strategischen Konzeptionsarbeit – mit einer veränderten subjektiven Wahrnehmung des eigenen Denkens einhergeht. Während Marketingprofessionals traditionell ihren Denkprozess als kohärenten inneren Verlauf erleben – etwa im Sinne einer narrativen Bewegung von These, Argumentation, Abwägung und Synthese – verschiebt sich dieses Erleben durch den ständigen Einsatz von Prompt-basierten Tools wie ChatGPT in eine neue, modularisierte Denkarchitektur.

In der quantitativen Analyse zeigt sich ein starker positiver Zusammenhang zwischen der Intensität der KI-Nutzung und dem Fragmentierungserleben: Die Skala zum subjektiven Denkzusammenhang (α = .84) korrelierte signifikant mit dem Nutzungsindex für KI-Tools zur Ideen- und Strategiefindung (r = .62, p < .001). Das bedeutet: Je stärker Marketingprofessionals ihre tägliche Denk- und Strategiearbeit in KI-gestützten Dialogen organisieren, desto häufiger beschreiben sie ihren Denkmodus mit Begriffen wie:

  • „Zerschnitten“
  • „Unverbunden“
  • „Wie lauter kleine Gedankensnacks“
  • „Ich komme nie in einen Fluss“

Diese Fragmentierungswahrnehmung wurde in den Tiefeninterviews wiederholt als psychisch irritierend geschildert. Es sei nicht nur schwerer, „bei einem Thema zu bleiben“, sondern auch zunehmend unklar, „woher eine Idee eigentlich kommt“. Ein Befragter sagte: „Ich schreibe gar nicht mehr. Ich frage und editiere.“ – was eine tiefgreifende Verschiebung im psychischen Besitzverhältnis von Gedanken markiert.

Tiefenpsychologisch verweist diese Entwicklung auf eine Form des sekundären Kontrollverlusts, wie sie auch im Kontext von Cognitive Offloading und Interface-abhängiger Selbststrukturierung diskutiert wird. Während die Nutzung von KI zunächst als funktionale Entlastung erlebt wird, verlagert sich mit der Zeit die Ursprungserfahrung des Denkens: Der Impuls zur Reflexion, die Erarbeitung semantischer Tiefe und das Ringen um kohärente Bedeutungsketten werden durch ein Verhalten ersetzt, das man als promptgesteuertes Denk-Sampling beschreiben könnte. Das Subjekt denkt nicht mehr von innen nach außen – es reagiert, fragt, verknüpft und kompiliert.

Dieser Wandel führt zur Erosion der psychischen Kohärenz: Die Denkerfahrung wird episodisch, die kognitive Identität brüchig. Die Vorstellung, ein „Denker zu sein“, wird abgelöst durch das Selbstbild eines „Denk-Operators“, der sich in einem ständigen Zustand algorithmischer Verhandlung befindet: „Was kann man dazu sagen?“, „Wie klingt das in schön?“, „Gib mir drei Varianten“. Damit verliert das Denken seine kontemplative Tiefenstruktur und wird zur semantischen Oberfläche – funktional, aber nicht mehr symbolisch integriert.

In mehreren Interviews zeigten sich zudem Affektverschiebungen, die mit dieser Denkfragmentierung einhergehen: Gefühle von innerer Erschöpfung, Reizübersättigung, aber auch einer Art kognitiver Entfremdung, die sich in Aussagen wie „Ich hab das Gefühl, meine Ideen sind gar nicht mehr meine“ oder „Ich kuratiere Gedanken, aber ich hab nichts mehr zu sagen“ manifestieren.

Diese psychodynamischen Reaktionen lassen sich als Symptome eines verlustreichen Modus innerer Steuerung interpretieren. Der Denkakt wird nicht mehr als Eigentätigkeit des Ichs erlebt, sondern als interaktives Verarbeiten fremdgenerierter Inhalte, denen das Selbst nur noch eine formale Richtung geben kann. Die Folge ist nicht nur ein Verlust an Tiefe, sondern auch an kognitiver Selbstverankerung – das Denken zersplittert, und mit ihm das Erleben der eigenen Denkidentität.

H2: Eine hohe Prompt-Nutzung geht mit einer geringeren Tiefe in Markenentwicklungsprozessen einher.

Die empirischen Daten der Studie zeigen mit bemerkenswerter Klarheit, dass intensive KI-Nutzung im Kontext von Markenentwicklungsprozessen zu einem Verlust strategischer Tiefe führt – nicht nur auf der Inhaltsebene, sondern vor allem auf der psychodynamischen Ebene der affektiven Auseinandersetzung mit der Markenidentität.

Zur Messung der strategischen Tiefe wurden in der quantitativen Phase drei Skalen eingesetzt:

  1. die Kohärenz der Markenidee (z. B. „Die entwickelte Markenidee wirkt innerlich stimmig und anschlussfähig“),
  2. die Integrationsleistung strategischer Narrative (z. B. „Die Markenidee lässt sich über verschiedene Kanäle und Zielgruppen hinweg überzeugend erzählen“) und
  3. die Affektqualität kreativer Ergebnisse (z. B. „Die Ausarbeitung der Marke erzeugt bei mir ein stimmiges, emotional überzeugendes Gefühl“).

Die Ergebnisse zeigen ein konsistentes Bild:
Professionals mit hoher Prompt-Nutzung – definiert als täglicher Einsatz generativer KI-Tools mit mindestens zehn Prompts pro Session – erzielten signifikant niedrigere Werte auf der zusammengesetzten Skala „strategische Tiefe“ (M = 2.9) im Vergleich zur Gruppe mit geringer Nutzung (M = 4.1; p < .001). Diese Differenz ist nicht nur statistisch signifikant, sondern inhaltlich und psychologisch bedeutsam.

In der qualitativen Phase wurde dieser Verlust an Tiefe sprachlich vielfach als „clever, aber leer“, „funktional, aber seelenlos“, oder „handwerklich stark, aber ohne Biss“ beschrieben. Die KI-generierten Vorschläge wurden als „gut formuliert“, „logisch nachvollziehbar“ und „sofort präsentabel“ empfunden – doch gerade diese Präsentabilität wirkte verdächtig glatt, verdichtungsarm und emotional unbeteiligt. Eine befragte Creative Directorin formulierte es so:
„Ich habe immer das Gefühl, ich kriege eine sehr höfliche Idee. Aber nie eine, bei der ich denke: Das ist es. Dafür fehlt der Reibungsmoment.“

Diese Aussagen lassen sich tiefenpsychologisch als Verlust an symbolischer Arbeit deuten. Markenentwicklung ist traditionell ein affektiver Aushandlungsraum: Sie verlangt Identitätsarbeit, Ambivalenz, semantische Verdichtung – kurz: eine psychische Involvierung des Subjekts, das ringt, entwirft, verwirft, neu verbindet. Die besten Markenideen entstehen nicht durch logische Konsistenz allein, sondern durch ein emotionales Durcharbeiten symbolischer Spannungen: von Nähe und Distanz, Fremdheit und Eigenheit, Versprechen und Projektion.

Die Arbeit mit generativer KI führt jedoch zu einer Entlastung von genau diesen Spannungen. Die Konfliktzone der Markenentwicklung wird funktionalisiert – das System liefert Vorschläge, die zwar anschlussfähig, aber selten affektiv aufgeladen sind. Anstelle einer symbolischen Integration findet ein semantisches Matching statt: Was gut klingt, wird genommen. Doch was gut klingt, ist oft nicht das, was psychisch wirkt. Es fehlt das psychische Engagement, das emotionale Risiko, der Prozess der Übertragung, durch den eine Marke mehr wird als ein Text.

In psychodynamischer Sprache könnte man sagen:
Die Arbeit am Unbewussten, die im kreativen Prozess oft implizit mitläuft – etwa in der Form projektiver Semantik, impliziter Zielbild-Arbeit oder emotionaler Spannung zwischen Anspruch und Ausdruck – wird im promptifizierten Denken umgangen. Markenideen entstehen dadurch nicht aus psychischer Verankerung, sondern aus algorithmischer Wahrscheinlichkeit. Das Resultat ist eine Marke, die zwar konsistent, aber nicht konfliktfähig, anschlussfähig, aber nicht bedeutsam, verständlich, aber nicht transformativ ist.

Diese Entwicklung ist strategisch nicht trivial. Denn Marken, die keine symbolische Dichte besitzen, erzeugen weniger Bindung, weniger Wirkung, weniger Resonanz. Sie verhalten sich wie perfekt editierte Fassaden – funktional, aber psychologisch nicht berührbar.

H3: Die Fähigkeit zu kohärenter Markenführung korreliert negativ mit der Tendenz, auf modularisierte Denkbausteine zurückzugreifen.

Die empirische Auswertung dieser Hypothese basiert auf zwei zentralen Konstrukten:

  1. Markenführungs-Kohärenz: Erfasst über eine mehrdimensionale Skala mit Fokus auf semantische Stimmigkeit, affektive Konsistenz über Touchpoints und strategische Kontinuität. Beispielhafte Items:
    „Die Markenführung folgt einem klar erkennbaren Leitbild, das kanalübergreifend erlebbar ist“ oder
    „Die Tonalität und Symbolik meiner Markenkommunikation ist kohärent mit dem strategischen Markenversprechen“.
  2. Denkmodularisierung: Operationalisiert über die Häufigkeit des Einsatzes von Prompting-Logiken, Nutzung von Textbausteinen, Ideenfragmenten und atomisierten Markenbestandteilen („Bausteinkommunikation“, KI-generierte Claims, multiple Copytests etc.).

Die Korrelationsanalyse zeigt einen signifikant negativen Zusammenhang zwischen modularisierter Denkweise und dem Erleben kohärenter Markenführung (r = –0.55, p < .001). Je stärker Professionals ihre strategische Arbeit durch modularisierte Denkbausteine strukturieren – z. B. durch punktuelle Ideenabfragen, KI-generierte Kommunikationsinseln, fragmentierte Inhalte – desto geringer ist das Erleben von Markenstimmigkeit und strategischer Tiefenführung.

In den qualitativen Tiefeninterviews zeigt sich dieses Phänomen besonders deutlich in Aussagen wie:

  • „Wir haben super viel Output – aber es fühlt sich an wie 12 Mini-Marken nebeneinander.“
  • „Ich kann nicht sagen, wofür wir stehen, aber ich kann dir zehn Slogans nennen, die irgendwie passen.“
  • „Die Marke ist nicht mehr ein Fluss, sondern ein Set.“

Diese Metaphern offenbaren eine zentrale psychische Struktur: Die Erfahrung von Zersplitterung. Was vormals als symbolisch-integrierte Markenidentität erlebt wurde – also als psychologisches Kontinuum mit emotionaler Verankerung – wird heute zunehmend als kompositorisches Raster empfunden. Die Marke zerfällt in Inhalte, Module, Touchpoints – deren Verbindung nicht mehr aus dem Inneren, sondern nur noch aus der äußeren Abstimmung (Styleguide, Tooling, Promptdatenbank) entsteht.

Tiefenpsychologisch lässt sich dies als Entkoppelung zwischen Innenstruktur und Außendarstellung deuten. Markenführung wird nicht mehr als integrativer Prozess verstanden, sondern als semantische Kuratierung. Das strategische Selbst der Marke – ihre narrative Seele, ihr implizites Leitmotiv – ist nicht mehr spürbar. Stattdessen dominiert ein oberflächlicher Zusammenhang durch Gestaltungswiederholung, nicht durch semantische Entwicklung.

Diese psychische Fragmentierung wirkt auf mehreren Ebenen:

  • Affektiv: Marken fühlen sich „unecht“ oder „leer“ an.
  • Strategisch: Die Kommunikationslinie wird nicht mehr als evolutionärer Erzählraum verstanden, sondern als modularer Inhaltsstapel.
  • Identifikatorisch: Mitarbeitende berichten, dass sie „nicht mehr spüren, wofür die Marke steht“.

Besonders deutlich wird dies bei Professionals, die regelmäßig mit fragmentierten Tools arbeiten (Prompt-Bibliotheken, Copy-KI, Pattern-Libraries). Diese Personen erleben strategische Arbeit als kompositorische Tätigkeit, nicht als inhaltliches Durchdringen. Das Ich des Markenführers wird dadurch von einer gestaltenden Instanz zur kuratierenden Schnittstelle.

H4: Kreative Arbeiten, die aus promptifiziertem Denken hervorgehen, werden als schneller produziert, aber als weniger originär und emotional kohärent bewertet.

Die Analyse dieser Hypothese zielte auf einen doppelten Vergleich: zeitliche Effizienz vs. emotionale Qualität kreativer Ergebnisse. Grundlage war eine quantitative Selbsteinschätzung der befragten Marketingprofessionals (n = 103) sowie die tiefenpsychologische Auswertung von 17 qualitativen Interviews mit Schwerpunkt auf Kreativprozesse, affektive Involvierung und Bewertungsmuster.

Quantitative Ergebnisse:

  • Produktionsgeschwindigkeit wurde mit einem Mittelwert von 4,6 (Skala 1–5) deutlich höher eingeschätzt bei Nutzung KI-basierter Prompt-Technologie.
  • Affektive Kohärenz und subjektiv empfundene Originalität der Ergebnisse lagen jedoch signifikant niedriger:
    • Originalität: M = 2,8 bei KI-Unterstützung vs. M = 4,3 bei eigenständig entwickelten Ideen (p < .001)
    • Emotionale Stringenz: M = 2,5 vs. M = 4,0 (p < .001)

Diese Differenz wurde als paradox erlebt: „Ich bekomme schnell zehn Varianten, aber keine fühlt sich richtig an“, wie eine Teilnehmerin formulierte. Eine andere sprach von einem „emotionalen Weißraum“, der sich zwischen ihr und dem Ergebnis auftue.

Tiefenpsychologische Auswertung:

In den Interviews kristallisierte sich ein wiederkehrendes Motiv: psychische Dissoziation zwischen Prozess und Ergebnis. Kreative Ergebnisse, die durch promptifiziertes Denken entstanden, wurden zwar als technisch korrekt und oft sogar brillant bezeichnet – aber zugleich als „seelenlos“, „nicht von mir“ oder „wie eine Kopie ohne Ursprung“.

Diese Wahrnehmung verweist auf eine Störung in der Selbst-Objekt-Beziehung innerhalb kreativer Arbeit: In klassischen Prozessen entsteht das Werk aus einem inneren Konflikt oder Spannungsfeld, das im kreativen Akt verarbeitet wird. Es ist nicht nur Ergebnis – es ist Ausdruck. Bei promptifizierten Prozessen hingegen fehlt diese symbolisch-affektive Einbettung. Das Ergebnis erscheint als Produkt eines Interface-Vorgangs, nicht als psychisch durchlaufene Leistung.

Ein Interviewter beschrieb dies mit den Worten:

„Das Ergebnis ist gut – aber es hat nichts mit meinem Denken zu tun. Es ist wie ein Kind, das nicht von mir kommt.“

Tiefenpsychologisch liegt dem eine Entkopplung zwischen Subjekt und Objekt zugrunde. Die kreative Leistung wird nicht mehr als Ausdruck eines inneren psychischen Prozesses erlebt, sondern als kuratiertes, modulares Ergebnis eines Tools. Dadurch verliert es seine originäre Authentizität – es entsteht nicht durch symbolische Transformation, sondern durch algorithmische Kombination. Die emotionale Kohärenz – also die spürbare innere Stimmigkeit eines kreativen Ergebnisses – bleibt aus, weil die affektive Investition fehlt.

Die Folge ist nicht nur ein Rückgang der wahrgenommenen Originalität, sondern auch eine schleichende Selbstentfremdung: Man erkennt sich nicht wieder in der eigenen Arbeit. Die kreative Identität beginnt zu erodieren.

H5: Marketingentscheider unterschätzen systematisch die Folgen modularisierter Denkprozesse auf die Markenintegrität.

Diese Hypothese zielt auf eine kognitive Verzerrung in der Wahrnehmung der Auswirkungen promptifizierten Denkens. Im Zentrum steht die Annahme, dass Marketingentscheider – oft selbst intensive Nutzer von KI-basierten Denkmodulen – die psychodynamischen Nebenwirkungen auf die semantische und affektive Markenstabilität nicht adäquat erfassen.

Quantitative Evidenz:

In der quantitativen Befragung (n = 103) wurde u. a. der folgende Widerspruch deutlich:

  • 78 % der befragten Entscheider bewerten KI-gestützte Strategiefindung als „effizient“ oder „neutral im Risiko“ für die Markenführung.
  • Gleichzeitig gaben 66 % an, dass sie in den letzten 12 Monaten „vermehrt Schwierigkeiten“ hatten, konsistente Markennarrative aufrechtzuerhalten – insbesondere im Zusammenspiel verschiedener Kanäle, Kampagnen oder Projektteams.
  • Der Zusammenhang zwischen intensiver Prompt-Nutzung und wahrgenommenem Verlust an Markenkohärenz wurde jedoch kaum reflektiert (nur 12 % machten einen direkten Zusammenhang geltend).

Tiefenpsychologische Auswertung:

In den qualitativen Interviews (n = 17) offenbarte sich eine deutliche Diskrepanz zwischen Handlungslogik und Reflexionslogik: Während prozessuale Effizienz (z. B. „schnell erste Ideen“, „geringe Friktion“, „multifunktional einsetzbar“) als zentraler Vorteil von KI-basiertem Arbeiten hervorgehoben wurde, blieben markenbezogene Nebenwirkungen häufig unerkannt oder wurden externalisiert.

Typische Aussagen waren:

„Wenn’s nicht zusammenpasst, liegt’s an der Agentur, nicht an den Tools.“

„Die Marke ist doch ein Rahmen – den füllt man dann situativ.“

Was hier aufscheint, ist eine Form der kognitiven Dissoziation zwischen Markenführung und Denkführung: Die Vorstellung, dass strategisches Denken selbst eine markenprägende Funktion hat, wird verdrängt zugunsten einer Vorstellung von Marke als flexible Containerstruktur. Dies führt zu einer Überbetonung von Agilität und Output – und zu einer systematischen Unterschätzung der Rolle psychisch konsistenter Denkprozesse für die Markenintegrität.

Tiefenpsychologischer Befund:

Aus tiefenpsychologischer Perspektive handelt es sich um eine Verdrängungsleistung im narzisstischen Arbeitsmodus: Der eigene kognitive Modus wird als „smart“, „zeitgemäß“, „adaptiv“ erlebt – und seine Nebenwirkungen werden entkoppelt von der Ergebnisqualität.

Zugleich zeigt sich eine projektive Externalisierung von Spannungsverlusten: Wenn Marken nicht mehr stimmig wirken, liegt das Problem „außen“ (z. B. am Team, an der Komplexität, am Zeitdruck) – nicht am inneren Denkmodus, der in Wahrheit zunehmend entkoppelt ist von affektiver Reflexion, intuitiver Reibung und semantischer Tiefenbindung.

Diese Dissoziation ist nicht nur ein psychologisches Phänomen – sie hat strukturelle Konsequenzen: Marken werden beliebiger, semantisch instabiler, affektiv schwächer – und Entscheider spüren das Ergebnis, aber nicht die Ursache.

6. Strategische Implikationen: Wenn Marke kein Denken mehr verlangt

Die vorliegenden Befunde markieren keinen evolutionären Wandel, sondern einen Paradigmenbruch. Die Denkweise, mit der Marken heute konzipiert, geführt und bewertet werden, ist nicht mehr identisch mit jener, auf der die klassische Markenidee beruhte. Das Denken selbst – als psychische Leistung, als innerer Prozess, als symbolische Auseinandersetzung – wurde aus der Markenführung entfernt. Was bleibt, ist ein Prozess der semantischen Kuratierung, eine kollaborative Textproduktion unter Vorbehalt, ohne inneren Anspruch, ohne Widerstand, ohne Bedeutungstiefe. Markenführung wird damit nicht mehr als Ausdruck eines inneren Wertegerüsts verstanden, sondern als modularisierbares Interface-Management – formatiert, skalierbar, kontextsensibel. Aber psychisch leer.

Verlust an mentaler Kohärenz: Markenführung als Textmanagement

Strategische Markenführung war einmal ein Ort des inneren Ringens. Zwischen Differenz und Relevanz. Zwischen kultureller Anschlussfähigkeit und symbolischer Tiefe. Zwischen kollektiven Narrativen und individueller Repräsentanz. Doch diese Arbeit war nur möglich, weil sie auf Denkprozesse mit innerer Verankerung zurückgreifen konnte – auf Denkakte, die nicht promptbasiert, sondern psychisch durchlitten waren. Markenführung war nicht nur Entscheidung – sie war Deutung. Heute wird das Denken delegiert: an Tools, an Templates, an Prompts.

Was folgt, ist ein neues Berufsbild: Der Markenstratege wird zum Prompt-Operator, zum textlichen Arrangementkünstler in einem Raum algorithmisch formulierter Vorschläge. Er denkt nicht mehr – er sortiert. Er entscheidet nicht mehr – er prüft. Er erzeugt keine Position – er ruft sie ab. Marke wird sprachlich generiert, aber nicht psychisch durchdrungen. Es wird noch gedacht – aber nicht mehr zu Ende. Noch formuliert – aber nicht mehr empfunden. Noch entschieden – aber nicht mehr verantwortet. Die Marke wird damit nicht mehr geführt, sondern aggregiert.

Implikation 1: Verlust des „inneren Tons“ einer Marke

Marken, die aus modularisierten Denkprozessen hervorgehen, klingen richtig – aber fühlen sich falsch an. Der Unterschied zwischen „kohärent“ und „kongruent“ wird nicht mehr gespürt. Es fehlt der innere Ton, der nur dann entsteht, wenn ein Mensch in sich selbst etwas zusammenbringt, nicht nur auf einer Oberfläche. Promptifizierung erzeugt Marken ohne Stimme. Die Folge: semantische Stille inmitten textlicher Lautstärke.

In der Tiefe heißt das: Die Stimme der Marke, ihr charakterlicher Subtext, ihre psychologische Klangfarbe – all das entsteht nicht im Text, sondern im Denken davor. Dort, wo Ambivalenz erlaubt ist. Wo Schweigen eine Funktion hat. Wo Bedeutung nicht produziert, sondern gesucht wird. Wer diesen Raum verkürzt, verliert nicht nur Tiefe – er verliert Wahrnehmung. Marken werden dann austauschbar, nicht weil sie gleich aussehen, sondern weil sie nichts mehr transportieren, was gespürt werden kann.

Implikation 2: Fragmentierung als Strategiefehler – nicht als Stilmittel

Fragmentierung wird häufig als Stilmittel gefeiert – als Ausdruck postmoderner Beweglichkeit. Doch das ist eine gefährliche Illusion. In Wahrheit ist Fragmentierung kein gestalterisches Mittel, sondern ein struktureller Kollaps von Markenidentität. Wenn Denkprozesse modularisiert werden, entsteht nicht Flexibilität – sondern psychologische Unverbindlichkeit.

Die Marke wird kontextfähig, aber bedeutungslos. Sie wird affektfähig, aber nicht erinnerbar. Fragmentierte Markenführung ersetzt psychische Tiefe durch Interface-Kohärenz. Sie erzeugt Anschlussfähigkeit – aber keinen Halt. Im Ergebnis entsteht eine markierte Marke, aber keine markenfähige Identität. Denn Identität braucht Zusammenhang – nicht Sequenz. Sie braucht Symbolisierung – nicht Reaktionsgeschwindigkeit.

Strategie verlangt Integration. Promptifizierung jedoch zerstört diesen Anspruch. Sie bietet Optionen statt Richtung, Fragmente statt Architektur, Worte statt Haltung. Marken, die auf dieser Basis geführt werden, mögen kurzfristig performen – aber sie bauen keine psychologischen Beziehungen mehr auf. Sie bleiben strukturell isoliert – digital anschlussfähig, aber innerlich leer.

Implikation 3: Verlust des symbolischen Widerstands

Jede bedeutungsvolle Marke entsteht im Widerstand: gegen Trends, gegen Konventionen, gegen Bequemlichkeit. Doch dieser Widerstand verlangt eine innere Struktur, einen Denkprozess, der nicht sofort nach dem Nächstbesten fragt, sondern sich durch Widersprüche bewegt. Promptifizierung lässt diesen Widerstand nicht zu. Sie glättet, verkürzt, beantwortet – bevor das Unklare überhaupt wirken darf. Damit bricht die symbolische Entwicklung einer Marke ab, bevor sie beginnt.

Psychologisch betrachtet, verlieren Marken so ihre Fähigkeit, Affekte zu rahmen, Spannungen zu halten, Ambivalenz auszuhalten. Doch genau das ist ihre kulturelle Funktion: nicht Antworten zu liefern, sondern Räume zu eröffnen, in denen sich Menschen – bewusst oder unbewusst – affektiv positionieren können. Marken, die aus Prompt-Logiken heraus geboren werden, bringen keine Spannung mit – sie liefern Ergebnisse. Aber eine Marke ohne innere Spannung ist keine Marke – sie ist ein Template mit Farbvorschlägen.

Implikation 4: Psychologischer Rückbau des Markenraums

Marke war einst Raum – zur Identifikation, zur Reflexion, zur Affektbindung. Heute wird dieser Raum zu einem Prompt-Feld komprimiert. Nicht mehr der Nutzer durchschreitet die Marke – sondern die Marke wird sekundenschnell geliefert. Die psychologische Tiefe, die durch Kontinuität, Ambivalenz und Wiederholung entsteht, verschwindet. Marke wird zur psychologischen Flachware: nützlich, schnell, verwechselbar.

Die symbolische Funktion der Marke – Orientierung, Distinktion, Projektionsfläche – wird ersetzt durch eine funktionale Erwartung: Sie muss performen, anschlussfähig sein, passen. Aber sie muss nichts mehr bedeuten. Und damit verliert sie ihre psychische Funktion. Die Marke wird nicht mehr zum Spiegel, sondern zum Interface. Sie erzeugt keine Selbstbezüge mehr, sondern liefert lediglich affektive Schnappschüsse im Feed.

Implikation 5: Strategieverlust durch Bedeutungsüberschreibung

Eine der gefährlichsten Konsequenzen modularisierter Denkprozesse ist die systematische Überschreibung von Bedeutungsleere durch Outputfülle. Wer 20 Prompts zum selben Thema generiert, spürt nicht mehr, dass er keine Position mehr hat. Er hat Optionen – aber keine Richtung. Strategisches Denken aber braucht Richtung, Spannung, Bedeutung. Nicht als Ergebnis, sondern als Voraussetzung.

Die Marke verliert also nicht durch Fehler – sondern durch das Fehlen von Bedeutungserleben. Marken, die aus fragmentierten Prozessen entstehen, bringen keine Position mehr mit – sie arrangieren Positionen. Sie sind nicht mehr Ausdruck innerer Klärung, sondern das Resultat externer Kuratierung. Strategie wird ersetzt durch Keyword-Kompatibilität. Markenführung durch Textproduktion. Haltung durch Formulierung.

Implikation 6: Markenbindung ohne psychische Verankerung ist keine Bindung

Bindung entsteht dort, wo sich Affekte wiederholen, verankern, ritualisieren. Doch Promptifizierung unterläuft genau diese Mechanismen. Sie vermeidet Wiederholung – denn sie suggeriert, dass jede Situation eine neue Lösung braucht. Sie vermeidet Verankerung – denn sie liefert mobile, kontextabhängige Antworten. Und sie vermeidet Rituale – denn sie ersetzt symbolisches Handeln durch funktionales Texten.

Marken, die in diesem System entstehen, werden psychologisch nicht vertraut, sondern verfügbar. Sie binden nicht, sie begleiten. Sie spiegeln nicht, sie passen sich an. Doch in dieser Anpassung liegt das Paradox: Je anschlussfähiger die Marke wird, desto weniger affektive Tiefe erzeugt sie. Die emotionale Verfügbarkeit zerstört die symbolische Exklusivität – und damit die Grundlage langfristiger Bindung.

Fazit: Markenführung ohne Denken ist keine Markenführung

Was hier sichtbar wird, ist kein Toolproblem. Es ist ein Strukturbruch in der psychologischen Architektur von Markenführung. Marken, die aus fragmentierten Denkprozessen entstehen, können keine kohärenten Beziehungen mehr stiften. Sie bleiben semantische Hüllen in funktionalen Ökonomien. Sie erzeugen keine Erinnerung, keine Identifikation – nur noch Klicks und Kontexte.

Marken, die nicht mehr gedacht, sondern nur noch generiert werden, hören auf, psychologische Bedeutung zu haben. Sie verschwinden nicht aus den Interfaces – aber aus der Psyche. Die Nutzer sehen sie – aber sie spüren nichts mehr. Sie erkennen sie – aber sie bleiben ihnen gleichgültig. Und Gleichgültigkeit ist nicht das Gegenteil von Ablehnung – sie ist das Ende psychologischer Relevanz.

Ausblick: Denken als strategische Ressource zurückfordern

Wer Marke heute führen will, muss nicht nur Tools beherrschen – sondern das Denken zurückfordern. Nicht als Inhalt – sondern als Haltung. Nicht als Format – sondern als psychologische Tiefenleistung, die nicht promptifiziert werden kann.

Das heißt konkret:

  • Markenführung muss wieder verlangsamt werden, um Bedeutung entstehen zu lassen.
  • Strategisches Denken muss nicht effizient, sondern affektiv aufgeladen sein.
  • Marken müssen Räume öffnen, in denen nicht sofort geantwortet, sondern wieder gewagt wird.

Denn:
👉 Eine Marke, die nicht gespürt wird, wird nicht behalten.
👉 Eine Marke, die nur optimiert, wird nie geliebt.
👉 Und eine Marke, die ohne Denken entsteht, hat nichts, was sie verbindet – mit Menschen, mit Kontexten, mit Zukunft.

Marke ist kein Text. Marke ist psychische Architektur. Und die muss wieder gebaut – nicht generiert werden.

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Gemeinsam erfolgreich:
Das sagen Unsere Kunden

"During my time at Cisco Systems and at Microsoft Corp, I had the privilege to participate at events organized by BSI which became a market reference in the digital marketing arena mostly by the reputation of BSI. BSI as an institution and Nils as a leader were capable to recruit great speakers, address hot topics and..."
Nestor. P.
Microsoft
"BSI is a great company! We have worked with BSI and his team many times. His insight and expertise is invaluable to any brand. Highly recommended!"
Andrew J.
The Focus Room
"Zusammenarbeit klappte hervorragend. Endlich mal nicht nur neue Ideen, sondern mit klarem Fokus auf optimale Umsetzung. Gern wieder."
Boris B.
Gothaer Versicherung
"Hervorragende Expertise, interessante Erkenntnisse und Insights, innovative Maßnahmen und top Umsetzung 👍."
Portrait of a woman
Jan J.
Nestlé

"BSI has always been a reference for me in terms of trends analysis and business impact. The leadership of Nils Andres helps BSI to connect with a worldwide network of top experts and guarantees an expertise that is aligned with the best practices of worldwide leading companies!"
Emmanuel V.
Hub Institute
"Hervorragende Zusammenarbeit mit BSI in diversen digitalen und Branding-Projekten. Das Team versteht sein Handwerk und liefert uns professionelle, kreative und maßgeschneiderte Lösungen auf höchstem Niveau. Klare Empfehlung für eine zuverlässige, innovative Agentur!!"
Jan H.
PPG
"BSI hat in einer umfassenden Analyse umfangreich Daten für uns fundiert ausgewertet, die teilweise überraschenden Ergebnisse klar vermittelt und in unsere Strategie eingeordnet. Das ergab konkrete Handlungsempfehlungen, mit denen wir erfolgreich im Marketing arbeiten konnten. Ein großer Dank für weiterführende Erkenntnisse und eine klasse Experten-Diskussion"
Johannes E.
Hamburg Marketing
"Working with Brand Science Institute was an exceptional experience from start to finish. Their unique blend of deep market knowledge, rigorous research, and innovative thinking truly sets them apart in the field of brand strategy. They don’t just deliver recommendations; they craft tailored, actionable solutions that are both insightful and highly effective..."
Meike V.
Olympus
"Ein Ort für neue Ideen und inspirierende Impulse. Mit BSI haben wir außergewöhnliche Berater an unsere Seite bekommen, der sich nicht auf Mainstream-Argumentationen und Ableitungen zufriedengibt. Hier wird neu gedacht, kräftig an bestehenden Gedankenmodellen gerüttelt und dann sehr professionell umgesetzt. Gerne immer wieder."
Oliver G.
Deutsche Post
"Das Brand Science Institute hat uns wirklich beeindruckt! Die Expertise im Bereich KI und Suchmaschinenoptimierung ist außergewöhnlich und hat unser Unternehmen auf das nächste Level gebracht. Die Zusammenarbeit war jederzeit professionell und lösungsorientiert. Das Team hat unsere Bedürfnisse genau verstanden und individuelle Strategien entwickelt..."
Oliver K.
Penske Sportwagen
BSI played a pivotal role in our e-mobility project, managing the entire digital frontend infrastructure. Their expertise in innovative digital solutions and seamless execution significantly contributed to the success of this initiative. BSI's strategic approach and commitment to excellence make them an outstanding partner for driving transformative projects."
Andreas L.
Shell
"BSI has been an invaluable partner in shaping our social media strategy, particularly in navigating the complex and dynamic landscape of social media apps in Asia. Their deep understanding of regional platforms and cultural nuances enabled us to create impactful campaigns and strengthen our presence across key markets. BSI's expertise and innovative approach have set a new benchmark for excellence in digital engagement."
Lahrs S.
LEGO
"Working with the BSI has been a game-changer for our digital strategy. Their unparalleled expertise in marketing innovation and customer engagement has helped us redefine how we connect with our users. BSI’s data-driven approach and their ability to adapt to the unique demands of the Chinese market have delivered exceptional results, setting a new standard for our marketing initiatives."
Peter F.
China Mobile
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