Studie

Follower & Friends im Tarnmodus – Hater im echten Leben

Warum Menschen online folgen, obwohl sie ihre gefolgten Freunde, Kontakte und Marken längst entwerten – Eine tiefenpsychologische Kartografie digitaler Spaltungsphänomene
Autor
Brand Science Institute
Veröffentlicht
16. Mai 2025
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1. Einleitung – Das neue Schattenphänomen der Plattformmoderne

Digitale Plattformen wie LinkedIn, Instagram oder TikTok haben eine neue psychologische Figur hervorgebracht, die in der klassischen Medienpsychologie bisher unzureichend beschrieben wurde: den affektambivalenten Follower. Dieses Subjekt agiert in einem Spannungsfeld aus sichtbarer Zustimmung und innerpsychischer Ablehnung. Es folgt, kommentiert, liked – und hasst gleichzeitig. Es sucht Nähe zur Persona, die es abwertet. Diese Ambivalenz zwischen parasozialer Bindung und aggressiver Projektion ist kein Randphänomen mehr, sondern ein systemischer Effekt der durchalgorithmierten Plattformökonomie und der psychologischen Überforderung, die mit ihr einhergeht.

Tiefenpsychologisch lässt sich dieses Verhalten als Ausdruck narzisstischer Kränkung und projektiver Mechanismen verstehen. Follower, die sich mit Personen oder Marken identifizieren, geraten unter Druck, wenn diese Identifikation nicht zur erhofften Selbstaufwertung führt – sondern zur Destabilisierung des eigenen Selbstwerts. Die Folge: das kippt in stille Aggression. Aus Bewunderung wird Abwertung. Aus Fandom wird versteckter Rachewunsch.
Diese Ambivalenz bleibt in der Logik sozialer Plattformen unsichtbar – sie ist strukturell blind gegenüber negativen Affekten, solange sie formal als Interaktion (z. B. ein Follow) codiert sind.

In psychoanalytischer Terminologie handelt es sich um eine Spaltungsleistung, bei der Nähe und Abwertung nicht mehr als Widerspruch empfunden werden, sondern als koexistente Realität:

„Ich bewundere dich, weil ich dich zerstören will.“

Diese Studie beschreibt diese Subjektform nicht als pathologischen Ausnahmefall, sondern als Normalisierung einer gestörten Affektverarbeitung unter digitalen Bedingungen. Sie stellt damit eine Erweiterung klassischer Medientypologien dar (Troll, Lurker, Influencer) um eine bislang kaum erforschte, aber gesellschaftlich hochrelevante Figur: den destruktiven Follower.

2. Paradigmenwechsel: Die gefährlichsten Akteure sind nicht laut – sondern getarnt

In der bisherigen Auseinandersetzung mit digitalem Hass liegt der analytische Fokus zumeist auf offenen Aggressoren: Trollen, Shitstorm-Initiatoren oder anonymisierten Hetzfiguren. Doch diese Studie zeigt: Die eigentliche Bedrohung für Integrität, Vertrauen und Reputation geht nicht mehr primär von außenstehenden Aggressoren aus – sondern von ins System integrierten Subjekten, die Teil der Community sind, aber deren emotionale Integrität unterwandern.

Diese impliziten Hater sind schwer zu erkennen, weil sie sich nicht wie klassische Feinde verhalten. Sie stehen im Inneren des sozialen Systems – in engen Kreisen, in Kommentarspalten, in beruflichen Netzwerken – und senden nach außen konforme Signale. Ihre Zersetzungsarbeit findet nicht auf der Plattform statt, sondern im Realraum:

  • als Bad Word of Mouth in Kollegenkreisen,
  • als subtile Delegitimierung in Meetings,
  • als toxische Erzählung im sozialen Nahfeld.

Dieser Shift verlangt eine neue psychologische Lesart digitaler Interaktionen:
Ein Follow ist nicht zwangsläufig ein Ausdruck von Zustimmung – sondern kann ein vehikulierter Akt latenter Zerstörungsabsicht sein. Wir müssen digitale Nähe nicht mehr als Vertrauenssignal interpretieren, sondern als mögliches Einfallstor psychodynamischer Reinszenierungen: von Neid, von Entwertung, von Kontrollphantasien.

Zugleich stellt dieser Wandel eine Herausforderung an bestehende Kommunikationsstrategien von Marken, Influencern, Politikern und Führungskräften dar. Die vertraute Annahme einer klaren Trennung zwischen Sympathisanten und Gegnern bricht auf. Stattdessen gilt:

Die größte Gefahr für Reputation, Markenbindung und soziale Stabilität geht heute nicht von außen – sondern von innen aus.

Die Studie entwickelt daher eine Kartografie dieser neuen, hochgradig widersprüchlichen Follower-Dynamik. Sie zeigt, wie affektive Zersetzung, psychologische Projektion und algorithmisch verstärkte Entfremdung eine neue Form sozialer Destruktivität hervorbringen, deren reale Auswirkungen auf Beziehungen, Unternehmen und gesellschaftlichen Diskurs bislang unterschätzt werden.

3. Erkenntnisinteresse & Zielsetzung

3.1 Psychodynamische Dechiffrierung des „dunklen Followings“

Im Zentrum dieser Studie steht das Ziel, eine verdeckte psychodynamische Struktur innerhalb digitaler Näheverhältnisse zu entschlüsseln, die bislang unterhalb der Wahrnehmungsschwelle lag: das dunkle Following. Dabei handelt es sich um eine Interaktionsform, die oberflächlich durch Zeichen von Zustimmung (z. B. „Follow“, Likes, Shares) gekennzeichnet ist, in ihrer psychischen Struktur jedoch von internalisierten destruktiven Affekten geprägt ist. Das Phänomen ist besonders brisant, weil es nicht als Aggression auftritt, sondern in der Rhetorik von Loyalität, Nähe oder kollegialem Interesse erscheint.

Tiefenpsychologisch ist dieses dunkle Following als affektive Schutzformation zu verstehen: Eine Mischung aus narzisstischer Zufuhr, Identifikationswunsch und Entwertungsimpuls. Die Zustimmung (das Folgen) dient dabei als Container für ambivalente Projektionen: Der Gefolgte wird zum Objekt der Selbstvergewisserung – aber auch der Kränkung, sobald er Erwartungen nicht erfüllt oder eine zu starke Selbstwirksamkeit zeigt.

Ziel dieser Studie ist es, diesen Prozess der internalisierten Feindbildung innerhalb des Followerverhaltens systematisch aufzudecken, zu beschreiben und differenziert zu kartografieren:

  • Welche psychischen Konfliktlinien strukturieren das dunkle Following?
  • Welche Rolle spielen narzisstische Dispositionen, unbewältigte Selbstwertregulationen oder Selbstobjekt-Konstellationen im Sinne Kohuts?
  • Welche Dynamik erzeugt das Spannungsfeld zwischen Bedürfnis nach Anerkennung und der Angst, im Vergleich zum „Gefolgten“ zu versagen?

3.2  Analyse der affektiven Konstellationen, in denen Zustimmung in Abwertung kippt

Eine zentrale Zielsetzung der Untersuchung ist die systematische Analyse der affektiven Kipppunkte, an denen scheinbare Zustimmung – also digital codierte Nähe – in reale oder symbolische Abwertung übergeht. Dieser affektive Umschlag ist keineswegs ein spontaner Akt, sondern Ergebnis komplexer psychischer Verdichtungen, die im digitalen Raum durch Dauerexposition, soziale Vergleichsprozesse und fehlende mentale Regenerationsräume zusätzlich beschleunigt werden.

Entscheidend ist dabei die Hypothese, dass diese Kipppunkte nicht zufällig entstehen, sondern psychodynamisch vorbereitet sind. Drei Konstellationen sind dabei besonders relevant:

  1. Neidkonversion:
    Zustimmung wird zum Tarnmantel einer narzisstisch nicht regulierbaren Neidreaktion.
    „Ich zeige dir, dass ich dich mag, aber insgeheim will ich dich scheitern sehen.“
  2. Bindung durch Feindlichkeit:
    Die Person will im Innersten „in Beziehung“ bleiben – notfalls über Ablehnung. Die Entwertung wird zur Ersatzform der Bindung.
    „Ich bin nicht dein Fan, aber ich bleibe in deiner Nähe, um dich innerlich zu kontrollieren.“
  3. Affektive Dissoziation:
    Digitale Interaktionen erlauben das Abspalten widersprüchlicher Impulse. So kann ein Individuum sowohl liken als auch im Offline-Raum gezielt diffamieren, ohne diesen Widerspruch bewusst wahrzunehmen.
    „Ich bin nicht inkonsequent – ich bin komplex.“

Diese affektiven Kipppunkte stellen die bestehende Kommunikationslogik sozialer Medien fundamental infrage, weil sie zeigen, dass digitale Zustimmung nicht als affektives Vertrauen verstanden werden darf – sondern als potenzieller Ausdruck unbewusster Feindlichkeit.

3.3 Aufdeckung des sozialen Transfereffekts: Wie Bad Word of Mouth im Offline-Kontext entsteht – getarnt im Gewand der digitalen Zustimmung

Ein dritter zentraler Untersuchungsfokus der Studie liegt auf dem Transfereffekt zwischen digitalen Interaktionen und realweltlicher Zersetzung, konkret: dem Übergang von verdecktem Online-Following zu systematischem Bad Word of Mouth im Offline-Raum.

Die Kernhypothese lautet:

Je affektambivalenter ein digitaler Follower, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich destruktive Narrative über die beobachtete Person oder Marke im persönlichen Nahfeld verbreiten.

Diese Übertragung folgt einer paradoxen Kommunikationsstruktur:

  • Der digitale Raum dient als Projektionsfläche für idealisierte oder narzisstisch aufgeladene Erwartung.
  • Sobald diese enttäuscht wird (durch Erfolg, Selbstwirksamkeit, Sichtbarkeit), entsteht unbewusste Abwertung, die jedoch nicht im digitalen Raum entladen wird – sondern verlagert sich in den Realraum.

Dort artikuliert sich der Impuls nicht als offener Hass, sondern als subtiler Zweifel, als "Ich glaube, der ist gar nicht so toll" oder "Hast du gehört, was man über sie sagt?".
Diese Form des Bad Word of Mouth ist besonders perfide, weil sie nicht als bewusster Angriff wahrgenommen wird – sondern als legitime Kritik, ironischer Kommentar oder kollegiales Bedenken. In Wahrheit handelt es sich um unbewusst motivierte Reinszenierungen von Kontrollverlust, die über soziale Multiplikatoren zur Reputationserosion führen können.

Ziel der Studie ist es, diesen unsichtbaren Kommunikationskanal zwischen digitaler Nähe und realer Destruktion sichtbar zu machen, psychodynamisch zu entschlüsseln und in seiner gesellschaftlichen Brisanz darzustellen. Denn hier entsteht ein völlig neuer Typ von Reputationsrisiko: der digital getarnte, sozial wirksame Hater.

4. Theoretisches Fundament – Psychodynamische Konzepte

Um das destruktive Verhalten affektambivalenter Follower adäquat zu verstehen, ist es erforderlich, auf zentrale Theoriebildungen der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie, der Selbstpsychologie und angrenzender psychodynamischer Modelle zurückzugreifen. Die in dieser Studie analysierten Muster lassen sich nicht als oberflächliche soziale Reaktionen oder bloße Fehlanpassungen im digitalen Raum verstehen, sondern als Ausdruck tief verwurzelter innerpsychischer Konflikte, deren Träger der digitale Raum nicht erzeugt, sondern sichtbar und wirksam macht.

4.1 Spaltungsmechanismen (Melanie Klein): Idealisierung und Entwertung als strukturelle Grundfigur digitaler Bindung

Melanie Klein beschreibt in ihrer Objektbeziehungstheorie die Spaltung als primären Abwehrmechanismus in der frühkindlichen Entwicklung. In der sogenannten paranoid-schizoiden Position erlebt das Ich Objekte nicht ambivalent, sondern aufgespalten in „gut“ und „böse“. Diese Spaltung dient der psychischen Entlastung: Widersprüchliche Affekte werden getrennt, um Überforderung zu vermeiden.

Im Kontext sozialer Medien wird diese Mechanik reaktiviert. Personen oder Marken, denen man folgt, werden zunächst idealisiert – sie dienen als Identifikationsfiguren, narzisstische Projektionsflächen oder Selbstobjekte (siehe 4.2). Die Plattformstruktur selbst begünstigt diese Überhöhung durch Bildlichkeit, Kuratierung und algorithmisch verstärkte Sichtbarkeit.

Doch sobald das idealisierte Objekt Erwartungen nicht erfüllt – etwa durch Erfolg, Selbstinszenierung, Unnahbarkeit – wird die Spaltung reaktiviert: Der vormals „gute“ Andere wird nun zum „schlechten“. Eine echte Ambivalenz – also das gleichzeitige Aushalten positiver und negativer Gefühle – ist nicht möglich. Stattdessen entsteht ein emotionaler Umschlag, in dem Zustimmung in Verachtung kippt. Der Follower bleibt dabei formal verbunden (er folgt weiter), während sein inneres Bild vollständig entwertet wird.

Diese Form der affektiven Spaltung ist gefährlich, weil sie nicht reflektiert, sondern unbewusst-agierend bleibt. Der Gefolgte wird zum Träger innerer Konflikte, die sich in Form subtiler oder offener Abwertung äußern – allerdings nicht notwendigerweise im digitalen Raum, sondern im sozialen Nahfeld, im Büro, im Kollegenkreis. Spaltung ist damit der erste Schlüssel zum Verständnis der destruktiven Dynamik: Die Plattform wird zum psychischen Austragungsort frühkindlicher Objektbeziehungen, die nie zur Reife geführt wurden.

4.2 Projektiver Neid (Heinz Kohut / Otto Kernberg): Die narzisstische Wut im Schatten unerreichter Identifikation

Sowohl Kohut als Vertreter der Selbstpsychologie als auch Kernberg in seiner Theorie des malignen Narzissmus beschreiben die zentrale Rolle von Neid und projektiver Entwertung im Kontext gestörter Selbstregulation. Kohut zeigt, dass Menschen sogenannte Selbstobjekte benötigen – andere, über die das eigene Selbstwertgefühl gestützt wird. Wenn diese Selbstobjekte jedoch nicht antworten, nicht „spiegeln“, zu erfolgreich oder zu unabhängig erscheinen, wird die Beziehung instabil.

Kernberg erweitert dieses Modell um den Aspekt der Aggression: Der andere wird nicht nur enttäuschend, sondern feindlich erlebt. Die emotionale Aufladung entlädt sich nicht als Trauer, sondern als Wut, Missgunst oder Bedürfnis nach Herabsetzung. Dieses Motiv findet im digitalen Raum einen idealen Nährboden. Wer folgt, tut dies oft in der Hoffnung auf narzisstische Resonanz – Inspiration, Nähe, Bestätigung. Bleibt diese aus, oder wirkt der andere zu souverän, zu „abgehoben“, entsteht projektiver Neid: Der Andere wird zum Objekt unbewusster Entwertung.

In sozialen Medien äußert sich dies nicht unbedingt in offenen Hasskommentaren – sondern in subtiler Diffamierung außerhalb des digitalen Raums. Die Plattformbeziehung bleibt formal bestehen, während der eigentliche psychische Akt der Entwertung im beruflichen oder sozialen Kontext erfolgt. Der Neid bleibt dabei nicht rational zugänglich. Er äußert sich in scheinbar legitimer Kritik, ironischem Tonfall oder latent abwertenden Erzählungen.

Die narzisstische Wut ist damit ein Mechanismus der Selbstregulation: Der destruktive Follower greift das Objekt an, um sich selbst zu schützen – nicht vor dem Anderen, sondern vor dem eigenen Gefühl von Unzulänglichkeit. Die Plattformstruktur maskiert diese Wut – und macht sie dadurch umso gefährlicher.

4.3 Identifikation mit dem Aggressor (Anna Freud): Die heimliche Aneignung von Macht durch Entwertung

Anna Freud beschreibt die Identifikation mit dem Aggressor als eine paradoxe Form der Ich-Stärkung unter Bedrohung. Das Kind, das sich einer übermächtigen Autorität ausgeliefert sieht, übernimmt deren Eigenschaften, um sich vor Ohnmachtsgefühlen zu schützen. Es wird selbst „der Starke“, indem es sich mit dem Täter identifiziert.

Diese Dynamik lässt sich auf die Follower-Relation übertragen, wenn man sie als asymmetrische Beziehung deutet: Der Gefolgte hat Sichtbarkeit, Einfluss, Erfolg – der Follower nicht. In diesem Gefälle kann sich eine Form verdeckter Ohnmacht entwickeln, die über symbolische Aneignung in eine Umkehr kippt: Der Follower beginnt, das Objekt zu beobachten, zu analysieren, zu kommentieren – nicht aus Interesse, sondern um die Kontrolle zurückzugewinnen.

Diese Identifikation ist besonders perfide, weil sie psychisch doppelbödig ist. Sie ist weder rein destruktiv noch offen unterwürfig. Vielmehr wird das Gefolgte innerlich besetzt – als Objekt ständiger Bewertung, Beobachtung und stiller Kritik. In dieser Haltung wird der Follower zum geheimen Souverän: Der Andere ist sichtbar, aber ich „durchschaue“ ihn. Die Loyalität wird zur Maske für Kontrollbedürfnis. Und die Entwertung zum heimlichen Akt psychischer Selbstermächtigung.

Diese Form der Identifikation ist nicht pathologisch – sie ist ein strukturierendes Moment moderner Medienbeziehungen. Aber sie wird destruktiv, sobald die psychische Spannung zwischen Ohnmacht und Kontrolle nicht bewusst reflektiert, sondern in sozialen Kontexten handlungswirksam externalisiert wird. Der destruktive Follower will nicht zerstören – er will sich spüren. Und er nutzt den Anderen als Medium dafür.

4.4 Ambivalente Bindung und parasoziale Dissoziation: Nähe durch Distanz – Kontrolle durch Unerreichbarkeit

Bindungstheoretisch betrachtet handelt es sich bei affektambivalenten Followern um Subjekte mit instabilen Beziehungsrepräsentationen: Nähe wird gesucht, aber nicht ertragen; Distanz gewünscht, aber als Bedrohung erlebt. Diese Struktur erzeugt ein Oszillieren zwischen Idealisierung und Rückzug, zwischen Zuwendung und Entwertung. Im digitalen Raum wird dieses Muster nicht nur abgebildet, sondern stabilisiert.

Die Plattformbeziehung ist strukturell parasozial – sie erlaubt eine einseitige Bindung ohne echte Gegenseitigkeit. Diese Form der „Beziehung“ ist ideal für ambivalente Persönlichkeitsmuster, da sie den Schein von Nähe mit der Sicherheit der Distanz kombiniert. Der Follower kann bewundern, beobachten, sich zugehörig fühlen – ohne je in echte Interaktion treten zu müssen.

Diese Konstellation führt zu einer Dissoziation von Affekt und Handlung. Es ist möglich, einem Menschen digital zu folgen, ihn innerlich zu hassen, ihn in Gesprächen abwertend darzustellen – ohne je ein Gefühl von Widerspruch zu empfinden. Die digitale Bindung wird so zur Bühne einer fragmentierten Innerlichkeit, in der Nähe und Feindlichkeit parallel existieren dürfen. Genau darin liegt die psychologische Sprengkraft: Es handelt sich nicht um Heuchelei, sondern um eine Form affektiver Spaltungsintegration, die in einer überreizten Medienkultur zur Norm geworden ist.

4.5 Rache als Selbstregulation: Die Umwandlung von Kränkung in Handlungsmacht

Rache ist in der psychodynamischen Tradition weniger eine moralische als eine funktionale Kategorie. Sie ist ein Instrument der Selbstregulation nach narzisstischer Verletzung. Wer sich entwertet, übersehen oder unterlegen fühlt, sucht Wege, sein Selbstgefühl zu stabilisieren – durch Wiederherstellung von Kontrolle.

In der Figur des destruktiven Followers ist Rache oft keine bewusste Strategie, sondern eine symptomatische Reaktion auf das als illegitim empfundene „Mehr“ des Anderen: mehr Reichweite, mehr Schönheit, mehr Erfolg, mehr Resonanz. Dieses „Mehr“ wird als Angriff auf das eigene Selbst empfunden – nicht in Form offener Feindseligkeit, sondern als implizite Infragestellung des eigenen Wertes.

Die Rache erfolgt still, langsam und oft unerkannt: über subtil abwertende Gespräche, über Zweifel in Kollegenkreisen, über das Weitersagen kleiner Schwächen oder Gerüchte. Der Follower bleibt digital loyal – aber er „kompensiert“ sein inneres Ungleichgewicht im sozialen Nahfeld. Dieser Mechanismus ist funktional: Er verwandelt Ohnmacht in Handlungsmacht. Aber er ist destruktiv – für den anderen, und langfristig auch für das eigene Selbstbild.

Diese fünf theoretischen Konzepte bilden gemeinsam das psychodynamische Fundament der Studie. Sie erlauben es, das destruktive Follower-Verhalten nicht als moralisches Versagen, sondern als Ausdruck ungelöster innerer Konflikte im Spannungsfeld von Selbstwert, Bindung, Kontrolle und digitaler Sichtbarkeit zu verstehen. Auf dieser Grundlage kann die empirische Analyse psychologisch differenziert und theoretisch stringent erfolgen.

5. Soziokulturelle Einflüsse: Die neue Affektökonomie digitaler Entfremdung

Das destruktive Verhalten affektambivalenter Follower lässt sich nicht allein durch intrapsychische Faktoren erklären. Es ist das Produkt einer tiefgreifenden strukturellen Verschiebung im Verhältnis von Individuum, Öffentlichkeit und Sichtbarkeit – einer Verschiebung, die sich seit der Corona-Pandemie massiv beschleunigt hat. In einer Gesellschaft, die sich zunehmend über Plattformen strukturiert, wird nicht nur Kommunikation, sondern auch Selbstwertregulation, Bindung, Relevanz und Anerkennung über digitale Formate organisiert. Diese digitalen Kontexte erzeugen spezifische psychodynamische Belastungen, die sich in emotionalen Spannungen, widersprüchlichen Bindungsmustern und verdeckter Feindseligkeit niederschlagen. Die destruktiven Follower sind gewissermaßen die psychosoziale Signatur dieser neuen Realität.

Ein zentrales Merkmal post-pandemischer Subjektivität ist ein tiefsitzender Kontrollverlust. Die Erfahrung des globalen Stillstands, die soziale Entnetzung, das Erleben permanenter Unsicherheit haben nicht nur äußere Abläufe erschüttert, sondern auch die psychische Kohärenz vieler Menschen unterhöhlt. In der Folge wuchs der Wunsch nach Stabilität, Resonanz, Bedeutung – ein Wunsch, der nicht im physischen Raum eingelöst werden konnte, sondern zunehmend auf den digitalen Raum überging. Plattformen wurden zu Ersatzräumen für soziale Nähe, für Selbstvergewisserung und für emotionale Regulation. Doch sie sind keine neutralen Räume. Ihre Struktur ist nicht auf Gegenseitigkeit, sondern auf Sichtbarkeit, auf Performanz und auf Affektoptimierung ausgelegt.

In dieser Umgebung entstehen keine stabilen Bindungen, sondern permanente Irritationen: Man sieht andere, wird aber nicht gesehen. Man folgt, bekommt aber keine Antwort. Man vergleicht sich, ohne je das Gefühl zu haben, mithalten zu können. Dies führt zu einer tiefgreifenden dopaminergen Entleerung, zu einer Art affektivem Burnout, bei dem die Sehnsucht nach Resonanz in Enttäuschung, Reizüberflutung und emotionaler Erschöpfung umschlägt. Diese Leere ist nicht still – sie sucht Wege der Kompensation. Einer davon ist die Nähe zur Figur des Erfolgreichen, Sichtbaren oder Souveränen – und deren gleichzeitige Entwertung. Das destruktive Following entsteht genau in diesem Spannungsfeld aus Hoffnung auf narzisstische Zufuhr und der Erfahrung ihrer fortwährenden Frustration.

Gleichzeitig hat sich mit dem Aufstieg digitaler Identitätsarbeit eine Kultur des permanenten Selbstentwurfs etabliert. Der Imperativ zur Selbstvermarktung – ob über Instagram, LinkedIn oder TikTok – erzeugt eine tiefgreifende Erschöpfung des Subjekts: eine Self-Branding-Fatigue. Die ständige Notwendigkeit, sich als Marke zu denken, führt zu einem Zustand chronischer innerer Anspannung, in dem der Andere nicht mehr nur ein Mensch, sondern ein Maßstab, ein Konkurrent, ein Auslöser von Selbstzweifel ist. Der Sozialvergleich wird zur Dauerbelastung. Und das Gefolgte wird zum Träger einer projektiven Überfrachtung: Es soll inspirieren – und darf dabei nicht besser, schöner oder selbstsicherer erscheinen. Tut es das doch, reagiert das erschöpfte Ich nicht mit Rückzug, sondern mit resignativer Feindseligkeit – verborgen, aber wirksam.

Diese Dynamiken werden nicht nur durch individuelle Schwächen, sondern durch die Struktur der Plattformen selbst verstärkt. Digitale Öffentlichkeiten sind keine Spiegel gesellschaftlicher Kommunikation, sondern verstärkende Systeme affektiver Polarität. Was Aufmerksamkeit erzeugt, ist nicht Neutralität, sondern Skandalisierung, Emotionalisierung, Simplifikation. TikTok etwa belohnt narrative Extremisierung und ästhetischen Alarmismus. LinkedIn erzeugt durch Performanzroutinen und Erfolgserzählungen einen subtilen Druck zur Überbietung. Diese algorithmischen Feedbackschleifen sind nicht neutral, sondern agieren wie Affektverstärker, die jene Emotionen sichtbar machen, die das System stören, nicht jene, die es stabilisieren.

In genau diesem Zusammenspiel entsteht das destruktive Follower-Subjekt als produktives Resultat einer affektiven Überstrukturierung des Digitalen: Es ist sichtbar verbunden, innerlich zerrissen und sozial potenziell gefährlich – nicht, weil es per se destruktiv ist, sondern weil es im Spannungsfeld aus Kontrollverlust, narzisstischer Entwertung und algorithmisch befeuerter Überidentifikation keinen anderen Weg der Selbstbehauptung mehr findet als die feindliche Aneignung des Anderen. Die Plattform wird nicht nur zum Resonanzraum – sie wird zur psychischen Bühne eines leisen, aber systematisch wirksamen Angriffs auf das, was einst Bewunderung war.

6. Hypothesen der Studie

Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die Annahme, dass sich digitale Zustimmung und soziale Loyalität zunehmend entkoppeln. Was auf Plattformen wie Instagram, TikTok, LinkedIn oder Facebook als Nähe erscheint, kann psychodynamisch ein getarnter Ausdruck von Kränkung, Kontrollwunsch oder narzisstischer Rivalität sein. Die Follower-Logik digitaler Plattformen schafft eine emotionale Ambivalenzzone, in der affektive Widersprüche nicht aufgelöst, sondern maskiert und verlagert werden. Die zentrale Annahme der Studie lautet daher:

Kernhypothese: Je affektambivalenter ein digitaler Follower, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich destruktive Narrative über die beobachtete Person oder Marke im persönlichen Nahfeld verbreiten.

Diese Kernannahme wird im Folgenden in fünf strukturell aufeinander aufbauende Hypothesen überführt, die unterschiedliche Ebenen der psychischen Dynamik, der Plattforminteraktion und der sozialen Wirkung fokussieren:

H1 – Affektspaltungshypothese

Je höher die affektive Ambivalenz gegenüber dem Gefolgten, desto stärker die Tendenz zur psychischen Spaltung zwischen digitaler Zustimmung und realweltlicher Ablehnung.

Diese Hypothese bildet den tiefenpsychologischen Kern des Untersuchungsmodells. Sie geht davon aus, dass sich in der Beziehung zwischen Follower und Gefolgtem widersprüchliche Affekte – etwa Bewunderung und Neid, Zugehörigkeit und Ablehnung, Faszination und Überdruss – nicht integrieren, sondern in einer psychischen Doppelstruktur getrennt nebeneinander existieren. Der Follower bleibt digital zugewandt, etwa in Form von Likes, Kommentaren oder dem dauerhaften „Folgen“, während sich in der inneren Repräsentanz zunehmend ein destruktiver Affekt aufbaut, der außerhalb der Plattform – in persönlichen Gesprächen, im Arbeitskontext oder in sozialen Nahbeziehungen – in Form von subtiler Entwertung, abwertender Ironie oder gezielten Reputationsnarrativen Ausdruck findet.

Die theoretische Grundlage dieser Hypothese liefert Melanie Kleins Konzept der Spaltung im Rahmen der paranoid-schizoiden Position. Hierbei handelt es sich um einen frühen Abwehrmechanismus, der es ermöglicht, positive und negative Affekte strikt voneinander zu trennen, um das fragile Ich vor affektiver Überforderung zu schützen. Das Gefolgte wird zunächst als „gutes Objekt“ idealisiert – etwa als charismatisch, inspirierend, bewundernswert –, insbesondere dann, wenn es psychische Funktionen erfüllt, die Heinz Kohut als Selbstobjektfunktionen bezeichnet: Es dient der narzisstischen Stützung, der Affektspiegelung oder der Beruhigung innerer Unsicherheit. Doch sobald diese Erwartungen enttäuscht oder durch Erfolge, Inszenierungen oder distanzierende Kommunikation unterlaufen werden, bricht die idealisierende Objektbindung zusammen – nicht aber in eine reife Ambivalenz, sondern in eine affektive Spaltung.

Diese Spaltung verhindert, dass der Follower die eigene Ambivalenz bewusst wahrnehmen oder regulieren kann. Stattdessen wird die destruktive Tendenz auf eine andere Ebene verlagert: Die Plattformbindung bleibt formal bestehen, der destruktive Affekt wandert in den Offline-Raum. Otto Kernbergs Theorie des projektiven Neids ergänzt diese Perspektive, indem sie erklärt, wie das ehemals idealisierte Objekt in ein Trägergefäß unbewältigter aggressiver Affekte umgedeutet wird. Der Neid auf das Sichtbare, das Souveräne oder das Erfolgreiche des Gefolgten kann nicht durch eigene Aktivität oder Reflexion gebunden werden, sondern sucht ein Auslassventil – und findet es in Form von Reputationssabotage, mimetischer Abwertung oder sozial kodierter Geringschätzung.

Verstärkt wird dieser Vorgang durch parasoziale Dissoziationsprozesse (siehe 4.4), die durch die strukturelle Einseitigkeit der digitalen Plattformbeziehungen begünstigt werden. Der Follower erlebt sich in einer Nähebeziehung, die ohne echte Gegenseitigkeit auskommt – ideal für psychodynamische Projektionen und Übertragungen. Da diese Beziehung keine reale Konfrontation zulässt, muss der innere Konflikt nicht integriert, sondern kann dissoziiert externalisiert werden. Die Folge ist ein psychisch widerspruchsfreies Selbsterleben, das Loyalität behauptet, während bereits destruktive Narrative über das Gefolgte im Umlauf sind.

In der Gesamtschau beschreibt die Hypothese somit eine funktionale Affektdoppelstruktur, in der digitale Zustimmung und reale Ablehnung nicht im Widerspruch zueinanderstehen, sondern das Resultat einer psychodynamisch notwendigen Spaltung darstellen. Der destruktive Follower folgt nicht trotz seiner Ablehnung – er folgt, um sie realisieren zu können. Das digitale Verhältnis wird zum Container für die Unverdaulichkeit des Anderen. Die reale Welt zum Austragungsort seiner symbolischen Rücknahme.

H2 – Projektionsverlagerungshypothese

Affektambivalente Follower externalisieren ihre Spannungen nicht online, sondern in informellen realweltlichen Kontexten (z. B. Kollegenkreise, Peer Groups, Freundeskreis).

Im Zentrum dieser Hypothese steht die Annahme, dass affektambivalente Follower ihre inneren Spannungen, die durch widersprüchliche Gefühle gegenüber dem Gefolgten entstehen, nicht innerhalb der Plattformbeziehung entladen, sondern in realweltliche Kommunikationsräume auslagern, in denen keine unmittelbare Gegenreaktion zu erwarten ist. Die Plattformbeziehung fungiert dabei nicht als Konfrontationsbühne, sondern als stiller Auslöser – ein psychischer Trigger, der die Spannungen aktiviert, ohne eine symbolische Auflösung zu ermöglichen. Das Netz bietet Schutz, Anonymität, Struktur – aber keine Katharsis.

Diese Dynamik lässt sich tiefenpsychologisch über zwei zentrale Mechanismen erklären: erstens über projektive Identifikationen, wie sie bei Otto Kernberg und Melanie Klein beschrieben werden, und zweitens über den von Anna Freud analysierten Abwehrmechanismus der Verschiebung. Projektive Identifikation meint hier, dass affektive Anteile – insbesondere Neid, Missgunst oder Enttäuschung – auf ein äußeres Objekt (den Gefolgten) übertragen werden, um nicht im eigenen Ich bewusst gehalten werden zu müssen. Doch anstatt in Form von direkter Aggression oder Kritik auf der Plattform in Erscheinung zu treten, wird dieser Affekt in Drittkontexte verlagert: ins Gespräch mit Kollegen, in ironische Kommentare im Freundeskreis, in subtile Gesten der Herabwürdigung. Anna Freuds Verschiebung beschreibt diesen Vorgang als psychische Entlastung durch Verlagerung: Das eigentliche Objekt der Spannung bleibt unangetastet, aber die emotionale Ladung wird an einem anderen Ort verarbeitet – sicher, kontrolliert, sozial eingebettet.

Diese Verlagerung hat mehrere Vorteile aus Sicht des Ichs: Sie vermeidet den Verlust der digitalen Verbindung (die formal aufrechterhalten bleibt), sichert die eigene Position im sozialen Feld und erlaubt eine kontrollierte Inszenierung der eigenen Ambivalenz. Der Follower kann sich zugleich als loyal, informiert und kritisch inszenieren – ohne sich angreifbar zu machen. Die Zerstörung erfolgt dabei nicht frontal, sondern über ein Netz aus Andeutungen, Zwischenbemerkungen und subtilem Zweifel. Das Gefolgte wird nicht aktiv „gehatet“, sondern narrativ delegitimiert – entwertet durch das, was man über ihn erzählt, nicht durch das, was man ihm direkt entgegnet.

In dieser Verschiebung spiegelt sich eine tieferliegende Struktur der gegenwärtigen Affektkultur: Der Konflikt wird nicht ausgetragen, sondern zirkuliert in Form von Andeutung, Ambiguität und sozialer Codierung. Die affektive Wahrheit der Beziehung wird nicht im digitalen Raum sichtbar, sondern entfaltet ihre Wirkung im Zwischenmenschlichen – dort, wo sie schwer zu fassen und kaum zu korrigieren ist. Die Plattform ist nicht der Ort der Aggression, sondern ihre Quelle. Die eigentliche Austragung erfolgt im strukturell asymmetrischen Raum sozialer Erzählung – dort, wo Zustimmung nicht mehr öffentlich entzogen, sondern leise unterwandert wird.

H3 – Resonanzbedingungshypothese

Die Wahrscheinlichkeit destruktiver Narrative steigt mit der subjektiv empfundenen Resonanzlosigkeit im digitalen Raum.

Diese Hypothese geht von der psychodynamischen Annahme aus, dass digitale Plattformen nicht nur Räume der Information, sondern zunehmend Felder der Selbstwertregulation darstellen. Follower treten in digitale Beziehungen nicht allein aus inhaltlichem Interesse, sondern aus einem narzisstischen Bedürfnis nach Bestätigung, Spiegelung und affektiver Erwiderung. Diese Konstellation folgt der Logik von Kohuts Selbstpsychologie, insbesondere seiner Theorie der Selbstobjektfunktionen: Der Andere – in diesem Fall der Gefolgte – dient als Spiegel und affektives Gegenüber, über das das Ich seine Kohärenz stabilisiert. Bleibt diese Resonanz jedoch aus – etwa durch Nicht-Beachtung, fehlende Reaktionen, mangelnde Sichtbarkeit oder durch eine zu große asymmetrische Reichweitenstruktur – entsteht eine narzisstische Irritation, die nicht als Verletzung, sondern als Entwertung des eigenen Selbst erlebt wird.

Das Besondere an der digitalen Resonanzlosigkeit ist ihre Ambivalenz: Sie ist nicht eindeutig – keine klare Zurückweisung, kein explizites Nein – sondern ein diffuses Ausbleiben affektiver Erwiderung, das Raum für Projektion, Kränkung und innere Eskalation lässt. Der Follower fühlt sich nicht gesehen, aber auch nicht ausgeschlossen. Die Plattform wird so zum Affektverstärker, in dem Schweigen lauter wirkt als Zurückweisung. Diese subtile Erfahrung der Nichtbeachtung wirkt nicht wie eine neutrale Leerstelle, sondern wie eine psychische Entwertung: „Du bedeutest mir nichts.“ Diese mikrostrukturelle Erfahrung aktiviert tiefenpsychologische Kränkungsmuster, die häufig nicht als eigene Verletzbarkeit erkannt, sondern durch projektionale Externalisierung kompensiert werden.

Das Resultat ist ein innerer Kipppunkt: Die zunächst idealisierte Figur des Gefolgten wird – nicht durch einen expliziten Bruch, sondern durch die stille Erfahrung von Nicht-Erwiderung – emotional uminterpretiert. Aus Bewunderung entsteht Missgunst, aus Interesse Ablehnung, aus Zugehörigkeit das Gefühl, entwertet worden zu sein. Doch dieser Affekt findet keinen Austragungsort auf der Plattform – zu riskant, zu exponiert, zu ambivalent. Stattdessen verlagert sich das Bedürfnis nach Wiederherstellung des eigenen Selbstwertes in narrative, informelle Kommunikationsformen: Der Gefolgte wird in Frage gestellt, ironisiert, seine Kompetenz oder Authentizität subtil untergraben – nicht, weil er explizit etwas getan hat, sondern weil er nicht geantwortet hat.

Diese Hypothese beschreibt somit eine komplexe narzisstische Affektlogik: Das Ausbleiben von Resonanz wird als Symbol der eigenen Bedeutungslosigkeit erlebt. Dieses Erleben ist jedoch psychisch nicht integrierbar, da es eine Kränkung des narzisstischen Selbstbildes bedeutet. Um dieser Kränkung zu entgehen, wird der Andere entwertet – nicht als bewusster Akt, sondern als unbewusste Reaktion auf das, was er nicht getan hat: geantwortet, gespiegelt, bestätigt. Resonanz wird zur Bedingung für Loyalität. Ihr Ausbleiben zur stillen Erlaubnis für symbolische Zerstörung.

H4 – Soziale Kompensationshypothese

Bad Word of Mouth fungiert als Ersatzhandlung zur Wiederherstellung subjektiver Kontrolle und Selbstwertregulation.

Diese Hypothese nimmt an, dass destruktive Erzählungen über den Gefolgten – im Sinne von subtiler Kritik, moralisch codierter Skepsis oder informeller Delegitimierung – keine rein kommunikativen Phänomene sind, sondern psychodynamisch funktionale Akte der Selbstreparatur. Follower, die sich in einer affektiv ambivalenten Bindung zum Gefolgten befinden und deren psychische Resonanzbedürfnisse nicht befriedigt wurden (vgl. H3), geraten in einen Zustand narzisstischer Destabilisierung. Ihre digitale Nähe – oft durch hohe Beobachtung, stille Zugewandtheit oder intensive parasoziale Identifikation geprägt – wird nicht durch Gegenseitigkeit, sondern durch Distanz, Unerreichbarkeit oder das Erleben von Unterlegenheit beantwortet. Die Folge ist ein Gefühl von Ohnmacht, das mit dem eigenen Selbstbild nicht vereinbar ist.

An diesem Punkt greifen psychische Abwehrmechanismen, die das verletzte Selbst reorganisieren. Anna Freuds Konzept der Identifikation mit dem Aggressor bietet hierfür ein zentrales Erklärungsmodell: Das Ich übernimmt die Position des vermeintlich überlegenen Anderen – nicht durch offene Konfrontation, sondern durch symbolische Umkehr der Machtverhältnisse. Der Follower beginnt, die Gefolgte innerlich zu kontrollieren, zu bewerten, zu durchschauen – um aus dem Zustand passiver Kränkung in einen Zustand aktiver Selbstermächtigung zu gelangen. Der Gefolgte wird nicht mehr gebraucht, um sich zu stabilisieren – er wird gebraucht, um sich zu erhöhen.

Bad Word of Mouth, verstanden als informelle Abwertung in Drittkontexten, übernimmt dabei die Funktion einer psychischen Ersatzhandlung: Sie erzeugt ein Gefühl von Kontrolle über ein asymmetrisches Beziehungsverhältnis. Wer schlecht über jemanden spricht, den er formal noch folgt, erschafft sich ein Machtäquivalent – nicht öffentlich, aber wirksam. Dieser Mechanismus ist besonders effektiv, weil er sozial codiert ist: Die Kritik wirkt nicht wie ein Angriff, sondern wie Fürsorge, Skepsis oder Insiderwissen. In Wirklichkeit handelt es sich um die Externalisierung eines beschädigten Selbstwertes, der sich nicht traut, auf der Plattform zu opponieren, aber sehr wohl bereit ist, im Nahfeld symbolische Macht zu mobilisieren.

In der Sprache der Selbstpsychologie (Kohut) wird das destruktive Narrative zur sekundären Selbstobjektregulation: Der Follower verwendet das entwertete Bild des Gefolgten, um sein eigenes Selbstgefühl wieder zu stabilisieren – diesmal nicht über Spiegelung, sondern über Abgrenzung. Die Person, die mich nicht beachtet hat, wird herabgesetzt, damit ich mich wieder bedeutsam fühlen kann. Diese psychische Kompensation ist nicht bösartig, sondern funktional – aber sie entfaltet reale Wirkung: Sie unterwandert Vertrauen, zerstört Reputation und destabilisiert symbolische Autorität.

Diese Hypothese macht deutlich: Destruktive Narrative entstehen nicht, weil der Gefolgte „etwas falsch gemacht“ hat, sondern weil seine bloße Position – sichtbar, souverän, unerreichbar – ausreicht, um psychische Disäquilibrien auszulösen, die im sozialen Raum kompensiert werden müssen. Die Verbreitung abwertender Inhalte ist dabei keine kommunikative Entscheidung – sie ist der sozial codierte Ausdruck narzisstischer Wiedergutmachung.

H5 – Algorithmische Eskalationshypothese

Affektambivalente Follower, die besonders viel Zeit auf Plattformen mit algorithmischer Reizverstärkung (z. B. TikTok, Instagram, LinkedIn) verbringen, zeigen signifikant häufiger destruktives Offlineverhalten.

Diese Hypothese baut auf der Annahme auf, dass soziale Medien nicht nur passive Bühnen, sondern affektdynamisch strukturierende Systeme sind. Sie wirken nicht neutral auf das psychische Erleben ihrer Nutzer, sondern gestalten über algorithmische Mechanismen jene Formen von Sichtbarkeit, Vergleich, Intensität und Affektaufladung mit, die zentrale Trigger für psychodynamische Prozesse darstellen. Besonders relevant sind dabei Plattformen, deren Funktionsweise auf kurzzyklischer Reizintensität, Belohnungserwartung und ständiger Überbietung beruht – etwa TikTok (visuelle Emotionalisierung), Instagram Reels (ästhetische Vergleichsdynamiken) oder LinkedIn (Performanz- und Erfolgskodierung).

Die algorithmische Logik dieser Plattformen verstärkt genau jene Inhalte, die emotional hoch aufgeladen, polarisiert, idealisieren oder demontieren – eine Struktur, die auf der Ebene des Follower-Erlebens eine Dauerirritation psychischer Relevanzachsen erzeugt: Wer gesehen wird, warum er gesehen wird, wie man selbst im Verhältnis zu dieser Sichtbarkeit steht. Das Plattform-Ich befindet sich in einem Zustand chronifizierter Ambivalenz: Es ist präsent und bedeutungslos zugleich, beteiligt und ausgeschlossen, affirmiert und unsichtbar.

Aus Sicht der Selbstpsychologie (Kohut) stellt dies eine tiefgreifende Gefährdung narzisstischer Kohärenz dar. Das Subjekt erhält zwar permanent Input, aber keine konstante Spiegelung. Das Erleben ist geprägt durch Resonanzflackern, durch entgrenzte Vergleichbarkeit und durch ein algorithmisch erzeugtes Gefühl der Austauschbarkeit. Das Ich gerät in einen Zustand subtiler, aber dauerhafter psychischer Destabilisierung. Die Folge ist eine Affektüberladung ohne Handlungsraum: Kränkung, Neid, Ohnmacht, Unwirksamkeit – alles ist verfügbar, nichts ist transformierbar.

Diese Überladung entlädt sich nicht in der Plattform selbst, da dort soziale Konsequenzen, Transparenz und Reaktionsunsicherheit drohen. Stattdessen wird die destruktive Energie ins reale soziale Umfeld übertragen – als kompensatorische Entwertung. Das Netz fungiert hier nicht als Ausdrucksort, sondern als Affekt-Inkubator: Es aktiviert, verstärkt, isoliert – und zwingt den Affekt dann in andere Räume. Gerade hoch-affektive Plattformen wie TikTok erzeugen dabei eine psychologische Reiz-Labilisierung, die Ambivalenzen nicht integriert, sondern eskalieren lässt. Aus Bewunderung wird Missgunst, aus Missgunst Ablehnung, aus Ablehnung Abwertung. Und diese Abwertung wird in soziale Mikrohandlungen übersetzt: in ironische Kommentare, subtil gestreute Kritik, narrativ getarnte Destruktion.

Die Hypothese geht deshalb von einer strukturellen Korrelation aus: Je häufiger, intensiver und affektiver sich Nutzer in algorithmisch übersteuerten Räumen aufhalten, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich ihre psychische Spannung nicht online, sondern in destruktiver Offlinekommunikation entlädt. Die Plattformen agieren damit nicht nur als Bühne oder Verstärker – sie sind affektökonomische Architekturen, die ambivalente Followerbeziehungen in feindliche Resonanzformen transformieren.

7. Methodisches Design der Untersuchung

Das methodische Design dieser Studie orientiert sich an der Notwendigkeit, ein psychodynamisch vielschichtiges, medial vermittelt agierendes und sozial schwer greifbares Phänomen sowohl strukturell abbildbar als auch subjektiv verstehbar zu machen. Es wurde daher ein triangulatives Untersuchungsmodell gewählt, das quantitative, qualitative und ethnografische Verfahren integriert. Ziel ist es, die Komplexität destruktiver Follower-Beziehungen in ihrer innerpsychischen Dynamik, interaktiven Ambivalenzstruktur und sozialkommunikativen Wirkung analytisch zu erfassen.

7.1 Stichprobe und Auswahllogik

Die Stichprobe umfasst N = 1.365 Personen, die auf vier zentralen sozialen Plattformen aktiv sind: LinkedIn, Instagram, TikTok und Facebook. Die Altersrange liegt bei 18 bis 65 Jahren, wobei bewusst eine breite Spanne gewählt wurde, um die Wirkung parasozialer Bindungen und ihre affektive Ausgestaltung in unterschiedlichen Lebensphasen und sozialen Milieus zu erfassen.

Die Verteilung über die Plattformen folgt keiner Gleichgewichtsidee, sondern einer differenzierten Erwartungsstruktur hinsichtlich des dort dominanten affektiven Konflikttyps:

  • LinkedIn: Fokus auf beruflich codierte Kränkungen, performative Inszenierungen und narzisstische Konkurrenzmechaniken.
  • Instagram: Zentrum ästhetischer Sozialvergleiche, körperbezogener Neidprojektionen und bildbasierter Idealisierung.
  • TikTok: Plattform-typisch starke Emotionalisierung, Skandalisierung und narrative Extremisierung – besonders relevant für identifikatorische Übersteuerung.
  • Facebook: zunehmend Ort pseudopolitischer Moralisierung, demografisch älter und stärker von Alltagsideologien und scheinbar legitimer Delegitimierung geprägt.

Die Rekrutierung erfolgte nicht über reine Selbstauskunft, sondern über eine Verhaltenserkennung: Teilnehmende wurden identifiziert, wenn zwischen ihrem digitalen Verhalten (z. B. Follows, Likes, Kommentaren) und dem, was im persönlichen Umfeld über die betreffende Person oder Marke geäußert wurde, eine affektive Divergenz vorlag. Grundlage waren eine Mischung aus Selbst- und Fremdberichten, die es ermöglichten, besonders ambivalente Interaktionsmuster gezielt zu identifizieren. Damit wurde das Sample so konstruiert, dass nicht die lauten, expliziten Hater, sondern jene getarnten Akteure erfasst wurden, die das Phänomen der „Zerstörung durch Nähe“ verkörpern.

7.2 Methodentriangulation und Erhebungstiefe

Quantitative skalenbasierte Erhebung

Die quantitative Komponente der Untersuchung zielte auf die strukturierte Erfassung latenter psychischer Konstellationen, die als Prädiktoren für destruktives Follower-Verhalten fungieren. Anders als klassische sozialpsychologische Befragungen konzentrierte sich diese Studie nicht auf manifeste Einstellungen oder simple Verhaltenshäufigkeiten, sondern auf psychodynamisch relevante dispositionelle und affektive Strukturen, die typischerweise im Hintergrund digitaler Beziehungen wirken, jedoch nicht explizit kommuniziert werden. Die Skalen wurden dabei theoriegeleitet ausgewählt, um die zuvor entwickelten Hypothesen (H1–H5) empirisch prüfbar zu machen. Jede Skala wurde nicht als singulärer Messindikator eingesetzt, sondern als Bestandteil eines multiplen Strukturgleichungsmodells, das psychische Spannungen, Affektverarbeitungsmuster und kompensatorische Handlungsformen zueinander in Beziehung setzt.

Ein zentrales Instrument war die Dark Triad Scale, die subklinische Ausprägungen von Machiavellismus, Narzissmus und Psychopathie erfasst. Diese Konstrukte sind für das destruktive Follower-Verhalten insofern relevant, als sie eine instrumentelle Haltung zu Beziehungen, ein hohes Maß an Entwertungsbereitschaft sowie eine geringe Empathie nahelegen – Eigenschaften, die besonders in der kontrollierten Oberfläche digitaler Plattformen unauffällig bleiben können, im sozialen Nahfeld jedoch reale Wirkung entfalten. Die Messung diente insbesondere der Überprüfung der Hypothesen H2 und H4 (Projektionsverlagerung und soziale Kompensation).

Ergänzt wurde dies durch die Envy Scale (in differenzierter Fassung nach benignem und malicious Envy). Während benignem Neid ein selbstaktivierender Charakter innewohnt, markiert malicious Envy jenen zerstörerischen Affekt, der auf das Herabsetzen des beneideten Objekts zielt – eine Form, die in psychodynamischer Perspektive häufig durch projektive Mechanismen und narzisstische Kränkung mobilisiert wird. Die Erhebung dieses Konstrukts war zentral für die Überprüfung von H1 und H3, da insbesondere die Kombination aus ideeller Nähe und fehlender Resonanz (vgl. Kohuts Theorie des nicht antwortenden Selbstobjekts) als Auslöser aggressiver Entwertung interpretiert werden kann.

Zur Erfassung des stabilen Ich-Erlebens wurde die Rosenberg Self-Esteem Scale eingesetzt. Ein labiles Selbstwertgefühl gilt in der psychodynamischen Literatur – insbesondere bei Kohut und Kernberg – als Kernvoraussetzung für kompensatorische Abwehrformen wie Überidentifikation, Spaltung oder Externalisierung. In dieser Studie wurde weniger das absolute Niveau des Selbstwertes als vielmehr seine Korrelation mit ambivalenten Affekten untersucht, um zu analysieren, ob niedriger Selbstwert mit dem Wunsch zur Kontrolle des Gefolgten (z. B. über Bad Word of Mouth) einhergeht.

Eng verknüpft ist dieses Konstrukt mit der Multidimensionalen Kontrollüberzeugungsskala, die misst, ob Personen das Gefühl haben, Kontrolle über ihr Leben (bzw. ihre Wahrnehmung und Wirkung in sozialen Räumen) ausüben zu können. Kontrollverlust – vor allem in Kombination mit sozialer Vergleichsüberforderung – wurde als Triggerbedingung für affektiv codiertes Racheverhalten konzipiert. Die Skala diente somit der empirischen Fundierung von Hypothese H4.

Ein zentraler methodischer Fortschritt dieser Studie war die Entwicklung einer eigenen Affektambivalenz-Skala. Sie misst das gleichzeitige Vorhandensein widersprüchlicher Affekte (z. B. Neigung zur Zustimmung bei gleichzeitiger innerer Ablehnung) und unterscheidet zwischen integrierter Ambivalenz (reife Konfliktdifferenzierung) und dissoziierter Ambivalenz (unverarbeitete Parallelaffekte). Diese Skala diente der direkten Messung von H1 (Affektspaltung) und lieferte zudem einen gewichteten Index für die Identifikation jener Proband:innen, die im qualitativen Teil näher analysiert wurden.

Ergänzend wurde die Technikbezogene Überforderungsskala eingesetzt, um subjektive Erschöpfungssymptome im Umgang mit algorithmisch strukturierten Plattformlogiken zu erfassen. Affektive Fragmentierung, die durch Reizüberflutung, Vergleichsverdichtung und performative Daueransprüche ausgelöst wird, ist psychodynamisch mit innerer Reizreaktivität, Kontrollverlust und dissoziativen Rückzugsimpulsen assoziiert – Symptome, die in der Kombination häufig den Boden für projektionale Auslagerungen im Nahfeld bereiten. Diese Skala flankierte insbesondere die H5 zur algorithmischen Affektverstärkung.

Zur Stärkung des positiven psychischen Gegenpols wurde die General Self-Efficacy Scale erhoben – ein Maß für das Vertrauen in die eigene Handlungswirksamkeit. Sie erlaubte die Differenzierung von destruktivem Verhalten, das aus empfundener Ohnmacht (Low Self-Efficacy) resultiert, gegenüber solchen Fällen, in denen affektive Destruktion mit aktivem Machtbedürfnis (z. B. narzisstisch getriebenem Kontrollverhalten) einhergeht.

Abschließend wurde die Anomieskala verwendet, um generalisierte Entfremdungsgefühle, normative Desorientierung und das subjektive Empfinden sozialer Instabilität zu erfassen – ein psychisch-soziales Grundrauschen, das als Hintergrundbedingung für Reizreaktionsverzerrungen, Schuldprojektionen und Misstrauenskommunikation fungiert.

In Summe zielte die quantitative Erhebung nicht auf die bloße Identifikation einzelner Traits, sondern auf die Herleitung eines psychodynamischen Dispositionsprofils, das in hohem Maße mit der Bereitschaft zur destruktiven Externalisierung korrespondiert. Die Skalen ermöglichten die Konzeption eines mehrdimensionalen latenten Konstruktraums, der – über Cluster- und Regressionsanalysen – die psychologische Logik hinter der scheinbaren Paradoxie „digitaler Zustimmung – realweltlicher Zersetzung“ sichtbar macht.

Tiefenpsychologische Interviews (n = 35)

Die qualitative Vertiefung des Untersuchungsmodells erfolgte über 35 tiefenpsychologisch geführte Einzelinterviews, die mit jenen Proband:innen geführt wurden, die im quantitativen Screening eine besonders hohe Ausprägung in den Konstrukten Affektambivalenz, maligner Neid, niedrigem Selbstwert, hohem Kontrollbedürfnis und/oder subjektiver technischer Überforderung aufwiesen. Die Fallauswahl folgte damit keinem demografischen Sampling, sondern einer affektdiagnostischen Selektionslogik – mit dem Ziel, jene Subjektpositionen zu identifizieren, in denen digitale Nähe mit innerer Feindseligkeit koexistiert.

Die Interviews wurden im Modus der narrativ-analytischen Tiefenhermeneutik geführt. Dieser Ansatz folgt dem Grundsatz, dass nicht allein der explizite Inhalt einer Aussage, sondern insbesondere ihre Form, Struktur, Affektladung und performative Dynamik Auskunft über unbewusste Motive, Abwehrformen und projektive Beziehungen gibt. Das Ziel war es, jenseits der manifesten Aussagen jene psychischen Prozesse sichtbar zu machen, über die Zustimmung in Ablehnung kippt, Nähe in Rachebedürfnis umschlägt oder Beobachtung in symbolische Aneignung übergeht.

Besonderer Fokus lag auf:

  • Symbolischen Codierungen von Entwertung: Welche sprachlichen, narrativen oder bildhaften Ausdrucksformen wählten die Interviewten, um ihre Aversionen zu artikulieren, ohne diese explizit als solche zu benennen? Wo traten Andeutungen, Umdeutungen oder scheinbare Ironie an die Stelle direkter Ablehnung?
  • Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomenen: Wie verschob sich die Gesprächsdynamik im Moment affektiver Aktivierung? In welchen Momenten zeigten sich narzisstische Schutzformationen, Identifikation mit dem Aggressor (Anna Freud) oder projektive Verschiebungen auf die Interviewführung selbst?
  • Konfliktsensitiven Bruchstellen: Wo in der Erzählung traten Irritationen, Satzabbrüche, affektive Inkonsistenzen oder selbstwidersprüchliche Narrative auf? Diese Mikrobrüche wurden als Indikatoren psychischer Spaltungsprozesse analysiert – insbesondere im Kontext der Hypothesen H1 (Affektspaltung) und H2 (Verlagerung).

Die Interviews wurden nicht theoriebestätigend, sondern offen konfliktfokussiert geführt. Ziel war es, eine Grammatik verdeckter Destruktivität freizulegen – eine affektive Struktur, die von Nähe, Scham, Missgunst, Selbstschutz und latenter Aggression gleichzeitig getragen ist. Der „Follower im Tarnmodus“ wurde nicht als Typus beschrieben, sondern als dynamische Figur eines inneren Zustands, der über äußere Interaktionsformen stabilisiert werden muss.

Online-Ethnografie & Shadowing

Das dritte methodische Modul bestand aus einer strukturierenden Online-Ethnografie, bei der insgesamt 51 Profile über mehrere Wochen hinweg beobachtet, dokumentiert und in ihrem digitalen Verhalten systematisch kontrastiert wurden – sowohl untereinander als auch mit den Aussagen der jeweiligen Proband:innen im Interview- und Skalenkontext. Ergänzt wurde dieses Modul durch ethnografisches Shadowing, bei dem einzelne Follower-Gefolgte-Konstellationen in ihrer Interaktionsfrequenz, Tonalität, Engagementform und Kommentardichte analysiert wurden.

Ziel dieser ethnografischen Perspektive war es, sichtbares Verhalten (Likes, Kommentare, Shares, Reaktionsmuster) mit innerem Affektgehalt in Beziehung zu setzen – und so sogenannte Affekt-Divergenzen zu identifizieren. Als besonders relevant wurden jene Fälle klassifiziert, in denen die digitale Interaktion explizit wohlwollend erschien (etwa durch kontinuierliches Liken, zustimmende Kommentare oder positive Erwähnungen), während in Fragebögen oder Interviews deutliche Zeichen innerer Ablehnung, Abwertung oder ironisierender Distanz sichtbar wurden.

Diese Divergenzen dienten als empirischer Beleg für die Hypothesen H1 (Spaltung) und H2 (Verlagerung): Sie zeigten, dass digitale Zustimmung häufig nicht Ausdruck von Loyalität, sondern von affektiver Dissoziation und strategischer Selbstinszenierung ist – oder sogar Teil einer längerfristigen Überwachungs- und Kontrollhaltung gegenüber dem Gefolgten.

Erhoben wurden u. a.:

  • Engagement-Muster (Frequenz, Plattformwechsel, Ratio zwischen Sichtbarkeit und Aussageintensität)
  • Tonalitätsanalysen (Textmuster, Emoji-Verwendung, Kommentartypologien)
  • Abweichungen zwischen öffentlichem Plattformverhalten und persönlicher Darstellung in Interview und Fragebogen

Diese ethnografisch erschlossenen asymmetrischen Affektprofile wurden nicht isoliert ausgewertet, sondern in die qualitative Hauptanalyse eingespeist, um die affektiven Grundmuster, Projektionen und Kompensationsmuster der untersuchten Proband:innen besser verstehen und strukturell verdichten zu können.

7.3 Gesamtmodelllogik

Das methodische Design dieser Studie ist nicht auf additive Erkenntnisgewinnung ausgelegt, sondern auf komplementäre Tiefenerschließung. Es folgt der Annahme, dass das Phänomen destruktiven Follower-Verhaltens weder monokausal zu erklären noch mit einem singulären methodischen Zugriff angemessen erfassbar ist. Das zentrale Erkenntnisinteresse – die Dechiffrierung psychodynamischer Mechanismen hinter digital getarnter Destruktivität – erfordert ein Modell, das sowohl die innerpsychische Architektur, die plattformvermittelte Interaktionsdynamik als auch die sozialkommunikative Wirkung systematisch in Beziehung setzt.

Die Triangulation aus quantitativer Skalenmessung, tiefenpsychologischer Interviewanalyse und Online-Ethnografie basiert auf einer dreidimensionalen Forschungskartografie, die sich an folgenden Ebenen orientiert:

  1. Dispositionale Ebene (Intrapsychische Konstellationen)
    Die quantitative Skalenmessung liefert empirisch belastbare Hinweise auf strukturprägende Persönlichkeitsdispositionen, die mit destruktivem Follower-Verhalten korrelieren. Sie identifiziert latente Konstrukte wie Affektambivalenz, projektiven Neid, narzisstische Kränkbarkeit, Kontrollbedürfnis oder technikinduzierte Überforderung. Diese Ebene operationalisiert die tiefenpsychologischen Grundannahmen der Hypothesen und dient als Filter für die weitere qualitative Vertiefung.
  2. Dynamische Ebene (Beziehungs- und Affektverläufe)
    Die tiefenpsychologischen Interviews machen sichtbar, wie sich diese Dispositionen in konkreten, subjektiv gelebten Beziehungsmustern niederschlagen. Sie eröffnen Zugang zu affektiven Kipppunkten, Symbolisierungsleistungen, Abwehrformen, inneren Konfliktlandschaften und Projektionen, die im quantitativen Design unsichtbar blieben. Diese Ebene liefert die narrative Topografie dessen, was in Skalen als latente Struktur erscheint – sie ist die psychosemantische Tiefenschicht des digitalen Folgens.
  3. Performerative Ebene (Kommunikative Oberflächen und soziale Resonanz)
    Die ethnografische Online-Beobachtung untersucht die Verhaltensoberflächen im digitalen Raum – Likes, Kommentare, Sharing-Muster – und kontrastiert sie mit dem, was im persönlichen, nicht-öffentlichen Raum über dieselben Objekte gesagt oder getan wird. Dadurch lassen sich systematisch Affektdissonanzen und Verhaltensdivergenzen erfassen: Wann wird Zustimmung nur noch performiert? Wann beginnt narrative Zersetzung? Diese dritte Ebene verknüpft digitales Verhalten mit realweltlicher Wirkung.

In ihrer Verschränkung ermöglichen diese drei Ebenen nicht nur ein vollständigeres Verständnis des Untersuchungsgegenstandes, sondern rekonstruieren ihn als prozesshafte, mehrschichtige und strukturell induzierte Affektformation. Der destruktive Follower erscheint nicht als „Typ“, sondern als Zustandsformation in einem instabilen affektiv-sozialen Feld, die psychisch kompensierend, digital getriggert und sozial multipliziert agiert. Die Methode bildet diese Komplexität nicht nur ab, sondern erzeugt selbst eine Erkenntnisarchitektur, in der Disposition, Interaktion und Wirkung nicht additiv, sondern dialektisch verschränkt werden.

Die wissenschaftliche Innovation dieses Gesamtmodells liegt daher nicht nur in der Verknüpfung methodischer Perspektiven, sondern in der strukturierten Hermeneutik affektiver Ambivalenz: Sie liest das Verhalten nicht isoliert, sondern als Ausdruck psychischer Spannungen im System digitaler Sichtbarkeit. Die Methodik wird damit selbst zum Modell psychodynamischer Auflösung eines Problems, das sich weder allein im Netz noch allein im Subjekt verorten lässt – sondern zwischen beiden, in der Schwebezone affektiv codierter Beziehungen.

8. Ergebnisse der Untersuchung

8.1 Einleitung: Auffällige Muster und zentrale Spannungsfelder

Bereits in der integrativen Analyse der quantitativen Skalenwerte, Interviewdaten und ethnografischen Beobachtungen zeigte sich ein klar umrissenes psychologisches Phänomen: Digitale Zustimmung in Form von Follows, Likes oder Kommentaren bildet keinen verlässlichen Indikator für affektive Loyalität, sondern ist in zahlreichen Fällen symptomatisch überlagert durch latente Spannungen, narzisstische Kränkungen und sozial kompensatorische Impulse. Das sichtbarste Muster war ein signifikanter affektiver Drift zwischen öffentlichem Plattformverhalten und nicht-öffentlichen Bewertungen: Etwa 61 % der Gesamtstichprobe äußerten im Interview oder Fragebogen kritische bis feindselige Narrative über Personen oder Marken, denen sie digital weiterhin folgen oder öffentlich zustimmen. Bei der Subgruppe mit hoher Ausprägung in den Skalen „Affektambivalenz“, „maligner Neid“ und „niedrigem Selbstwert“ lag dieser Anteil bei über 78 %.

In den qualitativen Interviews zeigte sich zudem eine spezifische affektive Kodierung der Abwertung: Sie wurde selten offen formuliert, sondern meist narrativ ummantelt, beispielsweise durch moralisch überhöhte Kritik („Ich mag ja keine Selbstdarsteller:innen“), ironisch gebrochene Nähe („Ich folge ihr nur, weil’s so absurd ist“) oder vermeintlich fürsorgliche Skepsis („Ich mache mir Sorgen, ob das noch gesund ist“). Diese indirekte Destruktivität korrelierte besonders stark mit einem hohen Maß an Selbstwertlabilität und dem Erleben von Resonanzlosigkeit auf der Plattform. Die Entwertung wurde häufig als emotional „legitim“ empfunden – als gerechte Reaktion auf ein als asymmetrisch erlebtes Beziehungsverhältnis.

Die ethnografische Analyse bestätigte diese Befunde: In mehr als der Hälfte der beobachteten Profile bestand eine offenkundige Dissonanz zwischen digitalem Verhalten (hochfrequentes Liken, häufiges Kommentieren, geteilte Beiträge) und dem, was in den Interviews oder ethnografischen Notizen als Haltung oder Erzählung über die jeweilige Person erfasst wurde. Diese Konstellationen wurden als Affekt-Divergenzen typisiert – sie bildeten die empirische Grundlage für die nachfolgende Hypothesenprüfung

8.2 Hypothesenprüfung

Im Folgenden werden die fünf zentralen Hypothesen der Studie auf Basis der integrierten Datenlage systematisch untersucht. Dabei wurden sowohl statistische Signifikanztests (z. B. multiple Regressionsanalysen, Interaktionsanalysen) als auch qualitative Fallrekonstruktionen und narrative Tiefenanalysen herangezogen. Ziel war es nicht nur, die Hypothesen zu bestätigen oder zu verwerfen, sondern vor allem ihre psychodynamische Logik empirisch nachvollziehbar zu machen.

Hypothese H1 – Affektspaltungshypothese

Je höher die affektive Ambivalenz gegenüber dem Gefolgten, desto stärker die Tendenz zur psychischen Spaltung zwischen digitaler Zustimmung und realweltlicher Ablehnung.

Diese Hypothese stellt den strukturellen Kern des destruktiven Follower-Phänomens dar – und wurde durch die Triangulation der quantitativen, qualitativen und ethnografischen Daten eindeutig empirisch bestätigt und tiefenpsychologisch dekodiert. Die eigens entwickelte Affektambivalenz-Skala zeigte eine signifikante und substanzielle Korrelation mit dem Grad realweltlicher symbolischer Entwertung (r = .61, p < .001). Besonders hoch waren die Ausprägungen in der Subgruppe mit gleichzeitig niedrigem Selbstwert (Rosenberg Scale) und ausgeprägt malignem Neid (Envy Scale) – was auf eine fragile narzisstische Balance verweist, die durch die Plattformbeziehung nicht gehalten, sondern zusätzlich destabilisiert wurde.

Die qualitative Tiefenstruktur der Interviews enthüllte dabei ein affektiv hochgeladenes, aber mental fragmentiertes Beziehungsmuster: Das Gefolgte wurde nicht als Person, sondern als psychisches Funktionsobjekt erlebt – ein „Selbstobjekt“ im Sinne Kohuts, das spiegeln, beruhigen und narzisstisch stützen soll. Diese idealisierende Zuschreibung war häufig vollständig unreflektiert und diente als psychische Pseudointegration in einer Realität, in der das eigene Selbstbild – durch Vergleich, Überreizung, Unsicherheit – zunehmend fragmentiert war. Sobald diese narzisstische Projektion enttäuscht wurde (etwa durch Nicht-Resonanz, Überinszenierung, Unerreichbarkeit), kam es nicht zur affektiven Ambivalenz im reifen Sinne – also zur gleichzeitigen Koexistenz widersprüchlicher Gefühle –, sondern zu einer Reaktivierung des frühen Spaltungsmechanismus im Sinne Melanie Kleins.

Die Erzählungen in den Interviews offenbarten genau diese Dynamik: Zunächst sprachlich betonte Zustimmung, gefolgt von abrupten Ironisierungen, Relativierungen, moralischen Einwürfen oder „Meta-Kommentaren“, die das ursprüngliche Anerkennungsskript ins Gegenteil verkehrten. Typische Sätze lauteten etwa:

„Ich mag sie wirklich – aber das ist manchmal schon extrem, wie sehr sie sich selbst feiert.“
„Er macht das gut – aber irgendwo ist das halt auch alles Fake.“

Diese sprachlichen Dissonanzen waren keine rhetorischen Strategien, sondern affektive Restverarbeitungen einer inneren Desintegration, bei der der Gefolgte gleichzeitig als bewundertes und bedrohendes Objekt erlebt wurde. Die Plattform diente in dieser Konstellation als Symbolträger der „guten“ Beziehung – sie konservierte Nähe, Status, Identifikation. Die reale Beziehungsebene – das private Gespräch, das berufliche Umfeld, die Erzählung im Nahfeld – wurde zum Projektionsraum der „bösen“ Anteile: Dort durfte die Missgunst artikuliert, die Überlegenheit kritisiert, die Rolle des Anderen infrage gestellt werden. Genau hier wurde das ursprünglich unhaltbare Gleichgewicht wiederhergestellt – jedoch nicht durch Ambivalenzintegration, sondern durch Spaltung und Verlagerung.

Die Online-Ethnografie unterstützte diese Deutung in paradigmatischer Weise: In über 70 % der Profile mit hoher Affektambivalenz zeigten sich auffällige Divergenzen zwischen digitaler Zustimmung (z. B. Likes bei nahezu jedem Post, Kommentierung im zustimmenden Tonfall) und der in Interview oder Fragebogen geäußerten Haltung („Ich glaube, sie ist mittlerweile komplett abgehoben“ / „Ich glaube, er braucht das alles, weil er sich selbst sonst nicht spürt“). Diese Affektdivergenzen bildeten die empirische Signatur eines nicht integrierten, sondern dissoziierten Beziehungserlebens, in dem Nähe und Ablehnung nicht konflikthaft nebeneinanderstehen, sondern räumlich-funktional getrennt werden: Plattform = Zustimmung. Realraum = Entwertung.

Tiefenpsychologisch lässt sich dieses Muster als Vermeidung von Affektinkongruenz unter Schutz des narzisstischen Gleichgewichts deuten: Die Zustimmung wird digital aufrechterhalten, um das eigene Selbstbild (z. B. als fair, interessiert, nicht neidisch) zu stabilisieren. Die Ablehnung wird ins Außen verschoben, um die Kränkung – die aus Unerreichbarkeit, Erfolgsdifferenz oder performativer Inszenierung entsteht – abzuleiten. Es handelt sich um einen psychodynamischen Kompromissakt, der als funktional erlebt wird, aber langfristig zur Chronifizierung der Spaltung führt: Nähe bleibt inszeniert, Distanz wird agiert – jedoch nur dort, wo sie folgenlos bleibt.

Damit lässt sich festhalten:
Die Affektspaltungshypothese wird nicht nur empirisch bestätigt, sondern bildet den strukturellen Grundmechanismus jener destruktiven Loyalität, in der Follower digital verbunden bleiben, aber innerlich bereits in einer latenten Feindposition stehen. Ihre Zustimmung ist nicht Ausdruck affektiver Nähe, sondern psychischer Struktur – und damit hochgradig trügerisch. Die digitale Oberfläche funktioniert nicht als Spiegel der Beziehung, sondern als Abwehrformation gegen eine tiefgreifende Ambivalenz, die nicht integriert, sondern externalisiert wird.

Hypothese H2 – Projektionsverlagerungshypothese

Affektambivalente Follower externalisieren ihre Spannungen nicht online, sondern in informellen realweltlichen Kontexten.

Diese Hypothese adressiert die psychische Dynamik der Verlagerung, bei der affektiv destruktive Impulse nicht im digitalen Raum artikuliert werden, in dem sie entstehen, sondern in einem sozial vertrauten, risikoarmen Nahfeld kommuniziert – etwa im Freundeskreis, unter Kolleg:innen oder in privaten Gesprächssituationen. Der digitale Raum bleibt formal intakt – die Feindseligkeit wandert ab, codiert als scheinbar legitime Beobachtung, ironische Distanz oder moralisch aufgeladene Skepsis. Diese Dynamik wurde durch unsere Datentriangulation deutlich bestätigt, sowohl auf Verhaltensebene als auch in der inneren Symbolstruktur der qualitativen Fälle.

In der Online-Ethnografie wurden 83 Profile identifiziert, in denen über mindestens acht Wochen hinweg ein konstant positives Interaktionsmuster sichtbar war – regelmäßige Likes, gelegentlich zustimmende Kommentare, Story-Interaktionen oder geteilte Inhalte. Diese Profile wurden ethnografisch „geshadowt“, parallel zu den qualitativen Interviews ausgewertet und mit den inhaltlichen Äußerungen der jeweiligen Proband:innen über die beobachteten Personen oder Marken abgeglichen. Das Ergebnis war frappierend: In 81 % der Fälle bestand eine signifikante Diskrepanz zwischen digitalem Verhalten und realweltlicher Affektaussage. Personen, die sich öffentlich loyal, interessiert oder affirmativ zeigten, äußerten im privaten Kontext explizit distanzierende, kritisierende oder herabwürdigende Narrative – häufig subtil codiert, aber konsistent strukturiert.

Die qualitative Interviewanalyse zeigte, dass diese Verlagerung nicht zufällig, sondern psychodynamisch funktional war. Sie diente der Aufrechterhaltung eines doppelten Gleichgewichts: zum einen dem äußeren Bild der Zugehörigkeit und sozialen Intaktheit (Plattformloyalität), zum anderen der inneren psychischen Entlastung durch Entwertung des Anderen. Es handelt sich hierbei um eine klassische Form projektiver Abwehr im Sinne Melanie Kleins – insbesondere dort, wo narzisstische Kränkungen nicht bewusst verarbeitet, sondern externalisiert werden. Nicht „ich bin enttäuscht“, sondern „sie ist drüber“; nicht „ich fühle mich unterlegen“, sondern „er übertreibt total“. Diese Umkehr ist nicht kognitiv bewusst, sondern affektiv stimmig. Sie erzeugt ein inneres Gefühl von Wiederherstellung der Kontrolle, bei gleichzeitigem Erhalt der digitalen Beziehung.

Diese psychische Ambivalenz war in den Interviews besonders in jenen Passagen auffällig, in denen über die beobachteten Personen in einem Ton gesprochen wurde, der zwischen Faszination, Spott und Entwertung oszillierte. Typisch waren Formulierungen wie:

„Ich finde es schon spannend, was sie macht, aber das ist halt auch irgendwie alles inszeniert.“
„Ich schau mir das gerne an – aber ganz ehrlich, der nimmt sich zu wichtig.“

Diese Sätze markieren eine kognitive Legitimation des Affekts durch scheinbare Ausgewogenheit, dienen aber – im Sinne Anna Freuds – als rationalisierte Tarnung aggressiver Verschiebungsimpulse. Denn ausgesprochen wird nicht die eigene Kränkung, sondern die (vermeintliche) Unangemessenheit des Anderen. Diese Form der projektiven Verlagerung erfüllt eine doppelte Funktion: Sie stabilisiert den Selbstwert und unterläuft soziale Schuld, da sie als „Wahrnehmung“ und nicht als Angriff codiert wird. Die Realräume, in denen diese Erzählungen zirkulieren, sind zudem ideal: Sie bieten soziale Resonanz, Abgleich, Zustimmung – und damit eine nachträgliche kollektive Legitimierung der Entwertung.

Tiefenpsychologisch betrachtet handelt es sich um eine Verlagerung feindlicher Introjekte, die nicht verarbeitet, sondern auf das Gefolgte projiziert werden. Die Plattform wird zum emotionalen Auslöser, nicht zum Austragungsort – weil dort das Machtverhältnis asymmetrisch, die Sichtbarkeit hoch und die Kontrolle unklar ist. Der reale Raum hingegen erlaubt eine kontrollierte Entladung, eine psychosemantische Reinigungsbewegung unter dem Deckmantel der Reflexion. Diese Prozesse waren besonders intensiv bei jenen Personen, die in der Skalenmessung hohe Werte in den Bereichen Kontrollbedürfnis, Anomie und maligner Neid aufwiesen – was darauf hinweist, dass sich Verlagerung vor allem dort vollzieht, wo emotionale Unterlegenheit und soziale Überforderung als nicht integrierbar erlebt werden.

Die Verlagerung destruktiver Affekte in reale Kontexte ist somit keine soziale Randerscheinung, sondern ein zentraler Mechanismus narzisstischer Selbstregulation unter Bedingungen algorithmischer Reizübersteuerung, parasozialer Einseitigkeit und struktureller Resonanzenttäuschung. Sie macht deutlich: Die Plattformbeziehung täuscht Nähe vor – die eigentliche Beziehung findet im Schatten statt. Nicht zwischen Accounts, sondern zwischen Geschichten. Und genau in diesen Geschichten vollzieht sich das, was der digitale Raum nicht zeigen darf: Entwertung durch Erzählung – als legitimierte Rache, symbolischer Abgleich oder narzisstische Selbstverteidigung.

Hypothese H3 – Resonanzbedingungshypothese

Die Wahrscheinlichkeit destruktiver Narrative steigt mit der subjektiv empfundenen Resonanzlosigkeit im digitalen Raum.

Diese Hypothese wurde durch die integrierte Datenlage aus quantitativer Skalenmessung, Tiefeninterviews und Online-Ethnografie substanziell bestätigt – und erlaubt darüber hinaus eine tiefenpsychologisch gehaltvolle Deutung eines bislang kaum beachteten Zusammenhangs: Die destruktiven Tendenzen affektambivalenter Follower speisen sich nicht aus realen Verletzungen, sondern aus dem symbolischen Erleben von Resonanzentzug – also dem Nicht-Wahrgenommenwerden durch den Gefolgten auf einer Plattform, die permanente Sichtbarkeit und Gegenseitigkeit suggeriert.

Auf der quantitativen Ebene korrelierte die subjektive Resonanzlosigkeit – operationalisiert über ein Skalenbündel aus Selbstwirksamkeit (General Self-Efficacy Scale), narzisstischer Kränkbarkeit (aus der Dark Triad), Envy Scale und Techniküberforderung – signifikant mit dem Maß an negativem Word-of-Mouth-Verhalten (r = .53, p < .001). Besonders relevant war dabei nicht das objektive Ausmaß der „Nicht-Beachtung“ (z. B. keine Reaktion auf Story oder Kommentar), sondern die affektive Interpretation dieser Nicht-Reaktion als psychische Abwertung. In den Interviews wurde deutlich: Das Ausbleiben von Reaktion wurde nicht als neutraler Vorgang, sondern als symbolische Zurückweisung gelesen – als Affront, als Demütigung, als narzisstische Infragestellung. Es war nicht das Schweigen, das kränkte, sondern das, was dieses Schweigen bedeutete.

Diese Bedeutungszuschreibungen sind tief in Kohuts Theorie des Selbstobjekts verwurzelt. Der Gefolgte fungiert für viele Follower – bewusst oder unbewusst – als narzisstischer Stabilisator: eine Projektionsfläche, deren Reaktion das eigene Selbst regulieren soll. Bleibt diese Reaktion aus, entsteht ein inneres Vakuum, das nicht kognitiv verarbeitet, sondern affektiv externalisiert wird. Das Ich reagiert nicht mit Rückzug oder Rationalisierung, sondern mit symbolischer Umkehr der Beziehungsdynamik: Der Andere, der nicht antwortet, wird entwertet. Nicht offen, nicht sofort, aber gezielt – über informelle Erzählungen, ironische Bemerkungen oder moralisch aufgeladene Distanzierungen.

In der narrativ-analytischen Auswertung wurde dieses Muster besonders deutlich in Interviewpassagen, in denen auf die fehlende Reaktion des Gefolgten mit einer Mischung aus Kränkung und ironischer Selbstvergewisserung reagiert wurde. Typische Aussagen waren:

„Ich hab ja mal was kommentiert – keine Reaktion. Muss wohl zu beschäftigt sein.“
„Der liked nicht mal zurück. Aber klar, für Leute wie mich hat er ja keine Zeit.“
„Ich glaube, das ist jemand, der nur mit anderen Erfolgreichen spricht.“

Solche Sätze markieren nicht nur einen Bruch in der Beziehung – sie sind Ausdruck einer narzisstischen Selbstwiederherstellung durch narrative Entwertung. Der Andere wird herabgesetzt, um den Bedeutungsverlust des eigenen Ichs zu kompensieren. Die Resonanzlosigkeit fungiert hier als psychischer Trigger, der ein strukturelles Minderwertigkeitsgefühl aktiviert, das – in Kombination mit sozialen Vergleichen und ästhetischen Überlegenheitscodes – zu feindseliger Projektion im Nahfeld führt. Die destruktive Erzählung über den Gefolgten ist in diesem Sinne keine Eskalation, sondern eine Selbstreparaturmaßnahme: „Wenn du mich nicht siehst, mache ich dich kleiner.“

Die Online-Ethnografie bestätigte diese Befunde eindrucksvoll. In fast 70 % der Profile mit hohem Engagement-Level (z. B. regelmäßiges Liken, Story-Interaktionen) fanden sich in der qualitativen Parallelanalyse Anzeichen innerer Distanzierung oder offener Kritik, sobald diese Resonanz nicht erwidert wurde. Besonders auffällig war ein wiederkehrendes Muster, das als „aktive Bindung trotz passiver Ablehnung“ beschrieben werden kann: Der Follower bleibt sichtbar aktiv, während er innerlich längst in eine Position symbolischer Vergeltung übergegangen ist. Die Plattform wird dabei zum Austragungsort eines stummen Erwartungsverhältnisses, dessen Bruch nicht verarbeitet, sondern in Erzählung verwandelt wird.

Tiefenpsychologisch lässt sich dies als Reaktanz auf unbewusste Ohnmacht interpretieren. Das Bedürfnis nach Resonanz ist nicht trivial – es ist ein zentraler Bestandteil narzisstischer Stabilität in einem digitalen Ökosystem, das permanent zur Sichtbarkeitsoptimierung auffordert. Wird dieses Bedürfnis enttäuscht, erfolgt kein bewusster Rückzug, sondern ein regressiver Abwehrakt: Die narrative Entwertung des Anderen als Wiedereinsetzung narzisstischer Autonomie. Die Figur des Gefolgten wird nicht gehasst – sie wird entzaubert, um als seelisches Risiko neutralisiert zu werden.

Hypothese H4 – Soziale Kompensationshypothese

Bad Word of Mouth fungiert als Ersatzhandlung zur Wiederherstellung subjektiver Kontrolle und Selbstwertregulation.

Diese Hypothese wurde nicht nur empirisch klar gestützt, sondern entfaltete sich im Auswertungsprozess zu einem der zentralen psychodynamischen Deutungsrahmen der gesamten Studie. Denn das destruktive Narrative – also die in Alltagskommunikation eingelassene Abwertung des Gefolgten – erwies sich in vielen Fällen nicht als impulsive Reaktion oder moralische Einschätzung, sondern als bewusst unbewusste psychische Reparaturleistung: Es ersetzte das, was der Follower als verloren erlebte – Kontrolle, Gegenseitigkeit, Bedeutung.

Auf quantitativer Ebene zeigten sich signifikante Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß negativ codierter Aussagen über Gefolgte (offene Fragen, qualitative Anker) und Skalenwerten für Kontrollbedürfnis (r = .48), niedriger Selbstwirksamkeit (r = –.52), Anomieerleben (r = .44) sowie insbesondere malignem Neid (r = .57, alle p < .001). Entscheidend war nicht die bloße Kränkung oder Frustration – sondern die Unfähigkeit, diese affektive Destabilisierung innerlich zu regulieren. Je geringer das Erleben von Handlungsmacht und Kontrolle, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass das Gefolgte externalisiert, entwertet und im sozialen Nahfeld narrativ „zurückgeholt“ wurde – durch symbolische Abwertung.

In den Interviews trat diese Dynamik häufig verkleidet auf – etwa in der Form von „besorgter Kritik“, „zwischenmenschlichem Zweifel“ oder „analytischer Distanzierung“. Doch bei näherer Betrachtung handelte es sich um codierte Akte der symbolischen Re-Etablierung von Kontrolle über ein psychisches Machtgefälle. Der Gefolgte – als erfolgreicher, souveräner, schöner oder scheinbar überlegener Anderer – wurde auf ein erzählbares Maß reduziert. Typische Interviewaussagen waren:

„Ich glaube, der kompensiert da auch was.“
„Sie braucht das alles wahrscheinlich, sonst fühlt sie sich nicht gesehen.“
„Für mich ist das einfach nur Selbstinszenierung ohne Substanz.“

Diese Aussagen wirken auf den ersten Blick wie kritische Einordnungen. In ihrer psychodynamischen Struktur sind sie jedoch Affektverlagerungen, die dem Sprecher ermöglichen, sich aus einer passiven, gekränkten Beobachterposition in eine aktive, analysierende, überlegene Rolle zu versetzen. Der Gefolgte wird nicht einfach herabgesetzt – er wird erklärt, relativiert, kontrolliert. So wird aus der ursprünglichen narzisstischen Unterlegenheit eine narrative Überlegenheit – ein subtiler, aber psychologisch enorm wirksamer Kompensationsakt.

Aus Sicht Anna Freuds handelt es sich dabei um eine kombinierte Abwehr aus Verschiebung, Rationalisierung und Identifikation mit dem Aggressor: Der Follower übernimmt symbolisch die Deutungshoheit, die er digital nicht bekommt. Er rekonstruiert den Anderen so, dass seine eigene Unsichtbarkeit, Frustration oder Unterlegenheit erklärbar und affektiv entlastet werden kann. Die Zersetzung des Gefolgten geschieht nicht impulsiv, sondern strukturell – über die kontrollierte soziale Erzählsituation. Die destruktive Erzählung wird zur Ersatzhandlung – nicht gegen den Anderen, sondern für das eigene Selbstbild.

Besonders prägnant wurde dies in Fällen, in denen Proband:innen hohe Plattformaktivität zeigten (häufige Reaktionen, Kommentare, Interaktionen) und dennoch im Interview eine ausgeprägt abwertende Haltung artikulierten. Die Plattformbindung blieb bestehen – doch im realweltlichen Umfeld wurde ein paralleles Narrativ aufgebaut, das den Gefolgten entwertete. Diese Gleichzeitigkeit diente einer psychischen Balance: Nähe zur Quelle des Neids, Kontrolle über die eigene Position, Reduktion des Anderen auf ein erträgliches Maß.

In der Online-Ethnografie zeigten sich zusätzlich ritualisierte Formen dieser Kompensation: etwa das Kommentieren von Beiträgen mit doppelbödiger Ironie („Krass! Schon wieder ein Shooting. Wann arbeitest du eigentlich mal?“) oder das gezielte Teilen mit abwertendem Kontext („Typisch LinkedIn-CEO-Vibes…“). Solche Mikrohandlungen fungierten als affektiv codierte Mini-Revanchen: Sie gaben dem Follower ein Gefühl von Handlungsmacht, ohne die digitale Beziehung direkt zu riskieren. Sie waren – in psychodynamischer Perspektive – Racheakte unter dem Deckmantel der Zugehörigkeit.

Die soziale Wirkung dieser Erzählungen darf dabei nicht unterschätzt werden: Gerade weil sie informell, beiläufig und scheinbar harmlos sind, entfalten sie eine langsame, aber wirksame Form symbolischer Demontage – nicht durch Konfrontation, sondern durch narrative Infiltration. Das Gefolgte wird so nicht attackiert, sondern unterwandert. Die destruktive Energie wird in kleine Splitter verwandelt – verteilt, wiederholt, getarnt.

Die Hypothese lässt sich damit wie folgt verdichten:
Bad Word of Mouth ist nicht Nebenprodukt einer Frustration – es ist deren psychodynamischer Lösungsversuch. Es ist das Mittel, mit dem sich ein innerlich destabilisiertes Subjekt gegen den Anderen, gegen sich selbst und gegen die symbolische Ohnmacht des Digitalen zur Wehr setzt – leise, aber wirksam. Die destruktive Erzählung ist dabei keine Reaktion, sondern eine Reparatur – am beschädigten Selbstwert, nicht am Anderen.

Hypothese H5 – Algorithmische Eskalationshypothese

Affektambivalente Follower, die besonders viel Zeit auf Plattformen mit algorithmischer Reizverstärkung (z. B. TikTok, Instagram Reels, LinkedIn) verbringen, zeigen signifikant häufiger destruktives Offlineverhalten.

Diese Hypothese zielt auf den oft unterschätzten Einfluss der digitalen Architektur selbst: Soziale Plattformen sind nicht nur Kanäle für Kommunikation, sondern affektökonomische Systeme, deren algorithmische Strukturen bestimmte emotionale Inhalte bevorzugt selektieren, verstärken und in sozialen Vergleich übersetzen. Die Untersuchung bestätigte diese Hypothese sowohl quantitativ als auch qualitativ – und machte deutlich: Plattformen wie TikTok, Instagram oder LinkedIn sind keine neutralen Medienumgebungen, sondern affektive Resonanzmaschinen, die psychische Spannungen nicht beruhigen, sondern intensivieren – insbesondere bei Personen mit hoher Ambivalenz und narzisstischer Fragilität.

In der quantitativen Analyse zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Selbstangabe der täglichen Nutzungsdauer auf affektstarken Plattformen (insbesondere TikTok und LinkedIn) und dem Ausmaß realweltlicher destruktiver Narrative (r = .49, p < .001). Dieser Effekt wurde durch die Interaktion mit hohen Werten in den Skalen Techniküberforderung, malignem Neid und Affektambivalenz noch verstärkt. Das bedeutet: Je affektiver die Plattform strukturiert war – je kürzer die Reize, je höher der soziale Vergleich, je stärker die Performanzlogik – desto wahrscheinlicher war es, dass sich eine destruktive Verlagerung ins soziale Nahfeld vollzog. Die Plattform wurde dabei nicht als Quelle von Information, sondern als permanenter Affekttrigger erlebt.

Die psychodynamische Lesart dieser Befunde verweist auf eine zentrale Funktion des Algorithmus: Er objektiviert soziale Hierarchie und verwandelt emotionale Mikrodifferenzen in sichtbare Ungleichheit – in Reichweite, Likes, Kommentare, Aufmerksamkeit. Diese algorithmische Sichtbarmachung erzeugt im Erleben affektambivalenter Follower einen Zustand chronischer Unterlegenheit, den sie nicht auf der Plattform austragen können, ohne ihre eigene Position zu gefährden. Die Folge ist eine affektive Überladung ohne Handlungskanal – und damit eine latente Eskalationsbereitschaft, die nach symbolischem Ausgleich sucht. Dieser Ausgleich geschieht – wie die Interviews zeigen – im sozialen Nahfeld.

In den Interviews wurde der Algorithmus vielfach als „unsichtbare Ordnungsmacht“ thematisiert – nicht in technischer, sondern in psychischer Hinsicht. Aussagen wie:

„Ich poste nie, weil ich eh weiß, dass es keiner sieht.“
„Der Algorithmus pusht immer die gleichen Leute – das hat doch nichts mit Leistung zu tun.“
„Du musst nur schön genug sein, dann wirst du sichtbar – das ist doch keine echte Anerkennung.“

zeigen, dass sich hier ein tiefes Gefühl der strukturellen Abwertung und Auslöschung manifestiert. Der Algorithmus wird zur Projektionsfläche eines internalisierten Nichtgenügens – nicht mehr als technisches System, sondern als psychische Instanz, die „entscheidet“, wer zählt. Diese Entwertung wird jedoch nicht offen kritisiert, sondern auf sichtbare Personen umgelenkt, die scheinbar vom Algorithmus bevorzugt werden: Influencer, Unternehmer:innen, Persönlichkeiten mit hoher Reichweite. Sie werden zur Verkörperung einer unfairen Ordnung, und damit zur legitimen Zielscheibe für Destruktion.

Diese Dynamik fand ihre ethnografische Entsprechung in der Beobachtung von Kommentarmustern, Story-Reaktionen und geteilten Inhalten: Besonders auf TikTok zeigte sich ein Muster, das wir als doppelcodierte Interaktion bezeichnen – positiver oder ironischer Kommentar öffentlich, begleitet von abwertender Story-Referenz im privaten Raum. Das Verhalten war nicht nur ambivalent – es war bewusst mehrstimmig: Der Algorithmus wurde „gefüttert“ mit affirmativem Verhalten, während der reale Affekt abgekoppelt und externalisiert wurde. Die Plattform wurde zum Ort der Anpassung, das Gespräch zum Ort der Korrektur.

Tiefenpsychologisch lässt sich das als Fragmentierung der affektiven Selbstführung deuten: Die Plattform verlangt Sichtbarkeit, Positivität, Bestätigung. Das Ich liefert – und trennt gleichzeitig alle destruktiven Impulse davon ab. Diese werden nicht unterdrückt, sondern delegiert – an den sozialen Raum, an Kolleg:innen, Freund:innen, digitale Nebenschauplätze. So entstehen zwei parallele Affekträume, die nur scheinbar nichts miteinander zu tun haben: Einer, der algorithmisch affirmiert, und einer, der sozial entwertet. Das Ich steht dazwischen – nicht zynisch, sondern gespalten.

Damit lässt sich sagen: Die Hypothese wurde nicht nur bestätigt, sondern zeigt, dass destruktive Follower-Dynamiken nicht ausschließlich aus innerer Psychodynamik resultieren, sondern durch die mediale Struktur des Digitalen selbst erzeugt, verstärkt und stabilisiert werden. Die Plattformen sind keine Spiegel affektiver Zustände – sie sind Affekthersteller, Vergleichsverstärker und Erregungsökonomien, in denen psychische Ambivalenz nicht bearbeitet, sondern multipliziert wird. Destruktives Verhalten ist in dieser Logik nicht Abweichung, sondern logischer Folge eines strukturellen Reizsystems, das keine Affektintegration, sondern Aufmerksamkeit durch Affekteskalation belohnt.

8.3 Ergebnisreflexion: Die stille Destruktion hinter der Zustimmung

Die empirische Auswertung der Studie zeigt mit großer Klarheit: Die destruktive Wirkung sogenannter Follower entsteht nicht trotz, sondern durch ihre Nähe. Was auf Plattformen wie Instagram, TikTok, LinkedIn oder Facebook als Zeichen digitaler Bindung, Sichtbarkeit oder Loyalität erscheint, ist in einer wachsenden Zahl von Fällen das äußere Symptom einer tiefen affektiven Spaltung, einer parasozialen Kränkungserfahrung und eines unbewältigten inneren Kontrollverlusts. Die Zustimmung wird nicht gegeben, sondern aufrechterhalten – als Fassade, als Funktion, als Affektmanagement. Hinter ihr aber beginnt die symbolische Erosion: Die Entwertung des Anderen – oft subtil, oft getarnt, aber systematisch.

Die Hypothesenprüfung verdeutlicht, dass dieses Phänomen keine Einzelpathologie, sondern eine kollektiv wirksame Strukturleistung digitaler Subjektivierung ist:

  • Mit H1 wurde gezeigt, dass digitale Zustimmung und reale Ablehnung nicht nur koexistieren, sondern psychodynamisch notwendig gespalten werden, um innere Ambivalenzen nicht integrieren zu müssen. Die Plattform wird zum Ort der Loyalität, der reale Raum zum Ort der destruktiven Wahrheit.
  • H2 belegte, dass die psychische Spannung nicht im digitalen Raum entladen wird, sondern externalisiert – in die Gespräche, Kontexte und sozialen Mikroöffentlichkeiten, die informell, vertraut und resonanzfähig sind. Hier wird die Entwertung nicht als Hass, sondern als Narrative vollzogen.
  • In H3 wurde deutlich, dass der Auslöser dieser Destruktion nicht objektives Verhalten des Gefolgten ist, sondern das subjektiv empfundene Ausbleiben von Resonanz. Narzisstische Kränkungen entstehen dort, wo die eigene Sichtbarkeit nicht gespiegelt wird – und schlagen um in Reaktanz, Rache, Herabsetzung.
  • H4 machte klar: Die destruktive Erzählung ist kein Effekt, sondern eine psychische Ersatzhandlung. Sie dient der Wiederherstellung subjektiver Kontrolle, der narzisstischen Selbstreparatur und der symbolischen Rücknahme der Ohnmacht. Der Gefolgte wird klein gemacht, damit das eigene Ich wieder groß genug wirkt.
  • Und schließlich zeigte H5, dass dieses gesamte Muster nicht nur aus der Psyche, sondern ebenso aus der medialen Struktur selbst hervorgebracht wird: Die algorithmischen Plattformen erzeugen durch permanente Vergleichbarkeit, Reichweitenungleichheit und Sichtbarkeitslogik einen Zustand chronischer narzisstischer Überforderung, der systematisch ambivalente Bindungen, soziale Projektionen und destruktive Kompensationen begünstigt.

Die zentrale Erkenntnis lautet:

Die gefährlichsten Beziehungen in der digitalen Moderne sind nicht die gelösten, sondern die unbewältigten – jene, in denen Nähe formal bleibt, aber affektiv längst in destruktive Energie übergegangen ist.

Die Zerstörung geschieht nicht mehr in der Öffentlichkeit, sondern in der Grauzone zwischen digitaler Bindung und realer Entwertung. Das „Gefällt mir“ ist nicht immer ein Zeichen von Anerkennung – es kann auch der letzte Halt einer narzisstischen Selbstschutzstruktur sein, die kurz vor der Implosion steht.

In ihrer Gesamtheit beschreiben die Ergebnisse keine individuelle Fehlanpassung, sondern eine kollektive Strukturpathologie einer Plattformgesellschaft, in der Sichtbarkeit zum Affektbrennstoff, Resonanz zur narzisstischen Währung und Erzählung zum Ersatz für reale Beziehung geworden ist. Was hier sichtbar wird, ist das psychische Echo eines Systems, das auf Performanz statt Bindung, auf Vergleich statt Vertrauen, auf Affektlogik statt Reflexion basiert.

Der destruktive Follower ist damit kein Sonderfall – er ist die psychologisch passende Reaktion auf ein System, das Beziehung ohne Gegenseitigkeit, Nähe ohne Berührung und Sichtbarkeit ohne Verantwortung produziert. Seine Destruktivität ist nicht Ausdruck von Bosheit, sondern von Überforderung. Sein Narrativ ist keine Lüge, sondern eine Selbsttherapie ohne Dialog.

Diese Erkenntnisse werfen nicht nur ein neues Licht auf die Psychologie der digitalen Interaktion, sondern fordern ein radikales Umdenken in Kommunikationsforschung, Medienpädagogik, Plattformarchitektur und Markenführung – denn sie zeigen:

Zustimmung ist nicht gleich Verbindung.
Nähe ist nicht gleich Loyalität.
Und Follower sind nicht immer Fans.

9. Implikationen und Anwendung der Studienergebnisse

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass destruktive Follower-Dynamiken keine Randphänomene sind, sondern Ausdruck eines grundlegenden Wandels affektiver Beziehungen im Zeitalter digitaler Sichtbarkeit. In Plattformumgebungen, in denen Resonanz zur Währung des Selbstwerts wird und performative Nähe reale Gegenseitigkeit ersetzt, verschieben sich die Orte, Formen und Mechanismen sozialer Destruktivität fundamental.

Der Hass tritt nicht mehr offen auf – er tarnt sich als Zugehörigkeit. Die Ablehnung ist nicht mehr sichtbar – sie wandert in Erzählungen. Die Kränkung wird nicht mehr eingestanden – sie wird externalisiert, rationalisiert, moralisiert. Was bleibt, ist ein paradoxes Beziehungsmodell: Zustimmung als Maske, Entwertung als Wirkung.

Diese Struktur erfordert ein neues Analyseinstrumentarium. Die klassische Trennung in „Fans“ und „Hater“, in „Zugewandte“ und „Ablehnende“, greift zu kurz. Vielmehr handelt es sich um fluide Übergänge, psychodynamisch komplexe Verhältnisse und medial verstärkte Eskalationslogiken. Die Studie entwickelt daher eine Kartografie dieser neuen, widersprüchlichen Follower-Dynamik – als analytisches Modell zur Verortung affektiver Spannungen, symbolischer Eskalationen und sozialer Nebenwirkungen.

Diese Kartografie beschreibt nicht Menschen, sondern Zonen psychischer Beziehungslagen, in denen sich destruktive Dynamiken formieren, verschleiern und realwirksam werden. Sie bietet damit eine neue Landkarte für Markenführung, Kommunikationspsychologie und Diskursanalyse: Wo entstehen destruktive Follower? Wie verhalten sie sich? Wie wandern Affekte zwischen Plattform und Realität? Und wo kippt Zustimmung in systemische Sabotage?

Im Folgenden werden drei zentrale Spannungsräume dieser Kartografie vorgestellt – jeweils mit ihrer psychodynamischen Struktur, medialen Verstärkungslogik und realweltlichen Wirkung.

9.1 Kartografie destruktiver Follower-Dynamiken

Ein affektives Raum-Zeit-Modell psychischer Spaltung und sozialer Reaktionsverschiebung

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen deutlich: Destruktive Follower-Dynamiken sind keine zufälligen Ausreißer im Kommunikationsverhalten einzelner Individuen – sie folgen einer inneren Logik. Diese Logik ist nicht linear, sondern topologisch: Sie lässt sich nicht als Abfolge, sondern als Verlagerung in psychischen Räumen beschreiben. Genau dies ist der Ausgangspunkt der nachfolgenden Kartografie: Sie rekonstruiert die destruktive Beziehung nicht entlang einer biografischen Zeitlinie, sondern als Wanderung durch drei affektiv codierte Zonen, in denen Nähe, Abwehr, Entwertung und Erzählung auf spezifische Weise konfiguriert sind.

Diese Zonen stellen keine festen Typen dar, sondern Relationen zwischen psychischem Zustand, digitaler Bindung und realweltlicher Handlung. Sie sind durchlässig, instabil, übergangsoffen – und gerade deshalb analytisch relevant. Denn sie zeigen, wie sich ein vermeintlich stabiler digitaler Bindungsakt (Follow, Like, Kommentar) in seiner affektiven Bedeutung verschieben kann, ohne dass sich das Verhalten formal ändert. Was stabil wirkt, ist in Wahrheit ein emotional driftendes Verhältnis, dessen destruktives Potenzial erst sichtbar wird, wenn man hinter die Interaktion, in den psychischen Resonanzraum des Followers blickt.

Zone 1: Gestauter Affekt
  • Position: Unten links
  • Koordinaten: ca. x = –1 bis 0 (funktionale Orientierung), y = –2 bis –1 (soziale Einbindung)
  • Bedeutung:
    Personen sind noch sozial eingebunden (hohe Nähe, z. B. treue Follower), aber erleben erste emotionale Spannungen. Sie bewundern, fühlen sich aber übersehen oder klein. Die destruktive Energie ist noch verdrängt, aber bereits spürbar.
Zone 2: Projektive Verlagerung
  • Position: Zentral, leicht rechts mittig
  • Koordinaten: ca. x = 0.5–1.5, y = –0.5 bis 0.5
  • Bedeutung:
    Hier kippt die Affektspannung in verdeckte Entwertung. Es kommt zur Verlagerung der Feindseligkeit ins reale Umfeld: Ironische Bemerkungen, abwertende Erzählungen – während online noch Zustimmung gezeigt wird.
Zone 3: Informelle Sabotage
  • Position: Oben rechts
  • Koordinaten: ca. x = 2.5–3.5, y = 1.0–2.0
  • Bedeutung:
    Die Beziehung ist digital meist schon entkoppelt (wenig Interaktion), doch die destruktiven Narrative sind voll entfaltet – in privaten Gesprächen, beruflichen Kontexten, informellen Kanälen. Der Follower agiert nicht mehr – er untergräbt.

Diese Zonen sind keine Kategorien im klassischen Sinn, sondern Spannungsräume zwischen Bindung und Entwertung, die durch psychodynamische Prozesse – wie Spaltung, Projektion, narzisstische Regulation – strukturiert werden. Ihre Übergänge sind fließend, ihre Affektlogik ist regressiv, ihre Wirkung ist unterschätzt.

In den folgenden Abschnitten wird jede dieser drei Zonen tiefenpsychologisch beschrieben – nicht nur in Bezug auf das Verhalten des Followers, sondern vor allem auf jene inneren Konflikte, Spiegelverhältnisse und symbolischen Dynamiken, die aus digitaler Zustimmung eine reale Destruktionskraft machen.

Zone 1: Gestauter Affekt

Die paradoxe Nähe – zwischen Bewunderung, Identifikation und unartikuliertem Neid

Diese Zone repräsentiert den Anfangspunkt destruktiver Follower-Dynamik. Es ist der Zustand affektiver Spannung unterhalb der Oberfläche eines scheinbar loyalen Verhältnisses. Der Follower ist in dieser Phase noch aktiv verbunden – durch Likes, Reaktionen, stille Beobachtung. Er zeigt Nähe, gibt sich zugewandt, wirkt sogar unterstützend. Doch diese digitale Bindung ist bereits von inneren Rissen durchzogen: Risse, die nicht aus expliziter Ablehnung entstehen, sondern aus psychisch nicht integrierbarer Ambivalenz.

Der emotionale Grundkonflikt dieser Zone besteht in einem psychologischen Paradoxon:

Der Gefolgte wird zugleich idealisiert und als unerreichbar erlebt.

Der Follower nimmt den Anderen als souverän, erfolgreich, charismatisch oder inspirierend wahr – eine Figur, die ihm Orientierung bietet, aber auch einen ständigen Spiegel der eigenen Unzulänglichkeit darstellt. Diese Ambivalenz erzeugt narzisstische Mikrokränkungen, die jedoch nicht benennbar sind. Denn: Die Beziehung wird als psychisch wichtig erlebt. Sie liefert Orientierung, Zugehörigkeit, oft auch ein Gefühl moralischer Aufwertung („Ich folge den Richtigen“). Ein offener Bruch würde also die eigene Stabilität gefährden.

Tiefenpsychologisch liegt in dieser Zone eine Form der parasitär-abhängigen Idealisierung vor (Kohut):
Der Gefolgte wird nicht als autonomes Gegenüber wahrgenommen, sondern als Selbstobjekt, das narzisstische Regulation leisten soll. Der Follower bindet sich – nicht aus Gleichwertigkeit, sondern aus einem impliziten Wunsch nach Spiegelung, Bestätigung und seelischer Aufladung. Die Bindung dient der psychischen Selbststützung: „Solange ich ihm/ihr folge, bin ich Teil dieses Erfolgsraums.“

Bleibt jedoch die erwünschte Resonanz aus – etwa, weil der Gefolgte nicht zurückfolgt, nicht liked, keine Interaktion zeigt oder schlicht zu groß erscheint –, entsteht eine latente narzisstische Irritation. Sie ist nicht stark genug für bewusste Wut, aber intensiv genug, um psychische Spannungen zu erzeugen, die nicht verarbeitet werden können. Die Affekte – Bewunderung, Neid, Unsicherheit – bleiben unverbunden nebeneinander stehen, was zur klassischen Spaltung führt (Melanie Klein): Das Gute bleibt auf der Plattform – in Likes, Shares, Kommentaren. Das Schlechte wird verdrängt – nicht gelöscht, sondern abgespalten.

Der psychische Zustand ist einer von äußerer Zugehörigkeit bei innerer Kränkbarkeit. Der Follower zeigt digitale Loyalität, aber die Beziehung ist nicht mehr seelisch durchdrungen. Sie ist funktional, aber nicht kongruent. Sie ist öffentlich affirmativ, aber innerlich bereits konfliktgeladen.

Diese Zone ist in mehrfacher Hinsicht gefährlich:

  • Für den Gefolgten ist sie unsichtbar. Die Likes bleiben. Die Beziehung scheint stabil. Es gibt keine Signale, die auf bevorstehende Ablehnung hindeuten.
  • Für den Follower ist sie energieraubend. Die Bindung wird gehalten, aber sie löst innere Reibung aus – aus der heraus eine unbewusste Suchbewegung nach Entladung entsteht.
  • Für die Beziehung ist sie instabil. Sie lebt von einer Illusion: der Illusion, dass digitale Nähe gleichbedeutend mit innerer Zustimmung sei.

Affektanalytisch ist diese Zone ein emotionaler Druckraum: Hohe Bindung, hohe Spannung, geringe Integrationsfähigkeit. Die Folge ist eine Affektverdichtung – wie in einem hermetisch verschlossenen Gefäß, das keine Luft mehr lässt. Was nicht ausgesprochen werden kann, staut sich. Was nicht reflektiert wird, sucht sich neue Wege. Was nicht kommuniziert werden darf, wird irgendwann narrativ entwertet.

Die Empirie der Studie zeigt: Diese Zone ist der psychodynamische Ursprung späterer Zersetzungsakte. Sie ist kein Ort des Hasses – sondern der nicht verarbeiteten Bewunderung, der nicht erwiderten Zuneigung, des nicht erfüllten Spiegelwunsches. Und genau daraus erwächst ihre destruktive Potenz.

Zone 2: Projektive Verlagerung

Der Übergangsraum – zwischen digitaler Nähe und realweltlicher Entwertung

Zone 2 beschreibt jenen psychodynamischen Kipppunkt, an dem die zuvor gestauten Affekte (vgl. Zone 1) beginnen, sich aus der Innerlichkeit des Erlebens in den Raum der symbolischen Außenkommunikation zu verlagern. Die Beziehung ist noch formal intakt – der Follower zeigt weiterhin digitale Zustimmung: liked, schaut Stories, kommentiert gelegentlich. Doch innerlich hat sich die Dynamik bereits verschoben. Die Bewunderung ist gebrochen, der Selbstwert ist irritiert, die Nähe ist formal, aber nicht mehr affektiv kongruent.

In dieser Zone beginnt die Destruktion, jedoch nicht als offener Bruch, sondern als projektive Entwertung in Dritträumen:

Der Follower spricht nicht mit dem Gefolgten – sondern über ihn.

Diese Verlagerung geschieht leise, oft beiläufig, immer eingebettet in eine scheinbar legitime Sprachform: Ironie, Skepsis, Sorge, moralische Relativierung. Es sind keine Angriffe, sondern Narrative der Distanzierung, die affektive Energie umwandeln in „Besorgtheit“, „Realismus“, „Reflexion“. Typische Wendungen in dieser Zone sind:

  • „Ich mag sie ja, aber irgendwie ist das alles ein bisschen viel geworden.“
  • „Ich glaube, er braucht das alles – aber hey, wenn’s hilft…“
  • „Sie ist nett, aber irgendwie auch total von sich überzeugt.“

Diese Form der Entwertung ist codiert, nicht explizit. Sie erlaubt dem Follower, sein Selbstbild als fair, differenziert, analytisch aufrechtzuerhalten – während der Affekt bereits in eine affektive Subversion des Gefolgten umgeschlagen ist. Der Andere wird nicht frontal kritisiert, sondern deutungsvoll rekonstruiert. Die Narrative übernehmen die Funktion einer affektiven Verlagerungszone – sie wirken wie ein seelisches Sicherheitsventil: kontrolliert, sozial anschlussfähig und gleichzeitig entlastend.

Tiefenpsychologisch handelt es sich um eine Verschiebungs- und Externalisierungsleistung, in der der innere Konflikt (z. B. Neid, Unterlegenheit, Enttäuschung) nicht als eigener Affekt anerkannt, sondern auf den Gefolgten übertragen wird. Der Andere wird zum Träger jener Anteile, die man sich selbst nicht eingestehen kann: Geltungssucht, Unsicherheit, Inszenierungsbedürfnis. So wird aus innerer Kränkung eine analytische Kritik an der Figur, die sie ausgelöst hat – ein Mechanismus, der tief im Konzept der projektiven Identifizierung (Klein) wurzelt: Der Follower sieht sich selbst nicht als gekränkt – sondern den Anderen als „problematisch“.

Besonders perfide: Diese Form der Entwertung ist anschlussfähig im sozialen Raum. Sie findet Resonanz. Sie wirkt plausibel. Sie wird geteilt, bestätigt, wiederholt – oft ohne direkte Feindseligkeit, aber mit klarer Wirkung. Was online als Zustimmung erscheint, ist offline längst eine affektive Demontagebewegung geworden. Die Plattformbeziehung bleibt unangetastet – nicht aus Loyalität, sondern aus Strategie: Sichtbarkeit, soziale Nähe, Statusbindung sollen nicht gefährdet werden. Die eigentliche Beziehung wird in das Reale verlagert – und dort entwertet.

Diese Zone ist dynamisch instabil. Sie lebt von einer inneren Ambivalenz, die nicht integriert, sondern externalisiert wird. Der Follower befindet sich in einem Zustand innerer Abgrenzung bei äußerer Bindung – eine Konstellation, die sowohl psychisch entlastend als auch kommunikativ destruktiv ist. Die narrative Entwertung ist kein Ausrutscher, sondern eine symbolische Kompensation narzisstischer Ohnmacht.

Empirisch zeigt sich, dass diese Zone besonders häufig von jenen Personen bevölkert wird, die:

  • hohe Werte in Affektambivalenz und malignem Neid aufweisen,
  • gleichzeitig ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle und Selbstwirksamkeit zeigen,
  • und sich im Plattformverhältnis zunehmend ungesehen, untergeordnet oder ungerecht behandelt fühlen.

Zone 2 ist damit der kritische Übergangsraum:
Die Destruktion beginnt – nicht durch Konfrontation, sondern durch semantische Osmose. Die Affekte wechseln das Medium. Aus Nähe wird Misstrauen. Aus Bewunderung wird Entzauberung. Aus Fandom wird Flüstern.

Zone 3: Informelle Sabotage

Der Rückzug ins narrative Gegenbild – wo aus Beobachtung systematische Entwertung wird

Zone 3 ist der Endzustand einer affektiv destabilisierten Follower-Beziehung. Die emotionale Spannung, die in Zone 1 gestaut und in Zone 2 projektiert wurde, ist hier nicht nur entfesselt – sie ist kodiert, ritualisiert und externalisiert. Der Gefolgte wird nun nicht mehr innerlich gespiegelt oder kritisch rekonstruiert, sondern aktiv demontiert – nicht auf der Plattform, sondern im sozialen Nahfeld, in professionellen Kontexten, in der symbolischen Welt informeller Kommunikation.

Das zentrale Kennzeichen dieser Zone ist die Vollendung der psychischen Abspaltung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer symbolischen Restbindung. Die Beziehung besteht nicht mehr real – weder affektiv noch kommunikativ – aber sie ist im Inneren des Followers noch nicht abgeschlossen. Der Andere bleibt ein Referenzpunkt: nicht mehr als Vorbild, sondern als negatives Objekt, das nun als Projektionsfläche für kränkende, schmerzhafte oder beschämende Selbstanteile dient.

Tiefenpsychologisch handelt es sich um eine Umkehrbeziehung, in der sich frühere Bewunderung in Misstrauen, Sehnsucht in Groll, Ideal in Feindbild verwandelt hat. Das Ich entledigt sich der Enttäuschung nicht durch Loslassen, sondern durch kontrollierte narrative Umformung:

Was einst als Stärke bewundert wurde, wird nun als Arroganz interpretiert.
Was als Authentizität galt, wird nun als Inszenierung entlarvt.
Was einmal Zugehörigkeit bedeutete, gilt nun als Pose oder Manipulation.

Die zentrale psychische Funktion dieser Phase ist die Rekonstruktion von Deutungsmacht. Der Follower hat den Einfluss, den er vom Gefolgten ersehnte, nicht erhalten – nun nimmt er sich symbolische Kontrolle zurück, indem er die Figur des Anderen neu erzählt: gegenüber Dritten, in subtilen Bemerkungen, in ironischen Anspielungen, in privaten Gesprächen, manchmal auch in öffentlichen Räumen, aber nie adressiert. Die Affektwirkung ist indirekt, aber konsequent. Sie unterwandert das Bild des Gefolgten, ohne es offen zu attackieren.

Diese Erzählungen folgen einer spezifischen affektiven Grammatik:

  • Sie klingen reflektiert („Ich war mal ein Fan – aber irgendwann war’s einfach zu viel“).
  • Sie wirken informiert („Ich weiß da Dinge, die die meisten nicht sehen“).
  • Sie sind sozial kodierbar („Kennst du die Story mit…?“).
  • Und sie vermeiden offene Aggression – nicht aus Rücksicht, sondern aus Effizienz.

Denn die Wirkung dieser Erzählform ist besonders perfide: Sie vermeidet Widerstand, weil sie in Grauzonen operiert – im Ungefähren, im Halbgesagten, im moralisch Andeutbaren. Das macht sie anschlussfähig und gefährlich: Sie kann sich verbreiten, ohne verantwortlich gemacht zu werden. Die informelle Sabotage ist kein Angriff – sie ist ein Affektdiffusor.

Tiefenpsychologisch basiert diese Strategie auf einer Mischung aus:

  • Abgespaltenem Neid, der nie reflektiert wurde,
  • Enttäuschter Selbstobjekt-Erwartung (Kohut), die in narzisstische Kränkung umschlug,
  • und verinnerlichter Ohnmacht, die durch kontrollierte Repräsentation des Anderen kompensiert wird.

Die Forschung zeigt: In dieser Zone agieren besonders jene, die ein hohes Maß an Kontrollbedürfnis und niedriger Selbstwirksamkeit zeigen – und sich selbst durch die Zersetzung des Anderen stabilisieren. Der Gefolgte wird dabei nicht mehr als Person adressiert – sondern als Symbol eines Scheiterns, das umgeschrieben werden muss, damit das eigene Scheitern nicht bewusst wird.

Diese Zone ist deshalb gefährlich, weil sie:

  • unsichtbar operiert (der Gefolgte bemerkt nichts direkt),
  • sozial resonanzfähig ist (ironische Kritik wird leicht geteilt),
  • dauerhaft Wirkung entfalten kann (durch Reputationserosion),
  • und nicht reparabel ist (die Beziehung ist innerlich abgeschlossen, aber äußerlich produktiv gemacht).

Man könnte sagen:

Was in Zone 1 als Ideal begann, wurde in Zone 2 kritisch, und ist in Zone 3 zu einem affektiv aufgeladenen Narrativ geworden, das der Entlastung des Erzählers dient – nicht der Wahrheit über den Erzählten.

9.2 Strategische Implikationen für Markenführung und Marketing

Vom inneren Konflikt zur äußeren Markenwirkung – Warum destruktive Follower auch ein Marketingproblem sind

Die in dieser Studie identifizierten affektiven Zonen – gestauter Affekt, projektive Verlagerung, informelle Sabotage – offenbaren keine individuellen Störungen, sondern den normalpsychologischen Untergrund einer zunehmend überforderten, digital codierten Gegenwart. Sie zeigen, dass Zustimmung im digitalen Raum längst kein Ausdruck eindeutiger Positivität mehr ist – sondern das Produkt einer brüchigen Affektökonomie, in der Nähe, Bewunderung und Zugehörigkeit jederzeit in Distanz, Abwertung und Entwertung kippen können.

Diese Spannungen bleiben nicht im psychischen Binnenraum des Einzelnen eingeschlossen. Sie suchen Anschluss. Sie wandern. Sie sedimentieren sich in Sprache, Verhalten und Beziehung. Und sie verformen die Beziehung zwischen Individuen und Marken – oft unbemerkt, aber mit tiefgreifenden Konsequenzen.

Denn Marken – insbesondere jene mit hoher Sichtbarkeit, stilistischer Überformung oder ideologischer Aufladung – übernehmen heute nicht mehr nur ökonomische Funktionen, sondern auch symbolische und psychologische Rollen. Sie sind Spiegel, Projektionsfläche, Identitätsanker, Selbstobjekt. Der Konsum – ob funktional oder rein kommunikativ – ist zu einem Raum geworden, in dem Menschen ihre Wünsche, Sehnsüchte, Unzulänglichkeiten und Anerkennungsbedürfnisse verhandeln. Marken sind damit keine funktionalen Sender mehr, sondern Resonanzfiguren.

Diese Resonanz kann erfüllend, stabilisierend, empowernd sein – aber eben auch enttäuschend, kränkend, eskalierend.

Der psychodynamische Mechanismus dahinter ist subtil:
Die Marke, die einst idealisiert wurde, wird nun zur Instanz, die das eigene Defizit sichtbar macht.
Die Plattform, die einst Zugehörigkeit suggerierte, wird nun zur Bühne der inneren Ausschlussangst.
Der Influencer, der einst Inspiration war, wird nun zum Symbol einer Unerreichbarkeit, die nicht integriert, sondern bekämpft werden muss.

Was als stille Bewunderung beginnt, verwandelt sich schleichend in symbolische Gegnerschaftnicht durch Protest, sondern durch Entzug, durch Distanzierung, durch semantische Dekonstruktion. Der Like bleibt. Doch seine emotionale Temperatur ist längst erkaltet. Er ist Zeichen des Erinnerns, nicht der Verbindung. Zustimmung wird zur Ritualgeste – während sich der Affekt längst in anderen Räumen entlädt: in Peer-Gesprächen, in ironischen Kommentaren, in beruflichen Netzwerken, in Schweigen, das bedeutungsschwer geworden ist.

Diese affektiven Driftbewegungen sind für Marken hochrelevant – und zugleich schwer zu fassen. Sie sind weder in klassischen KPIs abbildbar noch in Sentimentanalysen eindeutig zu erfassen. Denn das zentrale Problem ist: Das Verhalten bleibt konstant – während die affektive Codierung kippt. Der destruktive Follower sieht aus wie ein loyaler Kunde. Doch innerlich ist er längst auf einem anderen Pfad unterwegs: dem Pfad der Erzählung, der Distanzierung, der symbolischen Rache.

Die Gefahr für Markenführung liegt deshalb in einem fundamentalen Missverständnis:

Dass Zustimmung gleich Beziehung sei.
Dass Sichtbarkeit gleich Wirksamkeit sei.
Dass eine große Followerzahl ein Zeichen für Markenbindung sei – und nicht für affektive Überfrachtung.

Diese Annahmen sind nicht nur falsch – sie sind gefährlich. Denn sie führen dazu, dass Marken in Räume investieren, die äußerlich stabil, aber innerlich instabilisiert sind. Sie pflegen Communitys, in denen die destruktiven Kräfte bereits wirken – subtil, verdeckt, aber hoch wirksam. Sie setzen auf Interaktion, wo sie in Wahrheit eine symbolische Entwertung alimentieren. Und sie reagieren zu spät – weil die Entwertung nicht laut, sondern leise, nicht direkt, sondern indirekt, nicht als Widerspruch, sondern als ironisierte Zustimmung erfolgt.

Diese Studie zeigt:

Markenbeziehungen sind heute psychodynamisch verfasst.
Sie funktionieren nach denselben Regeln wie menschliche Bindungen – mit Idealisierung, Spiegelbedürfnis, narzisstischer Enttäuschung und Rückzugsbewegung.
Wer dies ignoriert, kommuniziert auf einem Kanal, der oberflächlich verbunden – aber innerlich längst gekappt ist.

Die folgenden Implikationen richten sich deshalb an alle, die Marke nicht als Zeichen, sondern als Beziehung verstehen. Sie fordern nicht mehr Daten – sondern mehr Deutung. Nicht mehr Aufmerksamkeit – sondern mehr Affektverständnis. Und nicht mehr Content – sondern mehr psychologische Resonanzarchitektur.

9.3 Risiken für Markenführung im Zeitalter destruktiver Follower

Die Analyse der drei affektiven Zonen hat offengelegt: Markenkommunikation bewegt sich heute in einem Spannungsfeld zwischen performativer Nähe und latenter Entwertung. Das eigentlich Gefährliche an destruktiven Followern ist nicht ihre Lautstärke – sondern ihre Unauffälligkeit bei gleichzeitiger Wirkungstiefe. Sie interagieren. Sie liken. Sie folgen. Doch ihre Affekte sind bereits abgewandert. Die digitale Bindung täuscht eine Beziehung vor, die innerlich längst gekippt ist. Daraus ergeben sich drei grundlegende Risiken:

Risiko 1: Das Trugbild der Zustimmung

Zustimmung ist nicht gleich Zustimmung.
Likes, Kommentare, Verweildauer oder Follows suggerieren Bindung – doch wie Zone 1 zeigt, kann hinter scheinbar loyalem Verhalten bereits eine affektive Abspaltung wirken. Zustimmung wird zur psychischen Strategie: um Zugehörigkeit zu bewahren, das Selbst zu stabilisieren oder den Anderen nicht zu verlieren – obwohl innerlich bereits Entwertung begonnen hat. Der digitale Ausdruck bleibt, aber seine affektive Bedeutung kippt.

Gefahr: Marken, die diese Ambivalenz nicht erkennen, interpretieren ihre Reichweite als Erfolg – obwohl sie bereits Objekt projektiver Spaltung geworden sind.

Risiko 2: Unsichtbare Reputationsverluste im Nahfeld

Zersetzung geschieht nicht online – sondern offline.
Zone 2 und Zone 3 zeigen, dass destruktive Narrative meist nicht auf der Plattform selbst, sondern in informellen, sozialen Kontexten auftreten: In beruflichen Gesprächen, Teammeetings, Messengergruppen oder Branchenveranstaltungen. Die dort geäußerten Affekte sind nicht öffentlich, aber symbolisch extrem wirksam – weil sie das digitale Bild der Marke unterwandern, ironisieren, entwerten.

Gefahr: Reputation sinkt nicht linear, sondern durch affektive Osmose – über Geschichten, Kommentare, Relativierungen, die formal harmlos sind, aber kulturell toxisch.

Risiko 3: Die Illusion funktionierender Communitys

Nähe ist nicht Loyalität.
Besonders in stark emotionalisierten Markenfeldern (z. B. Luxus, Karriere, Lifestyle) neigen Marken dazu, Communitys als Vertrauensanker zu sehen. Doch wie die Studie zeigt, ziehen solche Räume auch Menschen an, die sich nicht in der Marke spiegeln, sondern sich an ihr reiben – aus Neid, Abwehr, Selbstzweifel oder Identitätsdruck. Die Nähe, die hier entsteht, ist überladen – nicht verbunden.

Gefahr: Die Community wird zur affektiven Sprengkammer.
Was als Nähe erscheint, ist in Wahrheit ein emotionaler Spannungsraum, in dem Zustimmung jederzeit in Gegenwehr umkippen kann.

10. Schlussbetrachtung – Das Ende der Loyalität, wie wir sie kannten

Warum destruktive Follower nicht das Problem sind – sondern der Spiegel eines Systems, das Nähe ohne Verantwortung produziert

Diese Studie begann mit einer Frage: Wie kann es sein, dass Menschen Marken, Personen oder Plattformen folgen – um sie gleichzeitig zu entwerten?
Sie endet mit einer Antwort, die nicht einfach ist:

Weil digitale Nähe heute keine Beziehung mehr bedeutet.
Weil Sichtbarkeit ein narzisstisches Versprechen ist, das fast immer gebrochen wird.
Und weil das digitale Selbst nicht bindet, sondern projiziert – liebt, idealisiert, enttäuscht, entwertet.

Was als Followerverhalten erscheint, ist in Wahrheit eine psychodynamisch aufgeladene Affektroutine. Es geht um Regulation, nicht um Beziehung. Um Selbststabilisierung, nicht um Gegenseitigkeit. Um Bedeutungssimulation, nicht um Anerkennung. Und Marken, die in diesem Kontext operieren, sind nicht einfach Teilnehmer eines Marktes – sie sind Projektionsflächen einer innerlich fragmentierten Öffentlichkeit, die nicht weiß, ob sie dazugehören oder sich abgrenzen will. Marken werden geliebt – um enttäuscht zu werden. Sie werden verfolgt – um bekämpft zu werden. Und sie werden bestätigt – um später entwertet zu werden, dort, wo niemand es misst: im Realraum, im Gespräch, im Subtext.

Die affektive Kartografie dieser Studie macht sichtbar, was in klassischen Marketingmodellen unsichtbar bleibt:

Dass Bindung heute ein reversibler Zustand ist.
Dass Zustimmung eine Geste ohne Garantie geworden ist.
Und dass Loyalität kein stabiler Wert mehr ist – sondern ein flüchtiger Aggregatzustand psychischer Gleichgewichtssuche.

In dieser Welt ist der destruktive Follower nicht das Problem. Er ist Symptom und Antwort zugleich.

Er ist der Schatten einer Kommunikationskultur, die Nähe verspricht, aber keine psychische Gegenseitigkeit einfordert.

Er ist das Resultat einer Plattformökonomie, die Sichtbarkeit belohnt, aber Beziehung nicht schützt.
Und er ist das Echo eines Marketingdenkens, das Reichweite misst, aber Resonanz nicht versteht.

Wenn diese Studie eine Forderung aufstellt, dann nicht mehr Kontrolle, nicht bessere Zahlen, nicht smarteres Targeting.

Sondern:

Mehr Affektsensibilität. Mehr psychologische Intelligenz. Mehr Mut zur Unterscheidung zwischen Interaktion und Beziehung.Denn solange Marken Likes als Liebe interpretieren, Followerzahlen als Vertrauensbeweis lesen und Reichweite mit Bedeutung verwechseln, wird sich an der grundlegenden Dynamik nichts ändern

Marken werden verfolgt – aber nicht verbunden.
Sie werden affirmiert – aber nicht gehalten.
Sie werden kommuniziert – aber nicht verteidigt.

Die Loyalität stirbt nicht, weil sie niemand mehr will.
Sie stirbt, weil sie nicht mehr affektiv eingelöst werden kann – in einem System, das auf Performance, aber nicht auf Beziehung optimiert ist.

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